"Heute stand ein Artikel über dich in der Zeitung", strahlte Arno stolz, "ich habe ihn eben entdeckt und ausgeschnitten. Hier, sieh selbst!". Und hielt Susanne eine Zeitungsnotiz hin, die er im Sichtfenster seines weinroten Nappaleder-Portemonnaies verewigt hatte. - Die erste Narbe ihrer blutjungen Ehe.
Es war an einem heißen Sommertag im Juli. Schon am frühen Vormittag hatte Susanne sich aufgemacht um die malerische Kleinstadt zu erkunden, die seit zwei Wochen ihr neues Zuhause war. Vier Wochen war sie jetzt mit Arno verheiratet, die gemeinsame Wohnung war fertig eingerichtet, Susannes Umzug geschafft. Ihr neues Leben konnte beginnen.
Sie parkte ihr Auto auf dem Parkplatz gegenüber der Drogerie, denn von hier aus konnte sie viele Geschäfte bequem und schnell zu Fuß erreichen.
Sie genoss diese Art von Kleinstadt-Milieu und bummelte neugierig die Marktstraße entlang. Fühlte sich wie ein Abenteurer auf Entdeckungsreise. Lugte in jedes Schaufenster hinein und ließ verspielt ihre Finger durch die Kleidungsständer vor den Boutiquen gleiten. Am Marktplatz angekommen legte sie eine kurze Rast ein, setzte sich am Eiscafe draußen an einen der zierlichen Tische und bestellte sich einen Kaffee.
Es machte ihr Spaß die Menschen zu beobachten, wie sie gemütlich am Markt von Stand zu Stand schlenderten oder geschäftig an diesem bunten Treiben vorbei eilten.
Die Sonne stand mittlerweile hoch am Himmel und brannte auf Susannes schwarzes Haar herab. `Ist ja schon bald Mittag!´, fiel ihr siedend heiß ein,´wie schnell die Zeit vergangen ist.´
Sie bezahlte eilig ihren Kaffee, denn sie hatte noch ihre
Pflichten als Hausfrau zu erfüllen. Es war ihr wichtig, dass die Wohnung sauber und gemütlich war, wenn Arno von der Arbeit nach Hause kam. Zügig erledigte sie ihre Lebensmittel-Einkäufe und ging dann zum Parkplatz zurück.
Die Straßen der Kleinstadt waren ihr noch nicht vertraut. Darum fuhr sie sehr langsam den Weg zurück, um die Abzweigung am Kirchhofplatz nicht zu verpassen. An der Abzweigung hielt sie kurz an, um den Gegenverkehr vorbeizulassen, nutzte diesen Augenblick und streifte die wunderschöne Johanneskirche mit einem ehrfürchtigen Blick.
Als der Gegenverkehr vorbei, warf sie vorsichtshalber noch einen Blick die Straße hinauf: Alles frei. Dann bog sie links ab.
Im selben Moment hörte sie einen Knall und nahm ein Blitzen vor ihrer Frontscheibe wahr. Stieg auf die Bremse, ihr Auto stand sofort. Um sie herum, Stille.
`Was war das?´, sah sie verdutzt durch das linke Autofenster auf die Straße. In unmittelbarer Nähe ihres Autos lag ein Fahrrad. Sein leuchtendes Rot hob sich krass vom grauen Asphalt ab.`Wo kommt das denn her?´, fragte sie sich verwirrt. Erst dann nahm sie den jungen Mann wahr. Er lag seitlich gekrümmt neben dem Fahrrad und bewegte sich nicht. Erschrocken stieg Susanne aus dem Auto aus, setzte an, um auf den Verletzten zuzugehen. Doch ihre Beine gehorchten ihr urplötzlich nicht mehr, zitterten. Unfähig sich zu bewegen stand sie wie angewurzelt an der Unfallstelle. Ein grauer Schleier legte sich auf ihre Augen, trübte ihren Blick.
Vor dem Verletzten kniete ein Mann. Wo kam er her? Wann war er gekommen? Irgendwann hob er den Kopf zu Susanne: " Er ist ansprechbar", hörte sie ihn sagen. Sein Blick war irgendwie kühl, verächtlich. Warum? Susanne fröstelte.
Wie durch einen Nebel drangen Stimmen zu ihr: "Bestimmt hat die Sonne sie geblendet, sie konnte ihn nicht sehen." "Nein, er ist viel zu schnell gefahren, mit seinem Rennrad. Sie konnte nicht mehr bremsen." Dann vernahm sie ein Flüstern: "Sie ist schuld. Sie ist zu früh abgebogen."
Susannes Kopf begann zu schmerzen. Ein Dröhnen machte sich in ihm breit, drängte ihr einen entsetzlichen Verdacht auf: `Bin ich schuld?´ Der Schleier vor ihren Augen wurde dünner, ihr Blick wieder etwas klarer.
Sie sah Menschen vor der Johanneskirche stehen. Sie sahen zu ihr herüber. Susanne starrte sie verzweifelt an. Die Schmerzen in ihrem Kopf wurden stärker.
Wie aus dem Nichts stand plötzlich ein Polizist vor ihr, stellte ihr Fragen. Susanne versuchte ihm zu antworten, konnte sich ihm aber nicht verständlich machen. Ihr Kopf fühlte sich an, wie mit Watte gefüllt.
Dann hörte sie das Signal eines Rettungswagens. Empfand es wie eine Anklage, fühlte sich schuldig. Endlich gab sie dem Brennen in ihren Augen nach, ließ ihren Tränen freien Lauf - und fühlte sich mutterseelenallein, in ihrem neuen, fremden Zuhause.
Der Radfahrer hatte eine schwere Gehirnerschütterung erlitten, lag einige Zeit im Krankenhaus. Schadenersatzansprüche kamen auf Susanne zu, mussten anwaltlich geregelt werden. Den Schaden an ihrem Auto ließ Arno notdürftig reparieren, das blutige Haarbüschel, dass sich hartnäckig im Autodach festgesetzt hatte, entfernen.
Einige Tage nach ihrem Unfall begannen die schon lange geplanten Sanierungsarbeiten im Ortskern. Auch der Kirchhofplatz wurde verschönert, der graue Asphalt durch rustikale Pflastersteine ersetzt, Fußgängerüberwege geschaffen, bunt bepflanzte Blumenrondelle zur Verkehrsberuhigung aufgestellt.
Diese Veränderungen machten es Susanne leicht, dieses Erlebnis in die hinterste Ecke ihres Bewusstseins zu verdrängen. Sie verdrängte es ebenso, wie die Zeitungsnotiz über ihren Unfall, im Sichtfenster eines weinroten Nappaleder-Portemonnaies. - Die erste Narbe ihrer Ehe.
( überarbeitet am 29.06.05; 30.06.05; 02.07.05 )
Es war an einem heißen Sommertag im Juli. Schon am frühen Vormittag hatte Susanne sich aufgemacht um die malerische Kleinstadt zu erkunden, die seit zwei Wochen ihr neues Zuhause war. Vier Wochen war sie jetzt mit Arno verheiratet, die gemeinsame Wohnung war fertig eingerichtet, Susannes Umzug geschafft. Ihr neues Leben konnte beginnen.
Sie parkte ihr Auto auf dem Parkplatz gegenüber der Drogerie, denn von hier aus konnte sie viele Geschäfte bequem und schnell zu Fuß erreichen.
Sie genoss diese Art von Kleinstadt-Milieu und bummelte neugierig die Marktstraße entlang. Fühlte sich wie ein Abenteurer auf Entdeckungsreise. Lugte in jedes Schaufenster hinein und ließ verspielt ihre Finger durch die Kleidungsständer vor den Boutiquen gleiten. Am Marktplatz angekommen legte sie eine kurze Rast ein, setzte sich am Eiscafe draußen an einen der zierlichen Tische und bestellte sich einen Kaffee.
Es machte ihr Spaß die Menschen zu beobachten, wie sie gemütlich am Markt von Stand zu Stand schlenderten oder geschäftig an diesem bunten Treiben vorbei eilten.
Die Sonne stand mittlerweile hoch am Himmel und brannte auf Susannes schwarzes Haar herab. `Ist ja schon bald Mittag!´, fiel ihr siedend heiß ein,´wie schnell die Zeit vergangen ist.´
Sie bezahlte eilig ihren Kaffee, denn sie hatte noch ihre
Pflichten als Hausfrau zu erfüllen. Es war ihr wichtig, dass die Wohnung sauber und gemütlich war, wenn Arno von der Arbeit nach Hause kam. Zügig erledigte sie ihre Lebensmittel-Einkäufe und ging dann zum Parkplatz zurück.
Die Straßen der Kleinstadt waren ihr noch nicht vertraut. Darum fuhr sie sehr langsam den Weg zurück, um die Abzweigung am Kirchhofplatz nicht zu verpassen. An der Abzweigung hielt sie kurz an, um den Gegenverkehr vorbeizulassen, nutzte diesen Augenblick und streifte die wunderschöne Johanneskirche mit einem ehrfürchtigen Blick.
Als der Gegenverkehr vorbei, warf sie vorsichtshalber noch einen Blick die Straße hinauf: Alles frei. Dann bog sie links ab.
Im selben Moment hörte sie einen Knall und nahm ein Blitzen vor ihrer Frontscheibe wahr. Stieg auf die Bremse, ihr Auto stand sofort. Um sie herum, Stille.
`Was war das?´, sah sie verdutzt durch das linke Autofenster auf die Straße. In unmittelbarer Nähe ihres Autos lag ein Fahrrad. Sein leuchtendes Rot hob sich krass vom grauen Asphalt ab.`Wo kommt das denn her?´, fragte sie sich verwirrt. Erst dann nahm sie den jungen Mann wahr. Er lag seitlich gekrümmt neben dem Fahrrad und bewegte sich nicht. Erschrocken stieg Susanne aus dem Auto aus, setzte an, um auf den Verletzten zuzugehen. Doch ihre Beine gehorchten ihr urplötzlich nicht mehr, zitterten. Unfähig sich zu bewegen stand sie wie angewurzelt an der Unfallstelle. Ein grauer Schleier legte sich auf ihre Augen, trübte ihren Blick.
Vor dem Verletzten kniete ein Mann. Wo kam er her? Wann war er gekommen? Irgendwann hob er den Kopf zu Susanne: " Er ist ansprechbar", hörte sie ihn sagen. Sein Blick war irgendwie kühl, verächtlich. Warum? Susanne fröstelte.
Wie durch einen Nebel drangen Stimmen zu ihr: "Bestimmt hat die Sonne sie geblendet, sie konnte ihn nicht sehen." "Nein, er ist viel zu schnell gefahren, mit seinem Rennrad. Sie konnte nicht mehr bremsen." Dann vernahm sie ein Flüstern: "Sie ist schuld. Sie ist zu früh abgebogen."
Susannes Kopf begann zu schmerzen. Ein Dröhnen machte sich in ihm breit, drängte ihr einen entsetzlichen Verdacht auf: `Bin ich schuld?´ Der Schleier vor ihren Augen wurde dünner, ihr Blick wieder etwas klarer.
Sie sah Menschen vor der Johanneskirche stehen. Sie sahen zu ihr herüber. Susanne starrte sie verzweifelt an. Die Schmerzen in ihrem Kopf wurden stärker.
Wie aus dem Nichts stand plötzlich ein Polizist vor ihr, stellte ihr Fragen. Susanne versuchte ihm zu antworten, konnte sich ihm aber nicht verständlich machen. Ihr Kopf fühlte sich an, wie mit Watte gefüllt.
Dann hörte sie das Signal eines Rettungswagens. Empfand es wie eine Anklage, fühlte sich schuldig. Endlich gab sie dem Brennen in ihren Augen nach, ließ ihren Tränen freien Lauf - und fühlte sich mutterseelenallein, in ihrem neuen, fremden Zuhause.
Der Radfahrer hatte eine schwere Gehirnerschütterung erlitten, lag einige Zeit im Krankenhaus. Schadenersatzansprüche kamen auf Susanne zu, mussten anwaltlich geregelt werden. Den Schaden an ihrem Auto ließ Arno notdürftig reparieren, das blutige Haarbüschel, dass sich hartnäckig im Autodach festgesetzt hatte, entfernen.
Einige Tage nach ihrem Unfall begannen die schon lange geplanten Sanierungsarbeiten im Ortskern. Auch der Kirchhofplatz wurde verschönert, der graue Asphalt durch rustikale Pflastersteine ersetzt, Fußgängerüberwege geschaffen, bunt bepflanzte Blumenrondelle zur Verkehrsberuhigung aufgestellt.
Diese Veränderungen machten es Susanne leicht, dieses Erlebnis in die hinterste Ecke ihres Bewusstseins zu verdrängen. Sie verdrängte es ebenso, wie die Zeitungsnotiz über ihren Unfall, im Sichtfenster eines weinroten Nappaleder-Portemonnaies. - Die erste Narbe ihrer Ehe.
( überarbeitet am 29.06.05; 30.06.05; 02.07.05 )