Ein schönes Sonett zu einem Meisterwerk. Dieser Engel mit seinen anmutigen, fast noch kindlichen Gesichszügen erscheint bereits als eine Ankündigung des kommenden Jugenstils, dessen Schönheiten oft mit distanzierter Anmut erstrahlen.
Du hast den Ausdruck dieser Statue in treffenden Worten beschrieben: Hier wird kein Helfer in der (Sterbens-)Not, sondern ein gerechter, unbestechlicher Diener des Jüngsten Gerichts dargestellt. Gerchtigkeit bedeutet ja: ohne Ansehen und Anteilnahme (an) der Person, hier zählen allein Taten und ihre Beweggründe.
Bei aller Freude an dem Sonett kann ich mich einer gewissen Kritik nicht enthalten. Seltsamerweise scheinen stets die letzten Verse jeder Strophe aus dem Rahmen zu fallen:
und stehst nichtsdestotrotz in seinem Bann
Hier stört mich das 4-silbrige schwerfällige Trotzmonster, das man eigentlich nur in knallharten Widerspruchsfällen anbringen sollte, zumal es hier mit dem Metrum nicht gerade harmoniert: nichts-des-to-trotz. Aber schwerer wiegt noch das Fehlen eines echten Widerspruches: Dass ich ihm egal bin, heißt ja nicht, dass er es mir auch wäre. Hier eine andere Idee:
doch dich hält schon die Furcht in seinem Bann
In Q2 kommt es am Ende zu einem unabsichtlichen(?) Sprung ins Humorvolle:
Doch würde das vermutlich auch nichts nützen.
Warum wirkt das witzig? Im Angesicht des Todes versucht das Lyridu mit faulen Tricks durchzukommen. "Das würde vermutlich auch nichts nützen" kennzeichnet die Banalität einer alltäglichen Zwickmühle, z.B. in der Polizeikontrolle.
Vorschlag:
"auch wenn du ahnst, es würde dir nichts nützen."
In T1
Und wenn du zu ihm rufst - er hört dich nicht.
stören mich das "und", es wird in T3 sinnvoller eingesetzt, und die Formulierung "zu ihm rufen", die ein verdrehtes "ihm zurufen" ist, nur damit der Jambus erhalten bleibt. Was ich geschrieben hätte:
er hört es nicht, wenn zu ihm jemand spricht.
In T3 ensteht ein Problem durch die Trompete, die ja eigentlich ein Horn oder eine Posaune ist. Das lässt die Ankündigung
Und bald wird er sie blasen - zum Gericht.
im Lichte eines Künstlerauftritts erscheinen. Gemeint ist aber die Hochdramatk des Jüngsten Gerichts.
Mein Vorschlag:
Schon bald wirst Du sie hören - zum Gericht.
Diese letzte Änderung hätte noch einen anderen Vorteil: Die Verse, die "Ihm" und dem "Du" gewidmet sind, ergäben dann ein Muster:
Er - Er - Du - Du
Er - Er - Du - Du
Er - Er - Du - Du
Er - Er - Du - Du
Du - Er - Er
Er - Er - Du
Auch müsste es in Q2Z2 wohl im Präsens "wolle" heißen:
als woll[strike][red]t[/red][/strike]e er den Leib vor Nähe schützen.
Bei aller Kritik: Dein Sonett hat mir gut gefallen und meine Vorschläge sollen nur die Kritik verdeutlichen.