DER BOYKOTTEUR
Fast jeden Abend, pünktlich um zwanzig Uhr, schalte ich das Fernsehgerät ein und bleibe meistens bis Mitternacht vor dem Bildschirm sitzen. Nicht, dass ich alles schlucke, ich gucke schon gezielt: Nachrichten, Reportagen, Politische- und Wirtschaftsmagazine. Fernsehfilme schaue ich mir wegen des schlechten Niveaus ganz selten an. Besonders die Verfilmungen von Rosamunde Pilchers Romanen sind ein Graus und erzeugen bei mir einen Brechreiz. Was ich mir nie entgehen lasse, sind alte Kinofilme mit Heinz Rühmann, Georg Thomalla oder Heinz Ehrhard. Dabei schlage ich mir vor Lachen auf die Schenkel!
Alles was mit Werbung zusammenhängt, ist mir suspekt. Obwohl ich nicht in die von der Werbewirtschaft begehrte Gruppe der
14 - 49-Jährigen gehöre, will ich aber nicht darauf verzichten. Sie können noch so geschickt für Treppenlifte, Rheumasalben oder Tabletten gegen Prostatabeschwerden werben, mit mir ist kein Geschäft zu machen! Wenn eine bekannte Marktkette so penetrant beteuert: 'Wir können keinen Sex, wir können nur billig... Ich bin doch nicht blöd!' sträuben sich bei mir die Haare. Deswegen kaufe ich mir doch keinen
Flachbildschirm! Auch kein Fahrrad mit Elektromotor! Ich benutze immer noch das alte Damenfahrrad meiner verstorbenen Mutter ohne Gangschaltung. Das einzige was mich überzeugt hat ist, das regelmäßige Lesen der Apotheken-Rundschau. 'Lesen, was gesund macht!' Dieser Spruch hat mich wirklich überzeugt.
Seitdem bekomme ich keine Kinderkrankheiten mehr!
Auf die aggressive Handywerbung mit der 'Geilen Super-Flatrate
bin ich auch nicht hereingefallen. Ich habe nicht einmal einen
Festnetzanschluss. Ich bin ein Single. Wen sollte ich anrufen?
Meine Bekannten und Verwandten erreichen mich über den Briefträger. Ist es nicht spannend, zwischen den vielen Werbeprospekten ab und zu mal wieder ausser einer Rechnung einen Brief, vielleicht auch noch handgeschrieben, im Kasten zu finden?
Ich sehe mir jeden Werbespot genau an und präge mir die Produktnamen ein, um diese Waren links liegen zu lassen, sie sozusagen zu boykottieren! Denn mir ist klar, ich als Endverbraucher muss diese Werbung bezahlen. Da ich mit meiner kleinen Rente vorsichtig haushalten muss, kaufe ich grunsätzlich nur sogenannte 'No-Name-Produkte' bei Aldi, Lidl,
Tschibo, Penny und Co.
Gestern war ich bei der Sparkasse, um meine Haushaltskasse wieder etwas aufzufüllen. Bei der Gelegenheit fragte ich nach Prospekten über Aktien-Anlagen und wurde von der Kassiererin an einen Experten verwiesen. Es war einer von diesen jungen, smarten Banktypen mit kurzem Haar und 'Brilli' im Ohr. Obwohl er ein Namensschild und die Bezeichnung 'Anlagenberater' an sein Revers geheft hatte, stellte er sich forsch mit 'Hansen'
vor.
"Angenehm, Schultz!" entgegnete ich.
"Mit oder ohne 't'?" Er lachte. "Bei dem Namen wäre der Vorname ganz nützlich. Einfacher wäre es allerdings mit Ihrer Kontonummer."
Ich hielt ihm meine Karte unter die Nase, und er tippte die Zahlen in den Computer. Nach einem Moment wurde seine Miene frostiger. "Sie interessieren sich persönlich für Aktienanlagen?"
"Selbstverständlich! Für wen denn sonst?!" antwortete ich passend zu seinem Gesichtsausdruck.
Er lachte etwas verkrampft. "Erwarten Sie denn einen größeren Geldeingang?"
"Ja, demnächst!"
Er starrte wieder auf den Bildschirm. "Entschuldigung, dass ich das übersehen habe! Sie werden am 20. März fünfundsechzig und ich glaube, dann wird Ihre Lebensversicherung fällig. Auf den Erlebens- oder Todesfall. - Habe ich recht?"
"Auf den Erlebensfall!" antwortete ich. "Denn was hätte ich vom Todesfall?"
"Also Aktien", sagte er ziemlich gelangweilt. "Mit Risiko und wesentlich höherer Dividende oder sind Sie für die sichere Anlage mit entsprechend niedriger Rendite?"
Ich antwortete nicht sofort und er ergänzte: "Diese Frage sollte jeder Anleger für sich beantworten, damit der Berater später nicht zum Buhmann wird! Wenn ich Ihnen trotzdem einen Rat geben darf, würde ich zur Zeit von Aktien ganz abraten!
Ich möchte Ihnen Sparkassenbriefe unseres Instituts empfehlen, die vollkommen sicher sind!"
"Welche Laufzeit und zu welchem Zinssatz?"
"Fünf Jahre zu zwei Prozent."
Ich lachte höhnisch. "Die Inflationsrate liegt bei 2,3 Prozent! Was nützt mir die Sicherheit, wenn ich draufzahle?!"
"Sie zahlen nicht drauf, im Gegenteil!" er wurde jetzt richtig munter und konnte die Provisionsgier in seinen Augen nicht verbergen. "Bei einem Abschluss über fünfzigtausend Euro würden Sie eine Prämie von uns bekommen, die die Rendite auf jeden Fall über die Teuerungsrate hebt! Sie bekommen entweder ein Handy der Premium-Klasse, verbunden mit einer Super-Flatrate oder den neuesten zusammenklappbaren Alu-Roller mit Einkaufskorb und speziellem Senioren-Sattel!"
Entsetzt fragte ich: "Ich hätte die Wahl zwischen einem Handy und einem Alu-Roller?"
"Bei hunderttausend würden Sie beides bekommen! Sie sehen doch noch ganz rüstig aus! Bei mir vorm Haus rollert jeden Abend ein Herr Ihres Alters vorbei. Das sieht richtig geil aus!"
"Das kann ich mir vorstellen", antwortete ich. "Und wenn er dann noch während des Rollens, eine Hand am Lenker, die andere mit dem Handy am Ohr, telefoniert, ist das oberaffengeil!" Ich stand abrupt auf und sagte zu dem überraschten Anlagenberater: "Noch einen erfolgreichen Tag, Herr Hansen. Mich konnten Sie nicht überzeugen. Ich lass mich nicht manipulieren! Ich bin doch nicht blöd!"
Fast jeden Abend, pünktlich um zwanzig Uhr, schalte ich das Fernsehgerät ein und bleibe meistens bis Mitternacht vor dem Bildschirm sitzen. Nicht, dass ich alles schlucke, ich gucke schon gezielt: Nachrichten, Reportagen, Politische- und Wirtschaftsmagazine. Fernsehfilme schaue ich mir wegen des schlechten Niveaus ganz selten an. Besonders die Verfilmungen von Rosamunde Pilchers Romanen sind ein Graus und erzeugen bei mir einen Brechreiz. Was ich mir nie entgehen lasse, sind alte Kinofilme mit Heinz Rühmann, Georg Thomalla oder Heinz Ehrhard. Dabei schlage ich mir vor Lachen auf die Schenkel!
Alles was mit Werbung zusammenhängt, ist mir suspekt. Obwohl ich nicht in die von der Werbewirtschaft begehrte Gruppe der
14 - 49-Jährigen gehöre, will ich aber nicht darauf verzichten. Sie können noch so geschickt für Treppenlifte, Rheumasalben oder Tabletten gegen Prostatabeschwerden werben, mit mir ist kein Geschäft zu machen! Wenn eine bekannte Marktkette so penetrant beteuert: 'Wir können keinen Sex, wir können nur billig... Ich bin doch nicht blöd!' sträuben sich bei mir die Haare. Deswegen kaufe ich mir doch keinen
Flachbildschirm! Auch kein Fahrrad mit Elektromotor! Ich benutze immer noch das alte Damenfahrrad meiner verstorbenen Mutter ohne Gangschaltung. Das einzige was mich überzeugt hat ist, das regelmäßige Lesen der Apotheken-Rundschau. 'Lesen, was gesund macht!' Dieser Spruch hat mich wirklich überzeugt.
Seitdem bekomme ich keine Kinderkrankheiten mehr!
Auf die aggressive Handywerbung mit der 'Geilen Super-Flatrate
bin ich auch nicht hereingefallen. Ich habe nicht einmal einen
Festnetzanschluss. Ich bin ein Single. Wen sollte ich anrufen?
Meine Bekannten und Verwandten erreichen mich über den Briefträger. Ist es nicht spannend, zwischen den vielen Werbeprospekten ab und zu mal wieder ausser einer Rechnung einen Brief, vielleicht auch noch handgeschrieben, im Kasten zu finden?
Ich sehe mir jeden Werbespot genau an und präge mir die Produktnamen ein, um diese Waren links liegen zu lassen, sie sozusagen zu boykottieren! Denn mir ist klar, ich als Endverbraucher muss diese Werbung bezahlen. Da ich mit meiner kleinen Rente vorsichtig haushalten muss, kaufe ich grunsätzlich nur sogenannte 'No-Name-Produkte' bei Aldi, Lidl,
Tschibo, Penny und Co.
Gestern war ich bei der Sparkasse, um meine Haushaltskasse wieder etwas aufzufüllen. Bei der Gelegenheit fragte ich nach Prospekten über Aktien-Anlagen und wurde von der Kassiererin an einen Experten verwiesen. Es war einer von diesen jungen, smarten Banktypen mit kurzem Haar und 'Brilli' im Ohr. Obwohl er ein Namensschild und die Bezeichnung 'Anlagenberater' an sein Revers geheft hatte, stellte er sich forsch mit 'Hansen'
vor.
"Angenehm, Schultz!" entgegnete ich.
"Mit oder ohne 't'?" Er lachte. "Bei dem Namen wäre der Vorname ganz nützlich. Einfacher wäre es allerdings mit Ihrer Kontonummer."
Ich hielt ihm meine Karte unter die Nase, und er tippte die Zahlen in den Computer. Nach einem Moment wurde seine Miene frostiger. "Sie interessieren sich persönlich für Aktienanlagen?"
"Selbstverständlich! Für wen denn sonst?!" antwortete ich passend zu seinem Gesichtsausdruck.
Er lachte etwas verkrampft. "Erwarten Sie denn einen größeren Geldeingang?"
"Ja, demnächst!"
Er starrte wieder auf den Bildschirm. "Entschuldigung, dass ich das übersehen habe! Sie werden am 20. März fünfundsechzig und ich glaube, dann wird Ihre Lebensversicherung fällig. Auf den Erlebens- oder Todesfall. - Habe ich recht?"
"Auf den Erlebensfall!" antwortete ich. "Denn was hätte ich vom Todesfall?"
"Also Aktien", sagte er ziemlich gelangweilt. "Mit Risiko und wesentlich höherer Dividende oder sind Sie für die sichere Anlage mit entsprechend niedriger Rendite?"
Ich antwortete nicht sofort und er ergänzte: "Diese Frage sollte jeder Anleger für sich beantworten, damit der Berater später nicht zum Buhmann wird! Wenn ich Ihnen trotzdem einen Rat geben darf, würde ich zur Zeit von Aktien ganz abraten!
Ich möchte Ihnen Sparkassenbriefe unseres Instituts empfehlen, die vollkommen sicher sind!"
"Welche Laufzeit und zu welchem Zinssatz?"
"Fünf Jahre zu zwei Prozent."
Ich lachte höhnisch. "Die Inflationsrate liegt bei 2,3 Prozent! Was nützt mir die Sicherheit, wenn ich draufzahle?!"
"Sie zahlen nicht drauf, im Gegenteil!" er wurde jetzt richtig munter und konnte die Provisionsgier in seinen Augen nicht verbergen. "Bei einem Abschluss über fünfzigtausend Euro würden Sie eine Prämie von uns bekommen, die die Rendite auf jeden Fall über die Teuerungsrate hebt! Sie bekommen entweder ein Handy der Premium-Klasse, verbunden mit einer Super-Flatrate oder den neuesten zusammenklappbaren Alu-Roller mit Einkaufskorb und speziellem Senioren-Sattel!"
Entsetzt fragte ich: "Ich hätte die Wahl zwischen einem Handy und einem Alu-Roller?"
"Bei hunderttausend würden Sie beides bekommen! Sie sehen doch noch ganz rüstig aus! Bei mir vorm Haus rollert jeden Abend ein Herr Ihres Alters vorbei. Das sieht richtig geil aus!"
"Das kann ich mir vorstellen", antwortete ich. "Und wenn er dann noch während des Rollens, eine Hand am Lenker, die andere mit dem Handy am Ohr, telefoniert, ist das oberaffengeil!" Ich stand abrupt auf und sagte zu dem überraschten Anlagenberater: "Noch einen erfolgreichen Tag, Herr Hansen. Mich konnten Sie nicht überzeugen. Ich lass mich nicht manipulieren! Ich bin doch nicht blöd!"