Der Beobachter - 1

Lars Lang

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Der Beobachter – Teil 1

Bewegung ist gut. Bewegung bedeutet Veränderung. Etwas lebt und steht nicht still. Manchmal reicht ein kleiner Windstoß. Schon bewegt sich ein Rock oder eine Haarsträhne. Zeigt dir schöne Beine oder verdeckt ein Gesicht. Wie schon so oft, wie damals, als alles anders wurde – alles begann…
Ich schließe die Augen und bin wieder bei ihr…
Wie kann sie nur all die vielen Bestellungen scheinbar gleichzeitig erfüllen? Sie eilt schon eine gefühlte Ewigkeit hinter ihrem Tresen hin und her, kocht, kassiert und verpackt. Sie ist Asiatin, was ihren Fleiß und ihre Tüchtigkeit erklärt, rede ich mir ein, obwohl ich weiß, dass dies ein Klischee ist – auch ihre Frisur ist typisch asiatisch: ein großer, scheinbar achtlos aufgesteckter Haarknoten, in dem irgendwo eine dieser großen Plastikklammern steckt, aus dem sich nun Strähne für Strähne löst, während sie sich immer wieder schwungvoll von ihren Kochplatten zur Kasse und zurück dreht. Haben es die anderen Leute nicht gesehen? Jeder nimmt grußlos sein Futter in Empfang und verlässt den kleinen Imbiss, als hätte er ein Ziel. Ich hingegen würde mir – selbst wenn ich vollkommen satt wäre - immer wieder etwas bestellen, nur damit ihr das schwere, schwarze Haar, dessen Länge ich immer noch nicht genau abschätzen kann, langsam weiter aus dem Dutt rutscht, der heute Morgen sicher einmal fest und korrekt ausgesehen hat, und ich dabei in ihrer Nähe sein darf - die Bewegung genießen und ihr nicht die Möglichkeit geben, mit wenigen geübten Handgriffen die ehemals mehr praktische als schöne Frisur wiederherzustellen.

Ich frage sie zwischendurch nach einer Serviette, nur damit sie sich noch einmal dreht, und sie tut mir diesen Gefallen. Sie lächelt, trotz all der Eile, zeigt mir ihre strahlend weißen Zähne und deutet auf die andere Seite des Tresens, wo ich die Servietten längst entdeckt habe. Nur kurz treffen sich unsere Blicke und mir fällt auf, dass ihre Augen erstaunlich groß und rund sind und nicht die für Asiaten typische Form haben. Ich lächle entschuldigend zurück und frage mich gleichzeitig, wie ich sie zu weiteren Bewegungen animieren könnte. Schon im nächsten Moment ist der Blick ihrer großen, dunklen Augen wieder bei einem Gast, der soeben einen unverschämt großen Schein über den Tresen reicht und im Gegenzug fast brutal eine dünne Plastiktüte an sich reißt. Einen Moment senkt sie den Kopf über ihre Kasse, zählt das Wechselgeld, und ich halte den Atem an, als ihr nun einige Strähnen ins Gesicht fallen. Ihr Gegenüber hat keinen Blick für dieses Schauspiel, starrt stattdessen auf einen der großen Bildschirme hinter dem Tresen, auf dem sich braungebrannte Mädels an einem Strand räkeln, und hält ihr dabei fordernd seine offene Hand entgegen. Er wartet ungeduldig, bis sie ihm das Rückgeld passend in die Hand gezählt hat (und er hätte sich ein Trinkgeld wirklich leisten können), dreht sich dann um und verlässt viel zu laut diesen Raum.
Noch bevor er die Tür zugeknallt hat, ist sie wieder mit einer anderen Tätigkeit beschäftigt. Eine feine Strähne ihres schwarzen Haars löst sich dabei kurz von ihrer Schürze und fliegt in einem Bogen hinter ihr durch die Luft. Weitere dünne Strähnen schlängeln sich bis über den Verschluss ihres BHs herunter, der am Rücken ihrer weißen Bluse gut zu erkennen ist. Nur kurz kann er meine Aufmerksamkeit auf ihre Oberweite lenken, deren Größe unter ihrer schmutzigen Schürze nur zu erahnen ist. Ihre Bluse ist zugeknöpft bis obenhin und auch wenn sie sich bückt, kann ich keinen Blick dorthin werfen, wo ihr Dekolleté sein sollte. Abgesehen von ihrem Rock, der die Formen ihres Pos und Beckens hauteng umschließt und gleichzeitig ihre schlanke Taille betont, und – das entnehme ich ihren Trippelschritten - sicher bis zu den Knöcheln reicht – scheint der Rest ihrer Kleidung zu groß zu sein. Unter dem weiten Latz der Schürze und der Bluse ließe sich sicher eine ganze Menge verstecken, überlege ich, während ich an meinem Getränk nuckle.
Wenn ich es mir wünschen könnte, wären ihre Brüste aber um einiges größer, würden sich gegen den Latz der schmutzigen Schürze stemmen und die Knöpfe ihrer Bluse auseinanderschieben. Doch bisher bleibt dies wohl ein Wunsch. Trotz all der schnellen und ruckartigen Bewegungen, zu denen sie ihre Arbeit zwingt, kann ich nämlich keine Bewegungen unter ihrer Bluse erkennen. Grübelnd und sehr langsam kauend verfolge ich weiter aus dem Augenwinkel ihre anstrengende Arbeit. Immer noch sind alle Haare mit den Spitzen in dem Knoten auf ihrem Kopf gefangen und ich kann nach wie vor nur erahnen, wie lang sie wohl sind. Ich liebe dieses Spiel. Ein Dutt kann dich täuschen – so oder so. Was mag er verbergen, was dir enthüllen? Unauffällig drehe ich den kleinen Ventilator vom Tresen ein Stück weiter in ihre Richtung und stelle zufrieden fest, dass erneut einige feine Strähnen durch die Luft wirbeln. Es ist heiß hier und ich schwitze ihretwegen sowieso. Ich hätte jetzt dringend den frischen Luftzug gebraucht, aber ich opfere mich für ein paar Haare im Wind. Als sie sich wieder zum Tresen dreht, weht tatsächlich eine Strähne in ihr Gesicht, die sie lächelnd mit dem Handrücken zur Seite schiebt, da ihre Finger grade mit Bratenfett verschmutzt sind. Wenn sie nur ein paar Zentimeter weiter an den Schrank gehen würde, würden sich die gelösten Strähnen dort verfangen und sich bei ihrer nächsten schnellen Bewegung aus dem Gefängnis des Haarknotens befreien, und ich würde endlich erfahren, wie lang ihr Haar ist. Aber sie geht knapp daran vorbei, und ich bemerke, dass ich den Atem anhalte und mir dabei auf die Unterlippe beiße.
Wenn die Musik aus dem alten Radio zwischen den einzelnen Titeln verstummt, kann ich ihre Schritte auf dem gefliesten Boden hören. Ich stelle mir vor, welche Schuhe sie wohl trägt. Ich weiß, dass es vollkommen blödsinnig wäre, hier bei der Arbeit hochhackige Schuhe zu tragen. Aber ich wünsche mir, dass dem so ist. Es würde sie ein paar Zentimeter größer machen und ihr Haar würde – wenn es so lang wäre, wie ich es mir erträume - dann nicht so weit über den sicher schmutzigen Boden schleifen.
Sie summt den neuen Song mit, der eben die Stille stört und bewegt dabei den Kopf hin und her, wobei der gelockerte Knoten auf ihrem Kopf nun von links nach rechts schwankt. Ich wünsche mir sehnlichst ein schnelleres Lied, damit ihre Bewegungen wilder werden. Ich speichre die Bilder in meinem Kopf, ohne sie anzustarren. Achte darauf, manchmal den Kopf zu drehen, damit es nicht auffällt, dass ich eigentlich nur sie ansehen. Das Essen in meinem Mund ist ein kalter Brei, den ich jetzt widerwillig schlucke. Tatsächlich ist das nächste Lied schneller, als hätte der Moderator im Radio meinen Wunsch wie eine SMS empfangen, und es passt, beim zweiten Hören, überhaupt nicht in das Programm des Senders. Ihre Arbeit verhindert zu meinem großen Bedauern, dass sie sich zu sehr dem neuen Rhythmus hingeben kann.
Während ich mit den Fingern den Takt auf meinen Stehtisch trommle, bin ich mir nicht sicher, ob ich mir viele Gäste wünsche soll, die sie zu noch mehr Hektik antreiben würden, oder den Wunsch habe, doch endlich mit ihr allein zu sein, um sie freundlich darauf hin zu weisen, dass sie sich in der letzten halben Stunde die Frisur ruiniert hat. Vielleicht könnte ich ihr dabei zusehen, wie sie den Knoten löst und das Haar neu aufsteckt. Der Anblick wäre sicher wunderbar. Wenn sie in den kleinen Nebenraum geht, den ich von meinem Platz aus nicht einsehen kann, hoffe ich jedes Mal, dass sie sich dort nicht ihre Frisur neu aufgesteckt hat. Zufrieden registriere ich bei ihrer Rückkehr hinter den Tresen, dass sich ihr Haar immer noch in feinen Strähnen aus dem Dutt schlängelt. Alles ist so wie vorher, vielleicht sogar etwas chaotischer.
Sie benötigt jetzt weitere Verpackungen, die auf einem hohen Regal lagern. Mit ausgestrecktem Arm streckt sie sich in die Länge, legt den Kopf in den Nacken, wobei ihre schwarze Pracht nun über ihren runden Hintern fällt. Welch ein Anblick! Kurz überlege ich, ob ich meine Hilfe anbieten soll. Doch schon im nächsten Moment hat sie ihr Ziel erreicht und beginnt damit, einen der Behälter mit dem Tagesgericht zu füllen.

Als sie sich wieder von ihrer Fritteuse abwendet, glaube ich zunächst, dass meine Augen mir einen Streich spielen. Ein Knopf ihrer Bluse ist geöffnet und beim zweiten Hinsehen stelle ich fest, dass er überhaupt nicht mehr an seinem Platz ist. Der Stoff, der mir eben noch sehr weit erschien, wird jetzt tatsächlich etwas auseinandergeschoben, und dies kann nur an ihren Brüsten liegen, deren Form nun doch problemlos zu erkennen ist. Kugelrund und schwer drücken sie sich mittlerweile gegen den Stoff und spannen den Latz ihrer Schürze ein gutes Stück weit.
Ich reibe mir mit dem Handrücken die Augen und kaue weiter auf meiner Unterlippe herum, die mittlerweile so geschmacklos wie eine Oblate ist, obwohl noch vor wenigen Minuten eine doppelte Portion scharfer Soße daran hing. Mit einem leisen Plopp öffnet sich ein Träger ihrer Schürze und der schmutzige Schürzenlatz klappt wie in Zeitlupe ein Stück nach unten. Kann es sein, dass sie all dies nicht bemerkt, weil sie sich so sehr auf ihre Arbeit konzentriert? Ich fürchte zu träumen, möchte aber um keinen Preis erwachen. Ich will hier nicht weg, möchte, dass sie sich ein weiteres Mal umdreht, noch einen Blick auf ihr Haar werfen, das sich, so hoffe ich, vielleicht schon ein weiteres Stück aus der Frisur gearbeitet hat. Insgeheim wünsche ich mir so sehr, dass sie sich ein weiters Mal umdreht und hoffe dabei auf weitere gelöste Strähnen, die sich auf ihrem schlanken Rücken verteilen. Im nächsten Moment balanciert sie dann tatsächlich ein paar dreckige Teller vom Tresen zu ihrem Spülbecken, wobei sie mir natürlich den Rücken zudreht, und mir bleibt für einen Moment das Herz stehen.

Es sind nicht die winzigen kleinen Schritte, zu denen sie ihr zweifellos viel zu enger Rock zwingt, oder der Klang ihrer ganz sicher sehr hohen Pfennigabsätze auf den schmutzigen Fliesen – es ist das Bündel schwarzer Haare, das mittlerweile so weit den Rücken herabgesackt ist, dass es auf Höhe ihres breiten Beckens mit der Haarklammer kämpft, welche sich scheinbar mit letzter Kraft in den aufgelösten Dutt krallt. Während sie sich trippelnd weiter fortbewegt, fallen wie in Zeitlupe weitere feine Strähnen in Richtung Fußboden aus dem Haarberg, der in den letzten Minuten seinen Umfang sicher verdoppelt hat. Eine dieser Strähnen hat sich nun doch irgendwo an einer Ecke ihrer Imbisseinrichtung verfangen und ich beobachte mit offenem Mund, wie sich das Haar immer weiter in die Länge zieht, bis die Plastikklammer es schließlich ganz hergeben muss. Der Tresen verdeckt mir die Sicht, aber ich vermute, dass ihr Haar wirklich bis zum Boden reicht.
Der Ballen aus dichten, schwarzen Haaren fällt jetzt über ihren kugelrunden Po, dessen Form ihr sehr enger, hellen Rock wunderschön zur Geltung bringt, und sie stellt klappernd ihr Geschirr in die Spüle, als wäre nichts geschehen. Warum bemerkt sie ihr Haar nicht, hebt es nicht vom Boden auf und befestigt es wieder am Hinterkopf? Wenn die gelösten Strähnen tatsächlich bis zum Boden reichen, wird sie bei ihrer nächsten unachtsamen Drehung darüber stolpern.

Ich frage mich außerdem, wie viel Wind nötig wäre, um das sicher sehr schwere Haar durch die Luft zu wirbeln. Kurz schließe ich die Augen und versuche mir den Anblick vorzustellen. Ein brummendes Motorengeräusch und ein Schrei von ihr lassen mich die Augen sofort wieder öffnen. Das Bild aus meinem Kopf setzt sich in der Realität fort. Ist dies die Realität? Die Dunstabzugshaube scheint verrückt zu spielen, der Deckenventilator führt sich auf wie ein Hubschrauber und auch der kleine Ventilator auf dem Tresen hat plötzlich enorme Kraft. Die aufheulenden Motoren lassen Essensreste und sogar Plastikbesteck durch die Küche fliegen – und ihre halb geöffneten Haare. Mit beiden Armen umklammert sie die dichte Pracht, die nun wild um ihren Körper peitscht. Obwohl alle Motoren einen wahnsinnigen Lärm machen, glaube ich, ihre Bluse reißen zu hören. Ein Ärmel fliegt in den blechernen Rachen der Abzugshaube, die dankbar einen Rülpser von sich gibt. Gläser und Flaschen fliegen kreuz und quer durch den Raum, zerschellen klirrend an Wänden. Klebrige Flüssigkeiten spritzen um sie herum. Ihre kleinen Hände versuchen ihr Haar zu schützen, aber es ist viel zu viel davon da. Die große Plastikklammer, die vor kurzer Zeit noch ihre Frisur zusammengehalten hat, knallt nun einige Male gegen die Dunstabzugshaube, ehe der Sog sie endgültig aus den Haaren reißt. Ihr Gesicht, ja ihr ganzer Körper verschwindet hinter dem Meer aus schwarzen Haaren, das wie von Geisterhand bewegt, hin und her durch die Küche gezerrt wird. Sie stolpert ohne Plan ein paar Schritte vorwärts, schlägt mit ihren Händen blind nach der Dunstabzugshause, aber die saugt unbeeindruckt weiter alles auf, was sich in ihrer Nähe befindet und leichter ist als ein Kühlschrank. Sie schreit gegen den Lärm an, aber ich bin wie versteinert. Salatblätter und Sojasprossen verfangen sich in ihrer schwarzen Mähne. Sie strauchelt, rutscht zur Seite, fängt den Sturz ab. Der Latz ihrer Schürze flattert wie eine Fahne vor ihren vollen Brüsten auf und ab. Mittlerweile fehlen der Bluse weitere Knöpfe. Jedes dieser Bilder ist, als käme es direkt aus meinem Kopf, und doch weiß ich, dass ich dies alles beenden muss.
Für einen Moment habe ich Mitleid mit der jungen Frau, kneife die Augen zu und balle die Fäuste, kämpfe mit mir selbst einen Kampf, den ich unbedingt gewinnen muss. Endlich stoppen die Motoren, als hätte ich selbst den Schalter dafür betätigt. Klappernd landen noch einige Gegenstände auf dem Boden und ein Bündel Papierservietten schwebt wie Schnee durch den Raum. Dann ist es fast schon unheimlich still.
Sie steht reglos hinter ihrem Tresen und schiebt sich das wirre Haar soweit aus dem Gesicht, dass ihre Augen meinen Blick finden. Ich kann in ihnen lesen, dass sie eine Erklärung von mir haben möchte. Aber ich kann ihr nicht sagen, dass all dies mein Werk war. Tatsächlich kann ich dies auch nicht glauben. Trotzdem habe ich auch keine andere Erklärung für das, was in den letzten Minuten hier passiert ist. Sie sieht mich an, denn ich bin ihr letzter Gast. Es sieht aus, als hätte der Wind sie aus einer Art Trance geweckt. Sie hat erkannt was hier mit ihr geschehen ist, verstanden hat sie es nicht. Sie ist so süß und hilflos, kurvig und umgeben von Haaren, deren unglaubliche Länge immer noch nicht genau zu erkennen ist. Selbst ihre schmutzige, teilweise kaputte Kleidung unterstreicht ihre Weiblichkeit und macht sie in meinen Augen wunderschön. Ihr enger Rock und ihre Schuhe mit den viel zu hohen Absätzen sind viel mehr als nur Kleidungsstücke – sie sind ein Gefängnis. Ich möchte sie befreien und beschützen, auch wenn ich weiß, dass ich dazu im Ernstfall nicht fähig wäre.

Mein Mund ist so trocken, dass ich kein Wort herausbringe. Schließlich räuspre ich mich umständlich, hole tief Luft…
 



 
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