Der Gemeine Hausratz
Als die Eheleute Josef und Wilhelmine Rombach gegen Ende des Jahres 1899 begannen, den Gasthof „Zum Kreuz“ in Sankt Peter im Schwarzwald zu erbauen, ahnten sie nicht, dass mit einem der ersten Spatenstiche die Wohnhöhle eines kleinen possierlichen Tierchens vernichtet wurde, welches bis dato als ausgestorben in Mitteleuropa galt.
Das Tier flüchtete zunächst unter einen Stapel Bauholz, kroch dann jedoch aus dem Bedürfnis nach Wärme in den Schnappsack eines welschen Zimmerergesellen und gelangte so in den Rohbau des Hauses. Es mag Zufall gewesen sein oder eine intuitive Intelligenz, den Sinn einer Sache zu erfassen; das Tierchen suchte sich als künftigen Lebensraum genau den Kellerraum aus, in dem Josef Rombach eingedenk seines erlernten Berufes späterhin einen Backofen setzen ließ. So war der neue Bewohner wenigstens vor Kälte geschützt.
Bevor wir uns jedoch weiter mit diesem ungewollten Haustier beschäftigen, möchte ich erklären, um was es sich bei dem Tierchen handelt.
Dieses wirbellose Tier ist der Gemeine Ratz, lat. ratios ratios, aus der Gattung der marsupalia metatheria, also der versteckt lebenden Beuteltiere aus der Familie der Raubbeutler.
Der Ratz ist in der Wahl seines Lebensraumes, der Ernährung und der Fortpflanzung ein Wunderwerk der Evolution. Er hat Nischen besetzt, die anderen Lebewesen nicht einmal andeutungsweise ein Auskommen bieten. Er hat eine Fortpflanzungsmethode entwickelt, die eine direkte Reaktion auf das Nahrungsangebot darstellt und kann andersherum bei wenig oder gar keiner Nahrung jahrzehntelang in Starre verfallen.
Das Aussehen.
Wenn wir über das Aussehen des Ratzes sprechen, können wir uns leider nur auf teilweise sehr alte Augenzeugenberichte und einige bildliche Darstellungen in Büchern des Mittelalters stützen. Aber allein schon der weit verbreitete Kraftausdruck „Hergottssack-RATZ-kruzitürken“ weist auf eine frühere ganzeuropäische Verbreitung des Ratzes hin. In der Neuzeit wurde kein Ratz mehr gesehen.
Das mag jedoch überwiegend an seiner perfektionierten Fähigkeit sich zu tarnen liegen.
Ein ausgewachsener Ratz ähnelt in Form und Größe einem Drei-Pfund-Brot und besteht lediglich aus einem Magensack. Dieser Magensack hat nur eine Öffnung, die beliebig erweiterbar ist. Durch Zusammenziehen und Erschlaffen kann der Ratz so gut wie jede Größe erreichen. Diese Fähigkeit, kombiniert mit dem so genannten Pigment Color Change and Move (PCMC), lässt den Ratz aussehen wie beispielsweise eine Handtasche, wie einen Werkzeugkasten, eine Spielzeugkiste - wie auch immer. Was aber in dem verwandelten Ratz verschwindet, bleibt vorerst verschwunden.
Womit wir zur Ernährung kommen.
Der Ratz frisst nicht etwa diese materiellen Dinge, die er in seinem Körper und gleichzeitig einzigem Organ deponiert. Es geht dem Tier nur darum, den Benutzer des Gegenstandes zu einer ergebnislosen Suche zu veranlassen.
Aus Erfahrung weiß nämlich der kleine Räuber, dass irgendwann im Verlauf der Suche unfromme Flüche zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervorgestoßen werden oder, ein Festessen für den Ratz, es aus dem Vorwurf heraus, der Lebenspartner hätte den gesuchten Gegenstand weggeräumt, zu einem an Worten reichen und an Logik armen Streit kommt.
Jeder kennt Dialoge wie diesen:
„Schatz, wo sind meine Manschettenknöpfe?“
„Da, wo sie immer liegen, Liebling!“
„Da liegen sie aber nicht. Jedenfalls nicht im obersten Schubfach.“
„Lass mich mal nachsehen!“
„Aber ich hab schon zweimal alles ausgeräumt. Denkst du, du siehst mehr wie ich?“
„Da liegen sie doch. Im oberen Schub, wie immer zwischen den Socken und den Taschentüchern!“
„Vorhin waren sie nicht da- ich bin doch nicht blöd.“
Wer solche Dialoge des Öfteren in seinem Lebensbereich gehört, der hat erstens mit Sicherheit einen Ratz und zweitens diesem ein leckeres mehrgängiges Menü geliefert.
Denn der Dialog, der ja an dieser Stelle noch nicht zu Ende ist und sich als Spannungsbogen durch den ganzen Abend und noch weiter ziehen kann, erzeugt schlechte Schwingungen am Ort des Geschehens. Und die schlechten Schwingungen, die Streitworte, das Türenknallen und auf den Tisch Hauen und das Geräusch von klatschenden Ohrfeigen, all das ist die Nahrung für den Ratz.
Den vorher entwendeten Gegenstand legt er nach erfolgter Nahrungsaufnahme an der zehnmal durchsuchten Stelle wieder ab.
Die Unterarten des Ratzes
Eigentlich ein Neutrum, wird ein Ratz dem Geschlecht seines bevorzugten Wirtsmenschen zugeordnet und somit in ratios masculus, ratios femineus und die eher harmlose Art ratios infantilis bei Kindern eingeteilt.
Ratios masculus treibt sein Unwesen mit Vorliebe in Bastelkellern, CD-Sammlungen, Werkzeugen und Wäschefächern. Er ist die robusteste Form des Ratzes, muss er doch manchmal Jahre und länger warten, bevor sich die Gelegenheit zum Entwenden eines benötigten Gegenstandes als Erfolg versprechend erweist. Zumal Männer eine ergebnislose Suche schnell zum Anlass nehmen, im nächsten Baumarkt ein aktuelleres Modell zu erwerben oder halt die Socken einen Tag länger zu tragen. Dafür sind die Flüche kräftiger, die ein Mann ausstößt, wenn sich der vermeintliche Hammer in ein krummstieliges Miststück verwandelt. Das ist dann deftige Hausmannskost, was sich an dem malträtierten Daumen vorbei aus den Mundwinkeln quetscht.
Anders der ratios femineus. Für die Wortästheten unter ihnen als Rechtfertigung: Ich bleibe der Einfachheit halber bei dem männlichen Artikel.
Die beliebtesten Wohnplätze der frauenfixierten Ratze sind natürlich Küche, Schmuckkasten, Unterwäschefach und Handtasche der Frau. Für so manchen Mann ein unerfüllter Traum, im Reizwäschefach seiner Angebeteten zu hausen, wird es für die betroffene Dame doch recht schnell zum Alptraum, wenn das raffinierte Nichts von Slip für den so lange vorbereiteten Abend einfach spurlos verschwunden ist. Da stimmt ja dann das ganze Make-up nicht mehr und überhaupt.
Übelste Verdächtigungen wurden da schon laut gedacht.
Oder die Morddrohungen an bislang unbekannte Zweckentfremder, wenn sich im ganzen Haus plötzlich keine vernünftige Schere mehr befindet.
Auch das langsam in Jammer umschlagende Gemurmel, sollten die Autoschlüssel selbst nach zehnminütigem Kramen nicht in Hand- und Hosentasche auftauchen, ist ein Genuss für den Ratz.
Nicht zu Unrecht kann man den ratios femineus als den Genießer unter den Ratzen bezeichnen.
ratios infantilus ist die anspruchsloseste Spezies. Da Kinder bekanntlich das Chaos beherrschen, ist ihnen jeglicher Ordnungssinn suspekt und somit nicht zugänglich. Die Kreativität, einen fehlenden Gegenstand durch einen Gedachten zu ersetzen, tut ein Übriges und nur wenn wenigstens zwei Kinder beisammen sind, ist für Nahrungsnachschub des meist auch sehr kleinen kindlichen Ratzes gesorgt.
Eine Unterart vergaß ich noch zu erwähnen, was vielleicht schon direkt auf ihn hinzuweisen scheint, nämlich den ratios memoria, verantwortlich für kurzzeitig entfallene Namen, Telefonnummern und, sehr ergiebig für den Erinnerungsratz, für vergessene Daten wie Hochzeitstag, Geburtstag usw.
Die Fortpflanzung
Das Problem der Fortpflanzung hat der Ratz für sich elegant durch eine simple Magensackteilung gelöst. Sobald das Nahrungsangebot in seinem Umfeld das Aufnahmevermögen übersteigt, bilden sich am Äußeren des Magensackes in Sekundenschnelle winzige Ausstülpungen, die durch Abschnürung sektiert werden und an Ort und Stelle zurückbleiben. Der Zufall entscheidet dann, welcher Unterart der Jungratz in Zukunft angehören wird.
Was wurde nun aus dem Ratz des Gasthofes „Zum Kreuz“?
Als ihm das Geschimpfe über verbrannte Handflächen und zwischen Kuchenblechen gequetschten Fingern nicht mehr ausreichte, begann er das Haus zu erkunden und stellte schnell fest, welches Vermehrungspotential in einem offen geführten Haushalt steckt. Tagestouristen trugen ebenso erbsengroße Abkömmlinge mit nach Haus wie die Schlafgäste. Als der Backofen überhaupt nicht mehr genutzt wurde, war der Hausratz sogar darauf angewiesen, seinen Nachkommen auf dem Wege der zufälligen Verteilung ein Leben zu ermöglichen.
Das Stammtier hält dem Hause bis heute jedoch unverbrüchliche Treue.
Und wer weiß, vielleicht ist es gerade die symbiotische Beziehung zwischen Mensch und Ratz, die den Menschen erst zu dem gemacht hat, was er vermeintlich ist- zum höchstentwickelten Wesen der Erde.
Denn wo wären wir ohne Ordnung in unserem Leben.
Zu einem gut und solide geführten Haus gehört nun einmal ein guter und solider Hausratz.
Einer, der die Schwachstellen aufzeigt und die Betroffenen nach Lösungen suchen lässt.
Einer, der die Kreativität fördert und den Gast des Hauses spüren lässt, dass auch Unmögliches zumindest versucht wird.
Und wer auf dem Heimweg aus dem Koffer oder der Jackentasche ein leises Schmatzen wie von Kindermund vernimmt, der sollte versuchen, sich mit ratios ratios, dem „Ordnungstierchen“, zu arrangieren.
Es schont die Nerven.
Als die Eheleute Josef und Wilhelmine Rombach gegen Ende des Jahres 1899 begannen, den Gasthof „Zum Kreuz“ in Sankt Peter im Schwarzwald zu erbauen, ahnten sie nicht, dass mit einem der ersten Spatenstiche die Wohnhöhle eines kleinen possierlichen Tierchens vernichtet wurde, welches bis dato als ausgestorben in Mitteleuropa galt.
Das Tier flüchtete zunächst unter einen Stapel Bauholz, kroch dann jedoch aus dem Bedürfnis nach Wärme in den Schnappsack eines welschen Zimmerergesellen und gelangte so in den Rohbau des Hauses. Es mag Zufall gewesen sein oder eine intuitive Intelligenz, den Sinn einer Sache zu erfassen; das Tierchen suchte sich als künftigen Lebensraum genau den Kellerraum aus, in dem Josef Rombach eingedenk seines erlernten Berufes späterhin einen Backofen setzen ließ. So war der neue Bewohner wenigstens vor Kälte geschützt.
Bevor wir uns jedoch weiter mit diesem ungewollten Haustier beschäftigen, möchte ich erklären, um was es sich bei dem Tierchen handelt.
Dieses wirbellose Tier ist der Gemeine Ratz, lat. ratios ratios, aus der Gattung der marsupalia metatheria, also der versteckt lebenden Beuteltiere aus der Familie der Raubbeutler.
Der Ratz ist in der Wahl seines Lebensraumes, der Ernährung und der Fortpflanzung ein Wunderwerk der Evolution. Er hat Nischen besetzt, die anderen Lebewesen nicht einmal andeutungsweise ein Auskommen bieten. Er hat eine Fortpflanzungsmethode entwickelt, die eine direkte Reaktion auf das Nahrungsangebot darstellt und kann andersherum bei wenig oder gar keiner Nahrung jahrzehntelang in Starre verfallen.
Das Aussehen.
Wenn wir über das Aussehen des Ratzes sprechen, können wir uns leider nur auf teilweise sehr alte Augenzeugenberichte und einige bildliche Darstellungen in Büchern des Mittelalters stützen. Aber allein schon der weit verbreitete Kraftausdruck „Hergottssack-RATZ-kruzitürken“ weist auf eine frühere ganzeuropäische Verbreitung des Ratzes hin. In der Neuzeit wurde kein Ratz mehr gesehen.
Das mag jedoch überwiegend an seiner perfektionierten Fähigkeit sich zu tarnen liegen.
Ein ausgewachsener Ratz ähnelt in Form und Größe einem Drei-Pfund-Brot und besteht lediglich aus einem Magensack. Dieser Magensack hat nur eine Öffnung, die beliebig erweiterbar ist. Durch Zusammenziehen und Erschlaffen kann der Ratz so gut wie jede Größe erreichen. Diese Fähigkeit, kombiniert mit dem so genannten Pigment Color Change and Move (PCMC), lässt den Ratz aussehen wie beispielsweise eine Handtasche, wie einen Werkzeugkasten, eine Spielzeugkiste - wie auch immer. Was aber in dem verwandelten Ratz verschwindet, bleibt vorerst verschwunden.
Womit wir zur Ernährung kommen.
Der Ratz frisst nicht etwa diese materiellen Dinge, die er in seinem Körper und gleichzeitig einzigem Organ deponiert. Es geht dem Tier nur darum, den Benutzer des Gegenstandes zu einer ergebnislosen Suche zu veranlassen.
Aus Erfahrung weiß nämlich der kleine Räuber, dass irgendwann im Verlauf der Suche unfromme Flüche zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervorgestoßen werden oder, ein Festessen für den Ratz, es aus dem Vorwurf heraus, der Lebenspartner hätte den gesuchten Gegenstand weggeräumt, zu einem an Worten reichen und an Logik armen Streit kommt.
Jeder kennt Dialoge wie diesen:
„Schatz, wo sind meine Manschettenknöpfe?“
„Da, wo sie immer liegen, Liebling!“
„Da liegen sie aber nicht. Jedenfalls nicht im obersten Schubfach.“
„Lass mich mal nachsehen!“
„Aber ich hab schon zweimal alles ausgeräumt. Denkst du, du siehst mehr wie ich?“
„Da liegen sie doch. Im oberen Schub, wie immer zwischen den Socken und den Taschentüchern!“
„Vorhin waren sie nicht da- ich bin doch nicht blöd.“
Wer solche Dialoge des Öfteren in seinem Lebensbereich gehört, der hat erstens mit Sicherheit einen Ratz und zweitens diesem ein leckeres mehrgängiges Menü geliefert.
Denn der Dialog, der ja an dieser Stelle noch nicht zu Ende ist und sich als Spannungsbogen durch den ganzen Abend und noch weiter ziehen kann, erzeugt schlechte Schwingungen am Ort des Geschehens. Und die schlechten Schwingungen, die Streitworte, das Türenknallen und auf den Tisch Hauen und das Geräusch von klatschenden Ohrfeigen, all das ist die Nahrung für den Ratz.
Den vorher entwendeten Gegenstand legt er nach erfolgter Nahrungsaufnahme an der zehnmal durchsuchten Stelle wieder ab.
Die Unterarten des Ratzes
Eigentlich ein Neutrum, wird ein Ratz dem Geschlecht seines bevorzugten Wirtsmenschen zugeordnet und somit in ratios masculus, ratios femineus und die eher harmlose Art ratios infantilis bei Kindern eingeteilt.
Ratios masculus treibt sein Unwesen mit Vorliebe in Bastelkellern, CD-Sammlungen, Werkzeugen und Wäschefächern. Er ist die robusteste Form des Ratzes, muss er doch manchmal Jahre und länger warten, bevor sich die Gelegenheit zum Entwenden eines benötigten Gegenstandes als Erfolg versprechend erweist. Zumal Männer eine ergebnislose Suche schnell zum Anlass nehmen, im nächsten Baumarkt ein aktuelleres Modell zu erwerben oder halt die Socken einen Tag länger zu tragen. Dafür sind die Flüche kräftiger, die ein Mann ausstößt, wenn sich der vermeintliche Hammer in ein krummstieliges Miststück verwandelt. Das ist dann deftige Hausmannskost, was sich an dem malträtierten Daumen vorbei aus den Mundwinkeln quetscht.
Anders der ratios femineus. Für die Wortästheten unter ihnen als Rechtfertigung: Ich bleibe der Einfachheit halber bei dem männlichen Artikel.
Die beliebtesten Wohnplätze der frauenfixierten Ratze sind natürlich Küche, Schmuckkasten, Unterwäschefach und Handtasche der Frau. Für so manchen Mann ein unerfüllter Traum, im Reizwäschefach seiner Angebeteten zu hausen, wird es für die betroffene Dame doch recht schnell zum Alptraum, wenn das raffinierte Nichts von Slip für den so lange vorbereiteten Abend einfach spurlos verschwunden ist. Da stimmt ja dann das ganze Make-up nicht mehr und überhaupt.
Übelste Verdächtigungen wurden da schon laut gedacht.
Oder die Morddrohungen an bislang unbekannte Zweckentfremder, wenn sich im ganzen Haus plötzlich keine vernünftige Schere mehr befindet.
Auch das langsam in Jammer umschlagende Gemurmel, sollten die Autoschlüssel selbst nach zehnminütigem Kramen nicht in Hand- und Hosentasche auftauchen, ist ein Genuss für den Ratz.
Nicht zu Unrecht kann man den ratios femineus als den Genießer unter den Ratzen bezeichnen.
ratios infantilus ist die anspruchsloseste Spezies. Da Kinder bekanntlich das Chaos beherrschen, ist ihnen jeglicher Ordnungssinn suspekt und somit nicht zugänglich. Die Kreativität, einen fehlenden Gegenstand durch einen Gedachten zu ersetzen, tut ein Übriges und nur wenn wenigstens zwei Kinder beisammen sind, ist für Nahrungsnachschub des meist auch sehr kleinen kindlichen Ratzes gesorgt.
Eine Unterart vergaß ich noch zu erwähnen, was vielleicht schon direkt auf ihn hinzuweisen scheint, nämlich den ratios memoria, verantwortlich für kurzzeitig entfallene Namen, Telefonnummern und, sehr ergiebig für den Erinnerungsratz, für vergessene Daten wie Hochzeitstag, Geburtstag usw.
Die Fortpflanzung
Das Problem der Fortpflanzung hat der Ratz für sich elegant durch eine simple Magensackteilung gelöst. Sobald das Nahrungsangebot in seinem Umfeld das Aufnahmevermögen übersteigt, bilden sich am Äußeren des Magensackes in Sekundenschnelle winzige Ausstülpungen, die durch Abschnürung sektiert werden und an Ort und Stelle zurückbleiben. Der Zufall entscheidet dann, welcher Unterart der Jungratz in Zukunft angehören wird.
Was wurde nun aus dem Ratz des Gasthofes „Zum Kreuz“?
Als ihm das Geschimpfe über verbrannte Handflächen und zwischen Kuchenblechen gequetschten Fingern nicht mehr ausreichte, begann er das Haus zu erkunden und stellte schnell fest, welches Vermehrungspotential in einem offen geführten Haushalt steckt. Tagestouristen trugen ebenso erbsengroße Abkömmlinge mit nach Haus wie die Schlafgäste. Als der Backofen überhaupt nicht mehr genutzt wurde, war der Hausratz sogar darauf angewiesen, seinen Nachkommen auf dem Wege der zufälligen Verteilung ein Leben zu ermöglichen.
Das Stammtier hält dem Hause bis heute jedoch unverbrüchliche Treue.
Und wer weiß, vielleicht ist es gerade die symbiotische Beziehung zwischen Mensch und Ratz, die den Menschen erst zu dem gemacht hat, was er vermeintlich ist- zum höchstentwickelten Wesen der Erde.
Denn wo wären wir ohne Ordnung in unserem Leben.
Zu einem gut und solide geführten Haus gehört nun einmal ein guter und solider Hausratz.
Einer, der die Schwachstellen aufzeigt und die Betroffenen nach Lösungen suchen lässt.
Einer, der die Kreativität fördert und den Gast des Hauses spüren lässt, dass auch Unmögliches zumindest versucht wird.
Und wer auf dem Heimweg aus dem Koffer oder der Jackentasche ein leises Schmatzen wie von Kindermund vernimmt, der sollte versuchen, sich mit ratios ratios, dem „Ordnungstierchen“, zu arrangieren.
Es schont die Nerven.