Der Heiland lebt.
Und er ist eine Frau.
Noch dazu meine Nachbarin.
Na ja, eigentlich war sie meine Nachbarin, denn sie wohnt jetzt in diesem neumodischen Tempel, den ihre Jünger für sie im Stadtzentrum gebaut haben. Ein gigantisches Kreuz aus Stahl, Beton und verspiegeltem Glas, das dreihundert Meter in den Himmel ragt und aus der ferne aussieht, wie ein überdimensionaler Hammer. Wenn das mal kein sozialer Aufstieg ist. Von der armen 24-Quadratmeter-Studentin zum Heilbringer mit Wohneigentum.
Seit der Heiland (oder sagt man jetzt Heilanderin? Heilandine?) ausgezogen ist, hat die römisch-katholische Kirche aus ihrer alten Wohnung ein Museum gemacht, eine Wallfahrtsstätte für die Gläubigen, die hier Möglichkeit haben die Kaffeetasse, den Waschtisch, die Mikrowelle Marke „Quickie 3000“, die Zahnbürste, das Futonbett, die Dunstabzugshaube, die Duschkabine des neuen Erlösers zu sehen, zu fotografieren, anzubeten ... nur Anfassen ist nicht.
Und genau das war meine Chance, meine Möglichkeit bei dieser Geschichte ein bisschen was raus zu holen.
Die Idee dazu flog mir zu, als ich nach einem Einkauf nach Hause kam. Ich war mit zwei schweren Tüten bepackt und kämpfte mit einer großen Packung Toilettenpapier, die ständig drohte meinem Griff zu entwischen. So zwängte ich mich durch den vollgestopften Flur der zu meiner Wohnung führte, vorbei an Pilgern aus aller Welt, die es auf die 24 Quadratmeter heiligen Boden abgesehen hatten, die gleich neben meiner Bleibe lagen. Es ist schon erstaunlich in wie viele verschiedenen Sprachen inzwischen auf meinem Hausflur gesprochen wurde. Als ich meine Sachen ablegte, um meine Tür zu öffnen, trat mir ein seriös wirkender älterer Herr entgegen, der mich höflich bat meine Toilette benutzen zu dürfen. Ich ließ ihn rein und als er seine Notdurft verrichtet hatte, fragte er mich, ob ich den Heiland gekannt hätte.
Seine Augen glänzten dabei, wie die Augen eines Kindes beim Anblick eines geschmückten Weihnachtsbaums.
In dem Augenblick konnte ich einfach nicht anders und ich log ihn an. Stolz erzählte ich ihm, dass ich sie eigentlich ganz gut gekannt hatte – was nicht stimmte -, dass wir gelegentlich zusammen ausgegangen seien – was noch weniger stimmte - und das sie sogar schon auf meiner Toilette Platz genommen hatte, auf die er gerade eben auch gesessen hatte – was schlichtweg gelogen war.
Als ich diese kleine Lügenkette aussprach, war ich mir nicht über die Konsequenzen bewusst, ich wollte lediglich ein wenig angeben.
Heute, zwei Wochen später, kenne ich die Konsequenzen und ich muss sagen, dass ich ganz gut damit klar komme. Es ist anfangs wirklich befremdlich erwachsene Menschen vor einer Toilettenschüssel knien zu sehen, dabei die Klobrille zu streicheln und zu küssen, auf der ich gerade mal zwei Stunden zuvor mein Geschäft verrichtet hatte. Inzwischen habe ich mich aber an diesen Anblick gewöhnt und gemerkt, dass ich mit dieser Tour einfaches Geld verdienen kann. Je nachdem ob man die Toilette anschauen, berühren oder sogar küssen möchte, steigt der Preis und es gibt viele Leute, die das komplette Programm wählen. Ein wenig Geld habe schon zusammengespart und ich denke darüber nach, ob ich nicht ins Devotionaliengeschäft einsteigen sollte. Dann lasse ich in China kleine Plastikkloschüsseln oder Klobrillen herstellen, die man an die Wand hängen kann.
Alles lief perfekt, wie am Schnürchen. Endlich gab es in meinem Leben so etwas wie Erfolg. Ich hatte das Studium hingeschmissen, mich ganz meiner neuen Aufgabe hingegeben. Die erste Lieferung aufhängbarer Toiletten war gerade aus Indien eingetroffen (billiger und qualitativ besser, als die aus China) und es sah so aus, als könnte ich mir bald eine größere Bleibe suchen und meine Studenten-Wohnung zum Souvenir-Shop umfunktionieren.
Doch alles kommt ja bekanntlich anders.
Die Welt war seit der Ankunft des Heilands in Bewegung geraten, Gläubige aus allen Ländern kamen nach Berlin gepilgert und auch der Papst hatte sich bereits in dem monumentalen Neubau am Alexanderplatz eingerichtet.
Alle Augen waren auf uns gerichtet.
Natürlich gab es auch Zweifler, aber nicht so viele, wie man eigentlich hätte erwarten konnte. Zweifel sind wohl etwas, das fromme Menschen ganz gut ausblenden können.
Aber ich schweife ab.
Es ging mir also ziemlich gut zu dieser Zeit.
Endlich hatte ich etwas gefunden, in dem ich gut war.
Und auch wenn ich nur ein Parasit am Arsch des neuen Heilands war, so hatte ich meine Nische.
Ich gab den Menschen etwas, das sie haben wollten, das sie brauchten.
Dann klopfte eines Nachts jemand an meine Tür.
Ich öffnete und dort stand sie.
Ihr langes blondes Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden und sie trug eine weiße Robe, auf der sich graue Flecken abhoben, wie Landmassen auf einer Karte. Besonders hübsch war ihr Gesicht nicht und unter verweinten Augen lagen dunkle Schatten.
„Sie wollen mich töten lassen. Aus mir eine Märtyrerin machen“, sagte sie und ihre Stimme klang gebrochen.
Ich war sprachlos und starrte sie einfach nur an.
„Ich muss in meine Wohnung. Ich muss ein paar Sachen holen aber ich komme nicht durch die Tür. Sie haben mein Schloss ausgewechselt.“
Nun sah ich einen Didl-Schlüsselanhänger in ihrer Hand baumeln.
„Ich kann von deinem Balkon in mein Küchenfenster klettern.“
„Ich weiß nicht recht …“, brachte ich heraus, ohne wirklich zu wissen, wie ich diese unschöne Situation einzuschätzen hatte.
„Bitte.“
Ihre Stimme bebte und ihre Augen wurden feucht. Alles an ihr war ein Flehen und ich ließ sie hinein.
Sie betrat meine Wohnung und ich warf einen Blick in den Flur. Er war leer. Ich schloss die Tür und zog die Sicherheitskette zu.
Als ich mich umdrehte stand sie vor dem Fenster meines kleinen Wohnzimmers und ihre Silhouette zeichnete sich im Licht das von außen einfiel ab. Es sah aus, als würde sie eine strahlende Aura umgeben und dieser Anblick ließ mich schaudern.
„Sieh mich bitte nicht so an. Ich bin kein Heiland. Ich bin eine Frau, ein normaler Mensch wie du. Mein Name ist Lisa. Ich bin 23 Jahre alt. Ich bin ein Mensch.“
Sie begann zu schluchzen und ging in die Knie.
Der Schein war verschwunden und was übrig blieb war ein weinendes Mädchen, dessen Leben man gestohlen hatte, dessen Zukunft darin bestand für eine Kirche zu sterben, die sich dadurch mehr Zulauf versprach. Ich verstand.
Ein toter Heiland ist mehr Wert, als einer der lebt und sich dagegen wehrt, das zu sein was man von ihm erwartet.
Ich ging zur ihr und nahm sie in den Arm.
Ich wusste nun was ich zu tun hatte. Es mag sein, dass ich nicht der Hellste bin, aber ich erkenne eine einmalige Gelegenheit, wenn sie sich mir bietet.
„Ich werde dir helfen. Ich klettere rüber in deine Wohnung und hole deine Sachen. Keine Angst, du bist hier in Sicherheit.“
Sanft streichelte ich ihr durchs Haar, während ich überlegte, wie ich weiter vorgehen würde. Aber ich hatte schon eine Idee. Einen Plan.
Es ist ein schöner Tag für eine Beerdigung. Der Himmel trägt sein farblosestes Grau und ein seichter Wind, lässt das Herbstlaub zu der schwermütigen Orgelmusik tanzen, die aus den Lautsprechern des kreuzförmigen Gebäudes ertönt. Ich stehe in der ersten Reihe, mit Sicht auf den Papst und seine Delegation und vor mir erstreckt sich eine riesige Menschenmasse, die sich am Alexanderplatz zu der Trauerfeier des Heilands eingefunden hat. Die ganze Veranstaltung hat irgendwie Eventcharakter. Fehlt eigentlich nur noch eine Band, die „Who wants to live forever“ spielt. Aber dafür ist die Katholische Kirche wohl zu altmodisch.
Als Lisas Sarg an mir vorbeigetragen wird, nicke ich ihr ein letztes Mal dankend zu. Immerhin bin ich ihr einiges schuldig. Sie war es, die mir die Chance gegeben hatte, endlich etwas aus meinem Leben zu machen. Seit sie vor einer Woche überraschend an einem Hirnschlag gestorben ist, laufen die Geschäfte richtig gut. Jetzt wo meine Hängeklos sogar von der Kirsch abgesegnet wurden, gehen sie weg wie warme Semmel. Und alles was es mich gekostet hatte, war ein Telefonanruf.
Als die Jungs von der Schweizer Garde eintrafen, war ich erstaunt darüber, dass sie eher aussahen, wie aus einem Agentenfilm. Schwarze Anzüge, Sonnenbrillen, ein Stöpsel im Ohr. Keine bunten Kutten. Keine lustigen Mützen. Ganz humorlos waren sie in meine Wohnung gestürmt und hatten Lisa erst mit Panzerklebeband den Mund zugeklebt und ihr dann einen schwarzen Sack über den Kopf gezogen. Einen Moment lang hatte sie sich noch gewehrt, aber die Typen waren echte Profis und es dauerte keine Minute und sie verschwand in einer schwarzen Limousine.
Seitdem hat sich vieles getan. Die Katholische Kirche hatte sich bei mir bedankt und mein Schweigen war ihnen so viel wert, dass sie mich in meinen Geschäftsbemühungen nach Kräften unterstützen. Meine Wohnung ist jetzt ein Souvenirshop, in dem mein Personal Lisa-Devotionalien verkaufen. Ich bin jetzt in ein schickes Haus am Tegeler See gezogen und tja, was soll ich sagen. Ich genieße mein neues Leben. Das Allerbeste kommt aber noch. Nach den Ereignissen der letzten Wochen hat der Papst ein neues Evangelium in Auftrag gegeben und es wurde mir versprochen, dass ich und meine Tat darin aufgenommen werden. Naja, vielleicht komme ich als Verräter nicht ganz so gut dabei weg aber besser als Judas in die Geschichte eingehen, als gar nicht.
Und er ist eine Frau.
Noch dazu meine Nachbarin.
Na ja, eigentlich war sie meine Nachbarin, denn sie wohnt jetzt in diesem neumodischen Tempel, den ihre Jünger für sie im Stadtzentrum gebaut haben. Ein gigantisches Kreuz aus Stahl, Beton und verspiegeltem Glas, das dreihundert Meter in den Himmel ragt und aus der ferne aussieht, wie ein überdimensionaler Hammer. Wenn das mal kein sozialer Aufstieg ist. Von der armen 24-Quadratmeter-Studentin zum Heilbringer mit Wohneigentum.
Seit der Heiland (oder sagt man jetzt Heilanderin? Heilandine?) ausgezogen ist, hat die römisch-katholische Kirche aus ihrer alten Wohnung ein Museum gemacht, eine Wallfahrtsstätte für die Gläubigen, die hier Möglichkeit haben die Kaffeetasse, den Waschtisch, die Mikrowelle Marke „Quickie 3000“, die Zahnbürste, das Futonbett, die Dunstabzugshaube, die Duschkabine des neuen Erlösers zu sehen, zu fotografieren, anzubeten ... nur Anfassen ist nicht.
Und genau das war meine Chance, meine Möglichkeit bei dieser Geschichte ein bisschen was raus zu holen.
Die Idee dazu flog mir zu, als ich nach einem Einkauf nach Hause kam. Ich war mit zwei schweren Tüten bepackt und kämpfte mit einer großen Packung Toilettenpapier, die ständig drohte meinem Griff zu entwischen. So zwängte ich mich durch den vollgestopften Flur der zu meiner Wohnung führte, vorbei an Pilgern aus aller Welt, die es auf die 24 Quadratmeter heiligen Boden abgesehen hatten, die gleich neben meiner Bleibe lagen. Es ist schon erstaunlich in wie viele verschiedenen Sprachen inzwischen auf meinem Hausflur gesprochen wurde. Als ich meine Sachen ablegte, um meine Tür zu öffnen, trat mir ein seriös wirkender älterer Herr entgegen, der mich höflich bat meine Toilette benutzen zu dürfen. Ich ließ ihn rein und als er seine Notdurft verrichtet hatte, fragte er mich, ob ich den Heiland gekannt hätte.
Seine Augen glänzten dabei, wie die Augen eines Kindes beim Anblick eines geschmückten Weihnachtsbaums.
In dem Augenblick konnte ich einfach nicht anders und ich log ihn an. Stolz erzählte ich ihm, dass ich sie eigentlich ganz gut gekannt hatte – was nicht stimmte -, dass wir gelegentlich zusammen ausgegangen seien – was noch weniger stimmte - und das sie sogar schon auf meiner Toilette Platz genommen hatte, auf die er gerade eben auch gesessen hatte – was schlichtweg gelogen war.
Als ich diese kleine Lügenkette aussprach, war ich mir nicht über die Konsequenzen bewusst, ich wollte lediglich ein wenig angeben.
Heute, zwei Wochen später, kenne ich die Konsequenzen und ich muss sagen, dass ich ganz gut damit klar komme. Es ist anfangs wirklich befremdlich erwachsene Menschen vor einer Toilettenschüssel knien zu sehen, dabei die Klobrille zu streicheln und zu küssen, auf der ich gerade mal zwei Stunden zuvor mein Geschäft verrichtet hatte. Inzwischen habe ich mich aber an diesen Anblick gewöhnt und gemerkt, dass ich mit dieser Tour einfaches Geld verdienen kann. Je nachdem ob man die Toilette anschauen, berühren oder sogar küssen möchte, steigt der Preis und es gibt viele Leute, die das komplette Programm wählen. Ein wenig Geld habe schon zusammengespart und ich denke darüber nach, ob ich nicht ins Devotionaliengeschäft einsteigen sollte. Dann lasse ich in China kleine Plastikkloschüsseln oder Klobrillen herstellen, die man an die Wand hängen kann.
Alles lief perfekt, wie am Schnürchen. Endlich gab es in meinem Leben so etwas wie Erfolg. Ich hatte das Studium hingeschmissen, mich ganz meiner neuen Aufgabe hingegeben. Die erste Lieferung aufhängbarer Toiletten war gerade aus Indien eingetroffen (billiger und qualitativ besser, als die aus China) und es sah so aus, als könnte ich mir bald eine größere Bleibe suchen und meine Studenten-Wohnung zum Souvenir-Shop umfunktionieren.
Doch alles kommt ja bekanntlich anders.
Die Welt war seit der Ankunft des Heilands in Bewegung geraten, Gläubige aus allen Ländern kamen nach Berlin gepilgert und auch der Papst hatte sich bereits in dem monumentalen Neubau am Alexanderplatz eingerichtet.
Alle Augen waren auf uns gerichtet.
Natürlich gab es auch Zweifler, aber nicht so viele, wie man eigentlich hätte erwarten konnte. Zweifel sind wohl etwas, das fromme Menschen ganz gut ausblenden können.
Aber ich schweife ab.
Es ging mir also ziemlich gut zu dieser Zeit.
Endlich hatte ich etwas gefunden, in dem ich gut war.
Und auch wenn ich nur ein Parasit am Arsch des neuen Heilands war, so hatte ich meine Nische.
Ich gab den Menschen etwas, das sie haben wollten, das sie brauchten.
Dann klopfte eines Nachts jemand an meine Tür.
Ich öffnete und dort stand sie.
Ihr langes blondes Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden und sie trug eine weiße Robe, auf der sich graue Flecken abhoben, wie Landmassen auf einer Karte. Besonders hübsch war ihr Gesicht nicht und unter verweinten Augen lagen dunkle Schatten.
„Sie wollen mich töten lassen. Aus mir eine Märtyrerin machen“, sagte sie und ihre Stimme klang gebrochen.
Ich war sprachlos und starrte sie einfach nur an.
„Ich muss in meine Wohnung. Ich muss ein paar Sachen holen aber ich komme nicht durch die Tür. Sie haben mein Schloss ausgewechselt.“
Nun sah ich einen Didl-Schlüsselanhänger in ihrer Hand baumeln.
„Ich kann von deinem Balkon in mein Küchenfenster klettern.“
„Ich weiß nicht recht …“, brachte ich heraus, ohne wirklich zu wissen, wie ich diese unschöne Situation einzuschätzen hatte.
„Bitte.“
Ihre Stimme bebte und ihre Augen wurden feucht. Alles an ihr war ein Flehen und ich ließ sie hinein.
Sie betrat meine Wohnung und ich warf einen Blick in den Flur. Er war leer. Ich schloss die Tür und zog die Sicherheitskette zu.
Als ich mich umdrehte stand sie vor dem Fenster meines kleinen Wohnzimmers und ihre Silhouette zeichnete sich im Licht das von außen einfiel ab. Es sah aus, als würde sie eine strahlende Aura umgeben und dieser Anblick ließ mich schaudern.
„Sieh mich bitte nicht so an. Ich bin kein Heiland. Ich bin eine Frau, ein normaler Mensch wie du. Mein Name ist Lisa. Ich bin 23 Jahre alt. Ich bin ein Mensch.“
Sie begann zu schluchzen und ging in die Knie.
Der Schein war verschwunden und was übrig blieb war ein weinendes Mädchen, dessen Leben man gestohlen hatte, dessen Zukunft darin bestand für eine Kirche zu sterben, die sich dadurch mehr Zulauf versprach. Ich verstand.
Ein toter Heiland ist mehr Wert, als einer der lebt und sich dagegen wehrt, das zu sein was man von ihm erwartet.
Ich ging zur ihr und nahm sie in den Arm.
Ich wusste nun was ich zu tun hatte. Es mag sein, dass ich nicht der Hellste bin, aber ich erkenne eine einmalige Gelegenheit, wenn sie sich mir bietet.
„Ich werde dir helfen. Ich klettere rüber in deine Wohnung und hole deine Sachen. Keine Angst, du bist hier in Sicherheit.“
Sanft streichelte ich ihr durchs Haar, während ich überlegte, wie ich weiter vorgehen würde. Aber ich hatte schon eine Idee. Einen Plan.
Es ist ein schöner Tag für eine Beerdigung. Der Himmel trägt sein farblosestes Grau und ein seichter Wind, lässt das Herbstlaub zu der schwermütigen Orgelmusik tanzen, die aus den Lautsprechern des kreuzförmigen Gebäudes ertönt. Ich stehe in der ersten Reihe, mit Sicht auf den Papst und seine Delegation und vor mir erstreckt sich eine riesige Menschenmasse, die sich am Alexanderplatz zu der Trauerfeier des Heilands eingefunden hat. Die ganze Veranstaltung hat irgendwie Eventcharakter. Fehlt eigentlich nur noch eine Band, die „Who wants to live forever“ spielt. Aber dafür ist die Katholische Kirche wohl zu altmodisch.
Als Lisas Sarg an mir vorbeigetragen wird, nicke ich ihr ein letztes Mal dankend zu. Immerhin bin ich ihr einiges schuldig. Sie war es, die mir die Chance gegeben hatte, endlich etwas aus meinem Leben zu machen. Seit sie vor einer Woche überraschend an einem Hirnschlag gestorben ist, laufen die Geschäfte richtig gut. Jetzt wo meine Hängeklos sogar von der Kirsch abgesegnet wurden, gehen sie weg wie warme Semmel. Und alles was es mich gekostet hatte, war ein Telefonanruf.
Als die Jungs von der Schweizer Garde eintrafen, war ich erstaunt darüber, dass sie eher aussahen, wie aus einem Agentenfilm. Schwarze Anzüge, Sonnenbrillen, ein Stöpsel im Ohr. Keine bunten Kutten. Keine lustigen Mützen. Ganz humorlos waren sie in meine Wohnung gestürmt und hatten Lisa erst mit Panzerklebeband den Mund zugeklebt und ihr dann einen schwarzen Sack über den Kopf gezogen. Einen Moment lang hatte sie sich noch gewehrt, aber die Typen waren echte Profis und es dauerte keine Minute und sie verschwand in einer schwarzen Limousine.
Seitdem hat sich vieles getan. Die Katholische Kirche hatte sich bei mir bedankt und mein Schweigen war ihnen so viel wert, dass sie mich in meinen Geschäftsbemühungen nach Kräften unterstützen. Meine Wohnung ist jetzt ein Souvenirshop, in dem mein Personal Lisa-Devotionalien verkaufen. Ich bin jetzt in ein schickes Haus am Tegeler See gezogen und tja, was soll ich sagen. Ich genieße mein neues Leben. Das Allerbeste kommt aber noch. Nach den Ereignissen der letzten Wochen hat der Papst ein neues Evangelium in Auftrag gegeben und es wurde mir versprochen, dass ich und meine Tat darin aufgenommen werden. Naja, vielleicht komme ich als Verräter nicht ganz so gut dabei weg aber besser als Judas in die Geschichte eingehen, als gar nicht.