der menschenwolf - 2.kapitel

xyannic

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2.Kapitel
In der Pfalz gab es nur wenig Geheimnisse. Auch die Kunde vom Zug des Fürsten gegen das unheimliche Wesen hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Die Ritter waren voll freudiger Erwartung. Wen würde ihr Lehnsherr auswählen? Jeder wollte dabei sein, keiner in Schmach und Schande zurück-gelassen werden. Die ganze Pfalz wimmelte so auf-geregt wie ein Ameisenhaufen, in den ein neugieriges Kind einen Stock gesteckt hat. So quoll der große Saal, in dem der Fürst gemeinsam mit seinen Rittern zu Abend zu speisen pflegte, vor Menschen förmlich über. Diejenigen, die an den großen Tafeln keinen Platz mehr gefunden hatten, drückten sich in die Ecken oder kauerten auf den Vorsprüngen der gewaltigen Fenster. Obwohl das Auftragen der Speisen erst beginnen würde, wenn der Fürst eintraf, wurde den Rittern bereits jetzt dunkles Bier und heller Wein ausgeschenkt. Die damit betrauten Mägde hatten Mühe, sich unbeschadet durch die Menschenmasse hindurchzudrängen. Die Tatsache, dass viele der edlen Kämpen das Gedränge als eine günstige Gelegenheit verstanden, um ihre flinken Hände an die verschiedensten Körperteile der jungen Frauen gleiten zu lassen, erhöhte den Schwierigkeitsgrad erheblich. Das Ganze nahm immer mehr die Ausmaße eines großen Festes an. Noch waren die Plätze des Fürsten und seiner engsten Vertrauten leer, nur Vitus und seine Frau Muriel hatten sich schon eingefunden.
Muriel war schon in ihrer Jugend eher eine interessante, als eine ausgesprochen schöne Frau gewesen. Sie betörte mehr durch ihre üppigen Reize und die verborgenen Versprechungen ihrer Blicke, als durch ein auffallend hübsches Gesicht. Jetzt, in ihrem siebenunddreißigsten Lebensjahr, nach vier Schwangerschaften und vielen Jahren des guten Lebens, hatte ihre Figur einiges von ihrem früheren Zauber eingebüßt. In der Körpermitte und am Nacken um einige Pfund zu üppig, der Busen mittlerweile nicht mehr straff, wirkte sie auf ihre Art dennoch aufregend, wenn sie ihre rotblonde Mähne schüttelte oder einen strahlenden Blick der glänzenden grünen Augen durch die langen Wimpern warf.
Auch Kilian war bereits im Saal. Scheinbar von heiligem Eifer erfüllt, verkündete er den Anwesenden seine Version von „Gott will es“. Die Predigt endete abrupt, als einige der jüngeren, weniger trinkfesten Männer begannen lautstark fröhliche Lieder anzustimmen. Neben der puren Lautstärke war es wohl vor allem die deutliche Sprache der schlüpfrigen Texte, die den Erzpriester zum Verstummen brachte.

Aus der Kammer des Fürsten drangen unterdessen ganz andere Geräusche nach außen. Valerian hatte Merler und Henner freundlich verabschiedet. Lynx dagegen sollte die Männer des Fürsten zur Höhle des Wendigos führen. Valerian ordnete daher an, ihm Kleidung, Waffen und ein Pferd auszuhändigen und ihn bis zum Aufbruch der Gesellschaft in der Pfalz unterzubringen. Wieder allein, begannen Valerian und Gerwulf mit ersten Planungen für den schnell entschiedenen Jagdzug. Seit diesem Moment stritten sie. Zuerst hatte Gerwulf versucht Valerian zu überzeugen, dass seine Männer diese Aufgabe durchaus ohne ihren Fürsten bewältigen könn-ten. Das war zwar wahr, aber es ging Valerian vor allen darum etwas gegen seine Langeweile zu unternehmen. Nur aus diesem Grund hatte er sich überhaupt für diese seltsame Jagd entschieden und jetzt würde er keinesfalls auf eine Teilnahme verzichten. So war dieser Punkt schnell abgehan-delt, aber seitdem stritten sie über die Zusammensetzung der fürstlichen Truppe. Während Valerian mit nur einigen Jägern und persönlichen Begleitern aufbrechen wollte, hätte Gerwulf, zum Schutz seines Fürsten, am liebsten ein ganzes Regiment seiner Ritter dabei. Diese fruchtlose Diskussion ging nun schon seit Stunden hin und her, als sie unvermittelt unterbrochen wurde:
„Valerian, ich muss mit dir sprechen!“
Albin hatte den Raum nahezu unhörbar betreten. Der Weise trug ein langes, graues Gewand mit einer Kapuze, die sein weißes Haar bedeckte und das verwitterte Gesicht beschattete.
„Es ist persönlich“, fügte er mit einem vielsagenden Blick aus den strahlend blauen Augen auf Gerwulf hinzu. Dieser verstand sofort, verabschiedete sich einigermaßen höflich und verließ umgehend den Raum. Sein Respekt vor Albin hinderte ihn sogar daran die Tür allzu lautstark zuzu-schmettern.
Valerians Blick folgte seinem wütend davonstapfenden Freund. Ein unmerkliches Lächeln umspielte die fein geschwungenen Lippen. Dann widmete er seine Aufmerksamkeit dem unvermittelten Besucher.
„Also, mein weiser Freund, worum geht es?“
„Innerhalb und außerhalb dieser Mauern wird seit einiger Zeit laut über ein Thema gesprochen, über das auch wir nun einige Worte wechseln müssen.“
Valerian blickte ihn fragend an. Albin holte tief Luft und fuhr fort:„Ich hätte dieses Gespräch längst suchen sollen, aber ich wollte dich nicht kränken.“
„Albin, ich liebe und achte dich wie einen Vater. Du kannst mich nicht kränken – egal was du sagst.“ Valerians Tonfall war so warm wie der Blick aus den dunklen Augen.
„Die Feuer des Bethelfestes sind dreizehnmal entflammt, seit du die schöne Eleanor zu deiner Gemahlin machtest.“
Valerian ließ die letzten dreizehn Jahre vor seinem inne-ren Auge vorbeiziehen. Viel war geschehen: Er selbst hatte sich von einem wilden Jüngling zum Herrscher dieses Reiches gewandelt. Sein älterer Bruder Hilarius, der dieses Erbe hätte antreten sollen, war auf den weiten Ebenen im Süden verblutet. Kurz danach war sein Vater Marius gestorben und die Erbfolge hatte ihn auf den Thron gesetzt. Es stimmte, er hatte nur noch wenig mit dem jungen Ritter gemein, der damals so vermessen war anstelle seines Bruders um die Hand der schönsten Edelfrau des Reiches anzuhalten. Seinem Vater hatte dieses Verhalten überhaupt nicht gefallen, aber Hilarius hatte der Verbindung des verliebten Paares zugestimmt und so musste auch Marius sein Einverständnis erklären. Zwischen Valerian und seinem älteren Bruder hatte immer ein besonderes Verhältnis geherrscht. Sein Verlust war, neben dem frühen Tod der Mutter, das Schmerzlichste, was ihm jemals widerfahren war. Valerian hatte sich oft gefragt, ob die Tatsache, dass sein Bruder bis zu seinem frühen Tod keine Ehefrau wählte, etwas mit seiner damaligen Entscheidung zu tun hatte. Wo waren die Jahre nur geblieben?
„Mir kommt es vor, als wäre es erst gestern gewesen.“
Albin schlug die Kapuze zurück und enthüllte sein Gesicht und den gewaltigen weißen Bart.
„Dreizehn Jahre sind eine lange Zeit“, wiederholte er.
Valerian warf einen tiefen Blick auf die zeitlosen Züge seines Ratgebers. Ein verstohlenes Lächeln stahl sich in sein Gesicht. Solange er zurückdenken konnte, hatten sich diese Züge nicht verändert. "Albin, du warst schon mein weiser Ratgeber, als ich noch ein Knabe war und vorher warst du der Ratgeber meines Vaters. Ich habe die ernste Vermutung, dass dein Leben ewig währt. Dreizehn Jahre be-deuten für dich nicht mehr als einen Wimpernschlag." Un-bewußt fragte er sich, wie alt Albin wohl tatsächlich war.
„Mein Leben wird andauern, solange meine Götter meiner bedürfen. Für die Götter bedeutet die Zeit nichts, daher ist auch meine Lebensspanne nicht von der Zeit, sondern vom Willen der Götter abhängig. Dein Gott ist dagegen nicht so großzügig und deine Zeit auf Erden ist begrenzt. Dreizehn Jahre sind eine sehr lange Zeit, wenn man bedenkt, dass Eleanor dir bis heute keine Kinder geboren hat."
"Ich liebe Eleanor, seit ich sie zum ersten Mal erblickte. Sie ist die Frau meines Lebens. Sie ist mir alles: Frau, Geliebte und Freund. Für mich spielt es keine Rolle, ob sie mir Kinder schenkt oder nicht.“
„Du bist aber nicht irgend jemand. Du bist der Fürst dieses Reiches. In dieser Position ist die Zeugung eines Nachfolgers keine Privat-, sondern eine Staatssache.“ Albins volltönende Stimme klang leise und bedauernd.
„Und was soll ich deiner Meinung nach tun? Eines steht jedenfalls fest: Ich werde mich niemals von ihr trennen! Wenn Gott uns keine Kinder schenkt, bin ich machtlos. Du dagegen bist es vielleicht nicht. Schon als ich noch ein Knabe war, hast du mir von der Allmacht der Götter er-zählt. Was ist mit deinen Göttern? Ich bete sie zwar nicht an, aber dein Verhältnis zu ihnen könnte nicht en-ger sein. Warum bittest du nicht die alten Götter um Hil-fe?“
„Die Götter lösen keine Probleme, die der Mensch selbst zu bewältigen vermag. Es ist das Blut des Vaters, das ein Kind zum Thronfolger macht. Die Frau ist in diesem Zusammenhang nicht wichtig.“
„Was soll das heißen?“
„Dass schon oft ein Bastard einen Thron bestiegen hat. Es gibt genug Frauen am Hof, die freudig dein Kind austragen würden.“
Das Gespräch nahm eine Wendung, die Valerian überhaupt nicht gefiel. Was Albin eben aussprach, war mehr als eine Andeutung. Heißer Ärger stieg in ihm auf.
„Schlägst du mir gerade vor, dass ich mich zu einer ande-ren Frau legen soll, um einen Erben zu zeugen? Das kommt keinesfalls in Frage!“
Albin, der die aufkeimende Wut seines früheren Schützlings bemerkte, sprach ruhig weiter.
„Es geht dabei doch nicht um Liebe. Es geht darum dem Reich einen Erben von deinem Blut zu geben. Eleanor ist eine vernünftige Frau, sie wird es verstehen. Du musst es tun. Es ist der einzige Weg.“
Valerian kannte diesen Tonfall. Genau so pflegte Albin ihm schon vor Jahren jene Lehren und Regeln darzulegen, die jeder außer dem störrischen Fürstenkind verstehen wollte. Das allein hätte schon einen Wutausbruch zur Folge gehabt, aber dieses Thema hatte noch einen anderen Aspekt. Valerian wußte genau, dass Albin nicht der Einzige an seinem Hof war, der so dachte. Die ganze angestaute Wut platzte aus ihm heraus.
„Nicht für mich! Und noch etwas, solltest du diese Mög-lichkeit jemals Eleanor gegenüber erwähnen, so sind wir geschiedene Männer!", schrie er Albin an. Dann sah er den gequälten Ausdruck seines Freundes und einstigen Lehr-meisters. "Um meiner Liebe für dich willen, und weil ich weiß, dass deine Sorge ehrlich gemeint ist, will ich die-ses Gespräch vergessen", fügte er schon wesentlich ver-söhnlicher an. "Ich bin nicht der letzte Mann aus dem Ge-schlecht des Adlers. Auch mein jüngerer Bruder Vitus ist von fürstlichem Blut. Seine Frau hat ihm bereits Söhne geboren. Sollte Eleanor und mir kein Kind vergönnt sein, so werden er und seine Kinder meine Erben sein.“
„Das ist nur ein weiterer Grund für meine Bitte. Dein Bruder an sich ist schlimm genug, aber der Einfluss, den der Priester auf ihn und seine Familie besitzt, ist ver-heerend. Sollte Vitus oder einer seiner nichtsnutzigen Söhne deine Nachfolge antreten, wäre dies eine Katastrophe für das Reich.“
"Ich glaube, du lässt dich zu sehr von deinen persönlichen Differenzen mit Vitus beeinflussen. Jeder weiß, dass es sein fester Glaube an unseren Gott ist, der ihn und dich entzweit."
"Nicht sein Glaube an seinen Gott, seine Abhängigkeit von den unseligen Lehren des Priesters ist es, die dem Reich schaden wird."
"Ich jedoch liebe und schätze meinen Bruder", entgegnete Valerian. Das war nicht immer so, erinnerte er sich be-drückt. Als er damals erfuhr, dass seine geliebte Mutter bei der Geburt seines Bruders gestorben war, hatte er dieses schreiende zerknitterte Wesen mit einer Inbrunst gehasst, zu der nur ein Sechsjähriger fähig ist. "Unser Volk ehrt ihn hoch. Von uns beiden wäre er vielleicht so-gar der bessere Fürst."
"Dies mögen er und Kilian sehr wohl denken. Ich werde also zu den Göttern beten, dass sie dir einen Sohn schenken. Doch sei gewarnt, die Götter erfüllen Bitten auf ihre eigene Weise. Es mag sein, dass es anders geschieht, als wir erwarten." Mit diesen Worten verließ der weise Mann einen nachdenklichen Fürsten.
 



 
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