der menschenwolf (das hatten wir doch schon)

xyannic

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1.Kapitel
Die großen Feuer der Bethelfeste warfen ihren hellen Schein von den Gipfeln der Berge und durchbrachen die he-reinbrechende Dunkelheit mit flackerndem Licht und zu-ckenden Schatten. Seit Anbeginn der Zeitrechnung trugen die Menschen so das alte Jahr zu Grabe und feierten den Beginn der neuen Zeit. Die Geburt des Jahres 347 im drit-ten Zeitalter gab allerdings wenig Anlass zum Überschwang und so waren die Feiern diesmal eher zurückhaltend. Der Winter war lang und hart. Schnee und Eis waren aus dem Gebirge weit in die Täler und Steppen vorgedrungen. So gut wie alle Gewässer waren bis in viele Fuß Tiefe gefro-ren, nur die großen Ströme flossen noch dem Meer entge-gen. Wie die Tiere des Waldes und der Steppe litten auch die Menschen an Hunger und furchtbarer Kälte. So nahm das Jahr 346 viele Seelen mit in sein eisiges Grab. Die ein-fachen Menschen fragten sich, ob es jemals wieder Früh-ling werden würde oder ob die Götter sie, ihrer vielen Sünden wegen, auch im neuen Jahr mit eisigem Tod strafen wollten. Auch ohne diese Heimsuchung war ihr Leben schwer genug. Seit dem Zerfall des alten Imperiums und dem Tod des letzten Kaisers, der das Ende des zweiten Zeitalters bedeutete, hatte es zwischen den ehemaligen Provinzen keinen dauerhaften Frieden mehr gegeben. Die politischen Strukturen des Kontinentes waren äußerst undurchsichtig und instabil. Königreiche entstanden und vergingen schneller als die Jahre wechselten. Größere Schlachten waren häufig; Grenzverletzungen, kleinere Scharmützel und Übergriffe an der Tagesordnung; Sklaverei, Mord und Tot-schlag in vielen Gebieten die Regel. Im Gegensatz zu den meisten seiner Untertanen brauchte Valerian, der Fürst von Myclos, Hunger und Kälte nicht zu fürchten. Die Vor-ratskammern seiner mächtigen Pfalz inmitten der Haupt-stadt Aeixar waren bis zum Bersten gefüllt. In den Sälen und Gemächern sorgten große Kaminfeuer und Becken mit glühenden Kohlen Tag und Nacht für behagliche Wärme. Das Leid der einfachen Bauern und Handwerker drang nur selten durch die dicken Mauern dieser gewaltigen Festung. So rührte die Not seiner Untertanen zwar sein Herz, beein-flusste aber selten sein Handeln, da gegen ein von Gott gesandtes Übel auch ein mächtiger Herrscher wie er macht-los war. Myclos war unter der gestrengen Führung seiner Vorfahren zum größten und mächtigsten Reich im Nordteil des Kontinentes aufgestiegen. Es erstreckte sich mittler-weile von der Küste des Westmeers bis hin zu den Füßen der hohen, unbezwingbaren Berge des trennenden Gebirges. Von Anfang an beruhten Myclos Macht, sein Wachstum und seine relativ stabile innere Ordnung vor allem auf massi-ver militärischer Präsenz und der ständigen Bereitschaft diese unverzüglich und rücksichtslos einzusetzen. Die herausragende Stellung der fürstlichen Kämpfer in dieser Gesellschaft wurde durch die Vergabe von erblichen Titeln untermauert. Dem einfachen Volk war dagegen jeder Besitz von Waffen unter strengster Strafe untersagt. Mit der Herrschaft von Valerians Urgroßvater Magnus wurden die Heerführer zu Herzogen und so auch zu zivilen Machtha-bern. Diese Positionen waren jedoch, anders als die A-delstitel, nicht erblich, sondern wurden ausschließlich vom Fürsten selbst an ausgewählte Vertraute vergeben. So verbrachte Fürst Valerian die kurzen Wintertage vor allem in Beratungen mit Angehörigen seines bewaffneten Adels und Planungen für kommende Feldzüge. Auch dem Spiel der Könige, einem höchst kriegerischen Brettspiel, widmete Valerian viel seiner Zeit. Die aufwendige Regelung der Staatsfinanzen, der Steuern und der Abgaben auf den flo-rierenden Handel lag in den Händen seines jüngeren Bru-ders Vitus, einem der wenigen Menschen, denen Valerian vollständig vertraute. Unwillkommene Ereignisse waren da-gegen die gelegentlichen Besuche des Erzpriesters des ei-nen Gottes, eines, durch die feste Überzeugung der All-wissenheit seiner von Gott ausersehen Person, unaussteh-lichen Heuchlers. Die Abende gehörten regelmäßig dem wei-sen Rat des ewigen Albins oder der Zerstreuung und Unter-haltung bei Festen und Gelagen. Die Menschen behaupteten zwar abergläubisch, Albin besäße unergründliche Geheim-nisse und magische Kräfte, für Valerian aber stellte er vor allem einen hochgeschätzten und unerschöpflichen Quell von Weisheit und Wissen dar. Die langen Winternäch-te jedoch gehörten der Liebe zu seiner schönen Frau Elea-nor. Valerian konnte also zufrieden sein, aber Langeweile und Ungeduld quälten sein Gemüt. Der Lärm und das Stimmengewirr, das aus den Korridoren erklang, als er beim Spiel der Könige gerade dabei war die aus kostbaren Hauern kunstvoll hergestellte Armee seines Heerführers und Freundes Gerwulf entscheidend zu dezimieren, waren daher eine willkommene Abwechslung an diesem öden Tag. Innerlich erfreut über die erhoffte Unterbrechung der üb-lichen Eintönigkeit, bemühte er sich seiner Stimme jenen verärgerten und ungehaltenen Ton zu geben, den man von einem in seinen wichtigen Geschäften gestörten Herrscher einfach erwartete.
„Was soll dieser ungebührliche Lärm?“
Lautstärke und Tonfall verfehlten ihre Wirkung nicht. So-fort erschien ein ängstlicher und aufgeregter Diener. „Mein Fürst, vergebt mir diese unverzeihliche Störung! Es ist nicht meine Schuld,“ begann er seine Rechtfertigung. „Da draußen haben sich Bauern aus dem Dorf Glenfiddig versammelt. Sie haben ein Anliegen und baten um einen Mo-ment Eurer Zeit. Ich habe ihnen erklärt, daß Ihr Eure kostbare Zeit nicht mit den Sorgen solch unwichtiger Zeitgenossen verschwendet. Dennoch hörten sie nicht auf mich zu bedrängen. Darauf hin habe ich die Wachen geru-fen, um sie zu entfernen. Da haben sie begonnen Lärm zu schlagen.“
„Was für ein Anliegen mag ihnen so wichtig sein, daß sie meinen Unmut riskieren? Bauern haben normalerweise nicht genug Herz sich dem Willen gewappneter Ritter entgegenzu-stellen.“
„Sie reden wirres Zeug von Wölfen und Geistern, Werwölfen und Wendigos.“
„Geister, Werwölfe und Wendigos? Ungewöhnlich, und Unge-wöhnliches macht mich neugierig. Lasst die Wortführer ein!“
„Wie Euer Gnaden wünschen“, erwiderte der Diener ver-blüfft und eilte hastig aus dem Saal, dem Lärm entgegen. Unmittelbar darauf kehrte er mit drei vor Aufregung und Verlegenheit im Gesicht hochroten Männern zurück. „Die Gesandten des Dorfes Glenfiddig, Euer Gnaden“, erklärte er herablassend. Die drei Männer knieten mit gesenkten Köpfen nieder. Valerian und Gerwulf erhoben sich langsam von den mit feinem Leder bezogenen Sesseln und traten von dem Tisch mit dem aufgebauten Spielbrett auf die knienden Bauern zu. Gerwulf trug auch hier in der Pfalz stets Stahl. Die einzige Würdigung der Sicherheit der bestbe-wachten Festung des Reiches bestand darin, dass er inner-halb der Mauern nicht die schwere, gehämmerte Kriegsrüs-tung trug, sondern ein Kettenhemd zu den üblichen engen Beinkleidern. Seine ganze Gestalt strotzte vor Kraft. Die Schultern waren durch das von frühester Jugend an auf ih-nen lastende Gewicht schwerer Rüstungen fast schon unna-türlich breit. Sein grobschlächtiges, ehrliches Gesicht wurde durch eine breite Narbe, die sich vom Kinn bis zur Stirn hinauf zog, verunstaltet: Ein Andenken an einen Schwerthieb, der ihn fast sein rechtes Auge gekostet hät-te. Der allgemeinen Mode trotzend trug Gerwulf sein rotes Haar kurz geschnitten. Auch der Bart war sorgsam ge-stutzt. Im direkten Vergleich mit seinem Jugendfreund konnte man Valerian durchaus einen schönen Mann nennen. Er war noch eine Handbreit größer als der neben ihm ste-hende Ritter. Obwohl seine Gestalt ebenfalls kraftvoll wirkte, war sein Körperbau wesentlich schlanker und wohl-proportioniert. Das sorgsam glattrasierte Gesicht wurde von einer Nase, die wohlmeinende Zeitgenossen mit dem Ad-lerwappen seines Geschlechtes verglichen, andere einfach als groß bezeichneten, dominiert. Die langen Wintermonate hatten seine Züge mit einer feinen Blässe überzogen, wel-che das tiefe Schwarz seines langen Haars noch stärker betonte. Valerian trug ein zwar einfach geschnittenes, aber aus erlesenem Stoff bestehendes, graues Gewand. Der Fürst brauchte keine Bestätigung seiner Macht durch auf-fallende Kleidung oder edlen Schmuck. „Was haben wir denn hier?“ knurrte er unwirsch, während er die ungebetenen Besucher mit einem durchdringenden Blick aus seinen dunk-len Augen begutachtete. „Drei unverschämte Hinterwäldler! Was fällt euch ein, die erhabene Ruhe meiner Wohnstatt zu stören? Steht auf und begründet euer Anliegen. Aber seid gewarnt: Köpfe aus deren Mündern Worte dringen, die mei-nen edlen Ohren zuwider sind, sitzen oftmals nicht allzu fest auf ihren Schultern!“ Dabei zwinkerte er Gerwulf verstohlen zu. Dieser setzte, zur Bestätigung der unver-hüllten Drohung seines Freundes und Lehnsherren, eine finstere Miene auf und legte die große Hand vielsagend auf das gegürtete Schwert. Mit der bedrohlichen Möglich-keit eines schnellen Ablebens konfrontiert, änderte sich die Gesichtsfarbe der drei Bittsteller schnell von be-schämtem Rot in angsterfülltes Kalkweiß. Zögerlich fasste sich einer der Angesprochenen, ein wohlbeleibter kleiner Mann, ein Herz, erhob sich und begann zu sprechen. „Euer treues Dorf Glenfiddig erbietet Eurer Hoheit untertänigs-te Grüße. Verzeiht uns, wenn wir das Missfallen Eurer Herrlichkeit erweckten, aber wir wussten keinen anderen Rat als Euch um Beistand anzuflehen.“ Die vielen Jahre, die sein Leben offensichtlich schon andauerte, hatten sein Gesicht tief durchfurcht und nahezu jedes Haar von seinem runden Schädel verbannt. Seine Kleidung wirkte fast nobel, voll mit Stickerei und Verzierungen. Beim nä-heren Hinschauen sah der aufmerksame Betrachter jedoch, dass sie oftmals geflickt und ausgebessert war. Seine Schuhe und Beinkleider waren, im Gegensatz zu denen sei-ner beiden Begleiter, nicht über und über mit Schmutz und Kot besudelt. Dies wies deutlich darauf hin, dass er als einziger ein Pferd oder irgend ein anderes Reittier be-saß.
„Ich bin Merler, der Dorfschulze. Eine grauenhafte Angst hat unser ganzes Dorf befallen. Viele Bewohner haben ihre Höfe bereits verlassen und auch von jenen, die bisher noch geblieben sind, haben einige schon heimlich ihre Sa-chen gepackt. Wenn Eure Hoheit nichts unternimmt, wird unsere Heimat in Kürze entvölkert und verlassen sein.“
„Und was bereitet meinen Untertanen solch eine gewaltige Angst, dass sie das gute Land ihrer Väter und Großväter verlassen?“
„Herr, jedes Mal, wenn der Winter in den Bergen lang und streng ist, kommen die Wölfe aus dem Norden herab. Sie rauben unser Vieh. Manchmal kommen sie nachts sogar bis ins Dorf um zu stehlen und ängstigen Weiber und Kinder.“
„Dann sammelt eure Männer, nehmt euch Stöcke, und verjagt sie!“ warf Gerwulf verärgert ein, „Ich glaube kaum, dass es dazu meiner Ritter bedarf.“
„Herr, nicht die Wölfe sind der Grund für die Flucht. Un-sere Männer haben sie schon in vielen Wintern vertrieben, und ein oder zwei gerissene Lämmer sind nun mal der Preis der Dunkelheit. Doch bei den Wölfen hat man ein dämoni-sches Wesen gesehen. Es hat den Körper eines Menschen a-ber den Kopf eines Wolfes. Die, die es sahen, schworen, dass es ein Wendigo sei. Ein Wesen aus der Hölle, ein Menschenwolf, der Kinder frisst. Gegen diese Kreatur er-bitten wir den Beistand Eurer edlen Streiter. Wir sind nur Bauern; wir wagen es nicht, uns einem solchen Teufel zum Kampf zu stellen. Eure Ritter jedoch sind edle Kämpen und Streiter Gottes, sie können sicher auch solch einen Dämon besiegen.“
„Ein Wendigo?“ Gerwulf lachte verächtlich. „Sicher haben eure Hirten gegen die Kälte dem heißen Wein zu stark zu-gesprochen, denn so erklären sich derartige Kindermärchen für gewöhnlich.“
„Zuerst glaubte ich das auch, edler Ritter. Aber man hat das Wesen schon zu oft gesehen und die Männer, die es bei ihrem Leben beschwören, sind geachtete Mitglieder der Ge-meinde, keine Lügner oder Trunkenbolde. Glaubt mir Herr, etwas Böses haust in unseren Bergen.“ Er wand sich an den rechts von ihm noch immer knienden, mageren Mann: „Hen-ner, du hast es doch selbst gesehen. Erzähle den edlen Herren was geschehen ist.“
Der Angesprochene erhob sich. Das Auffallende an seinem ansonsten nichtssagenden, eingefallenen Gesicht waren die kleinen Augen, von denen jedes in eine andere Richtung blickte als sein Gegenstück. Der offene Mund enthüllte ein Gebiss, das aus braunen, abgebrochenen Zahnstummeln bestand. „Henner heiß´ ich, Eu´r Gnaden“, begann er in der ungebildeten Redeweise der niedrigen Stände zu spre-chen,„Henner der Gerber“.
„Jetzt weiß ich, woher der Wohlgeruch entstammt“, raunte Gerwulf dem Fürsten grinsend zu, „der die Luft hier schwängert.“
Henner sprach unterdessen ungeschickt aber begeistert weiter. Langatmig und stotternd erzählte er, wie er mit seiner Frau in der Küche saß, wie sie durch den ungewöhn-lichen Lärm der Kühe aus dem Stall aufgeschreckt und wie er und seine Söhne dann mit Stöcken bewaffnet in den Stall gingen.
„Komm endlich zur Sache!“, unterbrach der Fürst diesen Redeschwall ungeduldig, bevor er auch noch die Namen der Kühe erfahren würde.
„Jawohl Herr“, Henner zuckte ängstlich zusammen. „Wie wir also in d´n Stall komm´n, da seh´n wir mehr´re große graue Wölf´. Mein jüngst´s Kalb hatt´n sie geriss´n und fraß´n daran. Wie wir mutig näher tret´n um sie zu verdresch´n, da lauf´n die nich weg, nee, die geh´n nur kurz zurück und krurr´n uns wütend an. Und da sehen wir das Wes´n, auch das hatt´ von dem Kalb gefress´n und war ganz von dem Blut besud´lt. Es hat den Körper von ´nem Mensch´n gehabt, das konnt´ ich genau erkenn´n. Es stand aber nich´ aufrecht wie ´n Mensch. Auf all´n Vier´n hat´s gekauert. Auf den Schultern hat´s aber nich den Kopf von ´nem Menschen gehabt! Und geknurrt hat´s, nich´ wie ´n Wolf, noch schrecklicher! Da hab´n wir Angst gekriegt. Wir hab´n uns´re Knüpp´l fortgeworfen und sind zurück ins Haus gerannt. Herr, ich war auch so ein´r, der wo immer über die alt´n Geschicht´n gelacht hat, aber so wahr ich hier steh´, was ich geseh´n hab, das war ein Mensch´nwolf. Ein schrecklich´s, höllisch´s Geschöpf.“
„Wie kannst du es wagen dem Fürsten ein solch abstruses Lügenmärchen zu erzählen?“ Gerwulf zog sein Schwert. „Ich werde dir die Wahrheit schon entlocken!“
„Eu´r Gnad´n. Gott ´s mein Zeug´, ´s wirklich die Wahr-heit!“
„Steckt Euer Schwert weg, Ritter Gerwulf!“, befahl Vale-rian, „Dies scheint ein ehrlicher Mann zu sein. Dumm, a-bergläubisch und feige, aber ehrlich.“ Valerian achtete streng darauf, öffentlich Gerwulf gegenüber die übliche Förmlichkeit zwischen Fürst und Untertan an den Tag zu legen. Waren sie allein, wählten sie einen Umgangston, der ihrer engen Freundschaft entsprach.
„Erlaubt mir, Euch meine Geschichte zu erzählen, mein Fürst“, erhob der dritte Mann sich und erstmals seine Stimme: “Mein Name ist Lynx.“
„Das ist ein edler Name für einen Bauern. Wie kommst du an ihn? Deine Erscheinung zeugt nicht vom alten Blut.“ Valerian musterte den Angesprochenen. Er war deutlich kleiner als Valerian und auch schmaler in den Schultern. Sein Gesicht war sehr ebenmäßig, neben der geraden Nase und dem um Mund und Kinn verlaufenden Bart, waren es vor allem die großen braunen Augen, die den Betrachter fes-selten. Lynx war sicherlich ein gutaussehender Mann. Den-noch überkam Valerian sofort das Gefühl, dass er ihn we-der mit einer Geldbörse noch mit einer Frau allein lassen würde. Dies mochte daran liegen, dass Lynxs schöne Augen Valerians forschenden Blick nicht aushalten konnten und sich, immer wenn sich ihre Blicke trafen, sofort abwand-ten. Unterdessen setzte der so Beobachtete seine Antwort fort: „Der Name gehört zu meiner Familie, Herr. Einer Eu-rer edlen Vorfahren gab ihn einst dem Ahn meiner Väter. Der Sage nach war er die Belohnung für eine wilde Jagd. Seit dieser Zeit trägt ihn in jeder Generation immer der erstgeborene Sohn.“
„Nun gut Lynx, erzähle uns deine Geschichte!“
„Mein Hof liegt weit ab vom Dorf in der Nähe des Waldes. Daher bin ich mehr ein Jäger als ein Bauer", ein uner-gründliches kleines Lächeln erhellte sein Gesicht. "Auch das war in meiner Familie schon immer so."
Valerian fragte sich unvermittelt, ob tatsächlich nur Wild zur Beute dieses Mannes wurde.
"Als diesen Winter wieder die Wölfe kamen, baten mich die Männer des Dorfes um Hilfe. Wir banden ein Zicklein als Köder nah an den Wald. Das jämmerliche Klagen der kleinen Geiß sollte die Wölfe herbeilocken. Dann warteten wir gut verborgen auf die grauen Räuber."
"Die wohl klügste Idee für solch einen Fall", warf Ger-wulf ein. Lynx nickte ihm zu. "Ich habe schon in vielen Wintern Wölfe gejagt und ich weiß daher genau, dass sie keine dummen Mörder sondern schlaue Jäger sind. Diese Wölfe aber schienen genau zu wissen, dass die wehrlose Beute am Waldrand eine Falle war. Wir bekamen nicht einen einzigen von ihnen zu sehen. Während wir Männer beim Kö-der warteten, rissen sie das unbewachte Vieh im Dorf. So narrten sie uns mehrere Nächte lang, bis kein Mann mehr sein Vieh verlassen wollte um beim Köder zu lauern. So kam es, dass ich eines Tages allein zum Waldrand ging um das Zicklein zurück in den Stall zu bringen. Da kamen sie, um sich ihre Beute zu holen. Sie traten offen aus dem Wald heraus auf mich zu. Ich bin wirklich kein Feig-ling, aber diese ruhige, arrogante Selbstsicherheit raub-te mir den Nerv. Ich ließ den Strick, mit dem ich die Geiß führte, fahren und kletterte so schnell ich konnte auf den nächsten Baum. Von dort oben sah ich machtlos zu, wie sie das Zicklein zerrissen."
"Ihr scheint da ja wirklich ein gerissenes Rudel zu ha-ben", unterbrach Gerwulf die Schilderung erneut, „dennoch habe ich von dir bisher noch nichts vernommen, was die Existenz dieses sogenannten Wendigos beschreibt."
"Bitte Herr Ritter, lasst mich meine Schilderung zu Ende bringen. Was ihr hören wollt, wird gleich folgen." Ger-wulf nickte und Lynx setzte seine Erzählung fort. "Derart an der Nase geführt zu werden machte mich äußerst wütend. Ich war wild entschlossen diesem Rudel seinen Hochmut zu vergelten. Daher ging ich am nächsten Morgen ins Dorf und überredete einige Männer mich auf meiner Jagd zu beglei-ten. Im Schnee konnten wir die Tritte der Räuber genau erkennen und diese Spuren führten uns nach einigen Tagen zu ihrem Lager. Wir fanden es am Fuße eines Berges am En-de des Waldes. Am Abend, noch vor Einbruch der Dämmerung, schlichen wir vorsichtig zum Lager und warteten auf das Erscheinen der Wölfe. Wir mussten außerordentlich Acht geben, denn das Lager lag so frei, dass ein unbemerktes Herankommen nahezu unmöglich war. Wir warteten noch nicht lange in der jetzt hereinbrechenden Dämmerung, als ein ausgewachsener, großer, grauer Wolf aus einem der Löcher auftauchte, die sich über den gesamten Bergrücken hinzo-gen. Diesem Tier folgten zwei weitere von derselben Grö-ße. Meine Begleiter griffen zu ihren Waffen, denn nun schien der Moment gekommen, dieses dreiste Rudel auszu-rotten. Kurz darauf schlossen sich zwei kleinere jüngere Tiere den ausgewachsenen Wölfen an. Dicht hinter ihnen kam ein schrecklich aussehendes Wesen langsam aus der Höhle. Zunächst sahen wir nur seinen Oberkörper und einen Kopf, der seltsam unförmig war. Fell oder Haare bedeckten neben diesem Kopf auch die Schultern und einen Teil des Oberkörpers. Ein Gesicht konnte ich nicht erkennen, aber seine Augen leuchteten, anders als menschliche Augen, hell und durchdringend in der aufkommenden Dunkelheit. Der Wendigo stützte die Ellbogen auf den Rand der Höhle, schaute vom Höhlenausgang erst zur einen, dann zur andern Seite und sprang heraus, um den Wölfen zu folgen. Er lief auf allen Vieren, dennoch konnte ich erkennen, dass Arme, Beine und Körperbau menschlich waren. Bei diesem Anblick verloren meine Männer ihre Nerven. Sie warfen Bögen, Pfeile und Lanzen fort und liefen davon. Allein mit den dadurch aufmerksam gewordenen Wölfen und diesem Wesen hatte auch ich keine andere Wahl als zu fliehen."
"Wirst du die Stelle, an welcher ihr das Lager fandet, wiederfinden?" fragte Valerian. Er hatte seine Entschei-dung längst getroffen.
"Sicher, mein Fürst."
„Die Wintertage hier im Schloß damit zu verbringen, das Spiel der Könige zu spielen und auf den Frühling zu war-ten, langweilt mich", Valerian blickte gutgelaunt in Ger-wulfs missbilligendes Gesicht. "Ihr, mein Freund, seid ein zu schlechter Spieler und Albin ein zu guter. Warum jagen wir nicht zur Abwechslung ein paar Wölfe und einen Wendigo? Ich glaube, die Gegend um Glennfiddig eignet sich zu dieser Zeit besonders gut dazu.“
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
na gut,

sagen wir mal, das ist der erste teil der geschichte. wo bleibt der rest? es muß doch noch einen knaller geben nach diesem geplätscher. ganz lieb grüßt
 
W

willow

Gast
Hallo Xyannic,

Schön, dich mal wieder in der Lupe zu sehen... hattest dich ja ziemlich rar gemacht.

Eine ziemlich wortgewaltige Geschichte, die du da geschrieben hast... ich kann mich auch daran erinnern, sie auf deiner Homepage schon gelesen zu haben und dass mich da vor allem die bildreichen Sprache fasziniert hatte.

Auch wenn ich kein SciFi - Fan bin... oder vielleicht bin ich sogar einer, aber ich kann mich oft nicht in diese Welten eindenken... hab ich sie gerne gelesen.
Auch die Charaktere sind gut beschrieben, und obwohl ich nicht weiß, was ein Dorfschulze ist, so war mir dank "Charmed - zauberhafte Hexen" ein Wendigo doch ein Begriff :D...

Ich freu mich auf Neues von dir.

LG,

Willow
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
hach,

willow, da haste mich aber ungewollt zum lachen gebracht. da ich charmed nicht sehe, ist mir nur verschwommen deutlich, was ein wendigo sein könnte, aber den dorfschulzen, den kenne ich aus der schule und von vielen büchern. das is der bürgermeister, er durfte sich nur nicht so nennen, weil ein dorf keine stadt is. ganz lieb grüßt
 



 
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