Der Führerschein

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Der Führerschein

Berlin 1956. Man hatte gerade damit begonnen, den Straßenverkehr an besonders belasteten Kreuzungen mit Ampeln zu regeln. Überwiegend waren dafür noch leibhaftige Polizisten dafür im Einsatz. „Zeigt der Schutzmann Brust und Rücken, musst du auf die Bremse drücken“ – ein Spruch, den ich auch als Radfahrer, auf meinem täglichen Weg von Neukölln zur Technischen Universität in Charlottenburg, zu beherzigen hatte. Da ich irgendwann vom Fahrrad auf ein eigenes Auto umzusteigen gedachte, benutzte ich die Semesterferien, um den Führerschein zu erwerben.

Die ersten Fahrstunden verliefen wenig erfreulich. Die Lenkradschaltung machte mir zu schaffen und der Fahrschulinhaber merkte, dass mir 30 km/h zu schnell waren – also runter auf 20 km/h. Dann war der Fahrschulbesitzer einige Wochen verhindert, und so nahm sich der zweite Fahrlehrer des Unternehmens meiner an. Er schaltete hoch. „Dich muss man erst mal in Fahrt bringen“. Nun ging es mit 40 km/h schön geradeaus – nun mit einem VW mit Knüppelschaltung. Ich wurde sicherer – bis ich an einer besonders belebten Kreuzung die Nerven verlor und das Lenkrad fahren ließ, wohin es wollte. Für mich war eh alles vorbei. Mein Beisitzer hatte Nerven wie Drahtseile. Er trat kräftig auf die Bremse. „Erst mal Schluss für heute“, meinte er seelenruhig, „dich kriege ich schon noch hin“.

In der ersten Prüfung fiel ich durch, trotz bestens bewältigter „Theorie“.
Ein halbes Jahr später, der zweite Anlauf. Auf den Rücksitzen saß die Prüfungskommission, ich war hochgradig nervös. Ich sollte anhalten und wieder neu anfahren. Es war der falscheste aller falschen Gänge, aber der Wagen fuhr trotzdem an. „Na ja, der VW tut’s manchmal auch im vierten“, meine der Oberprüfungskommissar. Und dann kam die schlimmste Übung, an der ich schon bei der ersten Prüfung gescheitert war: rückwärts einparken. Nach zweimaligem vergeblichem Anlauf – der Zwischenraum zwischen den beiden Autos, in den ich mich quetschen sollte, war verdammt eng – hieß es: „Einen Versuch hast du noch“. Das Ergebnis war wenig ermutigend, sauber eingeparkt sah anders aus. Man beratschlagte, was man mit mir machen sollte. Einem der Herren kam die zündende Idee: Er besann sich darauf, dass ich für den kommenden Monat meinen Weggang nach Westdeutschland in Aussicht gestellt hatte.
„Berlin kann er dann nicht mehr unsicher machen“, meinte er.

Der Gnadenführerschein gefiel mir gar nicht, aber ich tröstete mich mit meinem Chemieprofessor, der an einer bestimmten Stelle seiner Vorlesung stets zum Besten gab, dass die Fahrschulprüfung für ihn die schwerste aller Prüfungen gewesen sei.

Berlin habe ich nicht unsicher gemacht, wohl aber Oberhausen, wo ich meine Diplomarbeit ableistete. Angestachelt von zwei Freunden und einer jungen Dame startete ich meine Jungfernfahrt mit einem geliehenen VW. Ich danke meinem Schutzengel, der meinen Schlingerkurs durch die Stadt wohlwollend begleitete.

Richtig glücklich bin ich mit meinem Führerschein nicht geworden. In den sechziger und siebziger Jahren habe ich mich zwar mit meiner Eheallerliebsten noch nach Südfrankreich, Italien und auf den Balkan gewagt, aber mit zunehmender Verkehrsdichte mied ich mehr und mehr die Autobahn und größere Städte.
Jetzt im Jahr 2014 würde ich keine Prüfungskommission mehr überstehen. Andererseits bin ich „in Flensburg“ nach wie vor unbekannt. Rückwärts einparken kann ich immer noch nicht.
 



 
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