Das Kind wurde geboren zu einem ungünstigen Zeitpunkt, eigentlich war die Existenz des Kindes an sich nicht geplant. Es wuchs fortan auf in dem Gefühl, weder geplant noch gewollt zu sein.
Es hatte zwei Geschwister, die nach anfänglicher Überraschung ihm zugetan waren und um seine Gunst buhlten. Die Eltern indes fanden es niedlich, aber auch anstrengend, lästig, zu viel. Wie die anderen Kinder der Familie hatte es Bedürfnisse. Bedürfnisse, die nicht ihre eigenen waren, waren den Eltern nicht nur fremd, sondern zuwider.
Entsprechend wuchs das Kind heran. Es bemühte sich, nicht anzuecken und keine Arbeit zu machen, es war ein ruhiges, braves und rücksichtsvolles Kind. Es half nichts. Wie die anderen Kinder der Familie eckte es an, ungewollt, aber nicht wenig folgenreich.
Geschlagen wurde es, wurden sie alle. Regelmäßig wäre falsch, denn dann hätte es eine Vorhersehbarkeit geben müssen, vielleicht sogar erkennbare Momente des Aneckens, die es hätte verhindern können. Nicht regelmäßig also, aber oft. Oft genug, um jederzeit einen Ausbruch zu erwarten.
Zunächst verteilte sich die Wut der Eltern auf drei Kinder und auf den Partner, jeder war mal dran, manchmal mit Folgen jenseits der Seele, meistens mit Folgen genau dort. Nach dem Auszug des Ältesten vermisste das Kind ihn sehr, war aber auch froh, ihn nicht mehr leiden zu sehen. Zu sehen, wie der große, starke Bruder gedemütigt und verletzt wurde, war der größte Graus gewesen.
Es blieben das Kind und die ältere Schwester, die alle zwei Wochen übers Wochenende wegfuhr. Dazwischen versuchte sie mit aller Kraft, das Kind zu unterstützen, ihm zu vermitteln, dass es nicht überflüssig und lästig war für die Welt. Das Kind sah indes die Schwester leiden. Unter Wutausbrüchen der Eltern, nicht selten hervorgerufen durch Versuche der Schwester, für das Kind einzustehen. Manchmal sogar litt die Schwester unter der Verzweiflung und Lebensunlust des Kindes. Sie schrie und schlug auf den Boden, versuchte es dem Kinde in den Kopf zu brüllen: „Du bist okay, du bist es wert zu leben!“
Es gelang – Pläne, die Welt zu verlassen, setzte das Kind nicht um.
Es misslang, denn die gewünschte Botschaft fand den Weg ins Herz des Kindes nicht.
Als das Kind ein Teenager wurde, zog die Schwester nicht mit an den neuen Ort und auch sie fehlte – das Mitansehen ihres Leides fehlte nicht. Das Kind versuchte erst recht, ein perfektes Kind zu sein, die Eltern zu schonen, die Mutter zu schützen. Es lernte kochen, einkaufen, putzen und perfektionierte das Unsichtbarsein und Nichtanecken.
Es reichte nicht. Die Gewalt nahm ihren Raum, zwischen den Eltern ebenso wie von den Eltern gegenüber dem Kind. Meist ging sie vom Vater aus, die Mutter schob die Schuld zum Kind und das Kind versuchte, zu Hause noch unsichtbarer und perfekter zu sein. Beinahe erwachsen war es, als die Wut der Mutter auf gewaltige Art ihren Raum einnahm und es von ihr niedergeschlagen wurde. Mit einem Knacks in der Nase und einem großen Riss in der Seele blieb es allein zurück. Es hatte auch von dieser Seite schon Gewalt gegeben aber dieses Mal verstand das Kind: Es war allein, niemand würde es schützen und es selbst könnte niemanden schützen.
Es begann, die Jahre, Monate, Wochen und Tage zu zählen, bis es das elterliche Haus verlassen konnte. Und es ging. Es flog 9865km weit weg, weit genug zum Atmen. Dort, wo um das Kind herum Gewalt und Armut waren, fühlte es sich zum ersten Mal frei und sicher. Dort, wo es andere sah, die ihrer Kindheit beraubt wurden, konnte es erwachsen werden.
Es hatte zwei Geschwister, die nach anfänglicher Überraschung ihm zugetan waren und um seine Gunst buhlten. Die Eltern indes fanden es niedlich, aber auch anstrengend, lästig, zu viel. Wie die anderen Kinder der Familie hatte es Bedürfnisse. Bedürfnisse, die nicht ihre eigenen waren, waren den Eltern nicht nur fremd, sondern zuwider.
Entsprechend wuchs das Kind heran. Es bemühte sich, nicht anzuecken und keine Arbeit zu machen, es war ein ruhiges, braves und rücksichtsvolles Kind. Es half nichts. Wie die anderen Kinder der Familie eckte es an, ungewollt, aber nicht wenig folgenreich.
Geschlagen wurde es, wurden sie alle. Regelmäßig wäre falsch, denn dann hätte es eine Vorhersehbarkeit geben müssen, vielleicht sogar erkennbare Momente des Aneckens, die es hätte verhindern können. Nicht regelmäßig also, aber oft. Oft genug, um jederzeit einen Ausbruch zu erwarten.
Zunächst verteilte sich die Wut der Eltern auf drei Kinder und auf den Partner, jeder war mal dran, manchmal mit Folgen jenseits der Seele, meistens mit Folgen genau dort. Nach dem Auszug des Ältesten vermisste das Kind ihn sehr, war aber auch froh, ihn nicht mehr leiden zu sehen. Zu sehen, wie der große, starke Bruder gedemütigt und verletzt wurde, war der größte Graus gewesen.
Es blieben das Kind und die ältere Schwester, die alle zwei Wochen übers Wochenende wegfuhr. Dazwischen versuchte sie mit aller Kraft, das Kind zu unterstützen, ihm zu vermitteln, dass es nicht überflüssig und lästig war für die Welt. Das Kind sah indes die Schwester leiden. Unter Wutausbrüchen der Eltern, nicht selten hervorgerufen durch Versuche der Schwester, für das Kind einzustehen. Manchmal sogar litt die Schwester unter der Verzweiflung und Lebensunlust des Kindes. Sie schrie und schlug auf den Boden, versuchte es dem Kinde in den Kopf zu brüllen: „Du bist okay, du bist es wert zu leben!“
Es gelang – Pläne, die Welt zu verlassen, setzte das Kind nicht um.
Es misslang, denn die gewünschte Botschaft fand den Weg ins Herz des Kindes nicht.
Als das Kind ein Teenager wurde, zog die Schwester nicht mit an den neuen Ort und auch sie fehlte – das Mitansehen ihres Leides fehlte nicht. Das Kind versuchte erst recht, ein perfektes Kind zu sein, die Eltern zu schonen, die Mutter zu schützen. Es lernte kochen, einkaufen, putzen und perfektionierte das Unsichtbarsein und Nichtanecken.
Es reichte nicht. Die Gewalt nahm ihren Raum, zwischen den Eltern ebenso wie von den Eltern gegenüber dem Kind. Meist ging sie vom Vater aus, die Mutter schob die Schuld zum Kind und das Kind versuchte, zu Hause noch unsichtbarer und perfekter zu sein. Beinahe erwachsen war es, als die Wut der Mutter auf gewaltige Art ihren Raum einnahm und es von ihr niedergeschlagen wurde. Mit einem Knacks in der Nase und einem großen Riss in der Seele blieb es allein zurück. Es hatte auch von dieser Seite schon Gewalt gegeben aber dieses Mal verstand das Kind: Es war allein, niemand würde es schützen und es selbst könnte niemanden schützen.
Es begann, die Jahre, Monate, Wochen und Tage zu zählen, bis es das elterliche Haus verlassen konnte. Und es ging. Es flog 9865km weit weg, weit genug zum Atmen. Dort, wo um das Kind herum Gewalt und Armut waren, fühlte es sich zum ersten Mal frei und sicher. Dort, wo es andere sah, die ihrer Kindheit beraubt wurden, konnte es erwachsen werden.