DDR skurril

DDR skurril

Mitbürger, denen das unmenschliche System allzu übel mitgespielt hat, sollten den folgenden Beitrag besser nicht lesen.
Aber es gab ihn doch, den „Humor im Sozialismus“, sogar bei Polizeibehörden. Als ich mich wegen Einreiseformalitäten bei einer solchen zu melden hatte, begrüßte mich der Diensthabende freudestrahlend mit den Worten „Ach, wieder mal Besuch vom Klassenfeind!“ Zwei ehemalige Klassenkameraden waren sich begegnet. Und dann unterhielten sie sich über alte Zeiten. „Du kannst hier frei von der Leber weg erzählen. Hier gibt es keine Wanzen“, erklärte mir mein Gegenüber.
Ein andermal wurde ich Zeuge einer Zollkontrolle. Ein Sack mit Kartoffeln war auf dem Weg in den Westen, sehr zum Erstaunen des Kontrolleurs. „Gibt’s denn bei euch drüben nicht mal Kartoffeln zu fressen?“ „Doch, doch, aber nicht solche schönen“. Ein breites Grinsen war die Antwort. Die gelobten Erdäpfel waren gut angekommen.

Und hier noch einige andere, mehr oder weniger lustige Begebenheiten:

Schnapsdrosseln
Wieder einmal habe ich mir für den obligatorischen Umtausch von 25 DM/Tag einen Aufenthalt in meiner thüringischen Heimatstadt erkauft.
Wieder einmal mache ich einen Bummel durch die Hauptgeschäftsstraße und verirre mich in einen kleinen Laden, vermutlich ein Privatgeschäft. Ich wundere mich, dass überhaupt geöffnet ist.
Überall gähnende Leere in den Regalen. Nun ja, ein paar Konserven mit volkseigenem Pflaumenmus und einige Packungen Knäckebrot stehen da herum; auch ein paar Gläser Honig sind im Angebot - wobei sich bei näherem Hinsehen herausstellt, dass sicher nur wenige Bienen an der Produktion teilgenommen haben.
Auf einen Nenner gebracht - Trostlosigkeit pur.
Auf einmal fröhliches Lachen eintretender junger Frauen, die noch lustiger werden, als sie sich in das vorhandene Sortiment vertiefen. Eine studiert die Aufschrift der Knäckebrotpackungen und stellt anerkennend fest, dass es sich um ein schwedisches Fabrikat handelt. Weltoffener Sozialismus.
Dennoch kommen die Damen nicht auf ihre Kosten, bis ..., ja, bis sie eine Kiste mit Mini-Wodkafläschchen entdecken, die mir entgangen war. Jede greift sich eins, und dann ruft eine:
"Komm, Briederrchen trink!"
Fröhlich nuckeln die "Briederrchen" ihre Fläschchen leer und zahlen...


Politische Schulung
Irgendwann hatten sich die Genossen etwas Besonderes einfallen lassen. Wenn man den Klassenfeind schon einreisen ließ, dann sollte die Partei wenigstens Nutzen daraus ziehen. Die Kader
mussten ja ständig geschult werden, und so bot es sich an, die Bürger der Bundesrepublik, wie meine Frau und mich, zu zwanglosen Gesprächen einzuladen, um an ihnen die Schlagkraft sozialistischer Argumente zu erproben. Die Gespräche waren in der Tat zwanglos, da sie hinter verschlossenen Türen stattfanden.
Mit Freude erlebten wir einmal, wie die gute Argumentation "eines Westbürgers" die Strategen in Bedrängnis brachte. Als sich einer von ihnen in eindeutige Widersprüche verwickelte, bemerkten wir, wie ihm sein Nachbar auf den Fuß trat und ihm ein deutlich vernehmbares "den übernehme ich" zuzischte.
Wieweit die abgeschirmte freie Meinungsäußerung für die Eingeladenen Konsequenzen hatte, weiß ich nicht. Auf jeden Fall war es ratsam, die Einladungen anzunehmen, wenn man vermeiden wollte, nicht wieder einreisen zu dürfen.


Leipziger Allerlei
Ich warte auf die Abfahrt des Zuges nach Grimma, wo ich meine Schwester besuchen will. Noch bin ich der einzige im Wagen.
Mittagszeit. Auf Mitteldeutschlands größtem Bahnhof herrscht eine ungewöhnliche Ruhe.
Plötzlich lautes Lachen, und der Wagen wird gestürmt von einer ganzen Horde junger, überwiegend vollschlanker Damen. Hübsch sind sie fast alle; einige haben etwas auffällige runde Gesichter - und sie sprechen nicht meine Sprache.
Ihr umfangreiches Gepäck verstaut die kichernde Gesellschaft nicht etwa auf den dafür vorgesehenen Ablagen - nein, nun beginnt man damit, sich gegenseitig die in Leipziger Kaufhäusern ergatterten Schätze vorzuführen.
Pullis werden ausgepackt. Eine der Einkäuferinnen probiert, ob ihr der Pulli der Nachbarin steht (ich meine für mich "ja", die Angesprochene scheint eher zu meinen "nein").
Nun fangen sie an, sich gegenseitig ihre neuerworbenen Kopftücher umzubinden. Ein herrlich fröhlicher Kindergarten.
Und dann schwingt Nina - ihren Vornamen habe ich irgendwie mitbekommen - eine Grubenlampe, besser gesagt, eine stilisierte Nachbildung aus Messing. Die anderen fangen an, im Takt der schwingenden "Lampe" liederliche Lieder zu singen. Ein wahrlich ausgeflippter Weiberhaufen.
Irgendwann legen die Kichererbsen eine Verschnaufpause ein - Ruhe vor dem Sturm. Denn jetzt werden die eindeutigen Knüller der Schnäppchenjagd hervorgeholt:

Überdimensional große bunte Wecker.

Nichts liegt näher, als diese auch rasseln zu lassen. Mein Gegenüber - ja, die Rasselbande ist mir tatsächlich auf den Pelz gerückt - hält mir strahlend ihren Radaumacher entgegen. Amüsiert und doch verlegen, lasse ich den Annäherungsversuch über mich ergehen.
Inzwischen ist der Zug längst abgefahren. Die Damen, mit größter Wahrscheinlichkeit Frauen russischer Offiziere, sind allmählich ruhiger geworden.
Schade, bei der übernächsten Haltestation verlassen sie mich. Mein Gegenüber lächelt mir noch einmal zu.

GESCHEHNISSE AN DER BERLINER SEKTORENGRENZE

Cello(?) auf Reisen
Als ich das S-Bahn-Abteil besteige, traue ich meinen Augen nicht. Meine Aufmerksamkeit gilt einem Cello-Kasten, der von schweren Eisenketten umhüllt, mit einer weiteren Kette an eine Sitzbank gefesselt ist.
Ob da wirklich ein Cello drin ist?
Der Zug fährt in die letzte Station vorm West-Sektor ein. Aus sich überschlagenden Lautsprechern schallen fast unverständliche Verhaltensanweisungen an die Fahrgäste, und schon betreten die Kontrolleure das Abteil. Sie scheinen nicht zu glauben, was sie sehen. Woher jetzt eine Beißzange zum Knacken der Ketten nehmen? Die Frage nach der Begleitperson des Cellos(?) wird erst gar nicht gestellt. Die sitzt sowieso in einem anderen Wagen und lässt es "einfach drauf ankommen".
An diesem Tage ist Hochbetrieb auf der Strecke. Zu den Kontrolleuren gesellen sich zwei Bahnbedienstete, die aufgeregt auf die bereits eingetretene Verspätung hinweisen. Die Aussichtslosigkeit ihres Bemühens einsehend, verlassen die Vertreter der Staatsgewalt wutschnaubend das Abteil. Ich hatte schon befürchtet, dass diese in einem Anfall von Vandalismus den Cello-Kasten zertreten würden, aber so weit hatte Gott sei Dank nur ich gedacht. Bei alledem entgeht mir nicht der schadenfrohe Blick des einen Bahnbediensteten. Auch ein Verräter am Sozialismus.
Heute tut es mir leid, dass ich schon kurz nach der Sektorengrenze ausgestiegen bin. Ich hätte zu gern den Besitzer der geheimnisvollen Fracht kennengelernt.


Gelbe Ameisen
Bahnhof Friedrichstraße. Ich erwarte meinen Schwager an Gleis 1 - und wundere mich, dass sich dort außer mir keiner weiter aufhält. Der Schwager hat mir seine Ankunftszeit telefonisch durchgegeben, ich habe elf Uhr verstanden, zwölf Uhr hat er aber gesagt.
Ärgerlich. Während ich noch überlege, wie ich die Wartezeit überbrücke, eine Lautsprecherdurchsage:
"An Gleis 1 hat Einfahrt der Sonderzug aus Moskau".
Es sind aber keine Russen, die jetzt aussteigen. Was sich da über den Bahnsteig ergießt, ist eine quirlige Masse von Hunderten von Chinesen, von denen ich mich im Handumdrehen regelrecht umzingelt fühle. Sie sind zu irgendeiner sozialistischen Feier angereist, und aus diesem Anlass trägt jeder der Ankömmlinge ein nicht zu übersehendes blechernes Abzeichen, das Josef Stalin darstellt.
Dessen Ansehen hatte zwar zum damaligen Zeitpunkt schon erheblich gelitten, aber in Pekingwarer noch nicht abgemeldet.


Die Schmugglerin
Schauplatz der Begebenheit ist eine Handlung für Laborglasgeräte, Nähe Potsdamer Platz, im Ostsektor.
Ich bin heute das zweite Mal hier, kann nicht ahnen, dass es auch das letzte Mal sein würde.
Da man mich neulich nicht nach meinem Ausweis fragte, glaube ich, bei dieser Adresse weiterhin meine dunklen Geschäfte ungestraft tätigen zu können (dunkel in Anbetracht illegal 1:4 umgetauschter Westmark).
Ich lege der Verkäuferin eine umfangreiche Liste der von mir benötigten Glasgeräte vor. An der Länge meiner Liste erkennt die Dame sofort, dass es sich bei dem Einkäufer um einen armen Chemiestudenten aus dem Westsektor handelt, der sich einen vergleichbaren Einkauf im Geltungsbereich der Westmark gar nicht hätte leisten können. Glücklicherweise ist keine weitere Kundschaft im Laden; trotzdem werden möglichst wenig Worte gewechselt. Man versteht sich, abgesehen von einigen schnell geklärten technischen Detailfragen.
Ich bitte darum, den gepackten und verschnürten Riesenkarton erst einmal stehenlassen zu dürfen. Er würde in ein paar Stunden von einer Bekannten abgeholt.
Die "Bekannte", - meine damalige Freundin Christa, die Nichte zweiten Grades meiner Tante Grete - hatte mir klargemacht, dass ich mit meiner ständig schuldbewussten Miene keinerlei Chancen haben würde, ungeschoren über die Sektorengrenze zurückzukommen.
Sie hat das Problem mühelos gemeistert.
Ein halbes Jahr später stand die Mauer. - Zwei Tage vor der Vollsperrung der Sektorengrenze erlitt ich einen herben Verlust:

Der abgehauene Drahtesel
Am 11.8.1961 treffe ich mich mit meinem in Ostberlin studierenden Bruder zum Kaffeetrinken bei unserer Tante Leni in Berlin-Britz.- Im Laufe unserer Unterhaltung fragt mich mein Bruder, ob er sich mal für ein paar Tage mein Fahrrad ausleihen dürfe ...
Erst zehn Jahre später habe ich den inzwischen arg mitgenommenen Drahtesel wiedergesehen.
 
DDR skurril

Mitbürger, denen das unmenschliche System allzu übel mitgespielt hat, sollten den folgenden Beitrag besser nicht lesen.
Aber es gab ihn doch, den „Humor im Sozialismus“, sogar bei Polizeibehörden. Als ich mich wegen Einreiseformalitäten bei einer solchen zu melden hatte, begrüßte mich der Diensthabende freudestrahlend mit den Worten „Ach, wieder mal Besuch vom Klassenfeind!“ Zwei ehemalige Klassenkameraden waren sich begegnet. Und dann unterhielten sie sich über alte Zeiten. „Du kannst hier frei von der Leber weg erzählen. Hier gibt es keine Wanzen“, erklärte mir mein Gegenüber.
Ein andermal wurde ich Zeuge einer Zollkontrolle. Ein Sack mit Kartoffeln war auf dem Weg in den Westen, sehr zum Erstaunen des Kontrolleurs. „Gibt’s denn bei euch drüben nicht mal Kartoffeln zu fressen?“ „Doch, doch, aber nicht solche schönen“. Ein breites Grinsen war die Antwort. Das Löb auf die sozialistischen Erdäpfel war gut angekommen.

Und hier noch einige andere, mehr oder weniger lustige Begebenheiten:

Schnapsdrosseln
Wieder einmal habe ich mir für den obligatorischen Umtausch von 25 DM/Tag einen Aufenthalt in meiner thüringischen Heimatstadt erkauft.
Wieder einmal mache ich einen Bummel durch die Hauptgeschäftsstraße und verirre mich in einen kleinen Laden, vermutlich ein Privatgeschäft. Ich wundere mich, dass überhaupt geöffnet ist.
Überall gähnende Leere in den Regalen. Nun ja, ein paar Konserven mit volkseigenem Pflaumenmus und einige Packungen Knäckebrot stehen da herum; auch ein paar Gläser Honig sind im Angebot - wobei sich bei näherem Hinsehen herausstellt, dass sicher nur wenige Bienen an der Produktion teilgenommen haben.
Auf einen Nenner gebracht - Trostlosigkeit pur.
Auf einmal fröhliches Lachen eintretender junger Frauen, die noch lustiger werden, als sie sich in das vorhandene Sortiment vertiefen. Eine studiert die Aufschrift der Knäckebrotpackungen und stellt anerkennend fest, dass es sich um ein schwedisches Fabrikat handelt. Weltoffener Sozialismus.
Dennoch kommen die Damen nicht auf ihre Kosten, bis ..., ja, bis sie eine Kiste mit Mini-Wodkafläschchen entdecken, die mir entgangen war. Jede greift sich eins, und dann ruft eine:
"Komm, Briederrchen trink!"
Fröhlich nuckeln die "Briederrchen" ihre Fläschchen leer und zahlen...


Politische Schulung
Irgendwann hatten sich die Genossen etwas Besonderes einfallen lassen. Wenn man den Klassenfeind schon einreisen ließ, dann sollte die Partei wenigstens Nutzen daraus ziehen. Die Kader
mussten ja ständig geschult werden, und so bot es sich an, die Bürger der Bundesrepublik, wie meine Frau und mich, zu zwanglosen Gesprächen einzuladen, um an ihnen die Schlagkraft sozialistischer Argumente zu erproben. Die Gespräche waren in der Tat zwanglos, da sie hinter verschlossenen Türen stattfanden.
Mit Freude erlebten wir einmal, wie die gute Argumentation "eines Westbürgers" die Strategen in Bedrängnis brachte. Als sich einer von ihnen in eindeutige Widersprüche verwickelte, bemerkten wir, wie ihm sein Nachbar auf den Fuß trat und ihm ein deutlich vernehmbares "den übernehme ich" zuzischte.
Wieweit die abgeschirmte freie Meinungsäußerung für die Eingeladenen Konsequenzen hatte, weiß ich nicht. Auf jeden Fall war es ratsam, die Einladungen anzunehmen, wenn man vermeiden wollte, nicht wieder einreisen zu dürfen.

Erika sei Dank
Und wieder mal war ich eingereist, diesmal mit meiner Spiegelreflexkamera. Ich hatte sie auch ordnungsgemäß bei den „mitgeführten Artikeln“ angegeben.
Bei der Ausreise gab es Schwierigkeiten. „Bitte einen Beleg, dass Sie die Kamera im Westen erworben haben“, hieß es. Den Apparat hatte mir mein Schwager in Kiel zum Geburtstag geschenkt. Einen Kaufbeleg habe ich nie gesehen. Die beiden Kontrolleurinnen beratschlagten. Die Kamera war ein DDR-Fabrikat und eine Ausfuhr nur mit Sondergenehmigung gestattet. Darüber hatte ich mir bei der Einreise keine Gedanken gemacht. Die eine der Damen hatte Mitleid mit mir, die andere wollte den Apparat beschlagnahmen. Schließlich setzte sich die Gutmütigere durch. „Erika, das nimmst Du auf Deine Kappe“, schimpfte die andere. Ich behielt meine Kamera.


Leipziger Allerlei
Ich warte auf die Abfahrt des Zuges nach Grimma, wo ich meine Schwester besuchen will. Noch bin ich der einzige im Wagen.
Mittagszeit. Auf Mitteldeutschlands größtem Bahnhof herrscht eine ungewöhnliche Ruhe.
Plötzlich lautes Lachen, und der Wagen wird gestürmt von einer ganzen Horde junger, überwiegend vollschlanker Damen. Hübsch sind sie fast alle; einige haben etwas auffällige runde Gesichter - und sie sprechen nicht meine Sprache.
Ihr umfangreiches Gepäck verstaut die kichernde Gesellschaft nicht etwa auf den dafür vorgesehenen Ablagen - nein, nun beginnt man damit, sich gegenseitig die in Leipziger Kaufhäusern ergatterten Schätze vorzuführen.
Pullis werden ausgepackt. Eine der Einkäuferinnen probiert, ob ihr der Pulli der Nachbarin steht (ich meine für mich "ja", die Angesprochene scheint eher zu meinen "nein").
Nun fangen sie an, sich gegenseitig ihre neuerworbenen Kopftücher umzubinden. Ein herrlich fröhlicher Kindergarten.
Und dann schwingt Nina - ihren Vornamen habe ich irgendwie mitbekommen - eine Grubenlampe, besser gesagt, eine stilisierte Nachbildung aus Messing. Die anderen fangen an, im Takt der schwingenden "Lampe" liederliche Lieder zu singen. Ein wahrlich ausgeflippter Weiberhaufen.
Irgendwann legen die Kichererbsen eine Verschnaufpause ein - Ruhe vor dem Sturm. Denn jetzt werden die eindeutigen Knüller der Schnäppchenjagd hervorgeholt:

Überdimensional große bunte Wecker.

Nichts liegt näher, als diese auch rasseln zu lassen. Mein Gegenüber - ja, die Rasselbande ist mir tatsächlich auf den Pelz gerückt - hält mir strahlend ihren Radaumacher entgegen. Amüsiert und doch verlegen, lasse ich den Annäherungsversuch über mich ergehen.
Inzwischen ist der Zug längst abgefahren. Die Damen, mit größter Wahrscheinlichkeit Frauen russischer Offiziere, sind allmählich ruhiger geworden.
Schade, bei der übernächsten Haltestation verlassen sie mich. Mein Gegenüber lächelt mir noch einmal zu.

GESCHEHNISSE AN DER BERLINER SEKTORENGRENZE

Cello(?) auf Reisen
Als ich das S-Bahn-Abteil besteige, traue ich meinen Augen nicht. Meine Aufmerksamkeit gilt einem Cello-Kasten, der von schweren Eisenketten umhüllt, mit einer weiteren Kette an eine Sitzbank gefesselt ist.
Ob da wirklich ein Cello drin ist?
Der Zug fährt in die letzte Station vorm West-Sektor ein. Aus sich überschlagenden Lautsprechern schallen fast unverständliche Verhaltensanweisungen an die Fahrgäste, und schon betreten die Kontrolleure das Abteil. Sie scheinen nicht zu glauben, was sie sehen. Woher jetzt eine Beißzange zum Knacken der Ketten nehmen? Die Frage nach der Begleitperson des Cellos(?) wird erst gar nicht gestellt. Die sitzt sowieso in einem anderen Wagen und lässt es "einfach drauf ankommen".
An diesem Tage ist Hochbetrieb auf der Strecke. Zu den Kontrolleuren gesellen sich zwei Bahnbedienstete, die aufgeregt auf die bereits eingetretene Verspätung hinweisen. Die Aussichtslosigkeit ihres Bemühens einsehend, verlassen die Vertreter der Staatsgewalt wutschnaubend das Abteil. Ich hatte schon befürchtet, dass diese in einem Anfall von Vandalismus den Cello-Kasten zertreten würden, aber so weit hatte Gott sei Dank nur ich gedacht. Bei alledem entgeht mir nicht der schadenfrohe Blick des einen Bahnbediensteten. Auch ein Verräter am Sozialismus.
Heute tut es mir leid, dass ich schon kurz nach der Sektorengrenze ausgestiegen bin. Ich hätte zu gern den Besitzer der geheimnisvollen Fracht kennengelernt.


Gelbe Ameisen
Bahnhof Friedrichstraße. Ich erwarte meinen Schwager an Gleis 1 - und wundere mich, dass sich dort außer mir keiner weiter aufhält. Der Schwager hat mir seine Ankunftszeit telefonisch durchgegeben, ich habe elf Uhr verstanden, zwölf Uhr hat er aber gesagt.
Ärgerlich. Während ich noch überlege, wie ich die Wartezeit überbrücke, eine Lautsprecherdurchsage:
"An Gleis 1 hat Einfahrt der Sonderzug aus Moskau".
Es sind aber keine Russen, die jetzt aussteigen. Was sich da über den Bahnsteig ergießt, ist eine quirlige Masse von Hunderten von Chinesen, von denen ich mich im Handumdrehen regelrecht umzingelt fühle. Sie sind zu irgendeiner sozialistischen Feier angereist, und aus diesem Anlass trägt jeder der Ankömmlinge ein nicht zu übersehendes blechernes Abzeichen, das Josef Stalin darstellt.
Dessen Ansehen hatte zwar zum damaligen Zeitpunkt schon erheblich gelitten, aber in Pekingwarer noch nicht abgemeldet.


Die Schmugglerin
Schauplatz der Begebenheit ist eine Handlung für Laborglasgeräte, Nähe Potsdamer Platz, im Ostsektor.
Ich bin heute das zweite Mal hier, kann nicht ahnen, dass es auch das letzte Mal sein würde.
Da man mich neulich nicht nach meinem Ausweis fragte, glaube ich, bei dieser Adresse weiterhin meine dunklen Geschäfte ungestraft tätigen zu können (dunkel in Anbetracht illegal 1:4 umgetauschter Westmark).
Ich lege der Verkäuferin eine umfangreiche Liste der von mir benötigten Glasgeräte vor. An der Länge meiner Liste erkennt die Dame sofort, dass es sich bei dem Einkäufer um einen armen Chemiestudenten aus dem Westsektor handelt, der sich einen vergleichbaren Einkauf im Geltungsbereich der Westmark gar nicht hätte leisten können. Glücklicherweise ist keine weitere Kundschaft im Laden; trotzdem werden möglichst wenig Worte gewechselt. Man versteht sich, abgesehen von einigen schnell geklärten technischen Detailfragen.
Ich bitte darum, den gepackten und verschnürten Riesenkarton erst einmal stehenlassen zu dürfen. Er würde in ein paar Stunden von einer Bekannten abgeholt.
Die "Bekannte", - meine damalige Freundin Christa, die Nichte zweiten Grades meiner Tante Grete - hatte mir klargemacht, dass ich mit meiner ständig schuldbewussten Miene keinerlei Chancen haben würde, ungeschoren über die Sektorengrenze zurückzukommen.
Sie hat das Problem mühelos gemeistert.
Ein halbes Jahr später stand die Mauer. - Zwei Tage vor der Vollsperrung der Sektorengrenze erlitt ich einen herben Verlust:

Der abgehauene Drahtesel
Am 11.8.1961 treffe ich mich mit meinem in Ostberlin studierenden Bruder zum Kaffeetrinken bei unserer Tante Leni in Berlin-Britz.- Im Laufe unserer Unterhaltung fragt mich mein Bruder, ob er sich mal für ein paar Tage mein Fahrrad ausleihen dürfe ...
Erst zehn Jahre später habe ich den inzwischen arg mitgenommenen Drahtesel wiedergesehen.
 



 
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