Das Insekt an der Scheibe

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Lokterus

Mitglied
Das Insekt an der Scheibe

Ich beobachte dich, kleines geflügeltes Wesen. Dich und deine Versuche, aus dem Führerhaus meines Fahrzeuges durch die Frontscheibe zu entkommen.

Armes Geschöpf.

Ohne jede Vorstellung davon was Glas ist, wirfst du dich abermals, jenem für dich unsichtbaren Hindernis entgegen.

Es wird dir nicht gelingen hinüberzukommen.

Diese Tatsache zu erkennen und dein sinnloses Bemühen einzustellen, nicht einmal das ist dir vergönnt. Ohne Unterlass wirst du, deinen blinden Instinkten folgend, dich bis zur völligen Erschöpfung aufreiben, solange bis die Schwäche anstelle der Vernunft dich zum Aufgeben zwingt.

Und so wirst du letztendlich sterben.

Empfindest du Verwirrung, Panik oder Wut? Soll ich dich zerquetschen, so dein sinnloses Quälen ein Ende findet? Oder soll ich dir gar die Flucht ermöglichen, indem ich das Seitenfenster öffne? Beides läge sicher in meiner Macht. Doch bin ich als unbeteiligter Zeuge deines Kampfes von einer leisen Gleichgültigkeit erfüllt.

Du bist mir egal, kleines Wesen. Und das wenige, das ich dir anzubieten vermag, ist das Festhalten deines Schicksals.

Als unsterbliche Randnotiz, wirst du in meinen Archiven ewig weiter leben.
 

petrasmiles

Mitglied
Lieber Loki,

Du bringst mit Deinem Text etwas zum Ausdruck, was wir viel zu selten in der idealisierenden Verseschmiedewerkstatt zulassen: Einen ehrlichen Blick auf diese 'Dinge des Lebens', die uns eigentlich eher nicht 'beschäftigen' und wo wir (fast) alle sagen müssten: " Doch bin ich als unbeteiligter Zeuge deines Kampfes von einer leisen Gleichgültigkeit erfüllt." Kein Schmerz, der uns adelt, keine heroische Tat. Unser Schatten fernab der (ansonsten) bewussten Wahrnehmung.
Man hört es kaum noch: Ich bin! Ich bin klein und manchmal schäbig. Ich bin schwach und ungerecht. Ich bin gleichgültig. Ich bin einfach nur ich so gut ich es vermag!
Danke für diese Erinnerung!

Liebe Grüße
Petra
 

Rachel

Mitglied
Ein feiner Text, der Einsicht, Spielraum und Identifikationsmöglichkeiten auftut. Gefällt mir sehr. Grüße, Rachel
 

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Mitglied
Ich mag und kann mich Petra und Rachel nur anschließen, was den Inhalt und die Perspektive betrifft, lieber Loki!

Du hältst uns den Spiegel vor - und das auf bemerkenswerte Weise. Mir persönlich ist lediglich die Sprache ein wenig zu blumig. Aber das fällt unter "Geschmackssache".

Gerne gelesen!

Liebe Grüße,
Claudia
 

Lokterus

Mitglied
Schöne Nacht und eine Perle für euch.

Vielen Dank. Ich habe mich über jede Bewertung und jeden Kommentar gefreut. Selten erlebt, mich in einer so kurzen Zeit so gut in eine Gemeinschaft aufgenommen zu fühlen.

Ich wollte noch mehr schreiben, unterlasse dies aber um Rücksicht auf Claudia zu nehmen. Es wäre womöglich doch zu blumig geworden. :p

loki
 



 
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