Das Schulkonzert

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Charybdis

Mitglied
Ich sitze da, beim Sommerkonzert der Schule. Meine Kinder hüpfen fröhlich vor der Bühne herum. Ich ermahne sie, ruhig zu sein, aber ändert dies etwas am Geräuschpegel? Ich habe nur drei Kinder. Die anderen 500 gehören nicht zu mir. Und das ist auch gut so.

Die Aula ist gefüllt mit Menschen. Es ist heiß, es ist stickig. Körper dünsten, wir schwitzen und transpirieren. Wasser tropft von der Stirn, mir laufen Sturzbäche den Rücken herunter. Ich wage nicht, mich nach vorne zu beugen, denn wie muss mein Rücken aussehen?

Der Direktor hält eine herzerwärmende Ansprache. Betont, wie fleißig die Kinder alle geübt haben. Haha, meine Tochter hat das Klavier in den letzten Tagen auch mal betrachtet, und ein, zwei Mal habe ich sogar gehört, dass sie eine Taste gedrückt hat. Ist das bereits fleißig? Ich weiß nicht, was mich erwartet. Und vermutlich wäre es besser, dies nie zu erfahren.

Das erste Kind betritt die Bühne. Ein Erstklässler mit runder Brille und Anzug, dessen Eltern vermutlich denken, wenn er so aussieht wie Harry Potter, dann verzeiht man ihm jede Schandtat. Für mich ist er der geborene Nerd. Ich ertrinke in meinem eigenen Schweiß. Und bete, dass ich in meinem Leben nicht zu sehr gesündigt habe, so dass das, was nun kommt, nicht meine Strafe ist.

Ein akustisches Inferno bricht über uns herein. Der Kleine schafft es, auf dem Klavier keine einzige Taste korrekt zu treffen. Ich erkenne nicht einmal das Lied. Ist das vielleicht ein Stück von John Cage? sinniere ich und lache innerlich. Pfui schelte ich mich selbst. Das ist unfair. Schließlich ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Dennoch, als Harry Potter fertig ist, habe ich den Eindruck, dass die meisten nur deshalb klatschen, damit er nicht noch einmal spielt.

Eine Erstklässlerin steht nun vorne, und mein Herz rutscht mir in die Hose. Der pure Horror erwartet uns. Sie spielt Geige. Oder sagen wir: Sie hält eine Geige in der Hand, und sie wird sie in den nächsten Sekunden malträtieren. Hoffentlich ist das Stück kurz. Abermals denke ich über meine bisherigen Sünden nach. Geige ist entsetzlich. Geigenspiel müsste polizeilich verboten werden. Zumindest für Kinder. Geige spielende Kinder sind die Geißel des Gehörganges. Und dieses Mädchen ist keine Ausnahme. Ich schwitze noch mehr, dehydriere. Nicht nur wegen der Wärme, sondern auch wegen des Kraches, den die Kleine da anrichtet. Hätte sie diese Geige doch niemals in die Hand genommen…

Die nächsten Künstler kommen, sie werden nach und nach älter, aber sie werden nicht besser. Doch das Publikum applaudiert artig. Wieder und wieder. Ich hänge entkräftet auf meinem Sitz. Hört denn niemand außer mir diese akustische Vergewaltigung, dieses Verbrechen an der Menschheit?

Vier Mittelstufenschüler spielen ein Beethovenquartett. Zwei Geigen, Bratsche, Cello. Ich kenne das Stück nicht. Ich bin allerdings auch kein Musiker. Dennoch: Ich bin sicher, Beethoven könnte man nach dieser Performance als Tunnelfräse einsetzen, so muss er in seinem Grab rotieren. Das Publikum klatscht, und irgendjemand jubelt sogar „Bravo!“ Es ist bestimmt die Mutter eines der akustischen Verbrecher. Genetisch dazu verpflichtete Claqueure.

Nun kommt meine Tochter. Meine Mutter neben mir versetzt mir einen Rippenstoß, und sie lächelt mich an. Sie freut sich, dass ihre Enkelin spielt. Ich nicht. Wenigstens konnte ich verhindern, dass meine beiden Jungs auch auftreten. Meine Tochter schreitet zum Klavier. Das Kleid sitzt, die Haare sind perfekt zurecht gemacht. Mir war noch gar nicht bewusst, dass sie so erwachsen aussieht. Moment, ist sie nicht erst elf? Sie ist eine kleine Frau. Unwillkürlich denke ich an Harry Potter vorhin in seinem Anzug, wie lächerlich ich das fand. Sitzt da jetzt irgendjemand im Publikum, der ebenso über meine Tochter denkt? Doch das verbietet sich doch einfach von selbst. Schaut sie an. Sie ist so hübsch, so adrett. Ich muss mehr auf sie achten. Bestimmt kommt bald der erste Freund…

In meinen Gedanken verpasse ich den Anfang ihres Stückes. Es klingt gar nicht schlecht, finde ich. Mein Herz springt vor Stolz. Das Kind sitzt am Klavier und spielt. Es ist wunderbar! Ich schwitze, nun vor Freude! „Bravo“ rufe ich, als sie geendet hat und sich zum Publikum verneigt. „Bravo!“ Auch die anderen Zuschauer klatschen, jedoch habe ich nicht den Eindruck, dass es stärker ist als bei den Möchtegern-Performances zuvor. Sind die denn taub? Können die den Unterschied nicht hören? Vermutlich nicht. Entweder sind das alles Ignoranten, oder die Möchtegern-Künstler zuvor haben sich des Verbrechens der Trommelfell-Vernichtung schuldig gemacht, und alle klatschen nur, wenn sich jemand verneigt. Mir ist es egal. Ich bin stolz!

Es folgt eine Blockflöte. Ein infernalisches Quietschen. Nie hätte ich gedacht, dass einer Blockflöte derartige Geräusche zu entlocken sind. Warum nimmt niemand dem Kind das Instrument weg und opfert es auf dem Altar der geschundenen Muse Euterpe? Ich lache in mich hinein. Wen sollte man opfern? Das Instrument oder das Kind? Oder verdient Euterpe überhaupt ein Opfer? Schließlich ist sie für den Flötenkrach verantwortlich! Meine hochintellektuellen Gedankenspielchen helfen mir über diesen kakophonischen Beitrag hinweg.

Nun betreten drei Mädchen die Bühne. Ich schätze fünfte oder sechste Klasse. Herausgeputzt wie… wie… Ja, wie eigentlich? Mein älterer Sohn, zwei Plätze weiter, lächelt begeistert: „Die sehen aus wie…“

Ich erfahre nie, wie die drei aussehen, denn seine weiteren Worte gehen im tosenden Jubel der Zuschauer unter. Scheinbar imitieren die drei irgendeine Popgruppe. Musik vom Band setzt ein. Viel zu laut. Ich spüre die durch die Lautsprecher verursachten Luftbewegungen am ganzen Körper. Ich gewinne den Eindruck, dass mein Schweiß nun von mir fortgeblasen wird. Die Mädchen auf der Bühne strahlen wie Honigkuchenpferde und piepsen irgendetwas in ihre Mikrophone. Das Publikum, die Mitschüler, aber auch die unzähligen Mütter, sie johlen und trampeln. Väter bemühen sich, Fassung zu wahren. Ich staune und schwitze. Hey, ihr Mütter, kennt ihr das Stück wirklich? Ich habe keine Ahnung, was das für ein Lied ist oder wer es singt. Und egal wer es singt: So wie die drei da vorne geht das bestimmt nicht. Einfach nur dauergrinsen, ins Mikro piepsen und sich mit zehn oder elf zurecht machen wie eine Achtzehnjährige reicht nicht.

Die Menge um mich herum straft meine Gedanken Lügen. Die Mütter flippen völlig aus. Hey, meint ihr das wirklich ernst? Oder müsst ihr euren Kindern nur beweisen, wie cool ihr noch drauf seid? Gebt es doch zu: Ihr wisst doch auch nicht, wen oder was die Drei da vorne verunstalten.

Mein jüngerer Sohn bekommt seinen Mund nicht mehr zu. Verzückt starrt er auf die Piepsmäuschen auf der Bühne. Sehe ich da Herzchen in seinen Augen? Ich glaube es nicht! Mein Sohn ist verliebt! In einen Möchtegern-Popstar! Wage es ja nicht, mir eine von den Dreien da anzuschleppen. Noch habe ich das Sagen zu Hause. Und die sind eh zu alt für dich!

Das Konzert dauert ewig. Die Luft wird nicht besser, die Künstler auch nicht. Es ist entsetzlich bis zum Schluss. Es gab nur ein einziges Highlight: Meine Tochter!

Nun warte ich am Ausgang der Aula. Ich bin erlöst. Es ist vorbei! Ich habe überlebt. Meine Ohren… ich weiß nicht, ob sie durchkommen werden. Der Saal leert sich allmählich. Der Schweiß beginnt abzutrocknen. Ich freue mich, meiner Tochter zu sagen, wie wundervoll sie gespielt hat. Da kommt sie auch schon, in ihrem Kleid…

Eine Frau schräg hinter mir sagt zu ihrem Begleiter: „Da ist dieses Mädel in Kitsch-Gelb.“

Ich merke auf. Gelb? Meine Tochter trägt gelb. Wo ist das Mädel, von der sie spricht? Ich sehe keines.

„Haha“, macht der Begleiter, „wenn ich der Vater von der wäre, würde ich ihr versehentlich die Finger unter dem Klavierdeckel festklemmen.“

Ich halte die Luft an. Von wem sprechen die?

„Das wäre das Beste“, sagt nun die Frau. „Das war unglaublich schlecht. Bei den anderen Kindern hat man ja wenigstens den Spaß an der Musik gehört, auch wenn es alles noch sehr schräg war. Na ja, es ist ja nur selten ein Meister vom Himmel gefallen, und die müssen ja erst mal alle üben. Nur bei der da…“

„Bei der ist Hopfen und Malz verloren. Entweder ist sie vollkommen unmusikalisch, oder sie hat nicht geübt. Vermutlich beides. Und mit einem grottenhässlichen Kleid in Ekelgelb kann man das Manko auch nicht kompensieren.“

Meine Tochter ist das einzige Kind in Gelb, das ich sehe.

Eine andere Frau hinter mir zischt den beiden Lästermäulern zu: „Psst, der Vater und die Großmutter stehen vor ihnen.“

„Von dieser entsetzlichen Klavierspielerin?“ Die erste Frau bricht ab.

„Oh“, macht der Mann.

Schweigen.

Und ich beginne, erneut zu schwitzen.
 

James Blond

Mitglied
Hallo Charybdis!

Deine Satire gefällt mir gut:

Prima Idee, gute Ausarbeitung und passende Pointe.

Seltsamerweise hatte ich während des Lesens den Eindruck, hier schreibe eine stolze Mutter und war dann am Schluss etwas irritiert. Dies sind für mich eher "weibliche" Überlegungen:
Ich wage nicht, mich nach vorne zu beugen, denn wie muss mein Rücken aussehen?
[...]
Das Kleid sitzt, die Haare sind perfekt zurecht gemacht.
[...]
Bestimmt kommt bald der erste Freund…
Vielleicht ergäbe das noch eine nette kleine Zusatzbosheit: Wenn die Mutter mit dem Schwiegervater dem Schulkonzert lauscht und am Ende der Hinweis ertönt: "Psst, vor Ihnen stehen die Großeltern." :)

Kritisch anzumerken hätte ich die Längen mancher Passage, in denen einiges übererzählt wirkt, weil nachreflektiert wird:

Ist das bereits fleißig? Ich weiß nicht, was mich erwartet. Und vermutlich wäre es besser, dies nie zu erfahren.
[...]
Für mich ist er der geborene Nerd. Ich ertrinke in meinem eigenen Schweiß. Und bete, dass ich in meinem Leben nicht zu sehr gesündigt habe, so dass das, was nun kommt, nicht meine Strafe ist.
[...]
sinniere ich und lache innerlich. Pfui schelte ich mich selbst. Das ist unfair. Schließlich ist noch kein Meister vom Himmel gefallen.
[...]
Der pure Horror erwartet uns
[...]
Und dieses Mädchen ist keine Ausnahme. Ich schwitze noch mehr, dehydriere. Nicht nur wegen der Wärme, sondern auch wegen des Kraches, den die Kleine da anrichtet. Hätte sie diese Geige doch niemals in die Hand genommen…
[...]
Hört denn niemand außer mir diese akustische Vergewaltigung, dieses Verbrechen an der Menschheit?
[...]
Vermutlich nicht. Entweder sind das alles Ignoranten, oder die Möchtegern-Künstler zuvor haben sich des Verbrechens der Trommelfell-Vernichtung schuldig gemacht, und alle klatschen nur, wenn sich jemand verneigt.
[...]
Oder verdient Euterpe überhaupt ein Opfer? Schließlich ist sie für den Flötenkrach verantwortlich! Meine hochintellektuellen Gedankenspielchen helfen mir über diesen kakophonischen Beitrag hinweg.
[...]
Ich staune und schwitze. Hey, ihr Mütter, kennt ihr das Stück wirklich? Ich habe keine Ahnung, was das für ein Lied ist oder wer es singt. Und egal wer es singt: So wie die drei da vorne geht das bestimmt nicht. Einfach nur dauergrinsen, ins Mikro piepsen und sich mit zehn oder elf zurecht machen wie eine Achtzehnjährige reicht nicht.
[...]
Hey, meint ihr das wirklich ernst? Oder müsst ihr euren Kindern nur beweisen, wie cool ihr noch drauf seid? Gebt es doch zu: Ihr wisst doch auch nicht, wen oder was die Drei da vorne verunstalten.
Sarkasmen benötigen knappe, trockene Formulierungen. Die gelingen Dir, daher brauchst Du auch nicht mehr nachzukarten und solltest den Lesern den Freiraum für eigene Gedanken einräumen.

Auch wird mir trotz aller Aufregung etwas zuviel geschwitzt.


Gerne gelesen und geschmunzelt.

Grüße
JB
 
A

aligaga

Gast
Hallo Charybdis,

von der Idee und von manchen Passagen her genial, leider aber sprachlich ein wenig überfrachtet. Sarkasmus und Zynismus wollen "sitzen", müssen treffen wie ein Peitschenschnürchen (wie mein Vorredner schon sagte); sie dürfen nicht zu umständlich und zu redundant daherkommen. Sonst werden die Kleinen nicht zu den Teufelchen, die sie mitunter sind, sondern der Erzähler selbst sofort zum Unsympathen.

Leider machst du m. E. den Fehler, dem Leser nicht zuzutrauen, schon direkt nach dem Auftritt der Tochter des Protagonisten zu wissen, dass die genauso "schlecht" drauf ist wie alle anderen - nur dass die Sicht ihres Erzeugers nun eine subjektive ist. Die hämischen Stimmen anderer Eltern am Ende hätte es nicht mehr gebraucht.

Im Übrigen glaube ich nicht, dass die Unperfektion sich vor ein Publikum wagender Kiddies etwas wäre, worüber man sich als "betroffener" Elternteil tatsächlich aufregen könnte. Auch wenn es, das sei zugegeben, oft nicht nur akustisch, sondern auch raumklimastisch eine echte Herausforderung ist.

Deinem Prot fehlt die schützende Distanz und die Toleranz, die gutwillige, aber ungeschickte Kinder immer wieder bei den Erwachsenen einfordern. Wer sich so extrem selbst darstellt wie dein Erzähler, wirkt - zumindest aus meiner Sicht - nicht komisch. Natürlich kann man sich über die Patzerei der Kinder lustig machen, und natürlich darf man bei der eigenen Brut subjektiv sein. Mir fehlt das zwinkernde Auge des wirklich Überlegenen, der die Größe hätte, hinter dem Lärm das Bemühen zu erkennen.

Grüße

aligaga
 

Charybdis

Mitglied
Lieber James Blond,

vielen Dank für Deine vielen Anmerkungen und Deine zahlreichen Tipps. Was für mich ein echter Aha-Effekt war, ist die Tatsache, dass ich den Leser tatsächlich von Anfang an im Unklaren lasse, ob ein Mann oder eine Frau dies alles erlebt. Für mich war immer klar, dass ich aus den Augen eines Mannes berichte. Ich werde mal darüber nachdenken, ob ich vorne noch einen Hinweis einbaue oder ob ich es lasse.

Das mit den von Dir monierten Längen werde ich mir mal näher anschauen und ggf. einige Stellen kürzen. Du hast Dir ja viel Mühe mit dem Heraussuchen einiger Passagen gemacht. Danke dafür! Ob ich den Mann weniger transpirieren lasse, muss ich mir wirklich überlegen. So manches Schulkonzert kann schnell zu einem olfaktorischen Highlight werden, insbesondere im Hochsommer und in zu engen Räumen. Ich hatte dies erst in diesem Jahr gleich mehrfach genießen, äh, überleben dürfen.

Lieber aligaga,

auch Dir vielen Dank für Deine direkten Worte. Ich habe bereits eine Weile darüber nachgedacht, was ich mit dem Ende mache. Ich bin sicher, dass viele Leser tatsächlich bereits wissen, dass die Tochter nicht wirklich gut gespielt hat, nur mir geht es gar nicht darum, einen sympathischen, etwas überstolzen Vater zu zeichnen. Ich habe kein Problem damit, wenn dieser spöttische und zynische Mensch etwas unsympathisch herüberkommt. Ich habe ihn nicht so angelegt, dass jeder Leser sich mit ihm im Positiven identifiziert.

Im Gegenteil: Ich denke, in jedem von uns steckt ein wenig von diesem Mann. Insbesondere bei denjenigen von uns, die regelmäßig musikalische Schulaufführungen erleiden müssen. In jedem von uns steckt diese phasenweise verzweifelte Intoleranz, wenn die Töne über gefühlte Stunden einfach nicht zusammenpassen und man sich – bei allem eigentlich vorhandenen Verständnis – fragt, was noch kommen wird. Dabei hilft eben auch nicht der ewige Spruch, dass noch kein Meister vom Himmel gefallen ist.

Ich weiß, wovon ich spreche. Ich habe Geige und Klavier spielenden Nachwuchs. Ich habe, über Jahre, die Agonie erfahren, was es bedeutet, einem Dreijährigen beim Geigespielen (äh, nun ja, kann man so eigentlich nicht nennen) zuhören zu müssen. Gerade deshalb erlaube ich mir in meiner Geschichte den Seitenhieb gegen Kinder, die Geige spielen, obwohl ich weiß, dass es auch Kinder gibt, die das fantastisch machen. Mittlerweile ist mein Nachwuchs deutlich größer und betätigt sich unter anderem in einem sehr professionell geführten Landesjugendorchester, so dass dem musikalisch Fabrizierten längst genussvoll zu folgen ist. Ich habe mich aber immer über die Jahre ermahnt, nicht den Blick auf die Realität zu verlieren. Und glaube mir, es ist nicht einfach, dem Nachwuchs lächelnd auf die Schulter zu klopfen und zu sagen „gut gemacht, und wenn du fleißig übst, wird es noch viel besser“, während die Trommelfelle brennen und man sich vor dem Üben, das ja aber notwendig ist, fürchtet. Ich habe über die Jahre viele Kinder und Jugendliche erlebt. Viele davon gänzlich unbegabt. Es ist entsetzlich, ihnen zuzuhören. Gleichzeitig freue ich mich aber, dass sie musizieren, denn nur eine gute Basis von Aktiven schafft weiter oben wirklich gute Musiker. Und so ertrage ich schweigend und lächelnd, mittlerweile moralisch gesetzter, auch so manchen Misston.

Was ich absolut nicht nachvollziehen kann, ist aber tatsächlich der Zynismus mancher Eltern, über musizierende Kinder lautstark zu spotten und gleichzeitig ihren eigenen Spross als hochbegabt zu deklarieren (ich muss mal nachschauen, ob mein Nachwuchs nicht vielleicht wie David Garrett oder Ann-Sophie Mutter… Kleiner Scherz. ;) ). Möglicherweise sind deshalb alle Erwachsenen in meiner Geschichte nicht wirklich positiv in ihrer Ausstrahlung. Weder der Ich-Erzähler noch die beiden Spötter, die kein Blatt vor den Mund nehmen. Und das soll auch gerne so sein.

Mag sich so mancher Leser selbst darin ein klein wenig wiederfinden und meinen etwas versteckten Zeigefinger verstehen. Ich nehme mich selbst dabei nicht aus.
 
A

aligaga

Gast
Deine Erklärungen in allen Ehren, lieber Charybdis - ich habe nicht dich kritisert (ich kenn dich ja gar nicht), sondern deinen Text, und der hat nun mal Schwächen. Welche, das hab ich versucht, dir deutlich zu machen.

Für den Leser ist es völlig belanglos, ob du persönlich musikalisch kompetent bist oder nicht. Es kann ihm nur um das gehen, was du in deiner Geschichte transportierst. Du musst damit rechnen, dass wohl jeder zweite hier unterwegs befindliche Rezipient Kinder hat oder hatte, die Geduld einforderten und Nerven kosteten. Lass dir also noch einmal sagen: Wirklich lustig ist deine Suada auf die tapsigen Kleinen und ihre dennoch stolzen Eltern nicht. Sie macht jeden, der Sinn dahinter sieht, wenn Kinder sich öffentlich aufzutreten trauen, betroffen.

Es geht bei Schulkonzerten und Schultheatern nicht um Höchstleistungen, sondern nicht zuletzt um das Selbstvertrauen, das man gewinnt, wenn man einen Beitrag zu einem größeren Ganzen abliefert. Dass so etwas nicht immer einfach ist, beweist dein verständnisloser Protagonist, der nicht imstande ist, auch nur das allergeringste Positive an einem der „fremden“ Kinder zu erkennen.

Falls es deine Absicht war, einen solchen Unsympathen (mit dem sich vernünftige Eltern ganz gewiss nicht „positiv identifizieren“ können, wie du hoffst) zu zeichnen, ist dir das in der Tat gelungen. Nur witzig war's leider nicht. Eher erschütternd!

Grüße

aligaga
 

Charybdis

Mitglied
Lieber aligaga,

ich habe Dich schon richtig verstanden und begriffen, dass Du meinen Text und nicht mich persönlich meinst. Keine Sorge. ;) Du warst aber auf die mögliche Gefühlswelt der Leser eingegangen und auf die Frage, wie die Geschichte wirken kann, und so habe ich Dir (und vielleicht weiteren Interessierten) geschildert, wie ich selbst, sehr ambivalent, zu Schulkonzerten stehe. Sie sind oft entsetzlich… Und ich freue mich dennoch selbstverständlich über jedes Kind, das da mitmacht. :)

Allerdings muss ich einem Eindruck widersprechen, der nun entstehen kann, da wir hier so angeregt über Motivationen und Wirkungen musizierender Kinder diskutieren (und ich genieße Diskussionen mit angenehmen und interessierten Menschen): Es geht mir mit meiner kleinen Story nicht darum, ein politisch korrektes (bitte nicht missverstehen, mir fällt nur gerade nichts Besseres ein. Ich weiß, dass Du das so nicht forderst) Werk zu verfassen, dass allen Eltern musizierender Kinder gerecht wird. Ich habe Spaß an dem Zynismus dieser Geschichte. Mir ist dabei vollkommen bewusst, dass dieser Zynismus nicht bei jedem ankommt. Ich werde damit leben müssen, dass ein Teil schmunzeln wird, ein anderer nicht, bin aber immer für ehrliche Feedbacks dankbar und denke über Kritik immer nach. Würde ich beispielsweise von mehr oder weniger jedem hören, dass mein Zynismus unerträglich wäre, muss ich spätestens dann mein eigenes Verhalten reflektieren.

Worüber ich tatsächlich auf Basis Deiner Worte nachdenken kann, ist, die bemühten Kinder selbst noch ein wenig positiver zu schildern. Definitiv respektiere ich zunächst einmal die musikalischen Anfangsversuche eines jeden. An den Eltern meiner Geschichte allerdings möchte ich nichts charakterlich verändern. Sie sind so, wie ich sie selbst oft erlebe. Bis hin zu infantil retardierenden Müttern, sobald ihre Töchter Popstars mimen (man muss ja zeigen, dass man noch mithalten kann, obwohl man oftmals eigentlich auf die 50 zugeht), während Väter in peinlichster Wiederholung (vielleicht ist das Absicht, ein länderübergreifender männlicher Masterplan?) grundsätzlich zu spät zu den Konzerten ihrer Kleinen kommen. Dass es auch vernünftige Eltern gibt, weiß ich. Ich glaube aber, den Lesern ist zuzutrauen, das zu erahnen, ohne dass ich einen Prozentsatz zum Verhältnis vernünftig-oder-überkandidelt danebenschreibe, oder? Eine Satire darf auch mal überzeichnen. Wer sich ggf. persönlich davon angegangen fühlt, kann dann immer noch entscheiden, ob er die Satire schlecht findet oder ob er sich betroffen fühlt, weil die Satire den richtigen, nämlich ihn oder sie, erwischt hat.
 

Maribu

Mitglied
Hallo Charybdis,

ich kenne solche Schulveranstaltungen auch.

Wenn der Pro nur subjektiv urteilt - ich kann mir nicht vorstellen - , dass alle eine Beleidigung für den Gehörgang waren - ist eine Enttäuschung vorprogammiert.

Seine Tochter hat er sicherlich überbewertet, aber das Lästern des Paares besagt ja nicht, dass die anderen Eltern es nicht als "gut gespielt" empfanden.
Der Text ist ok; aber ein bißchen zuviel "Schweiß"!

L.G. Maribu
 

Charybdis

Mitglied
Hallo Maribu,

da Du ja nicht der erste mit diesem Hinweis bist, werde ich den Text sicherlich noch ein klein wenig "entschweißen".

Und natürlich hast Du auch in der zweiten Sache Recht. Es kann sein, dass andere Zuschauer den Beitrag der Tochter oder andere Performances positiv fanden. Es liegt in der Natur der Sache, dass es immer verschiedene Meinungen geben wird, auch bei einem Schulkonzert. Der Protagonist fand es eben entsetzlich (bis auf seine Tochter), die beiden Spötter bestätigten den anderen Kindern einen guten Willen und Mühe (bis eben auf die Tochter). Ich hoffe, ich kann auf die Fantasie der Leser vertrauen, dass es dazwischen sicherlich viele, viele Facetten geben wird. :)
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Charybdis, meinen Nerv triffst Du genau mit diesem gelungenen Text, den ich aber zu Humor und Satire verschieben werde, denn da gehört er hin!

GENAU SO ist es mit den Aufführungen. Jeder hat das beste, tollste Kind, das aber nur er selbst so sieht. :) Und wehe, andere sehen das anders. Du hast alles so überzeichnet, dass der wahre Kern der elterlichen Geltungssucht hervorblitzt - und schon der Beginn -

Ich habe nur drei Kinder. Die anderen 500 gehören nicht zu mir. Und das ist auch gut so.
verursacht bei mir ein breites Grinsen. Nur drei ist übrigens heute schon sehr viel. :)

Danke für den Lacher am Wochenende sagt mit lg,

Doc
 

Charybdis

Mitglied
Danke, DocSchneider, für Dein tolles Feedback. Und danke auch für das Verschieben. Du hast recht, hier passt es jetzt viel besser als bei den Kurzgeschichten. :)
 

Ironbiber

Foren-Redakteur
Schön, dass du mit dieser Satire doch noch in dieses Forum gefunden hast! - oder muss ich sagen: gefunden worden bist?

Wie auch immer - eine hübsches kleines Lehrstück über die Eitelkeiten der Erzeugerklasse, dass mich schmerzlich an eine Weihnachtsfeier in meiner Schule erinnert, wo ein Supertalent namens Ironbiber auf dem Akkordeon "Stihile Nacht, heilige Nacht ..." zum Besten geben durfte.

Ich sehe noch heute das blanke Entsetzen in den Blicken des Auditoriums, das in vornehmes Klatschen aus den ersten Reihen der Aula mündete. Ich glaube, meine Eltern sind durch den Notausgang geflüchtet oder haben sich in der Toilette eingeschlossen. Meine größere Schwester jedenfalls leugnete hernach im Ort lange Zeit standhaft jegliche verwandtschaftliche Beziehung zu mir.

Nur schade, dass RTL damals noch nicht erfunden war. Der Recall wäre mir sicher gewesen.

Amused grüßt der Ironbiber
 
A

aligaga

Gast
An die Stelle der "Schulkonzerte" und "Schulorchester" sind DSDS-Veranstaltungen getreten, wo sich Talente produzieren können und deren Verächter nicht still auf dem Stuhl sitzen müssen, sondern ihrer Gesinnung freien Lauf lassen dürfen.

Ihr habt recht - es ist ja wirklich wahnsinnig komisch, wenn eine die Töne nicht trifft oder unvorteilhaft aussieht oder beides und dann von Koryphäen wie Bohlen&Co das siedende Pech übergekübelt bekommt. Sin ja selba schuld, nä! Was müssense sich da hinstelln! Schenkel klatsch!

Kinder können nicht auf Anhieb perfekt sein. Lehrer und Mitschüler wissen das und haben deshalb (neben der Arbeit) eine Menge Spaß an solchen Abenden. Es ist für sie ein Spiel im Wortsinne. Manche Erwachsene wissen das nicht und machen aus ihren Kindern scheue Klemmies, die sich keinen Ton singen trauen und beim Fußballspielen immer im Abseits stehen, weil sie kein Selbstvertrauen haben.

Die Kiddies dieser Welt sind es wert, dass ich das hier an dieser Stelle sage. Sie gehören inspiriert, motiviert, unterstützt - egal, von wem. Und wenn's
Genetisch dazu verpflichtete Claqueure
sein sollten, wie der Autor Eltern herunterzumachen beliebt. Sie sind um Lichtjahre besser als jene, die unreife Kinder für eine Zumutung halten.

Daher nochmal: Ich sehe in diesem Text keine wie immer geartete "Humoreske", sondern Häme. Und ein lyrisches Ich, das sich von Kindern möglichst weit fernhalten sollte ...*fröstel*...

Gruß

aligaga
 

Charybdis

Mitglied
Lieber aligaga,

wohlgemerkt, natürlich steht jedem seine eigene Meinung zu, und das ist ja hier auch Sinn der Sache in diesem Forum. Und ich persönlich bin Kritik gegenüber sehr aufgeschlossen, denn sie hilft, das eigene Wirken und Werken zu verbessern, indem man den Spiegel in gewisser Weise vorgehalten bekommt.

Ich muss aber zugeben, dass ich schon längst auf eine Erwiderung deinerseits wie die jetzt verfasste gewartet habe. Du hast meine kleine Satire einer regelrechten Philippica, einer Brandrede, für würdig erachtet, und darauf bin ich sogar ein bisschen stolz. Dein flammender Appell für die Werte der Kinder ist sehr beeindruckend. Vielleicht wird es Dich nun vollkommen überraschen, wenn ich Dir sage, dass selbst mir, trotz des Verfassens dieser Humoreske, die Werte von Kindern sehr wichtig sind.

Jetzt aber mal im Ernst. Dir muss meine Geschichte nicht gefallen, natürlich nicht. Aber Du interpretierst Dinge in die Story, die nicht einmal ansatzweise so gedacht sind. Und das ist beinahe schon wieder amüsant.

Du vergleichst meine Darstellung eines einzigen Zuschauers, eines einzigen (!), mit einem Trend zu Trashsendungen wie DSDS. Ich muss sagen, ich bin völlig baff ob dieser gedanklichen Verbindung. Mir war noch nicht bewusst, dass DSDS quasi Schulkonzerte ablöst, damit sich die Spötter dort wirklich ergehen können. Ich persönlich glaube nicht, dass der Vater, den ich da skizziere, DSDS überhaupt einschalten würde. Ich persönlich, aus meiner eigenen Erfahrung mit einem in Schulkonzerten tätigen Nachwuchs, habe niemals den Eindruck gewonnen, dass das Publikum dort, so gerne es aufgrund so mancher atonaler Verirrung auch mal freundlich lächelnd die Zähne zusammenbeißt und selbstverständlich jedem Beifall spendet, auch nur annähernd DSDS-affin sein könnte. Würde dieses Publikum DSDS sehen, würde ihm vermutlich eher das Fremdschäm-Gen die Schamesröte ins Gesicht zaubern – sowohl für manchen Beitrag als auch für das Publikum.

Ich käme niemals auf die Idee DSDS mit einem Schulkonzert zu vergleichen. DSDS ist eine Sendung für bedauernswerte Möchtegern-Stars, eine Sendung, die davon lebt, dass unfähige arme Menschen glauben, sie seien super, nur um bösartig bloßgestellt zu werden. In einem Schulkonzert ist aber noch nie jemand bloßgestellt worden, egal wie gut oder schlecht jemand ist. Zumindest habe ich das nicht erlebt. Das Gespräch aber am Ende zwischen den beiden Spöttern, – sorry – so bitter das ist, das ist absolut nicht unrealistisch.

Wo Du auch irrst, ist, dass alle Zuschauer von Schulkonzerten automatisch ein beseeltes Lächeln mit sich herumtragen. Oftmals ist ein Schulkonzert gerade mit kleineren Kindern, die gerade angefangen haben zu musizieren, oder in Schulen ohne wirkliche musikalische Orientierung eine bloße Qual aufgrund des akustischen Terrors. Warum erduldet das Publikum dies aber? Natürlich! Um die Kinder nicht zu demotivieren, sie zu motivieren, mehr zu üben, damit es irgendwann einmal besser klingt. Ich garantiere Dir, alibaba, Gedanken wie die meines Protagonisten sind dabei nicht so selten. Willkommen in der realen Welt. Glaubst Du, alle Eltern finden das Dargebotene wundervoll? Mitnichten. Ich selbst fand die ersten Performances meines eigenen Nachwuchses entsetzlich (und das gebe ich ehrlich zu), und doch bin ich IMMER dabei gewesen und habe ihn gelobt, selbst wenn die Ohren bluteten. Dein Wolkenkuckucksheim mag schöner sein, meine Satire wiederum überzieht auf der anderen Seite selbstverständlich die Realität. Offensichtlich ist Dir jedoch überhaupt nicht klar, was ein nicht unbeträchtlicher Teil der Elternschaft während so eines Konzertes wirklich denkt und fühlt. Nochmals: Willkommen in der realen Welt.

Aber noch einmal: Es war nie meine Absicht, irgendwie Kinder zu demoralisieren. Und ich wollte schon gar keine allgemeingültige soziopolitische Schrift verfassen. Es ist einfach eine Satire. Eine klitzekleine Satire, die den Leser für einige Minuten unterhalten soll. Und vielleicht erwischt sich der eine oder andere dabei, dass er auch mal so denkt wie mein Protagonist. Ich mag die Geschichte. Du eben nicht. Und das ist ja auch vollkommen in Ordnung.
 
A

aligaga

Gast
Ich wiederhole das, was ich am Ende meiner ersten Kritik schon mal gesagt hatte und worauf du trotz deiner vielen, vielen Worte nicht eingehen konntest oder wolltest:
Deinem Prot fehlt die schützende Distanz und die Toleranz, die gutwillige, aber ungeschickte Kinder immer wieder bei den Erwachsenen einfordern. Wer sich so extrem selbst darstellt wie dein Erzähler, wirkt - zumindest aus meiner Sicht - nicht komisch. Natürlich kann man sich über die Patzerei der Kinder lustig machen, und natürlich darf man bei der eigenen Brut subjektiv sein. Mir fehlt das zwinkernde Auge des wirklich Überlegenen, der die Größe hätte, hinter dem Lärm das Bemühen zu erkennen.
Und deshalb ist dein Text keine kluge "Satire", sondern ein dumpfer Hieb gegen Kinder und alle, die wissen, dass Kinder so lange unperfekt im Leben unterwegs sind, bis sie etwas gelernt haben. Und dass sie dabei nicht einfach sind, Geduld und Zuwendung brauchen.

Dein lyrisches Ich hat überhaupt keine Geduld mit ihnen. Statt witzig zu sein, stellt es sich bloß. Das ist bestenfalls unfreiwillig komisch.

Welche "andere Ansicht" man darüber haben kann, weiß ich nicht. Ich beschrieb Fakten.

Gruß

aligaga
 

Charybdis

Mitglied
Lieber aligaga,

eigentlich wollte ich nichts mehr dazu schreiben, da Du eben eine andere Meinung als ich hast. Übrigens scheinen auch einige andere Foristen Deine Sicht der Dinge nicht zu teilen, wiewohl wir hier noch nicht das Gesetz der großen Zahlen erfüllen.

Ich sagte auch schon, dass das vollkommen okay ist, dass es Dir nicht gefällt. Man muss nicht immer gleicher Meinung sein. Dinge gefallen oder auch nicht. Und auch Kritik, die dann nicht direkt weiterverarbeitet wird, ist wichtig. So meine Ansicht.

Nur dies sei Dir noch gesagt: Wenn Du die Antworten auf Deine Bemerkung nicht findest, dann tut es mir wirklich leid. Ich habe überaus ausführlich beschrieben, wie ich musizierende Kinder sehe und warum mein Protagonist eben so bissig ist. Dass Du aus diesem einen Protagonisten in einer Minisatire einen halben Weltuntergang konstruierst und auch noch DSDS bemühst, ist für mich wiederum kaum nachvollziehbar.

Dabei wäre es so simpel, wenn Du eben einfach sagst, dass Dir die Geschichte nicht gefällt. Ist doch in Ordnung.

Bis dahin hätte ich auch nichts mehr gesagt, nur Dein letzter Absatz, der hat mich dann doch noch mal aufhorchen lasssen.

Welche "andere Ansicht" man darüber haben kann, weiß ich nicht. Ich beschrieb Fakten.​

Warum setzt Du "andere Ansicht" in Anführungsstriche? Erregt Dich meine Satire so ungemein, dass es Dir schwer fällt, andere Ansichten überhaupt zuzulassen? Bist Du persönlich betroffen? Es hat den Anschein.

Und welche Fakten beschreibst Du? Ganz ehrlich, lieber aligaga, Du bist in dieser Diskussion überaus emotional, ziehst sogar hanebüchene Vergleiche mit Trashfernsehen herbei. Das sind Fakten?

Nein, aligaga, ich sage Dir, was das ist: Das ist feinste Realsatire, und sie lässt mich schmunzeln. ;)

Aber um auch hier Klarheit zu schaffen, damit nun kein unfreiwilliges böses Blut entsteht: Auch wenn wir in diesem speziellen Fall nicht zusammenkommen, freue ich mich weiter über jede Deiner Kritiken zu einem meiner Werke hier, und ich habe Dich auch schon gerne gelesen. Für mich ist das einfach ein Disput, der eben darauf hinausläuft, dass wir, bei dieser einen Geschichte, nicht die gleichen Ansichten haben.
 
A

aligaga

Gast
Vielleicht solltest du am Ende mitnehmen: Was du persönlich bist und denkst, ist das eine, was du schreibst, etwas anderes. Deshalb war ja immer von einem "lyrischen Ich" die Rede.

Einen Kritiker interessiert herzlich wenig, wie du dein Privatleben gestaltest und welche Maximen du dort vertrittst. Es macht also keinerlei Sinn, dauernd von daheim zu erzählen, wo angeblich alles anders ist. Es ging hier nicht um dich, sondern um deinen Text.

Warum der keine gute Satire sein kann, wurde dir erklärt.

Du kannst meine Kritik annehmen oder zurückweisen. Nur eins geht nicht - sie zur "Ansichtssache" zu erklären. Dafür ist sie zu substantiell.

eom

aligaga
 

James Blond

Mitglied
Was darf Satire?

Pardon, wenn ich mich spät, aber mit Freuden in diesen netten Disput über Satire einmische, aber es scheint mir angebracht, hier einmal über Satire nachzudenken, über ihre Qualitäten und Grenzen.

Um mit dem letzteren zu beginnen, leite ich die Frage, was Satire darf, an Kurt Tucholsky weiter, der seinerzeit darauf eine recht klare Antwort gefunden hatte: Alles!. (Für alle Satiriker ein lesenswerter Artikel.)

Wie man an dem hier vorliegenden Disput leicht erkennen kann, hat sich die Frage nach der Legitimität von Satire inzwischen keineswegs verflüchtigt, sondern nur verschoben. Was zu Tucholskys Zeiten als politisch unbotmäßig galt, mag heute überwunden scheinen, doch entstanden im Bereich der political correctness neue Tabuzonen, von denen Tucholzky sicher nichts geahnt hatte; die Mohammed-Karikaturen mögen hierfür ein Beispiel sein.

Wo es (nur) um den Bart eines Propheten geht, mag die schweigende Mehrheit sich noch ihrer Toleranz versichern, wenn es um Kinder als Zielscheibe des Spotts geht, dann klingeln allerorts die Alarmglocken. Zählen Kinder, anders als zu Tucholskys Zeiten, doch mittlerweile zu den indigenen Stämmen, die als schützenswerte Minderheiten auch vor Angriffen verbalen Spottes zu schützen sind.

So jedenfalls verstehe ich die hier geäußerte Kritik an dieser Satire, die in dem Wort "Häme" kulminiert:
Ich sehe in diesem Text keine wie immer geartete "Humoreske", sondern Häme.
Doch stimmt der Vorwurf der Häme auch? Häme ist eine besondere Form von Spott, die einem bereits Geschädigten der öffentlichen Lächerlichkeit preisgibt, indem sie sein Missgeschick zum Anlass nimmt.

Von einer tatsächlichen Blamage ist hier allerdings keine Rede, die aufführenden Kinder werden wohlwollend beklatscht und das LyrIch behält seine Gedanken für sich, um sie anschließend einem Text anzuvertrauen, der mehr als subjektives Bekenntnis zu lesen ist, denn als ein Artikel aus dem Feuilleton des städtischen Käseblatts.

Nein, um Häme handelt es sich hier gewiss nicht, sondern um eine selbstironische Betrachtung eines Rituals, von dessen pädagogischer Fadenscheinigkeit und elterlicher Eitelkeit sich der Protagonist keineswegs ausnimmt. Er stellt seine eigene Wahrnehmung und somit sich selbst als in besonderem Maße vom elterlichen Stolz infiziert dar. Doch indem er den Mut aufbringt, sich zu seinen wahren Gedanken zu bekennen, durchleuchtet er zugleich das Prinzip dieser Veranstaltung, deren Hintergrund die pädagogische Lüge ist: "Du warst großartig, Kleines!"

Dies aber ist genau der Ansatz von Satire, sich einen Weg zur Wahrheit hinter die Fassaden zu bahnen, notfalls mit schmerzlicher Offenheit und ehrlicher Direktheit.

Deinem Prot fehlt die schützende Distanz und die Toleranz, die gutwillige, aber ungeschickte Kinder immer wieder bei den Erwachsenen einfordern.
Gutwillige wie ungeschickte Kinder mögen diese Dinge einfordern, für die Satire hingegen wäre dies der Untergang.

JB
 
A

aligaga

Gast
Die Frage, was Satire "darf" oder "nicht darf", hat außer dir hier niemand gestellt, James. Dass Satire so gut wie alles "darf", ist längst Allgemeinplatz. Sie "darf" auch den lieben Gott veräppeln.

Hier ging's darum, wann eine Satire wirklich eine, und wann sie eine gute ist.

Die hier ist deshalb keine gute, hab ich versucht zu erklären, weil ihr Protagonist sich unfreiwillig selbst zum Deppen macht, indem er sich lediglich am Dilettantismus der Kleinen gütlich tut.

Wenn das da zum Beispiel:
Eine Erstklässlerin steht nun vorne, und mein Herz rutscht mir in die Hose. Der pure Horror erwartet uns. Sie spielt Geige. Oder sagen wir: Sie hält eine Geige in der Hand, und sie wird sie in den nächsten Sekunden malträtieren. Hoffentlich ist das Stück kurz. Abermals denke ich über meine bisherigen Sünden nach. Geige ist entsetzlich. Geigenspiel müsste polizeilich verboten werden. Zumindest für Kinder. Geige spielende Kinder sind die Geißel des Gehörganges. Und dieses Mädchen ist keine Ausnahme. Ich schwitze noch mehr, dehydriere. Nicht nur wegen der Wärme, sondern auch wegen des Kraches, den die Kleine da anrichtet. Hätte sie diese Geige doch niemals in die Hand genommen…
oder:
Vier Mittelstufenschüler spielen ein Beethovenquartett. Zwei Geigen, Bratsche, Cello. Ich kenne das Stück nicht. Ich bin allerdings auch kein Musiker. Dennoch: Ich bin sicher, Beethoven könnte man nach dieser Performance als Tunnelfräse einsetzen, so muss er in seinem Grab rotieren. Das Publikum klatscht, und irgendjemand jubelt sogar „Bravo!“ Es ist bestimmt die Mutter eines der akustischen Verbrecher. Genetisch dazu verpflichtete Claqueure.
kein Häme sein soll, nota bene eine von der billigsten Sorte, dann weiß ich nicht.

Sorry – eine gute Satire fängt da an, wo das blinde Herumprügeln dem erkennbar gezielten Stich weicht. Dieser Autor hat alles im gleichen Sack stecken; er zeigt sich dem Leser als einer, der undifferenziert zuhaut und damit etwas produziert, das keineswegs besser klingt als das, was er verteufelt.

Ich wiederhole:
D(ein)em Prot fehlt die schützende Distanz und die Toleranz, die gutwillige, aber ungeschickte Kinder immer wieder bei den Erwachsenen einfordern. Wer sich so extrem selbst darstellt wie der Erzähler, wirkt - zumindest aus meiner Sicht - nicht komisch. Natürlich kann man sich über die Patzerei der Kinder lustig machen, und natürlich darf man bei der eigenen Brut subjektiv sein. Mir fehlt das zwinkernde Auge des wirklich Überlegenen, der die Größe hätte, hinter dem Lärm das Bemühen zu erkennen.
Und deshalb ist es eine schlechte Satire. Sie geht, wie weiter oben schon einmal gesagt, nach hinten los. Und sowas endet für den Autor meist mausetödlich …

Gruß

aligaga
 

James Blond

Mitglied
Lieber aligaga!
Wenn das da zum Beispiel:[...] oder: [...]
kein Häme sein soll, nota bene eine von der billigsten Sorte, dann weiß ich nicht.
Ich habe Dir (m)eine Defintion von Häme geliefert und nach der Schadenfreude gefragt, die dazu gehört. Doch wo ist hier der Schaden oder die Hinterhältigkeit? Ich kann beides in Deinen Zitaten nicht finden. Die musizierenden Kinder werden ja nicht öffentlich ausgelacht, sondern im Stillen bedacht. Es liegt demnach kein Schaden vor, über den sich jemand lustig macht. Der einzige beschriebene Schaden entsteht im Gehör des Protagonisten und seine Gedanken sind wohl eher Ausdruck von Gereiztheit, als dass sie ernsthafte Urteile über musikalischen Fähigkeiten abgäben.

Genetisch verpflichtete Claqueure
Eine großartige Formulierung!
Die hier ist deshalb keine gute, hab ich versucht zu erklären, weil ihr Protagonist sich unfreiwillig selbst zum Deppen macht, indem er sich lediglich am Dilettantismus der Kleinen gütlich tut.
Das stimmt so nicht.
Der Protagonist tut sich nicht am Dilettantismus gütlich, sondern er leidet offensichtlich darunter und fasst sein Leiden in Worte. Und er spottet über die offensichtliche Diskrepanz zwischen den bescheidenen Leistungen der Kleinen und ihrem zwanghaft begeisterten Publikum. Er geht hier niemandem persönlich an den Kragen, sondern kehrt lediglich das Hohle solcher Schulveranstaltungen heraus.

Die Frage, was eine Satire darf, ist über ein Verbot hinaus zugleich auch eine Frage nach ihrer Qualität. In Deiner Kritik klingt ja wiederholt an, dass gutwillige, aber ungeschickte Kinder niemals zur Zielgruppe einer "guten" Satire gehören dürfen. Warum der Autor einer Satire stets Größe und ein überlegenes Auge zu bewahren hat, ist mir allerdings nicht plausibel. Hier passiert genau das Gegenteil: Er begibt sich mitsamt seinen elterlichen Vorurteilen, mit seiner Gereiztheit, seinen Aversionen und Antipathien in das Spiel. Er steht eben nicht allwissend über dem Geschehen, sondern zeigt freimütig seine eigene Beschränktheit, seinen eigenen Elternpart. Und dies geht, für mich jedenfalls, voll nach vorne los: Ich habe über soviel absurdes Theater schmunzeln können, gerade weil es in übertriebener Weise eine Wahrheit berührt, die sonst pädagogisch schamvoll verschwiegen wird.

JB
 



 
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