Déjà Vu

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poppins

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Déjà Vu


„Mama, was wünschst Du Dir zu Weihnachten? “

Erwartungsvoll blickt mich meine Tochter an. Ich lege den Pinsel beiseite. Erinnerungen werden wach, ich fühle mich um 30 Jahre zurückgeworfen - meine Geschwister und ich stellten meiner Mutter die selbe Frage, jedes Jahr ...
Und was antwortete sie? Jedes Jahr das Gleiche.

„Kinder, ich wünsche mir nur, dass Ihr schön artig seid und dass wir alle gesund bleiben.“

Wie ich diesen Spruch hasste. Denn natürlich wurde von uns Kindern etwas mehr erwartet, als gesund zu bleiben und artig zu sein. Nur SAGTE sie das nie. Ein Mal nahm ich sie beim Wort – nie werde ich ihren waidwunden Blick vergessen, als ich mit leeren Händen erklärte, dieses Jahr wunschgemäß artig und gesund bleiben zu wollen.
Nein, wir durften uns stunden-, tage-, wochenlang den Kopf über eine akzeptable Liebesgabe zerbrechen. Vollkommen undenkbar war es, einfach in ein Kaufhaus zu marschieren und etwas Nettes zu kaufen. Viel zu einfach, lieblos, pfui. Wir hatten gefälligst kreativ zu sein. Wer liebt, muss leiden. Und schwitzen.
Also etwas basteln oder malen.

Unser Heim war ein Bastlerparadies. Meine Mutter warf nur weg, was sonst üble Gerüche produziert hätte. Sie wusch jeden leergegessenen Joghurtbecher, jede Weißblechdose und jedes Marmeladenglas sorgfältig aus, „... man könnte das schließlich alles noch mal brauchen“... Auch von leeren Klopapierrollen, Garnspulen, Eierkartons und sogar abgelutschten Eis-am-Stiel-Stielen trennte sie sich nicht. Jedenfalls nicht, bevor da irgendetwas draus gebastelt wurde. "Buchenholz! Das ist ECHTES Buchenholz!!" Ergänzt wurde das Ganze noch von verschiedenen Bastelpapiersorten in allen Regenbogenfarben, Pfeifenreinigern, Stoff- und Filzresten, und alten Kerzenstummeln zum Einschmelzen.

Fast ein ganzes Jahrzehnt erschöpfte sich meine Kreativität in der Herstellung von Windlichtern aus alten Marmeladengläsern, bemalt mit zur Jahreszeit passenden, stimmungsvollen Motiven.

„He, sind das mutierte Ochsenfrösche, die von einer Rakete verfolgt werden?“

Halt die Klappe. Brüder. Meine Mutter fand den Rentierschlitten natürlich wunderschön. Wie schon den Engel vom Vorjahr, ebenso wie den Tannenbaum, den Weihnachtsmann, den Stern von Bethlehem und all die anderen.

Das Haus füllte sich langsam mit Skulpturen aus Eierpappen, Klopapierrollen und Pappmaché, wir könnten heute zwei bis drei Weihnachtsbäume komplett mit Schmucksternen aus vergoldeten Eis-am-Stiel-Stielen dekorieren.
Wenn wir alle je aus Joghurtbechern und Marmeladegläsern hergestellten Windlichter abends im Garten aufreihen und anzünden würden, fänden wir uns womöglich mit einer Boeing 747 im direkten Landeanflug konfrontiert...

„He, sind das verstrahlte Pokémons, die vom Knight Rider verfolgt werden?“ Meine Tochter deutet auf das vor mir stehende leere Marmeladenglas mit noch unvollendeter, stimmungsvoller, weihnachtlicher Bemalung.

Ich lächle mild. Schließlich weihnachtet es.

„Was wünschst Du Dir denn nun zu Weihnachten, Mama?“

Ungeduldig hüpft sie von einem Bein aufs andere. Ich räume schweigend die restlichen Joghurtbecher und Marmeladengläser zurück in den Schrank, fange die mir entgegenkommende Lawine Klopapierrollen gerade noch rechtzeitig auf und stopfe den in Bewegung geratenen Stapel Stoffreste in die große Schublade.

„Sag’ schon, Mama!“

Mein ist die Rache ... wispert es in meinem Hinterkopf. Halt die Klappe da hinten, jetzt bin ich dran.

„Kind, ich wünsche mir ...“
 



 
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