Ann-Kathrin Deininger
Mitglied
Der Druide der Schatten
Der Stab wirkte winzig. Er lag klein und zerbrechlich in den Händen des Mannes. Alle Blicke richteten sich auf den Stab. Die Stille im Raum war vollkommen, voller Erwartung. Die Menschen lechzten nach Blut. Der Mann hob den Stab in die Höhe. Er zerbrach ihn mit einem Ruck. Die Menge stöhnte. Beide Reste des Stabes landeten vor Xylias Füßen. Jetzt johlten die Menschen. „Feuer!“ hallte der Ruf aus hundert Kehlen. „Feuer!“ Der Mann in der schwarzen Robe hob die Hände, bis wieder Ruhe eingekehrt war. „Die Angeklagte wurde für schuldig befunden. Nur das Feuer vermag ihre Seele zu reinigen.“ Er machte eine theatralische Pause. „Verbrennt sie!“ befahl er dann. In dem Blick, mit dem er Xylia bedachte, lag Triumph. Nur die Hexe wusste, dass er nicht ewig währen würde.
Sie dürfen nicht siegen. Niemals. Wenn sie siegen, ist alles verloren. Alles, wofür wir gekämpft haben, und all das, was die Menschen geschaffen haben. Die Menschen werden nur Werkzeuge sein. Viele sind es jetzt schon. Sie dürfen niemals siegen.
Die Worte der Weisen klangen in Xylias Ohren. Sie durfte nicht zulassen, dass die Druiden der Schatten siegten. Es waren die letzten Worte der Weisen gewesen, bevor diese gestorben war. Xylia vermutete, dass die Weise die letzte Hexe gewesen war, die eines natürlichen Todes gestorben war. „Das also ist unser Schicksal“, murmelte sie halblaut.
Xylia beugte sich erneut über die Spur. Der Druide hatte sie versucht zu verbergen. Das war ihm auch gelungen, den niemand hätte sie entdecken können. Niemand mit Ausnahme einer Hexe. Doch selbst Xylia fiel es schwer, die Spur zu deuten. Die Spur war keine Fußspur im Gestrüpp, denn dann hätte es eher eines Fährtensuchers bedurft denn einer Hexe. Es war die Spur eines Rituals, die Spur von Magie, die Xylia in der Erde spüren konnte.
Es gab etwas, dass die Hexen und die Druiden verband, nämlich ihre Verbundenheit zur Natur. Wie jede Hexe war Xylia irgendwann eine Symbiose eingegangen mit einem Stück der Natur. In ihrem Fall war es eine Eiche gewesen. In der Symbiose hatte sie den Samen der Eiche in sich aufgenommen. Bei jedem Atemzug spürte Xylia seitdem den Druck der Eichel, die unter der Haut direkt über ihrem Herzen lag. Der Unterschied zwischen den Hexen und den Druiden lag in der Nutzung ihrer Kräfte. Die Hexen nutzten die Kräfte der Magie, die sie aus der Natur bezogen, um zu bewahren, die Druiden benutzen sie, um zu beherrschen.
Der Druide der Schatten, der hier gewesen war, hatte ein Ritual der Beherrschung durchgeführt. Xylia spürte noch immer die Aura des Zaubers, den er gesprochen hatte. Wem hatte die Formel gegolten? Die Spur gab darüber keine Auskunft. Dafür war sich Xylia sicher, dass nur ein Druide dieses Ritual ausgesprochen hatte. Wo war der andere? Druiden der Schatten, hörte die Hexe die Weise sagen, sind immer zu zweit. Ein Meister, und ein Schüler.
Plötzlich schrak Xylia hoch. Sie lauschte angestrengt. Zu hören war nichts. Aber sie hatte deutlich etwas gespürt. War das alles nur Einbildung? Sie konnte nicht so recht daran glauben. Das Wiehern eines Pferdes war Antwort genug. Es klang qualvoll und heiser, eindeutig der Laut eines Tieres, das von einem wenig verständigen Reiter beherrscht wird. Die Hexe verbarg sich im Gebüsch und spähte über die Wiese.
Ein Trupp von sechs Reitern galoppierte auf sie zu. Fünf von ihnen waren gepanzerte und bewaffnete Gestalten, zwei davon hohe Gardeoffiziere, wie sie sehen konnte. Der sechste machte ihr Angst. Sie hatte seine dunkle Robe noch nicht erkannt, als sie schon wusste, dass er ein Opfer der Druiden geworden war. Die Formel der Beherrschung war weithin zu spüren. Xylia wusste, dass sie nicht bleiben konnte. Die Hexen in all den Geschichten, mit denen man Kindern Angst machte, hätten jetzt ihren Besen zur Hand genommen. Leider war dies aber auch nur in Geschichten möglich.
Xylia bat um Wind. Der Wind wurde ihr gewährt, und er schlug den Reitern mit unglaublicher Macht entgegen. Sie schloß die Augen und konzentrierte ihre Willenskraft. Der Zauber gelang. Ein leichtes Prickeln auf ihren Armen sagte ihr, dass sie nun für fremde Augen nicht mehr sichtbar war. Dafür würde der Zauber aber nicht lange währen. Die Hexe beeilte sich. Sie rannte los. Lange Gräser schlugen gegen ihre Beine und ihr Kleid zerriß an einem Ast. Sie blickte sich um.
Der Anblick traf sie unvorbereitet. Die Reiter folgten ihrer Spur, einer Spur, die für sie auf keinen Fall zu finden gewesen sein dürfte. Die einzige Logik, die sich daraus ergab war die, dass sich bei ihnen ein Druide befand. Angst schnürt Xylia die Kehle zu. Sie rannte schneller. Eine Wurzel ließ sie stolpern. Sie sprang auf. Der Himmel verdunkelte sich. Ihre Gedanken wurden also noch erhört. Die Wolken wurden dichter. Die Hufe der Pferde brachen durch die Erde, zerrissen Gräser und Blumen. Jeder Tritt ließ heißen Schmerz in der Hexe aufflammen. Inständig betete sie, dass sie die Eiche erreichte, bevor die Reiter sie eingeholt hatten. Die Erde bebte.
Xylia fiel und rollte sich ab. Im Fallen sah sie, wie eines der Pferde sich aufbäumte und seinen Reiter abwarf. Pferde fürchten das Feuer, dachte die Hexe. Im selben Augenblick fuhr ein Blitz vom Himmel. Ein Baum ging in Flammen auf. Die Hexe schrie, als das lebendige Holz verzehrt wurde. Die Schmerzen waren schlimm. Aber es waren nur Schmerzen. Sie hatte gelernt sie zu ertragen. Zwei weitere Pferde scheuten und entledigten sich ihrer Reiter. Der Druide und die beiden Offizieren blieben. Xylia rannte weiter. Der Himmel öffnete seine Pforte und verschaffte ihr einen Vorsprung.
Diesen Kampf habe ich verloren, dachte Xylia nüchtern. Der Druide würde sie finden. Der Druide der Schatten änderte alles. Zum ersten Mal begriff sie, dass sie verloren hatte. Die Druiden hatten ihre Chancen genutzt. Sie hatten Macht erlangt. Jetzt jagten sie die Hexen. Dabei sollte es andersherum sein. Xylia rannte weiter, bis sie keuchend die Eiche erreichte.
Sie sprach den Zauber, den sie nie hatte anwenden wollen. Über ihrem Herzen erschien ein roter Fleck auf ihrem Kleid, als sich die Eichel von ihr löste. „Ich gebe zurück, was ich genommen“ erklärte Xylia feierlich. Sie vergrub die Eichel in der Erde. Ihr Zauber würde sie bewahren. Die Hexe kniete vor dem majestätischen Baum nieder, der sie einst zu dem bestimmt hatte, was sie heute war. Ihre Lippen formten spärliche, fremd klingende Laute. Um die Eiche floß ein Kreis aus gleißenden Flammen. Xylia spürte den Druiden in ihrem Rücken. Es war der Schüler. Sie wusste es. Der Meister hatte einen Beherrschungszauber auf ihn gelegt, damit er ihn steuern konnte. Wenn sie den Druiden angriff, würde sie den Schüler verletzen, aber der Meister würde über sie siegen.
Xylia änderte ihre Taktik. Der Druide betrat den Kreis. Beide Offiziere wagten sich nicht näher. Die Formel der Hexe ließ die Frau erstrahlen. Verschwunden waren die abgerissenen Kleider, die sie getragen hatte. Xylia war in fließendes Weiß gekleidet, als sie sich erhob und dem Druiden entgegentrat. Sie zog ihren Dolch, die einzige Waffe, die sie besaß. Der Druide lächelte ob ihrer Angriffshaltung. Sie stürzte sich auf ihn.
Sie berührte den Druiden nicht einmal. Statt dessen schoss aus ihren halb geöffneten Augen ein Blitz. Ein Schrei erscholl. Es war nicht der Schrei des Druiden vor ihr. Zwar sackte die Schwarzhaarige Gestalt in sich zusammen, aber wirklich verletzt hatte Xylia ihn nicht. Nicht den Schüler. Ihr Zauber hatte sie tauschen lassen. Die Gestalt, die zuvor vom Meister beherrscht gewesen war, war jetzt der Meister selbst. Bevor er sich bewußt wurde, was geschah, stach sie ihm den Dolch zwischen die Rippen.
Danach erinnerte sie sich an kaum etwas. Fesseln und Kerker beherrschten die Bilder in ihrem Kopf. Ein zerbrochener Stab. Ein Mann in schwarzer Robe. „Verbrennt sie!“
Die Flammen schlugen aus dem Holz. Meterhoch wanden sie sich, wie bizarre Schlangenschwänze, sprühten Funken gen Himmel und fielen blitzschnell wieder in sich zusammen. Zuckend glitt eine Feuerzunge aus dem Holzstoß, wie ein letzter, heißer Gruß.
Durch die schlagenden Flammen konnte man in der flimmernden Luft die Gestalt der Frau sehen. Xylias weißes Kleid sprühte von Funken, die Flammen leckten an ihren Beinen. Der Mann in der Kleidung des Bischofs blickte lächelnd auf das Feuer. Er konnte nicht sehen, was der Druide der Schatten sah. Die Frau schrie nicht. Durch Hitze, Qualm und Feuer konnte der Druide sehen, wie sie den Kopf wandte. Der Blick aus ihren durchdringenden, grünen Augen hielt den seinen fest, wie Pfeile bohrte er sich in seine Seele. Noch immer konnte er das Feuer sehen, dass in ihren Augen loderte. Es war nicht erloschen, es war ihr geblieben, auch wenn es das einzige war, was ihr geblieben war. Er konnte nicht hören, was sie sagte, aber er las die Worte von ihren bebenden Lippen ab. „Ich komme wieder.“ Das war alles. Aber er wusste, dass es sein Ende bedeutete.
Der Stab wirkte winzig. Er lag klein und zerbrechlich in den Händen des Mannes. Alle Blicke richteten sich auf den Stab. Die Stille im Raum war vollkommen, voller Erwartung. Die Menschen lechzten nach Blut. Der Mann hob den Stab in die Höhe. Er zerbrach ihn mit einem Ruck. Die Menge stöhnte. Beide Reste des Stabes landeten vor Xylias Füßen. Jetzt johlten die Menschen. „Feuer!“ hallte der Ruf aus hundert Kehlen. „Feuer!“ Der Mann in der schwarzen Robe hob die Hände, bis wieder Ruhe eingekehrt war. „Die Angeklagte wurde für schuldig befunden. Nur das Feuer vermag ihre Seele zu reinigen.“ Er machte eine theatralische Pause. „Verbrennt sie!“ befahl er dann. In dem Blick, mit dem er Xylia bedachte, lag Triumph. Nur die Hexe wusste, dass er nicht ewig währen würde.
Sie dürfen nicht siegen. Niemals. Wenn sie siegen, ist alles verloren. Alles, wofür wir gekämpft haben, und all das, was die Menschen geschaffen haben. Die Menschen werden nur Werkzeuge sein. Viele sind es jetzt schon. Sie dürfen niemals siegen.
Die Worte der Weisen klangen in Xylias Ohren. Sie durfte nicht zulassen, dass die Druiden der Schatten siegten. Es waren die letzten Worte der Weisen gewesen, bevor diese gestorben war. Xylia vermutete, dass die Weise die letzte Hexe gewesen war, die eines natürlichen Todes gestorben war. „Das also ist unser Schicksal“, murmelte sie halblaut.
Xylia beugte sich erneut über die Spur. Der Druide hatte sie versucht zu verbergen. Das war ihm auch gelungen, den niemand hätte sie entdecken können. Niemand mit Ausnahme einer Hexe. Doch selbst Xylia fiel es schwer, die Spur zu deuten. Die Spur war keine Fußspur im Gestrüpp, denn dann hätte es eher eines Fährtensuchers bedurft denn einer Hexe. Es war die Spur eines Rituals, die Spur von Magie, die Xylia in der Erde spüren konnte.
Es gab etwas, dass die Hexen und die Druiden verband, nämlich ihre Verbundenheit zur Natur. Wie jede Hexe war Xylia irgendwann eine Symbiose eingegangen mit einem Stück der Natur. In ihrem Fall war es eine Eiche gewesen. In der Symbiose hatte sie den Samen der Eiche in sich aufgenommen. Bei jedem Atemzug spürte Xylia seitdem den Druck der Eichel, die unter der Haut direkt über ihrem Herzen lag. Der Unterschied zwischen den Hexen und den Druiden lag in der Nutzung ihrer Kräfte. Die Hexen nutzten die Kräfte der Magie, die sie aus der Natur bezogen, um zu bewahren, die Druiden benutzen sie, um zu beherrschen.
Der Druide der Schatten, der hier gewesen war, hatte ein Ritual der Beherrschung durchgeführt. Xylia spürte noch immer die Aura des Zaubers, den er gesprochen hatte. Wem hatte die Formel gegolten? Die Spur gab darüber keine Auskunft. Dafür war sich Xylia sicher, dass nur ein Druide dieses Ritual ausgesprochen hatte. Wo war der andere? Druiden der Schatten, hörte die Hexe die Weise sagen, sind immer zu zweit. Ein Meister, und ein Schüler.
Plötzlich schrak Xylia hoch. Sie lauschte angestrengt. Zu hören war nichts. Aber sie hatte deutlich etwas gespürt. War das alles nur Einbildung? Sie konnte nicht so recht daran glauben. Das Wiehern eines Pferdes war Antwort genug. Es klang qualvoll und heiser, eindeutig der Laut eines Tieres, das von einem wenig verständigen Reiter beherrscht wird. Die Hexe verbarg sich im Gebüsch und spähte über die Wiese.
Ein Trupp von sechs Reitern galoppierte auf sie zu. Fünf von ihnen waren gepanzerte und bewaffnete Gestalten, zwei davon hohe Gardeoffiziere, wie sie sehen konnte. Der sechste machte ihr Angst. Sie hatte seine dunkle Robe noch nicht erkannt, als sie schon wusste, dass er ein Opfer der Druiden geworden war. Die Formel der Beherrschung war weithin zu spüren. Xylia wusste, dass sie nicht bleiben konnte. Die Hexen in all den Geschichten, mit denen man Kindern Angst machte, hätten jetzt ihren Besen zur Hand genommen. Leider war dies aber auch nur in Geschichten möglich.
Xylia bat um Wind. Der Wind wurde ihr gewährt, und er schlug den Reitern mit unglaublicher Macht entgegen. Sie schloß die Augen und konzentrierte ihre Willenskraft. Der Zauber gelang. Ein leichtes Prickeln auf ihren Armen sagte ihr, dass sie nun für fremde Augen nicht mehr sichtbar war. Dafür würde der Zauber aber nicht lange währen. Die Hexe beeilte sich. Sie rannte los. Lange Gräser schlugen gegen ihre Beine und ihr Kleid zerriß an einem Ast. Sie blickte sich um.
Der Anblick traf sie unvorbereitet. Die Reiter folgten ihrer Spur, einer Spur, die für sie auf keinen Fall zu finden gewesen sein dürfte. Die einzige Logik, die sich daraus ergab war die, dass sich bei ihnen ein Druide befand. Angst schnürt Xylia die Kehle zu. Sie rannte schneller. Eine Wurzel ließ sie stolpern. Sie sprang auf. Der Himmel verdunkelte sich. Ihre Gedanken wurden also noch erhört. Die Wolken wurden dichter. Die Hufe der Pferde brachen durch die Erde, zerrissen Gräser und Blumen. Jeder Tritt ließ heißen Schmerz in der Hexe aufflammen. Inständig betete sie, dass sie die Eiche erreichte, bevor die Reiter sie eingeholt hatten. Die Erde bebte.
Xylia fiel und rollte sich ab. Im Fallen sah sie, wie eines der Pferde sich aufbäumte und seinen Reiter abwarf. Pferde fürchten das Feuer, dachte die Hexe. Im selben Augenblick fuhr ein Blitz vom Himmel. Ein Baum ging in Flammen auf. Die Hexe schrie, als das lebendige Holz verzehrt wurde. Die Schmerzen waren schlimm. Aber es waren nur Schmerzen. Sie hatte gelernt sie zu ertragen. Zwei weitere Pferde scheuten und entledigten sich ihrer Reiter. Der Druide und die beiden Offizieren blieben. Xylia rannte weiter. Der Himmel öffnete seine Pforte und verschaffte ihr einen Vorsprung.
Diesen Kampf habe ich verloren, dachte Xylia nüchtern. Der Druide würde sie finden. Der Druide der Schatten änderte alles. Zum ersten Mal begriff sie, dass sie verloren hatte. Die Druiden hatten ihre Chancen genutzt. Sie hatten Macht erlangt. Jetzt jagten sie die Hexen. Dabei sollte es andersherum sein. Xylia rannte weiter, bis sie keuchend die Eiche erreichte.
Sie sprach den Zauber, den sie nie hatte anwenden wollen. Über ihrem Herzen erschien ein roter Fleck auf ihrem Kleid, als sich die Eichel von ihr löste. „Ich gebe zurück, was ich genommen“ erklärte Xylia feierlich. Sie vergrub die Eichel in der Erde. Ihr Zauber würde sie bewahren. Die Hexe kniete vor dem majestätischen Baum nieder, der sie einst zu dem bestimmt hatte, was sie heute war. Ihre Lippen formten spärliche, fremd klingende Laute. Um die Eiche floß ein Kreis aus gleißenden Flammen. Xylia spürte den Druiden in ihrem Rücken. Es war der Schüler. Sie wusste es. Der Meister hatte einen Beherrschungszauber auf ihn gelegt, damit er ihn steuern konnte. Wenn sie den Druiden angriff, würde sie den Schüler verletzen, aber der Meister würde über sie siegen.
Xylia änderte ihre Taktik. Der Druide betrat den Kreis. Beide Offiziere wagten sich nicht näher. Die Formel der Hexe ließ die Frau erstrahlen. Verschwunden waren die abgerissenen Kleider, die sie getragen hatte. Xylia war in fließendes Weiß gekleidet, als sie sich erhob und dem Druiden entgegentrat. Sie zog ihren Dolch, die einzige Waffe, die sie besaß. Der Druide lächelte ob ihrer Angriffshaltung. Sie stürzte sich auf ihn.
Sie berührte den Druiden nicht einmal. Statt dessen schoss aus ihren halb geöffneten Augen ein Blitz. Ein Schrei erscholl. Es war nicht der Schrei des Druiden vor ihr. Zwar sackte die Schwarzhaarige Gestalt in sich zusammen, aber wirklich verletzt hatte Xylia ihn nicht. Nicht den Schüler. Ihr Zauber hatte sie tauschen lassen. Die Gestalt, die zuvor vom Meister beherrscht gewesen war, war jetzt der Meister selbst. Bevor er sich bewußt wurde, was geschah, stach sie ihm den Dolch zwischen die Rippen.
Danach erinnerte sie sich an kaum etwas. Fesseln und Kerker beherrschten die Bilder in ihrem Kopf. Ein zerbrochener Stab. Ein Mann in schwarzer Robe. „Verbrennt sie!“
Die Flammen schlugen aus dem Holz. Meterhoch wanden sie sich, wie bizarre Schlangenschwänze, sprühten Funken gen Himmel und fielen blitzschnell wieder in sich zusammen. Zuckend glitt eine Feuerzunge aus dem Holzstoß, wie ein letzter, heißer Gruß.
Durch die schlagenden Flammen konnte man in der flimmernden Luft die Gestalt der Frau sehen. Xylias weißes Kleid sprühte von Funken, die Flammen leckten an ihren Beinen. Der Mann in der Kleidung des Bischofs blickte lächelnd auf das Feuer. Er konnte nicht sehen, was der Druide der Schatten sah. Die Frau schrie nicht. Durch Hitze, Qualm und Feuer konnte der Druide sehen, wie sie den Kopf wandte. Der Blick aus ihren durchdringenden, grünen Augen hielt den seinen fest, wie Pfeile bohrte er sich in seine Seele. Noch immer konnte er das Feuer sehen, dass in ihren Augen loderte. Es war nicht erloschen, es war ihr geblieben, auch wenn es das einzige war, was ihr geblieben war. Er konnte nicht hören, was sie sagte, aber er las die Worte von ihren bebenden Lippen ab. „Ich komme wieder.“ Das war alles. Aber er wusste, dass es sein Ende bedeutete.