Das Orchester

Das Orchester​

Ursprünglich wollte ich ein wenig über Pauken und Trompeten plaudern; als Limit hatte ich mir „höchstens 2 Seiten“ vorgenommen. Aber wo Pauken sind, da sind die Trommeln nicht weit, und spricht man von Trompeten, äußert man sich bald zu Posaunen usw. usf.

Dass aus meinem bescheidenen Vorhaben ein Manuskript von 15 Seiten entstand, ist auf einen Spätjugendstreich zurückzuführen.

Für Studenten der TU Berlin war es in den 50er Jahren eine lästige Pflicht, vor Antritt eines naturwissenschaftlichen Studiums humanistische Fächer zu belegen. Ohne Nachweis über den regelmäßigen Besuch von mindestens vier dieser zeitstehlenden Sondervorlesungen gab es keinen Praktikumsplatz, auf den man als angehender Chemiker dringend angewiesen war.

Dreimal Humanismus über mich ergehen zu lassen, war ich ja bereit; eine vierte Vorlesung lag jenseits des Machbaren. Gnädigerweise gab man sich damit zufrieden, wenn der Studiker sich in einem der vier Fächer einer Prüfung unterzog. Was tut ein Klavierspieler in so einem Fall? Er holt sich Bescheinigungen über den regelmäßigen Besuch der Philosophie-,Anthropologie- und Geschichtsvorlesung und besucht den Herrn Musikprofessor zwecks Abnahme der Prüfung – ohne jemals seine Vorlesung besucht zu haben. Es würde schon gelingen, ihn bei der Stange bzw. dem Thema „Klavier“ festzuhalten! Irrtum – der Aufbau des modernen Symphonieorchesters war zu erläutern. Beinahe wäre ich wirklich mit Pauken und Trompeten eingebrochen. Letztlich war mir das Schicksal (bzw. Professor Stuckenschmidt) gnädig und der Weg zum Alchimisten war frei.

In Erinnerung an diesen Vorfall war es mir natürlich nicht mehr möglich, mich auf Pauken und Trompeten zu beschränken, und so widme ich meine Ausführungen dem Orchester in seiner Gesamtheit. Dass meine Darbietungen etwas an Seriosität vermissen lassen, ist wohl unter den geschilderten Umständen begreiflich. Es ist gewissermaßen „mein“ Orchester, das ich hier zum besten gebe. Professor Stuckenschmidt hätte, wenn er noch lebte, sicher seine helle Freude dran.

Ich will nun einige der mitwirkenden Instrumente und Instrumentalisten vorstellen.
Wieso nur einige? Es gibt immer noch Bescheidene, die sich nur ungern ins Rampenlicht ziehen lassen. Spätestens der Kritiker des hiermit in Aussicht gestellten Konzerts wird sich aber ihrer annehmen und sie entsprechend würdigen. Kommen wir also jetzt, noch halbwegs im Einklang mit dem Ursprungskonzept, zu den

Pauken und Trompeten (nebst Anverwandten)​

Justus Frantz lenkte just meine Aufmerksamkeit auf eine etwas angespannt wirkende Dame. Sie war ganz Ohr, denn sie neigte sich recht auffällig ihren Kesselpauken zu. Ob die richig aufeinander abgestimmt waren? Wer es noch nicht wissen sollte: Was den Geigen recht ist, ist den Pauken billig; sie haben ein Recht darauf, verstimmt zu sein. Die Dame war es offensichtlich.. Ich will mich nicht von ihrer schlechten Laune anstecken lassen, sondern wende mich dem „Mann mit der Pauke“ zu. Warum hat sich dieser quirlige, umtriebige Typ bloß auf Drogen eingelassen! Wenn der auf die Pauke haute, war’s immer was Neuß. Wirklich schade um ihn. Sein gemeinsamer Auftritt mit Wolfgang Müller im Film „Das Haus im Spessart“ (Ach das könnte schön sein …) wird hoffentlich noch lange nicht in Vergessenheit geraten.
Das Leben geht weiter, und die Buschtrommeln pfeifen es von den Dächern: Was dem Kongolesen die Conga, bedeutet der Minni von Trinidad die steel drum. Da kann man stundenlang zuhören. Und immer wieder zur Weihnachtszeit höre ich immer wieder gern „den kleinen Trommler“ – rattatatam. Doch ist nicht alles, was ein Trommelfell besitzt, eine Trommel. Das Banjo gehört beispielsweise in eine ganz andere Abteilung. Und vom Trommelrevolver und dem Trommelfeuer schweigen wir lieber ganz (die haben ja auch kein Trommelfell).
Der Pauker hat zwar eins; das wird aber vom vielen Pauken taub. Es sei denn, der Pauker wäre ein Lehrer – dann stellen sich die Schüler taub. Darauf hält der Pauker diesen eine Standpauke. Nach dieser Abschweifung gedacht, die einst Joseph Haydn einem erlauchten Publikum hielt, indem er selbiges mit einem Paukenschlag aus sanftem Schummer schreckte.

Ich wende mich jetzt den Trompeten und ihren Verwandte zu.
Gern erinnere ich mich an einen Studiosus, der in einer Fußgängerzone die Bachtrompete blies. Auch Uncle Satchmo, obwohl von einer anderen Fakultät, hätte ihm sicher Beifall gezollt. Ja, der gute alte Louis! Wenn ich mir meine Pfeife gestopft habe, mich gemütlich in meinen Sessel zurücklehne und seiner gestopften oder auch nicht gestopften Trompete lausche, bin ich immer ganz ergriffen.

Noch ergriffener war mein Vater, nämlich von hellem Schrecken, als mein Herr Bruder mit einer eigens dafür entliehenen Posaune am Heiligabend völlig unerwartet vor der Haustür die Melodie „Vom Himmel hoch da komm ich her“ (allerdings atonal verfremdet) intonierte. Mein Vater meinte, der Herrgott schickte ihm die Trompeten von Jericho auf den Hals.
Posaunen erklangen auch, als ich mit meiner damaligen Urlaubsbekanntschaft und heutigen Frau durch grüne Wiesen im schönen Harz spazierte. Droben vom Berge erscholl das Lied vom Heideröslein. Nachdem wir uns etwa ein halbes Jahr kannten, passierte eine seltsame Panne. Meine Zukünftige befand sich damals in Kiel, ich in Darmstadt, als uns die Christel von der Post einen Streich spielte. So sehr sie auch in ihr Posthorn stieß, sie fand mich nicht. Die Christel war halt eine Aushilfsbriefträgerin. Jedenfalls war ich nicht, wie in Kiel befürchtet, mit unbekanntem Ziel verzogen
Vom Posthorn zum Waldhorn? Ich möchte es mit der Feststellung bewenden lassen, dass die „Post im Walde“ zu meinen Lieblingsohrwürmern gehört.

Auch die Tuba hat ihre Reize. Wenn man dieser einen gesangsbegabten Akkordeonspieler (und eine funktionierende Verstärkungsanlage) zur Seite stellt, kann man wahre Wunder erleben. „Aus Böhmen kommt die Musik“ verkündete mir die Zweimannkapelle auf unserem Marktplatz. Auch die Umstehenden waren begeistert.

Und nun wieder eine Abschweifung. Ich denke gerade an den kleinen Blasebalg in meiner Verwandtschaft, der seinen Spinat durch die Gegend bläst, weil er ihm nicht zusagt. Jedenfalls kann ich der Ansicht, dass Spinat (man hört es auch anders) im Trompetenrohr Gott sei Dank nur selten vorkommt, uneingeschränkt beipflichten.

Eine Sonderbehandlung verdient das relativ häufige Zusammenwirken von Trommeln und Trompeten.
Ich erinnere mich mit Grausen an die Zeiten des 1000-jährigen Reiches, als ich meinte, den brutalen Ertüchtigungsmethoden meines Fähnleinführers dadurch zu entkommen, dass ich Schutz bei den musizierenden Pimpfen suchte. Dort hatte ich die Wahl zwischen Rührtrommel und Fanfare. Ich wählte zunächst die letztere. Ich habe mich mächtig damit abgequält. Die Fanfare verfügt im Prinzip nur über drei Töne, doch ich bin nicht über einen hinausgekommen. Mit mäßigem Erfolg habe ich dann noch die Trommel gerührt, aber dann wurden alle Aktivitäten eingestellt, weil die Amis im Anmarsch waren – und die sollten weniger mit Pauken und Trompeten sondern eher mit Panterfäusten und dgl. Begrüßt werden. Gott sei Dank hisste man stattdessen die weiße Fahne.
Heute genieße ich es richtig, wenn im Radio (leider nur noch sehr selten die antimilitaristische Musikparodie mit dem Herre Hauptmann, den Herren Leutenants, den Grenadieren, dem Bombardon und den kleinen Mädchen ertönt. - - - Und nach den kleinen Mädchen kam da noch in gebührendem Abstand ein bunter Schmetterling um die Ecke geflogen.

Damit will ich mich von Pauken, Trommeln und Blasinstrumenten verabschieden und mich auf den Holzweg begeben, um ein wenig zu plaudern über

Oboen, Flöten und Fagötter
Im Grunde kann ich als Pianoforte-Spieler nicht mitreden; aber eines weiß ich: Hoboisten (man beachte das aristokratische H) sind immer von Misstrauen gegenüber ihren Klarinette blasenden Kollegen erfüllt. Letztere stehen im Verdacht, mit ihren Instrumenten nicht nur der ernsten Muse zu dienen, sondern damit auch allerhand Allotria zu treiben. Der Verdacht ist berechtigt, habe ich mich doch selbst, allerdings nur als Beihocker auf dem Klavierhocker, an derlei Allotria beteiligt. Die Jahre 1947-1949 sind für mich noch höchst lebendig. Da zog ich mit zwei Klassenkameraden (der eine Klarinettist, der andere Gitarrist) über die Lande, um für ein paar Wurstbrote der Dorfjugend zum Tanz aufzuspielen. Vor einigen Jahren ergab sich ein Wiedersehn, aber da haben die zwei unser gemeinsames Wirken als lächerlichen Kinderkram abgetan. Irgendwie hatten die beiden im Laufe des Lebens einen Gemütsschaden erlitten. Ich fühlte mich mit meinen Erinnerungen allein gelassen.

Als Sonderform der Oboe wäre noch das Englische Horn zu nennen. Dieses dient, wahrscheinlich noch auf längere Sicht, vornehmlich dazu, die Skandale an Her Majesty’s Hof zu verkünden.

Wenden wir uns nun den Flöten zu.
Die Querflöten gehen mir bisweilen gegen den Strich, nämlich wenn es der Querpfeifer nicht fertigbringt, seinem Instrument auch die hohen Töne sanft und zart zu entlocken. Der Alte Fritz soll damit keine Schwierigkeiten gehabt haben.
Blockflöten entfalten ihre Wirkung erst dann, wenn sie en bloc, vor allem in verschiedenen Stimmlagen, tätig werden. Ein Blockflötenkonzert kann, aber muss nicht, ein Ohrenschmaus sein.
Ein Blockflötenorchester ganz eigener Art war in der ehemaligen Volkskammer der DDR ansässig. Die tonangebende Flöte war die SED; die geduldeten Schwestern stießen praktisch ins selbe Horn. Gott sei Dank ist das nun alles flöten gegangen. Diese Rattenfänger haben wir hinter uns. Was der von Hameln für eine Flöte benutzt hat, wird allerdings im Dunkel bleiben.

Wären da noch die Nachtigallen und Amseln. Die ersteren passen hier nicht so recht hin, weil man den Nachtigallen nachsagt, dass sie nicht flöten sondern „schlagen“. Die Amseln flöten auf jeden Fall – und zwar bewunderungswürdig.

Mit den Flöten verwandt sind die Pfeifen. Dass sie sich dennoch hinlänglich voneinander unterscheiden, wird offenkundig, wenn man versucht, das Wort Pfeife durch Flöte zu ersetzen. Ein Flötentaucher ist mir noch nicht begegnet. Man sagt auch nicht „Sie Flöte“ (allenfalls denkbar zur Umgehung einer Beleidigungsklage), und ein Flötenkonzert ist kein Pfeifkonzert.

So weit die unsachliche Kommentierung eines Unterschieds. Die sachliche besteht schlicht und einfach darin, dass Pfeifen im Gegensatz zu Flöten nur 1 Ton hervorbringen. Und doch, wenn man eintönige Pfeifen mit Klebstoff und/oder Bastfäden miteinander verbindet, erhält man eine Flöte, auf der man „Kommet ihr Hirten“ spielen kann. Es handelt sich hier um das Pan’sche Paradoxon. Gewissermaßen ist die Hirtenflöte die Orgel des kleinen Mannes (meist ein armer Grieche oder Peruaner). Genau betrachtet ist also ein Orgelkonzert ein Pfeifkonzert. Die Orgel ist dann sowas wie die Panflöte des Oberhirten, der seine Schäflein mit zunehmender Missbilligung von oben betrachtet (auf mich ist er schon lange böse).
Nachdem ich kräftig in meine Trillerpfeife gepustet habe, verabschiede ich mich von euch Pfeifen und sage, um der Überschrift zu genügen noch ein wenig Spärliches zu Fagott. Ich fagöttere es nicht, aber richtig eingesetzt, erzielt man damit ganz besondere Wirkungen. Immer wieder gern lade ich Peter und den Wolf zu mir ein. Damit hat uns Prokofjew wirklich einen Gefallen getan.

Zum Schluss noch des Kapitels noch ein Paradoxon. Es handelt sich um „ein 1840 erfundenes Blechblasinstrument, das zu den Holzblasinstrumenten zählt“ (so steht es wörtlich in meinem Musiklexikon – man sollte es nicht glauben. Man sollte auch nicht glauben), dass der Playboy Gunther Sax mit dieser Erfindung etwas zu tun hätte (obwohl es auch 1840 schon Playgirls gegeben hat). Nein, es handelt sich um das Saxophon mit all seinen schillernden Varianten. Da ich mich sowieso auf dem Holzweg befinde, habe ich mich (im Einklang mit meinem Lexikon), dafür entschieden, die Saxophone bei den hölzernen Geräten unterzubringen, auch mit Rücksicht auf das von den Hoboisten belächelte klarinettenartige Mundstück.
Eine spezielle Variante, quasi „der letzte Heuler“, ist das Sachsophon (Erfinder der Sachse Walter Ulbricht). In dem von mir versprochenen Konzert wird eine diesbezügliche Tonkonserve zum Einsatz kommen.

Zum nächsten Kapitel, zu den

Geigen, Gitarren und Zithern (nebst Anverwandten)

Elegante spricht man von Streich- und Zupfinstrumenten. Aber das ist so eine vereinfachende Betrachtungsweise! Auch eine Geige kann man zupfen. Eine Geige kann auch weinen und schluchzen, und dem Helmut Zacharias seine, die …Ach das kann man nicht beschreiben, das muss man hören!
Ausschlaggebend ist die Qualifikation des Spielers. Meine Bewunderung setzt bereits dort ein, worüber ein Geigenspieler sicher kein Wort verlöre. Als tastenorientierter Mensch bin ich daran gewöhnt, dass man mir die Töne fix und fertig serviert. Ich würde es als glatte Zumutung empfinden, wenn ich die Töne ach noch „machen“ müsste.

Eine etwas umfänglichere Verwandte der Geige ist die Viola. Die Leute, die sie streichen, haben sich eine Extrawurst bratschen lassen, nämlich den sogenannten „Altschlüssel“. „Das wäre aber wirklich nicht nötig gewesen“. Doch es hat eben jeder sein Statussymbol.

Deutlich größer als die Bratsche sind die Kniegeigen. Aber was i s t eine Kniegeige? Cello oder Gambe? Man weiß es wohl immer noch nicht.
Ich komme nun zum Kontrabass. Dazu ist dem Walter Renneisen sehr viel – nämlich ein abendfüllendes Soloprogramm eingefallen. Danach ist der Kontrabass überhaupt das wichtigste Orchesterinstrument (ich habe dem Rechnung getragen, indem ich ihn demnächst in besonders zahlreicher Besetzung auftreten lassen werde). Von größter Bedeutung ist der Kontrabass natürlich in seiner Funktion als pizzicato-betriebener Schlagbass. Dom, dom, dom …
Damit ich es ja nicht vergesse: Die Miniaturgeigen von Clown Beppo und Carlo! Ein Zirkus, der etwas auf sich hält, hat die immer im Programm.
Das Thema Violen ist noch nicht abgeschlossen. Man sollte sie kennen, die Viola tricolor. Aber statt „sie“ hätte ich wohl besser „es“ gesagt, denn es handelt sich hier weniger um eine Geigenvariante, sondern um das dreifarbige Veilchen, auch als wildes Stiefmütterchen bekannt.
Und nun zu den eigentlichen Zupfinstrumenten. Bei „Zither“ fällt mir immer die so eingängige Erkennungsmelodie „aus dem dritten Mann“ ein. Als kleiner Junge habe ich die Zither immer mit zittern in Verbindung gebracht, und es ist noch gar nicht so lange her, dass mir die griechische Herkunft des Namens (kithara) die ziemlich enge Beziehung zu den Gitarren offenbarte.
Am sympathischsten ist mir die gute alte Schrumm-schrumm-Version, auch Klampfe genannt (glei ist sie wieder lebendig, die Wandervogel- und Lagerfeuerromantik. Die Jugend von heute hat von Romantik völlig andere Vorstellungen. Sie schwört auf die Elektrogitarre, die in den Händen eines überdrehten Hardrockartisten meine tiefste Abneigung genießt. Den Elvis und die Beatles kann ich gerade noch verdauen. Wer die von Kuli, bully Buhlan und Gerhard Wendland dargebotene Parodie auf die „Pilzköpfe“ nicht kennt, hat allerdings was verpasst und sollte daher beim Fernsehen eine Wiederholungssendung beantragen.

Beim Erklingen von Hawaiigitarren hat man gefälligst Fernweh zu empfunden, obwohl dieses auch Mandolinen auslösen können. Eine einzelne Mandoline wirkt jedoch wenig überzeugend, wenn im Falle eines länger auszuhaltenden Tons mit dem Plektrum nicht schnell genug „gezittert“ wird.
Wenn Romeo seiner Julia ein Ständchen bringen möchte, sollte er möglichst die gute alte Guitarre benutzen. Es gibt allerdings Pianisten, die einem solchen Romeo überheblich zu verstehen geben „Man müsste Klavier spielen können …“
Wird die Gitarre folkloristisch genutzt, kommt sie einem bisweilen spanisch vor, und bei einem Flamenco geht es oft so wild her, dass man im Geiste schon sämtliche Fetzen bzw. Saiten reißen sieht.
Schließlich ist da noch – es wurde an unpassender Stelle bereits auf sie hingewiesen – die kleine Gitarre mit dem Trommelfell, die uns dankenswerterweise die Afro-Amerikaner mitgebracht haben, die in keiner Dixie-Band fehlen darf und die auf den Namen Banjo hört.
Von New Orleans zum Plattensee. Dort ist die Zigeunerzither, auch Zimbal genannt, zu Hause. Es ist eine wahre Freude, wenn der Zibalist seine Schlegel schwingt. Gelegentlich wird die Meinung vertreten, das Zimbal sei ein Vorläufer des Klaviers. Dieser Ansicht war auch Wilhelm Busch („doch der schlimmste aller Bräuche ist die Clavi-cimbel-Seuche“).

Nun zu den teuersten aller Zupfinstrumente, den Harpfen (stammt nicht von mir sondern von Eugen Roth, der auf Karpfen keinen anderen Reim fand). Die Harpfe wird wohl ausschließlich von zarter Hand bedient. Wegen der Schönheit des Instruments sollte darauf geachtet werden, dass die Spielerin ebenfalls gepflegt und attraktiv aussieht und dass sie die Pedale möglichst leichtfüßig betritt. Quadratlatschen über Größe 47 wirken unvorteilhaft.

Zwischenbilanz
So, jetzt mach‘ ich erst mal Pause und hole mir – Walter Renneisen hätte ein Bier gewählt – mein Fläschchen Piccolo-Sekt aus dem Kühlschrank. Ihr meint, ich wollte nun auf die vergessene Piccoloflöte zu sprechen kommen? Weit gefehlt. Schließlich habe ich ja auch das Bockshorn und die Autohupe vergessen.
Es lag mir von Anfang an völlig fern, euch eine Encyclopädie der Tonerzeuger zu unterbreiten. Ich wollte auch nicht auf die krumme Tour etwas spielerisch lernen lassen. Das wäre sowieso nicht mein Fall gewesen, zumal es populistisch aufgemachte Musik-Fibeln wie Sand am Meer gibt.
Alles, was ihr bisher vernommen habt, waren etwas großspurig geratene Verbeugungen ausgewählter Konzertteilnehmer, die sehr bald über euch hereinbrechen werden. In dem euch bevorstehenden Konzert werden auch ganz andere Register gezogen; ihr könnt euch auf einiges gefasst machen!

Als begeisterter Pianoforte-Spieler komme ich nicht umhin, euch wenigstens noch ein paar

Tasteninstrumente

Vorzustellen. Orgeln, Schiffer- und sonstige Klaviere haben einen großen Vorteil gegenüber den bisher genannten Tonerzeigern: Mit ihnen kann man stundenlang als Alleinunterhalter auftreten. Ein noch so guter Geiger hat es als Solist erheblich schwerer. Ich erinnere mich an eine Komposition von J.S. Bach für Sologeige, die mir mein Bruder angedeihen ließ. Ich war frustriert. Cembalo- und Spinettklänge könnte ich allerdings auch nicht beliebig lange über mich ergehen lassen.

Die Bezeichnung „Tasteninstrumente“ ist im Grunde oberflächlich. Strenggenommen muss man zwischen windbetriebenen, gezupften, behämmerten und elektronisch gesteuertem Instrumentarium unterscheiden.
Fangen wir mal mit dem Harmonium, der Orgel des kleinen Mannes an(was, schon wieder? Na, dann ist die Panflöte die Orgel des ganz kleinen Mannes). Jedenfalls erinnere ich mich gut an meinen alten Musiklehrer, wie er im Schweiße seines Angesichts die Fußpedale trat, um den benötigten Wind zu machen. Im Vergleich mit der Orgel schneidet das Harmonium geradezu kläglich ab, zumal die Orgel nicht nur ein Tonerzeuger sondern auch was fürs Auge ist. Die Neuzeit drückt allerdings beide Augen zu und bietet nur schlichten Orgelbau, was in einem barock ausgestalteten Gotteshaus recht befremdlich wirkt.
Die Organisten sind sich ihres Wertes bewusst. Sie bedienen ja schließlich die Königin der Instrumente schlechthin, und eingedenk seiner Vormachtstellung lässt König Organist auch mal die Gemeinde, die so schleppend hinterdrein singt, über die Klinge springen. Besondere Ehrfurcht flößt mir immer wieder die exzentrische Beinarbeit ein, die ein Organist zusätzlich verrichten muss.

Ich wende mich einer anderen windbetriebenen Kategorie zu, nämlich den diversen Harmonikas. Damit macht man weniger die sprichwörtlich gute Musik, sondern eher das, was daneben liegt. Daran müssen die Thüringer gedacht haben, da sie respektlos eine Harmonika auch als Zerrwanst bezeichnen. Jedenfalls haben die Harmonikas den großen Vorteil, dass sie von allen Tasteninstrumenten die am leichtesten zu transportierenden sind. Es gibt auch reine Knopfharmonikas. Im Gegensatz zum Schifferklavier gibt es Instrumente, die beim Zusammendrücken des Balgs (gerade fällt mir wieder der einjährige spinatspuckende ein) andere Töne erzeugen als beim Auseinanderziehen. Vom volksmusizierenden Harmonikaspieler – erkenntlich an der anspruchslosen Bassbegleitung, die immer so um den C-Knopf herumpendelt – unterscheidet sich der Virtuose dadurch, dass er das Bravourstück „Tanzende Finger“ beherrscht und dass er bezüglich der Bassbegleitung wahre Bocksprünge vollbringen kann. Ich gehöre eher zu den Volksmusikern.
Nun zu den betasteten Zupfinstrumenten., zum Cembalo und Spinett. Wenn ich die höre, fallen mir die Damen und Herren aus dem Rokoko-Zeitalter ein (genussvoll ein Menuett abschreitend). Möchte der Cembalo- bzw. der Spinettspieler Töne länger nachklingen lassen, so bereitet ihm das wegen mangelndem Resonanzvolumen seines Instruments Schwierigkeiten. Aber er überwindet diese, indem er Trillerpartien einflicht. Der Zuhörer muss sich allerdings überwinden, diese über sich ergehen zu lassen (eher nimmt er das Tremolieren einer zweitrangigen Sängerin in Kauf).
Ich wende mich den Hammerklavieren zu. Die älteren Modelle sind die Schrecken jedes Möbeltransportunternehmens. Höhere Stockwerke werden praktisch nur noch erreicht, wenn der Auftraggeber ein gehöriges (Hin)aufgeld entrichtet.

Das wichtigste am Klavierspiel ist das Üben. (in der Intensität, wie sie von der gestrengen Lehrerin für notwendig erachtet wird, nur möglich, wenn die Nachbarn schwerhörig sind). Gott sei Dank hatte ich eine weniger gestrenge Lehrerin. Wenn ich mit der Aufgabe, Achtel-Triolen auf Sechzehntelnoten spielen zu sollen, nicht zurechtkam, meinte sie freundlich, es käme ja sicher mal wieder ein Stück mit ähnlicher Problemstellung, und so war ich erst mal erlöst. Ich danke meiner Lehrerin zutiefst für ihr Einfühlungsvermögen in meine Kinderseele, hat sie mir doch die Freude an der Musik erhalten. In späteren Jahren habe ich mich mehr der leichten(seichten) Muse ergeben, mit Schwerpunkt auf Evergreens aus den 20er bis 60er Jahren. Und all dies praktiziere ich noch auf einem inzwischen mindestens 100 Jahre alten, schon 3x umgezogenen, für 150 DM erworbenen Instrument. Man möge mir verzeihen, dass ich mich über Gebühr bei meinem Klavier aufgehalten habe, aber es gehört zu meinem Lebensinhalt.

Wer meint, ich würde nun ein spezielles Hohelied auf die Klangfülle und die Anschlagsmechanik der geflügelten Spitzenmodelle singen, der irrt. Sicher, weiße und plexigläserne Flügel, wie z.B. von Udo Jürgens bespielt, mögen ihren Reiz haben, doch nichts geht über das gute und strapazierfähige Kneipenklavier. Mein Herz gehört dem Schrägen Otto und Joplin‘schen Ragtimes.

Wir nehmen nun an den Proben für das in Aussicht gestellte Konzert teil.

Dazu der Programmzettel, der im Minchhausener Anzeiger ausgedruckt war:

[ 8]13. Kakophonie in Fiffis-Doll
[ 8]von Klingling Tohuwabohu
[ 8]unter der Stabführung von
[ 8]Dirigismus Mähne-Schüttler

Wegen der Länge des Werks Beginn um 19 Uhr.
Die Aufführung der Kakophonie erfolgt am 24.6. in der Jakobus-Kirche.

Leider hat es Komplikationen gegeben. Innenreparaturen in der Kirche stellen nicht nur den mit dem Kirchendiener abgesprochenen Termin der Aufführung in Frage.
Es war generell schwierig, in Minchhausen einen geeigneten Übungssaal zu finden. So war Mähne-Schüttler heilfroh, dass er wenigstens auf eine von der Deutschen Bundesbahn verlassene Lagerhalle zurückgreifen konnte (immer noch besser als das Bassin des seit Jahren stillgelegten städtischen Hallenbades).

Die heutige Probe ist für 15 Uhr angesetzt. Der Organist wird mangels Instrument zu Hause bleiben. Er hat ja Gelegenheit, seinen Part auf einer etwa baugleichen Orgel im Nachbarort zu üben. Da er ohnehin nur als Solist im letzten Satz des Werkes tätig wird, stellt sich das Problem gemeinsamen Übens glücklicherweise nicht.


Mähne-Schüttler hat soeben die zweite des 1. Satzes unterbrochen und übt wieder mal seine gefürchtete Manöverkritik.

„Ad eins, Frau Kessler, Ihre Kesselpauken sind immer noch nicht richtig gestimmt. So geht das nicht.
Und Blasius, blähen Sie doch bitte bei der Betätigung Ihrer Posaune nicht die Backen so auf. Das sieht aus, als ob Sie in jeder Backentasche ein Brötchen verstaut hätten.
Und der Waldi vom Horn legt los, als ob er Lützows wilder verwegener Jagd entsprungen ist. Allegro wiewatsche – gut und schön; aber solange die anderen nicht mitkommen, müssen Sie sich schon zurückhalten.
Und anstelle der Saxophone hätte ich auch ein paar Elefanten engagieren können.
Es macht wirklich keinen Spaß mit Euch. Ich bin ungehalten! – Da capo!“

Nun bricht das chaotische Treiben, mühsam gezügelt von des Meisters Hand, von Neuem los. Die Oboe schrillt, was das Zeug hält, die Querflöten tuten ein übriges; dazwischen Trompetenstöße, gestopfte und ungestopfte. Dann ein Takt Generalpause. Und wieder auf ein Neues – zur Abwechslung ein Solo der Piccoloflöte.

Die Saxophone, der Waldi vom Horn und der Blasius haben sich die Kritik von Mähne-Schüttler zu Herzen genommen. Nur Frau Kessler von den Kesselpauken funktioniert nicht. Plötzlich scheint Mähne-Schüttler auch einiges andere nicht zu passen. Das Ganze halt!

Der Meister meckert:
Die Dame vom Tamburin ist mir bei weitem zu kokett. Ich habe keine Bauchtänzerin engagiert und eine Nabelschau ist das hier erst recht nicht. Aber mit den Reizen ihres Instruments geizt sie und von ihren Kastagnetten hört man fast gar nichts.
Und die Herren an den Bombardons – Ihr seid mir wiederum zu gewalttätig. Natürlich ist ein Bombardon keine zirpende Grille, doch Ihr veranstaltet das reinste Bombendonnerwetter. Dabei fehlt’s an Tempo. Allegro wiewatsche, meine Herren! Da müsst Ihr um einiges schneller in Eure Blechriesen pusten.
Und der Rrrumskij am 10. Kontrabass hat wirklich einen Bogenstrich, der seinem Namen alle „Ehre“ macht. Also das Ganze noch einmal.

Wir aber blenden uns erst wieder in eine Probe des 2. Satzes ein.
Das Werk wogt bedächtig vor sich hin – hin und her, wie es sich für ein Andante gehört. Die Celli geben eine für Kakophonien durchaus untypische sangbare Melodie von sich.. Auch die Posaune gibt sich sanft. Und doch ist der Dirigismus nicht zufrieden. Er hat erneut Beanstandungen, pendelnd zwischen grantelndem Dialog und sehr direkter Ansprache.

„Was treiben bloß die Harfenistinnen! Sie hantieren mit ihren Saiten, als ob sich die Loreley ihren Zopf kämmt.
Und ausgerechnet Sie, Herr Tam-Tam, verpassen dauernd Ihren Einsatz!
Na und das Alphorn ist geradezu ein Alptraum für mich. Hier erwartet man Kraftvolles; was man zu hören bekommt, ist nebulös und matt, sozusagen Nebel- und Matterhorn in einem.
Ihr braucht gar nicht so zu feixen, Ihr armseligen Fiedler von der zweiten Geige. Nicht mal gegen die paar Querflöten könnt Ihr Euch durchsetzen. Ich hab die Nase voll von Euch!“

Lassen wir ihn schimpfen, den Herrn Dirigenten. Wir hoffen auf besseres „Wetter“ und besuchen ihn wieder bei einer Probe des Scherzos.

Die Streicher haben soeben ihre Instrumente gestimmt, und Meister Knatterich auf dem Feuerstuhl /die Antriebsräder wurden vorsorglich abmontiert) hat eben Probegas gegeben; es kann losgehen. Die ersten Takte werden gestaltet durch kräftige Schläge auf einen Amboss, die sich mit dem Kreischen eine mit Stuhlbeinen gefütterten (Hinterlassenschaften fanatisierter Hardrock-Fans aus der vorausgegangenen Großveranstaltung) Kreissäge abwechseln. Die Bratschen setzen ein, und der Drehorgelmann gibt sein Bestes – und das bei Verdopplung der üblichen Umdrehungszahl. Eine ausgesprochen flotte Leier, die er uns bietet.
In der Originalfassung war auch der Einsatz eines Presslufthammers vorgesehen. Mähne-Schüttler hielt das für überzogen und setzte sich über den Komponisten hinweg.

Der große Meister unterbricht abermals die Veranstaltung. Was hat er denn nun schon wieder?
Der 3. Cellistin ist ihre Kniegeige entglitten. Das Schlimmste hat sie gerade noch verhindern können, aber sie hat vor Schreck den Bogen fallen lassen. Wenn sie doch nicht ständig ihre Antirutschunterlage vergessen würde! Hier ist es glatt, hier gibt’s keinen Teppichboden!

Und der Boss hat einen weiteren Grund für schlechte Laune:
Also wie Eure Bratschen jaulen, das ist wahrlich kein Vergnügen, und sie, Herr Schalmeier, benutzen sie gefälligst Ihr Instrument als Schallmei! Ich möchte es hören. Auch die dudelnden Säcke sind kaum wahrzunehmen (Mähne Schüttler ist wirklich kein feiner Mann; darum sind auch wir jetzt unfein und nennen ihn künftig nur noch MS).
Er scheint sich wieder zu beruhigen. Doch der Schein trügt; nach ein paar Takten poltert er los wie gehabt:
„Wo bleiben denn bloß die Dudelsäcke! Ihr seid die reinsten Pfeifen“ Ich schick‘ Euch zum Aufbaukursus in die schottischen Highlands, aber auf Eure Kosten!
Im Orchester kommt allmählich Unruhe auf. MS argwöhnt mit Recht, dass man ihn heute (nur heute?) nicht ernst nimmt. Er bricht die Probe wutschnaubend ab.


Vier Tage später. Wir erleben eine Probe des 4.Satzes. Hierbei handelt es sich um eine ganz besondere Laune des Komponisten, denn die Einleitung steht in krassem Widerspruch zum versprochenen Arioso. Beim Erschallen einer Feuerwehrsirene möchte man im ersten Schrecken den längst gesprengten Luftschutzbunker aufsuchen, aber da auch der Mann am Flügel Tosend-Chromatisches von sich gibt, wird einem schnell wieder klar, dass man sich in einer zum Konzertsaal umfunktionierten Lagerhalle – und nicht im dritten Weltkrieg befindet. Doch der kalte Krieg verfolgt uns noch immer. Das heulende Sachsophon des Genossen Ulbricht (Spezialaufnahme) ist hinter uns her und verkündet „Die Bardei hat immer Rechd!
Danach gähnende Stille. Der ganz überwiegende Teil des Orchesters ist beschäftigungslos und sitzt gewissermaßen „nur da“. Was jetzt gleich folgt, ist im Wesentlichen eine Gesangseinlage mit den bekannten Stimmlagen Sopran, Mezzosopran, Alt, Tenor, Bariton und Bass, aber erweitert um das Repertoire von MS’s Dackel Fiffi. Und die Kreissäge ist auch wieder dabei. Als Taktgeber fungiert der extra aus Jamaika eingeflogene steel drummer; außerdem soll eine eigenartig geformte italienische Folklore-Flöte für spezielle Effekte sorgen. Damit wäre die Besetzung für die Sondereinlage komplett.

Zunächst erhebt die Sopranistin ihre erhebende und sich in die Koloratur steigernde Stimme. Aus tiefem Keller meldet sich der Bassist, und Fiffi wartet auf seinen Einsatz. Er wartet vergeblich. Der künstliche Mond, den er anbellen soll, hat Verspätung.
Wo bleibt denn der Mond!“ schnaubt MS. Da kommt er endlich aus dem Gewölbe herabgeschwebt. Er schimmert matt und trübe und Fiffi sieht ihn wohl nicht als das an, was er darstellen soll. „Mehr Licht“, schreit MS. Und siehe da, die Herren von der Technik haben erkannt, worauf es ankommt: Der Mond erstrahlt in vollem Glanz und Fiffi bellt aus Leibeskräften die himmlische Attrappe an. Die anderen Sänger fallen ein, und für den Laien scheint alles in Ordnung zu sein.
Nicht so für den Maestro, denn er meint:
„Der Mezzosopran entspricht durchaus nicht meinen Vorstellungen. An sich hatte ich die singende Säge nur 1x besetzt …“ (oh ja, MS kann sehr ironisch sein). Und mit dem Import aus Italien ist MS auch nicht einverstanden: O Carina, mama mia, ich glaube, Dein Porzellan-Ei hat einen Sprung,
MS wechselt die Blickrichtung, und als ihn die Sopranistin herausfordernd ansieht, platzt ihm der Kragen:
„Deine Kolleratur geht mir immer mehr auf den Geist, und unter Vox humana stelle ich mir überhaupt etwas anderes vor.
Mehr sagte er nicht; dass er Vox inhumana im Sinn hatte,, das reichte (schon bei der letzten Probe hatte er die Sopranistin schwer beleidigt). MS würde demnächst eine Kündigung auf dem Dirigentenpult vorfinden.


Wir blenden uns hier aus und kommen noch einmal zusammen bei einer Probe für den letzten Satz, dem Presto dawai.

Zunächst muss MS seinem Personal eine höchst ärgerliche Mittteilung machen: Aus der Aufführung in der Kirche würde nichts werden.
Er hatte nicht klein beigeben wollen, doch der Bischof überzeugte ihn. Werke eines Klingling Tohuwabohu konnte man in einer Kirche einfach nicht bringen, weil schon der Name des Komponisten irgendwie an Sodom und Gomorrha erinnerte. Der Bischof war auch darüber verärgert, das MS das Konzert beim Kirchendiener und nicht – wie es sich gehört hätte – beim zuständigen Kirchenamt angemeldet hatte.

MS hatte eine schlechte Nacht gehabt und dann nochmals die Partitur studiert. Der Vermerk des Komponisten, dass man ggf. auf das Orgelfinale ganz verzichten könne, gab den Ausschlag. Er würde das Konzert in die Sporthalle am Marktplatz verlegen. Dem Organisten, der sich so auf seinen Auftritt freute, musste er das schonend beibringen.

Nun wird aber geprobt!

Bei dem Presto dawai handelt es sich um eine atonale Verarbeitung von Motiven aus russischen und diesen nahestehenden Volksweisen. Bei dem rasanten Tempo und der raffinierten Synkopentechnik sind sie allerdings fast nicht wiederzuerkennen.

Das Ganze beginnt mit einem virtuosen Balalaika-Solo, unterstützt durch rhythmisches Peitscheknallen, ausgeführt von der uns bekannten Frau Kessler (der Intendant hatte wegen Finanzierungsschwierigkeiten das Engagement eines eigenständigen Peitscheknallers abgelehn). Nach Motiven aus dem Zarewitsch intoniert das Schifferklavier eine grandiose Bassorgie; eine stabile Nachbildung des Großen Tors von Kiew wird 3x kräftig zugeknallt. Darauf ertönt ein Signal der Trillerpfeife, gefolgt von allen zur Verfügung stehenden inner- und außereuropäischen Trommeln. Dabei spielt vor allem die Grass’sche Blechtrommel eine große Rolle. Und nun bricht die gesamte Bläserschaft ein Höllenspektakel vom Zaun. Es beginnt zwar relativ harmlos mit einem interessanten Wechselspiel von Panflöten, Blockflöten, Klarinette und Fagott, doch dann fallen sämtliche Blechbläser ein (die quakenden Saxophone inbegriffen). Irgendwie glaubt man, Motivfetzen aus dem Evergreen „An der Moskwa“ zu erkennen. MS dirigiert erstaunlicherweise noch immer recht gelassen. Da aber richtet sich in seiner Miene plötzlich eine steile Zornesfalte auf.
Zunächst kriegt der Mann mit der Bass-Blockflöte sein Fett weg:
„Sie sind ein Querpfeifer; Sie spielen hier nicht die erste Geige. Ich werde Ihnen schon die Flötentöne beibringen!“
MS schnappt nach Luft. Eine sachliche Kritik war das nicht. Anstatt dem Bassblockflautisten zu sagen, was er eigentlich falsch mache, beschimpft er ihn weiter.
„Wir tanzen hier nicht nach Ihrer Pfeife (das wollen wir ja gar nicht). Des Rätsels Lösung: Er hat persönliche Differenzen mit dem Flautisten.

MS bleibt weiterhin ekelhaft:
„Die Heinis mit der Quetschkommode und dem Mundharmonium haben schon Besseres von sich gegeben. Und – Fräulein Klara, Sie mögen ja sonst ganz nett sein. Ihre Klarinette ist es weniger; sie tut mir weh“.
Was soll das denn heißen! Damit wissen die Heinis und Fräulein Klara noch immer nicht, was besser zu machen wäre. MS ist selbst ein Heini. Nach welchen Gesichtspunkten er die von ihm Abgekanzelten siezt, duzt oder monologisch-infam beleidigt, ist sein Geheimnis. Aber der große Karajan ging ja mit seinen Untertanenebenfalls nicht zimperlich um.
MS kommt allmählich wieder zu sich, und nun haben die Streicher und Zupfer das Wort, bzw. den Ton. Das rasante Tempo wird durch eine kurze, doch umso schmachtendere czardasartige Einlage unterbrochen. Der Sologeiger, nun selbst ganz Zigeuner, schmilzt sichtlich dahin, zumal das Werk für eine gewisse Strecke die Atonalität verlässt und in schwermütigem Pussta-Moll einherrauscht. Cimbal, Akkordeon und Schlagbass unterstützen die Streicher in eindrucksvoller Weise.
Über die Zweckmäßigkeit des gleichzeitigen Einsatzes von Gitarre, Harfe, Banjo, Mandoline und Xylophon mag man geteilter Meinung sein. Klingling-Tohuwabohu wollte es so.

Apropos Klingling: Die Glöckchen zeigen an, dass es gleich wieder einmal atonal zugehen wird. Die Herren am Flügel, am Cembalo (hier 5-händig besetzt),am Harmonium und am Kneipenklavier erwarten ihren Einsatzbefehl. Da ist er schon! Und nun wäre es „molto furioso“ zu Ende gegangen, wenn nicht MS rabiat dazwischengefahren wäre, mit den Worten „Also wie der Herr Barpianist vor seiner Drahtkommode hängt, das ist nicht zum Mitansehen! Schräg spielen soll er, nicht hängen.

Jetzt aber schütteln wir selbst unsere Mähnen und sind von Mähne-Schüttler restlos bedient. Das Ende der Probe warten wir nicht ab sondern verlassen spornstreichs den Ort des unrühmlichen Geschehens.

Nach so vielen Orchesterproben wollen wir auf Teilnahme an der Uraufführung des Gesamtwerks verzichten. Überlassen wir also die Gesamtschau dem Kritiker, Herrn Nörgelius Quengler
Er hat wider Erwarten einiges Überraschende mitzuteilen:
Bereits die Zusammensetzung des Publikums verbreitete eine eigenartige Atmosphäre. Bei Ankündigung einer Kakophonie konnte man sich eigentlich nicht wundern,, dass die Mehrzahl der Besucher der Chaotenszene entstammte, deutlich erkennbar an den unmöglichen Frisuren und Kostümierungen. Dem Kritiker sind derartige Veranstaltungen nicht völlig fremd, aber tut sich immer schwer mit der Kommentierung.
Jedenfalls war Mähne-Schüttler gut beraten, für das Spektakel die Sporthalle zu wählen und auf eine Aufführung in der Kirche zu verzichten. Andernfalls wäre ein Skandal unvermeidlich gewesen.

Gleich die ersten Takte des Allegro wiewatsche empfand der Rezensent als Schlag ins Gesicht, und das beileibe nicht etwa wegen zu aggressiver Spielweise, im Gegenteil, das Tempo war in weiten Teilen viel zu schleppend. Dass die Bombardons hier nicht mithalten konnten, war vorauszusehen und im Grunde ein Fauxpas des Komponisten. Das Solo der Piccoloflöte war allerdings sehr beachtlich, nicht nur wegen der virtuosen Leistung. Hier kam ein ausgesprochener Schaueffekt hinzu, der auch vom Publikum mit einem zusätzlichen Pfeifkonzert honoriert wurde. Wie dieser baumlange Riese auf seinem Miniaturinstrument agierte, war eine wahre Freude und ließ das mangelnde Tempo am Anfang des Satzes vergessen.

Für die erkrankte Klarinettistin war Ephraim Kishin, der bekannte Klezmer-Spezialist, eingesprungen (Markenzeichen schwarzer Hut mit überbreiter Krempe - und ein siebenarmiger Leuchter erhellte sein Notenpult.
Auch die Dame mit dem Tamburin war eine Augenweide, wenngleich die Betätigung ihrer Kastagnetten keine allzu überzeugende Wirkung hinterließ. Dem Kritiker fiel hierzu ein oft zitierter Reim ein, der da lautet: Es klapperten die Klapperschlangen, bis ihre Klappern schlapper klangen.
Allem chaotischen Treiben zum Trotz, verdient eine Kontrabass/Fagott ein spezielles Lob: Es gelang Mähne-Schüttler „die Bässe in vornehmer Blässe“ zu präsentieren. Sie hielten sich trotz ihrer Übermacht (10 Instrumente) so weit zurück, dass sich das nur einfach besetzte Fagott mühelos dagegen durchsetzen konnte (dies auch als Entgegnung auf die vielfach geäußerte Kritik Dritter, die von Mähne-Schüttler propagierte Orchesterbesetzung sei zu unausgewogen). Der Dirigent ließ übrigens wissen, dass er die Kontrabässe auch als Schutzschirm für nervöse oder schüchterne Orchestermitglieder einsetzt (mit ein Grund dafür, dass er die Mammutviolen ziemlich weit vorn agieren lässt. Immerhin können wir dem Dirigenten dankbar sein,, das er uns nicht die Sicht auf die attraktiven Harfenistinnen und den spaßigen Leierkastenmann versperrt hat.

Der 2. Satz, das Andante arioso, war leider eine Enttäuschung. Kurios war er, das muss man ihm lassen. Allein die gleichzeitige Verwendung von Alphorn und chinesischem Riesen-Gong rechtfertigte diese Erwartung. Im Grunde war es viel Tamtam um sehr, sehr wenig. Die negative Bilanz des 2. Satzes wurde durch eine Solo-Einlage des Hausmeisters mehr als ausgeglichen. Dem Kritiker waren knackende Nebengeräusche aufgefallen, deren Herkunft aber bei einer Pianissimo-Passage auch dem unbedarftesten Konzertteilnehmer schnell klar wurde. Der Hausmeister (im Graukittel übrigens) sah dennoch Erklärungsbedarf. Er verkündete mit bedauerndem Achselzucken „Die Zentralheizung“. Er erntete zum größten Missvergnügen des Dirigenten herzerfrischenden Beifall.

Auch der 3. Satz, das Scherzo bizarrissimo, wurde vom Publikum mit Wohlwollen aufgenommen. Der Einsatz eines Ambosses, eines teildemontierten Motorrades und einer Kreissäge lösten geradezu Begeisterungsstürme aus. Der Komponist hatte auch einen Presslufthammer vorgesehen, der Dirigent verzichtete darauf. Schade, man begab sich der Chance, einmal so richtig Dampf abzulassen.

Der 4. Satz, das Arioso doloroso, war in der Tat eine schmerzhafte Angelegenheit. Die Idee, den Satz mit dem Auf- und Abschwellen einer Feuerwehrsirene einzuleiten, war zwar originell, aber die ebenfalls auf- und abschwellenden chromatischen Läufe auf einem Steinway-Flügel (ausgeführt als Tritonus-Parallelen) gingen dem Kritiker durch Mark und Pfennig.
Die darauf erscheinende Sopranistin zeigte, neben blendend weißen Zähnen, ebenfalls chromatische Fähigkeiten. Damit konnte sie sogar Fiffi den Dackel aus seinem Versteck hervorlocken, das dieser bei Einsetzen des Sirenengeheuls bezogen hatte. Ja, Mähne-Schüttlers Fiffi – er entpuppte sich in diesem Satz als der bedeutsamste Solist. Mit welcher Inbrunst er den extra für ihn bestellten Kunstmond anbellte, das war eine einmalige Leistung. Auch sein Abgang war , nachdem er ein Bein gehoben hatte, durchaus überzeugend. Der Mond wurde schließlich aus dem Verkehr gezogen, ein Vorgang, der von Sopran, Alt , Tenor und Bass mit dem kakophon verfremdeten Lied „Guter Mond, du gehst so stille …“ begleitet wurde.
Sodann gab die Sirene Dauerton-Entwarnung, für den Kritiker allerdings noch lange nicht. Das Überangebot an Chromatik hat im – doloroso – Kopfschmerzen bereitet. Aber vielleicht lag es gar nicht so sehr an der Chromatik, denn bei näherer Umschau im Auditorium fiel auf, dass einige Besucher den Konzertsaal bereits verlassen hatten. Waren medizinische Ursachen im Spiel? Richtig – die Auspuffgase des Feuerstuhls aus dem vorausgegangenen 3. Satz waren schuld. Er war noch mit Restbeständen aus der DDR-Produktion betankt worden.

Das Konzert wurde unterbrochen, der Hausmeister erschien und sorgte zehn Minuten lang für kräftigen Durchzug, wobei die Musikanten große Mühe hatten, ihre Noten festzuhalten. Dann war die Luft wieder rein, und immerhin 80% der ursprünglich Anwesenden erlebten den letzten Satz, das Presto dawai. Die Satzbezeichnung erfüllte, abgesehen von einer gleich zu erläuternden Eskapade des Komponisten, vollauf die Erwartungen. Man meinte Dschingis Khan persönlich habe die Regie übernommen. Schon der von wildem, übrigens femininem Peitschengeknall angetrieben Balalaika-Solist ließ einen Hexenkessel erwarten. Eine lautstarke Trillerpfeife gab den Startschuss für ein Inferno, das dem Namen des Komponisten alle Ehre machte. Umso unverständlicher war die wie aus einer anderen Welt stammenden Czardas-Einlage. So positiv sie – für sich gesehen – zu beurteilen war, so deplatziert war sie an dieser Stelle. Der Kritiker fühlte sich durch die plötzliche Moll/Dur-Harmonik so geschockt, dass er sie in letzter Konsequenz als eine aberwitzige Dissonanz im Gesamtgeschehen empfand. Danach fiel das Werk in die gewohnte Atonalität zurück.

Zum Schluss sorgte Mähne-Schüttler für eine vom Komponisten nicht vorgesehene Überraschung, die auf das Datum der Aufführung (24.6.) gemünzt war. Wer damit nichts anzufangen weiß, gedulde sich noch ein wenig.

In Erwartung einer fulminanten Schlussorgie vernahm man stattdessen gedämpfte Trommelwirbel, gefolgt vom missgelaunten Brummen eines Insekts, das elektronisch verstärkt, ungeahnte Phonwerte entwickelte. Dem Kritiker war sofort klar, dass es sich hier um eine Parodie auf ein sehr bekanntes Werk von Rimskij-Korsakow handelte. Die Parodie kam an derselben Leine, an der vorher Fiffis Mond befestigt war, aus dem Saalgewölbe herabgeschwebt, und zwar in Form einer Montage aus Mikrofon und einem davor geschalteten Kästchen. Die Selbstbefreiungsversuche des Insekts waren verständlich. Mähne-Schüttler hatte natürlich das mögliche Einschreiten des Tierschutzvereins einkalkuliert, und nach 2-minütigen Auftritt – presto dawai in den Saal entlassen. Zuvor war der Hausmeister angewiesen worden, ein kleines Fenster unter der Saaldecke zu öffnen, auf das die Hummel zielsicher zusteuerte. Dort wurde sie von einem Johanniskäfer (24.6.!) in Empfang genommen, der sie endgültig in die Freiheit eskortierte.
Der Johanniskäfer war übrigens ein Nachfahre des Paul Lincke‘schen flimmernden und schimmernden Glühwürmchens.

Dennoch konnte sich der Kritiker dem frenetischen Schlussapplaus der Zuhörerschaft nicht anschließen, zu zwiespältig waren die bei ihm hinterlassenen Gefühle. Auf einen Nenner gebracht:

Ihm ist manches schon passiert, aber so etwas noch nicht*.


Nachwort

Nicht nur der verehrte Professor Stuckenschmidt ist für das vorstehende Machwerk verantwortlich, sondern in gewisser Weise auch Karl May. Genau wie ihm ist dem Autor gegangen, der sich auf zuverlässige Quellen stützen musste, um glaubhaft machen zu können, „dabei gewesen“ zu sein. Obwohl er fast die Hälfte der kommentierten Instrumente aus der Nähe nie gesehen hat, hat er sie zumindest gehört, und zwar auf seinem Keyboard**. Yamaha macht’s möglich (sogar die Trillerpfeife hat Yamaha vorgesehen).

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* Anleihe bei Oberst Ollendorf (siehe Millöckers Operette ‘Der Bettelstudent‘)
** eine weitere Version der Orgel des kleinen Mannes
 



 
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