R
rmdp
Gast
Der Moment des Handlungsreisenden.
Eigentlich hätte es ein Leserbrief sein sollen.
Aber ich fürchtete um die Veröffentlichung.
Daher wende ich mich damit an die Leselupe.
Und damit die Leserschaft und ich einander nicht gleich am Anfang missverstehen: Ich bin kein Handelsreisender sondern ein Handlungsreisender.
Manche unter euch werden fragen „was ist der Unterschied?“
Nun der Unterschied ist…na ja wie soll ich mich ausdrücken, ohne das Ganze schon nach 5 Zeilen preiszugeben?
Er ist gewaltig…gewaltig im wahrsten Sinne des Wortes.
Sie werden mir am Ende zustimmen.
Aber Sie müssen bis zum Exitus lesen.
Sich durch diese Geschichte einfach sang- und klaglos durchnagen – wenn ich das so sagen darf.
Ohne den Zustand Ihrer werten Hirngebisse im Einzelnen zu kennen.
Wie sollte ich denn auch?
Als ich heute Morgen im Erdgeschoss meines derangierten Zinshauses vor den neuen grauglänzenden Posteinwurfsschlitzen stand, überkam es mich: vor diese vom Zahn der Zeit völlig abgenagten Sau von einem Haus wirft die Post diese wunderschöne grauglänzende Perle.
Der Zahn der Zeit ist die Gebissprothese der Immobilienspekulanten.
Und unser Haus ist das Musterhaus.
Ich lebe hier in der Wohnung meiner Großmutter.
Sie – die Wohnung - war außer einem Überbringersparbuch das einzige was mir von ihr blieb.
Sie war der einzige Mensch den ich mochte.
Ja mochte, denn von Liebe kann keine Rede sein.
Habe nicht die geringste Ahnung von Liebe, kann mir gar nicht vorstellen wie man sich dabei fühlt. Außerdem ich wüsste niemanden der mich liebt.
Wie soll ich dann jemanden lieben?
Sie werden denken ich mache es mir zu einfach?
Kann sein.
Dazu kommt, dass ich die Nähe von Menschen nicht mehr sonderlich suche.
Das war früher anders…ich meine viel früher.
Aber nachdem Oma starb zog ich mich zurück.
Wurde einsam weil ich es wollte.
Ihr Tod - und vor allem die Art und Weise wie sie sterben musste – ja – musste, war irgendwie pervers.
Sie starb in einem Käfig.
So sah es zumindest aus, dieses rundum vergitterte Bett in dem sie lag.
Völlig gesund bis auf einen gebrochenen Oberschenkel, kam sie in dieses Spital.
Eine plötzliche Infektion der Blase hieß es.
Danach drehte sie irgendwie durch.
Man hatte Angst sie würde aus dem Bett fallen und sich alle Knochen brechen.
Deswegen der Käfig.
Sie flehte mich an ich solle sie doch da rausholen – retten – sagte sie…“rette mich um Jesu willen“.
Ja genau das waren ihre Worte.
An fast jeder Ecke stand in dem alten Kasten eine Mutter-Gottes-Statue.
Ihr Sohn hing unzählig und unergründlich an Kreuzen und Wänden.
Nichts davon hatte geholfen. Zumindest nicht für Oma.
Helfen können dir nur Menschen.
Gott zog sich vor 15 Milliarden Jahren ins Privatleben zurück, nachdem ihm das mit dem Urknall passierte.
Mit ihm kann man nicht rechnen.
Ein Versager.
So wie ich.
Wie hätte ich Oma denn retten können?
Die weißen Ersatzgötter hatten die totale Kontrolle – und doch verschlampten sie alles total.
Ich war damals knapp 19 und 19-fach machtlos.
War fast jeden Tag bei ihr, auch am Tag vor jener Nacht in der sie verstarb.
Man hatte ein Seitengitter hochgeklappt damit ich ihre Hand halten konnte.
Eine kühle trockene Hand.
Ich küsste sie auf die Stirne und ihre Augen folgten meinem Gesicht während ich mich ihr näherte. Durchdrangen mich, sanft blickend auf meinem letzten Weg zu ihr.
Jenen letzten Blick mit dem sie mich danach nicht mehr wahrzunehmen schien werde ich nie und nimmer vergessen.
Sie blickte irgendwie nach innen - in sich selbst – vielleicht gar zurück an den Anfang ihres Seins.
Jedenfalls schien Sie dabei etwas gesehen zu haben, dass ihr jegliche Angst nahm.
Irgendwie vermittelte sie mir das auch und ich ging beruhigt von ihr weg.
Gerne wäre ich noch einmal mit ihr an dem kleinen Küchentisch gesessen, um mit ihr Kaffee zu trinken und ich hätte ihren wunderbaren Apfelstrudel – mit viel Staubzucker drauf - gegessen.
Der letzte Tisch an dem ich mit ihr saß war dann der Obduktionstisch.
Ich bin echt in die Knie gegangen und man musste mir einen Stuhl geben.
(sie hatte dazu irgendwann mal so eine Erklärung unterschrieben…oder was auch immer)
Ich kann bis heute nicht begründen warum gerade ihr Tod und die Umstände für mich der Anfang und das Ende von Liebe waren.
Irgendwie klappte ich seit damals nicht mehr.
Ich funktioniere zwar, aber ich klappe nicht.
Ich übernahm die Wohnung rechtmäßig.
Hatte ja seit jenem Unglück bei dem meine beiden Alten starben mit ihr gelebt.
Da gab es kein Problem – ich meine mit der Wohnung.
Ich beschloss auch meinen Job an die Schraube zu hängen und arbeitete seit damals nur mehr gelegentlich.
Man könnte sagen ich wurde einer von vielen Gelegenheitsarbeitern.
Das trifft zwar nicht ganz zu – ich meine nicht im wirklichen Sinne des Wortes.
Zunächst einmal nahm ich mir unerlaubten Urlaub.
Was zu sofortiger Kündigung meiner Wenigkeit führte.
Alte, Pensionsverdächtige und Wenigkeiten sind die ersten die in unserem Wirtschaftsparadies Flügel verpasst kriegen.
Ja…noch zum Begräbnis.
Das war eine preiswerte und somit unauffällige, bescheidene Begebenheit.
Man sieht zum letzten Mal ein paar Verwandte die man kaum mehr erkennt.
Der Pfarrer hingegen sprach als hätte er Oma wirklich gekannt.
Und es gab dann doch ein paar rührende Momente.
Niemand rührte sich.
Der Rest: die übliche Prozedur.
Ich hatte bewusst keinen Kranz gekauft.
Die werden angeblich gestohlen und am nächsten Tag anderen trauernden Hinterbliebenen von den vor Ort üblichen „Zurückgebliebenen“ (d.h. Friedshofspersonal) angedreht.
Einen Strauss mit achtundzwanzig (Oma wurde an einem 21 Juli geboren) von meinen Lieblingsblumen, den weißen Calla-Lilien warf ich auf den Sarg (die waren Oma sicher).
An Stelle einer Schaufel lächerlicher Erde um 10 Schillinge.
Waren damals noch Schillinge…ja die Zeit entgeht uns – paradoxiert uns irgendwie.
Da gibt jeder der 26 Trauergäste dem Pompfineberer – so nennt man bei uns hier den Sargträger – einen Zehner oder mehr, und warum?
Der Sarg wird mit einem Auto zur Grube gebracht, fast automatisch abgesenkt und keiner rührt wirklich einen Finger.
Von Menschen getragen werden nur staatliche Ober- und Unterhäupter - von Letzteren gibt’s leider anhaltend mehr und mehr.
Der Leichenschmaus – wenn ich das Wort nur schreibe frage ich mich woher es eigentlich stammt – fand dann gleich vis a vis dem Zweiertor statt, beim Hochleutner.
Ich habe mir in den Jahren nach Omas Tod meine eigene Philosophie im Bezug auf Leichenschmaus zurechtgelegt.
Aber davon später.
Wir – also meine damalige Freundin und ich (ver)brachten anschließend jene drei letzten Wochen des Miteinanders hinter uns, die schon lange fällig waren.
Zurück in Wien stolperte ich auf dem Arbeitsamt in den Heinz.
Man redet, man hört einander zu und meint dies und das und erzählt die letzten Burgenländerwitze.
Oder was auch immer es war.
Draußen stieg Heinz in einen ziemlich neuen BMW: “da - meine Handynummer - ruf mich an vielleicht hab ich was Besseres für dich als Stempeln gehen“.
Er zwinkerte mir zu und…war weg.
Na ehrlich – durch Heinz veränderte sich mein Leben dann in erster und letzter und so manch andere Konsequenz einschneidend.
Er beschaffte mir diesen so genannten Gelegenheits-Job.
Der erste war total ungewohnt, einfach hundsmühsam.
Ich war nicht gewöhnt so mit Menschen umzugehen.
Dachte mir „nie mehr wieder“.
Aber ich fand nach und nach Gefallen an dieser Arbeit.
Ich reiste ab und zu herum und lernte immer wieder interessante Menschen kennen.
Der Mensch ist das Maß aller Dinge wenn´s um Anpassung und Lernfähigkeit geht.
Die Kohle stimmte.
Manchmal mehr manchmal weniger.
Geld war nie eine Triebfeder für mich gewesen.
Das Arbeitsamt sah mich fast nicht mehr.
Ab und zu fürs Alibi.
Als Fische im Sozialnetz wissen sie was ich damit sagen will.
So - hey…jetzt hätte mich fast verplaudert mit all dem Rundumadum.
Ja es gab Post an diesem Tag.
Drei Briefe, Gas-Stromrechnung, Werbung und was Persönliches.
Ja es war mir wieder mal eine Gelegenheits-Arbeit ins Haus geflattert.
Las sich wie eine echt dumme Geschichte: ein Mühlenbesitzer wird von seinem Buchhalter erpresst, weil er schwarz Getreide vermahlen hatte.
Und das seit 11 Jahren.
Na bitte, da erzähle mir einer Brot sei kein Geschäft.
So werden manchmal mit dunklem Brot dunkle Geschäfte abgewickelt.
Bei dem Gedanken muss ich lachen.
Seitdem der Mensch den ersten Halm kultivierte, hatte sich dadurch wirklich alles total verändert.
Mord und Totschlag hatten endlich einen Sinn gekriegt.
Früher mussten wir uns nur um die Raubtiere Sorgen machen.
Wir haben von all den Viechern nichts lernen müssen.
Wir haben die Dinge nach und nach perfektioniert.
Mein Job ist, dem Typen das Geld (eine ganze Million) zu übergeben und ihm zu sagen, dass es in Zukunft keines mehr geben kann und wird…. „von dort“ wo das herkam.
Na ja mal lauschen, ob ihm das taugt und was er dazu meint.
Die Verabredung ist in Langenlois, bei einem – wie sich herausstellt - netten Heurigen.
Er erkennt mich an der braunen, ledernen Aktenmappe.
Ein Mann wie ein Zwölfer-Typ, wahrscheinlich über fünfzig, zwei Kinder…etc..
Wundert sich gleich ein wenig, dass ich da als Fremder auftauche.
Damit quasi ein Mitwisser geworden bin.
Er war gewohnt den Chef zu treffen, hatte die Demütigung des Mächtigen, Ohnmächtigen zweifellos genossen.
Der hatte ihn im Rahmen von Rationalisierungen vor nicht ganz zwei Jahren auf die Landstrasse geknallt. Seitdem lebt der Mann besser – als Erpresser!
Reimt sich.
Ich drücke ihm die Nachricht rein, dass der Müller keine Kohle mehr für solche Sonderausgaben hätte.
Die Firma steht vor der Pleite.
Das sage ich dem Buchhalter so ganz locker ohne da irgendwie herumzuschwafeln.
Ob er das „frisst“ kann ich so über den Tisch nicht beurteilen.
Er scheint nachdenklich, ein zweifelnd, enttäuschter Ausdruck nimmt in seiner Visage Platz.
Ich versteh ihn sogar ein wenig. Obwohl ich hab mit Erpressern nichts am Hut.
Die Jauche unter den Bösewichten.
Wer sieht schon gerne so eine bequeme arbeitslose Einkommensquelle atomisiert.
„Gut…gut…“ meint er „wir trinken erst mal einen und ich denke ein paar Tage über das Ganze nach“.
Der Wein ist trotz Sodawasser gut und wir bestellen beide eine „original“ Hauswurst mit Gurken, harten Eiern, Senf und „dunklem Brot“.
Dabei kommt mir fast ein Grinsen.
Wir plaudern eher gelockert über alles Mögliche, Politik und dass wir mit ihren Protagonisten beide nichts am Hut haben und was noch alles.
Jeder hat schnell drei Spritzer intus.
Meine landen meist im Kies unter der Bank.
Ich tu mir überhaupt schwer mit Alkohol.
Er ist völlig locker und kommt mit zwei drei guten Witzen rüber.
Ein Beweis mehr dafür, dass der Wein uns schnell eine Stimmungsbrille auf das Seelenauge setzt.
Die Dämmerung haucht schon ein wenig durch die gelben und teilweise roten Weinblätter, die sich wie ein Dach schützend über unseren Köpfen ranken.
„Fräulein noch mal das Gleiche für uns…“ (ein Glas für die Sinne).
Nach Ablauf jener Zeitspanne, den drei unschuldige Augenaufschläge meiner Wenigkeit dauern, war der Moment gekommen.
Der Moment des Handelns.
Mein schmunzelnd anzüglicher Hinweis auf das geile Hinterteil der vorbeieilenden Serviererin.
Und: Schwups…schon war „mein“ Spritzer - mit dem gelösten Zaubermittelchen – einem deftigen Benzodiazepin – „sein“ Spritzer.
Heute versteh ich die Lucretia und Borgias als solche mehr denn je.
Im Grunde genommen ist alles so verdammt einfach.
Rohe Gewalt war schon damals unorthodox und ist es bis heute geblieben.
Wenn ich nur an die vielen kindischen Actionmovies denke.
Wie mutig und eiskalt die killenden Protagonisten spurenhinterlassend in handlungslosen Handlungen nicht einmal was mimen.
Es gibt keine guten Filme über ästhetisches Töten.
Keiner mit Handlungsreisenden in den Hauptrollen.
Bei dem Gedanken verberge ich mein Lächeln - in mir.
Dem Buchhalter schenke ich keines - warum auch.
Die Zeit des Lächelns ist vorbei.
Die Angst die ich immer während der Ouvertüre…oder wenn man so will - dem Vorspiel zur „Handlung“ habe, ist zu diesem Zeitpunkt wie gewöhnlich verflogen.
Sie ist nur insofern eigentlich fast - aber nur fast - lähmend weil immer etwas schief laufen könnte.
Also eine reine und klare Angst macht sich vorher breit – aber nur um mich.
Er entspannte sich immer mehr unter dem Einfluss des starken Einschläfers in seinem Blutkreislauf.
Seine Atmung - vorher eher nervös nach Luft schnappend - ist nun ruhiger, gleichmäßiger geworden.
Er scheint diesen Zustand aufkommender Müdigkeit fast zu genießen.
Ist nicht im Geringsten misstrauisch…bei der Chemie…kein Wunder.
Die Rechnung – um Gottes Willen er ist mein Gast – na klar doch.
Er muss gehen, meint er…ja…ja…soll er nur.
Ich höre - triumphierend - seine schleppenden, schon sehr leise klingenden Worte….die Gattin wartet sicher schon mit dem Abendessen und irgendwie habe er doch ein wenig zuviel getrunken.
Er klemmt die Mappe mit dem Geld unter den Arm und wankt, ohne sich von mir zu verabschieden zwischen den Tischen zum Ausgang.
Ich zahle und schlendere unhastig wie ich es mir im Rahmen der Handlung seit Langem angeeignet hatte, aus dem gastlichen Haus.
Ich beobachte wie er soeben die Autotüre öffnet.
Auf dem großen, oberhalb des Heurigen-Lokales befindlichen Parkplatz stehen nur wenige Fahrzeuge.
Es ist schon beinahe dunkel…die Zeit der langen Nächte ist gnadenvoll für Geschöpfe der Finsternis.
Ein paar rasche Schritte auf den weichen, federnden Kreppsohlen meiner Rauhlederschuhe.
Husch…husch…geschmeidig gleite ich auf den Rücksitz…er muss mein Öffnen der Türe gehört haben…wendet den Kopf nach hinten.
Durch die Innenbeleuchtung im Auto sehe ich eine Mischung aus Erstaunen und Fragenwollen in seinem Blick…es ist bereits schwer für ihn einen Satz zu formen.
Ob er den etwas vergessen habe?
Etwa zu bezahlen?
Nein, nein, beruhige ich ihn und lege meine Hand sanft auf seinen Arm, den er um die Nackenstütze des Beifahrersitzes geschlungen hatte.
Mit einer schnellen Bewegung meiner Linken versenke ich die kurze, haarfeine und schmerzlose Nadel der Diabetikerspritze in den rechten Muskelstrang oberhalb seines Haaransatzes.
Der darauf folgende Moment des Injizierens der winzigen Menge des Serums ist von lächerlichster Kürze.
Der Moment des Handlungsreisenden ist vorüber.
Epilog:
Den Einstich wird niemand entdecken.
Der Wirkstoff ist im Organismus ohnehin nur schwer nachweisbar.
Immer wieder fasziniert es mich bei jenen Gelegenheiten, wie unmerklich, behutsam und geradezu angenehm die Werkzeuge des Tötens für beide – das Opfer und den Täter im Rahmen der „Handlung“ sein können.
Der Handlung des sachlich perfekten Tötens.
Früher hatte man Linkshändern die Hand auf den Rücken gebunden.
Grausame Methode.
Nicht mit mir – Oma hat das nicht zugelassen.
Meine Omi.
Ich nehme die Mappe mit dem Geld an mich und bugsiere den Buchhalter behutsam auf den Nebensitz.
Er ist ruhig, gelassen und lächelt mir sogar zu…bilde ich mir ein.
Wir verlassen den Ort Langenlois und ich kutschiere gemächlich die paar Minuten zum Parkplatz des Spar-Großmarktes.
Dort steht mein Mietwagen.
Ich steige ein, drücke auf den Zündungsknopf.
Ich fühle ich mich jetzt besser - besser als in der verbleichenden Gegenwart des Buchhalters.
Ich bin eben ungern in der Nähe von Sterbenden.
Seit der Sache mit Omi.
Übrigens: Latexhandschuhe und Diabetikerspritzen sind gute Erfindungen.
Manche Menschen haben sogar schwer Allergien dagegen.
Gegen Beides.
Eigentlich hätte es ein Leserbrief sein sollen.
Aber ich fürchtete um die Veröffentlichung.
Daher wende ich mich damit an die Leselupe.
Und damit die Leserschaft und ich einander nicht gleich am Anfang missverstehen: Ich bin kein Handelsreisender sondern ein Handlungsreisender.
Manche unter euch werden fragen „was ist der Unterschied?“
Nun der Unterschied ist…na ja wie soll ich mich ausdrücken, ohne das Ganze schon nach 5 Zeilen preiszugeben?
Er ist gewaltig…gewaltig im wahrsten Sinne des Wortes.
Sie werden mir am Ende zustimmen.
Aber Sie müssen bis zum Exitus lesen.
Sich durch diese Geschichte einfach sang- und klaglos durchnagen – wenn ich das so sagen darf.
Ohne den Zustand Ihrer werten Hirngebisse im Einzelnen zu kennen.
Wie sollte ich denn auch?
Als ich heute Morgen im Erdgeschoss meines derangierten Zinshauses vor den neuen grauglänzenden Posteinwurfsschlitzen stand, überkam es mich: vor diese vom Zahn der Zeit völlig abgenagten Sau von einem Haus wirft die Post diese wunderschöne grauglänzende Perle.
Der Zahn der Zeit ist die Gebissprothese der Immobilienspekulanten.
Und unser Haus ist das Musterhaus.
Ich lebe hier in der Wohnung meiner Großmutter.
Sie – die Wohnung - war außer einem Überbringersparbuch das einzige was mir von ihr blieb.
Sie war der einzige Mensch den ich mochte.
Ja mochte, denn von Liebe kann keine Rede sein.
Habe nicht die geringste Ahnung von Liebe, kann mir gar nicht vorstellen wie man sich dabei fühlt. Außerdem ich wüsste niemanden der mich liebt.
Wie soll ich dann jemanden lieben?
Sie werden denken ich mache es mir zu einfach?
Kann sein.
Dazu kommt, dass ich die Nähe von Menschen nicht mehr sonderlich suche.
Das war früher anders…ich meine viel früher.
Aber nachdem Oma starb zog ich mich zurück.
Wurde einsam weil ich es wollte.
Ihr Tod - und vor allem die Art und Weise wie sie sterben musste – ja – musste, war irgendwie pervers.
Sie starb in einem Käfig.
So sah es zumindest aus, dieses rundum vergitterte Bett in dem sie lag.
Völlig gesund bis auf einen gebrochenen Oberschenkel, kam sie in dieses Spital.
Eine plötzliche Infektion der Blase hieß es.
Danach drehte sie irgendwie durch.
Man hatte Angst sie würde aus dem Bett fallen und sich alle Knochen brechen.
Deswegen der Käfig.
Sie flehte mich an ich solle sie doch da rausholen – retten – sagte sie…“rette mich um Jesu willen“.
Ja genau das waren ihre Worte.
An fast jeder Ecke stand in dem alten Kasten eine Mutter-Gottes-Statue.
Ihr Sohn hing unzählig und unergründlich an Kreuzen und Wänden.
Nichts davon hatte geholfen. Zumindest nicht für Oma.
Helfen können dir nur Menschen.
Gott zog sich vor 15 Milliarden Jahren ins Privatleben zurück, nachdem ihm das mit dem Urknall passierte.
Mit ihm kann man nicht rechnen.
Ein Versager.
So wie ich.
Wie hätte ich Oma denn retten können?
Die weißen Ersatzgötter hatten die totale Kontrolle – und doch verschlampten sie alles total.
Ich war damals knapp 19 und 19-fach machtlos.
War fast jeden Tag bei ihr, auch am Tag vor jener Nacht in der sie verstarb.
Man hatte ein Seitengitter hochgeklappt damit ich ihre Hand halten konnte.
Eine kühle trockene Hand.
Ich küsste sie auf die Stirne und ihre Augen folgten meinem Gesicht während ich mich ihr näherte. Durchdrangen mich, sanft blickend auf meinem letzten Weg zu ihr.
Jenen letzten Blick mit dem sie mich danach nicht mehr wahrzunehmen schien werde ich nie und nimmer vergessen.
Sie blickte irgendwie nach innen - in sich selbst – vielleicht gar zurück an den Anfang ihres Seins.
Jedenfalls schien Sie dabei etwas gesehen zu haben, dass ihr jegliche Angst nahm.
Irgendwie vermittelte sie mir das auch und ich ging beruhigt von ihr weg.
Gerne wäre ich noch einmal mit ihr an dem kleinen Küchentisch gesessen, um mit ihr Kaffee zu trinken und ich hätte ihren wunderbaren Apfelstrudel – mit viel Staubzucker drauf - gegessen.
Der letzte Tisch an dem ich mit ihr saß war dann der Obduktionstisch.
Ich bin echt in die Knie gegangen und man musste mir einen Stuhl geben.
(sie hatte dazu irgendwann mal so eine Erklärung unterschrieben…oder was auch immer)
Ich kann bis heute nicht begründen warum gerade ihr Tod und die Umstände für mich der Anfang und das Ende von Liebe waren.
Irgendwie klappte ich seit damals nicht mehr.
Ich funktioniere zwar, aber ich klappe nicht.
Ich übernahm die Wohnung rechtmäßig.
Hatte ja seit jenem Unglück bei dem meine beiden Alten starben mit ihr gelebt.
Da gab es kein Problem – ich meine mit der Wohnung.
Ich beschloss auch meinen Job an die Schraube zu hängen und arbeitete seit damals nur mehr gelegentlich.
Man könnte sagen ich wurde einer von vielen Gelegenheitsarbeitern.
Das trifft zwar nicht ganz zu – ich meine nicht im wirklichen Sinne des Wortes.
Zunächst einmal nahm ich mir unerlaubten Urlaub.
Was zu sofortiger Kündigung meiner Wenigkeit führte.
Alte, Pensionsverdächtige und Wenigkeiten sind die ersten die in unserem Wirtschaftsparadies Flügel verpasst kriegen.
Ja…noch zum Begräbnis.
Das war eine preiswerte und somit unauffällige, bescheidene Begebenheit.
Man sieht zum letzten Mal ein paar Verwandte die man kaum mehr erkennt.
Der Pfarrer hingegen sprach als hätte er Oma wirklich gekannt.
Und es gab dann doch ein paar rührende Momente.
Niemand rührte sich.
Der Rest: die übliche Prozedur.
Ich hatte bewusst keinen Kranz gekauft.
Die werden angeblich gestohlen und am nächsten Tag anderen trauernden Hinterbliebenen von den vor Ort üblichen „Zurückgebliebenen“ (d.h. Friedshofspersonal) angedreht.
Einen Strauss mit achtundzwanzig (Oma wurde an einem 21 Juli geboren) von meinen Lieblingsblumen, den weißen Calla-Lilien warf ich auf den Sarg (die waren Oma sicher).
An Stelle einer Schaufel lächerlicher Erde um 10 Schillinge.
Waren damals noch Schillinge…ja die Zeit entgeht uns – paradoxiert uns irgendwie.
Da gibt jeder der 26 Trauergäste dem Pompfineberer – so nennt man bei uns hier den Sargträger – einen Zehner oder mehr, und warum?
Der Sarg wird mit einem Auto zur Grube gebracht, fast automatisch abgesenkt und keiner rührt wirklich einen Finger.
Von Menschen getragen werden nur staatliche Ober- und Unterhäupter - von Letzteren gibt’s leider anhaltend mehr und mehr.
Der Leichenschmaus – wenn ich das Wort nur schreibe frage ich mich woher es eigentlich stammt – fand dann gleich vis a vis dem Zweiertor statt, beim Hochleutner.
Ich habe mir in den Jahren nach Omas Tod meine eigene Philosophie im Bezug auf Leichenschmaus zurechtgelegt.
Aber davon später.
Wir – also meine damalige Freundin und ich (ver)brachten anschließend jene drei letzten Wochen des Miteinanders hinter uns, die schon lange fällig waren.
Zurück in Wien stolperte ich auf dem Arbeitsamt in den Heinz.
Man redet, man hört einander zu und meint dies und das und erzählt die letzten Burgenländerwitze.
Oder was auch immer es war.
Draußen stieg Heinz in einen ziemlich neuen BMW: “da - meine Handynummer - ruf mich an vielleicht hab ich was Besseres für dich als Stempeln gehen“.
Er zwinkerte mir zu und…war weg.
Na ehrlich – durch Heinz veränderte sich mein Leben dann in erster und letzter und so manch andere Konsequenz einschneidend.
Er beschaffte mir diesen so genannten Gelegenheits-Job.
Der erste war total ungewohnt, einfach hundsmühsam.
Ich war nicht gewöhnt so mit Menschen umzugehen.
Dachte mir „nie mehr wieder“.
Aber ich fand nach und nach Gefallen an dieser Arbeit.
Ich reiste ab und zu herum und lernte immer wieder interessante Menschen kennen.
Der Mensch ist das Maß aller Dinge wenn´s um Anpassung und Lernfähigkeit geht.
Die Kohle stimmte.
Manchmal mehr manchmal weniger.
Geld war nie eine Triebfeder für mich gewesen.
Das Arbeitsamt sah mich fast nicht mehr.
Ab und zu fürs Alibi.
Als Fische im Sozialnetz wissen sie was ich damit sagen will.
So - hey…jetzt hätte mich fast verplaudert mit all dem Rundumadum.
Ja es gab Post an diesem Tag.
Drei Briefe, Gas-Stromrechnung, Werbung und was Persönliches.
Ja es war mir wieder mal eine Gelegenheits-Arbeit ins Haus geflattert.
Las sich wie eine echt dumme Geschichte: ein Mühlenbesitzer wird von seinem Buchhalter erpresst, weil er schwarz Getreide vermahlen hatte.
Und das seit 11 Jahren.
Na bitte, da erzähle mir einer Brot sei kein Geschäft.
So werden manchmal mit dunklem Brot dunkle Geschäfte abgewickelt.
Bei dem Gedanken muss ich lachen.
Seitdem der Mensch den ersten Halm kultivierte, hatte sich dadurch wirklich alles total verändert.
Mord und Totschlag hatten endlich einen Sinn gekriegt.
Früher mussten wir uns nur um die Raubtiere Sorgen machen.
Wir haben von all den Viechern nichts lernen müssen.
Wir haben die Dinge nach und nach perfektioniert.
Mein Job ist, dem Typen das Geld (eine ganze Million) zu übergeben und ihm zu sagen, dass es in Zukunft keines mehr geben kann und wird…. „von dort“ wo das herkam.
Na ja mal lauschen, ob ihm das taugt und was er dazu meint.
Die Verabredung ist in Langenlois, bei einem – wie sich herausstellt - netten Heurigen.
Er erkennt mich an der braunen, ledernen Aktenmappe.
Ein Mann wie ein Zwölfer-Typ, wahrscheinlich über fünfzig, zwei Kinder…etc..
Wundert sich gleich ein wenig, dass ich da als Fremder auftauche.
Damit quasi ein Mitwisser geworden bin.
Er war gewohnt den Chef zu treffen, hatte die Demütigung des Mächtigen, Ohnmächtigen zweifellos genossen.
Der hatte ihn im Rahmen von Rationalisierungen vor nicht ganz zwei Jahren auf die Landstrasse geknallt. Seitdem lebt der Mann besser – als Erpresser!
Reimt sich.
Ich drücke ihm die Nachricht rein, dass der Müller keine Kohle mehr für solche Sonderausgaben hätte.
Die Firma steht vor der Pleite.
Das sage ich dem Buchhalter so ganz locker ohne da irgendwie herumzuschwafeln.
Ob er das „frisst“ kann ich so über den Tisch nicht beurteilen.
Er scheint nachdenklich, ein zweifelnd, enttäuschter Ausdruck nimmt in seiner Visage Platz.
Ich versteh ihn sogar ein wenig. Obwohl ich hab mit Erpressern nichts am Hut.
Die Jauche unter den Bösewichten.
Wer sieht schon gerne so eine bequeme arbeitslose Einkommensquelle atomisiert.
„Gut…gut…“ meint er „wir trinken erst mal einen und ich denke ein paar Tage über das Ganze nach“.
Der Wein ist trotz Sodawasser gut und wir bestellen beide eine „original“ Hauswurst mit Gurken, harten Eiern, Senf und „dunklem Brot“.
Dabei kommt mir fast ein Grinsen.
Wir plaudern eher gelockert über alles Mögliche, Politik und dass wir mit ihren Protagonisten beide nichts am Hut haben und was noch alles.
Jeder hat schnell drei Spritzer intus.
Meine landen meist im Kies unter der Bank.
Ich tu mir überhaupt schwer mit Alkohol.
Er ist völlig locker und kommt mit zwei drei guten Witzen rüber.
Ein Beweis mehr dafür, dass der Wein uns schnell eine Stimmungsbrille auf das Seelenauge setzt.
Die Dämmerung haucht schon ein wenig durch die gelben und teilweise roten Weinblätter, die sich wie ein Dach schützend über unseren Köpfen ranken.
„Fräulein noch mal das Gleiche für uns…“ (ein Glas für die Sinne).
Nach Ablauf jener Zeitspanne, den drei unschuldige Augenaufschläge meiner Wenigkeit dauern, war der Moment gekommen.
Der Moment des Handelns.
Mein schmunzelnd anzüglicher Hinweis auf das geile Hinterteil der vorbeieilenden Serviererin.
Und: Schwups…schon war „mein“ Spritzer - mit dem gelösten Zaubermittelchen – einem deftigen Benzodiazepin – „sein“ Spritzer.
Heute versteh ich die Lucretia und Borgias als solche mehr denn je.
Im Grunde genommen ist alles so verdammt einfach.
Rohe Gewalt war schon damals unorthodox und ist es bis heute geblieben.
Wenn ich nur an die vielen kindischen Actionmovies denke.
Wie mutig und eiskalt die killenden Protagonisten spurenhinterlassend in handlungslosen Handlungen nicht einmal was mimen.
Es gibt keine guten Filme über ästhetisches Töten.
Keiner mit Handlungsreisenden in den Hauptrollen.
Bei dem Gedanken verberge ich mein Lächeln - in mir.
Dem Buchhalter schenke ich keines - warum auch.
Die Zeit des Lächelns ist vorbei.
Die Angst die ich immer während der Ouvertüre…oder wenn man so will - dem Vorspiel zur „Handlung“ habe, ist zu diesem Zeitpunkt wie gewöhnlich verflogen.
Sie ist nur insofern eigentlich fast - aber nur fast - lähmend weil immer etwas schief laufen könnte.
Also eine reine und klare Angst macht sich vorher breit – aber nur um mich.
Er entspannte sich immer mehr unter dem Einfluss des starken Einschläfers in seinem Blutkreislauf.
Seine Atmung - vorher eher nervös nach Luft schnappend - ist nun ruhiger, gleichmäßiger geworden.
Er scheint diesen Zustand aufkommender Müdigkeit fast zu genießen.
Ist nicht im Geringsten misstrauisch…bei der Chemie…kein Wunder.
Die Rechnung – um Gottes Willen er ist mein Gast – na klar doch.
Er muss gehen, meint er…ja…ja…soll er nur.
Ich höre - triumphierend - seine schleppenden, schon sehr leise klingenden Worte….die Gattin wartet sicher schon mit dem Abendessen und irgendwie habe er doch ein wenig zuviel getrunken.
Er klemmt die Mappe mit dem Geld unter den Arm und wankt, ohne sich von mir zu verabschieden zwischen den Tischen zum Ausgang.
Ich zahle und schlendere unhastig wie ich es mir im Rahmen der Handlung seit Langem angeeignet hatte, aus dem gastlichen Haus.
Ich beobachte wie er soeben die Autotüre öffnet.
Auf dem großen, oberhalb des Heurigen-Lokales befindlichen Parkplatz stehen nur wenige Fahrzeuge.
Es ist schon beinahe dunkel…die Zeit der langen Nächte ist gnadenvoll für Geschöpfe der Finsternis.
Ein paar rasche Schritte auf den weichen, federnden Kreppsohlen meiner Rauhlederschuhe.
Husch…husch…geschmeidig gleite ich auf den Rücksitz…er muss mein Öffnen der Türe gehört haben…wendet den Kopf nach hinten.
Durch die Innenbeleuchtung im Auto sehe ich eine Mischung aus Erstaunen und Fragenwollen in seinem Blick…es ist bereits schwer für ihn einen Satz zu formen.
Ob er den etwas vergessen habe?
Etwa zu bezahlen?
Nein, nein, beruhige ich ihn und lege meine Hand sanft auf seinen Arm, den er um die Nackenstütze des Beifahrersitzes geschlungen hatte.
Mit einer schnellen Bewegung meiner Linken versenke ich die kurze, haarfeine und schmerzlose Nadel der Diabetikerspritze in den rechten Muskelstrang oberhalb seines Haaransatzes.
Der darauf folgende Moment des Injizierens der winzigen Menge des Serums ist von lächerlichster Kürze.
Der Moment des Handlungsreisenden ist vorüber.
Epilog:
Den Einstich wird niemand entdecken.
Der Wirkstoff ist im Organismus ohnehin nur schwer nachweisbar.
Immer wieder fasziniert es mich bei jenen Gelegenheiten, wie unmerklich, behutsam und geradezu angenehm die Werkzeuge des Tötens für beide – das Opfer und den Täter im Rahmen der „Handlung“ sein können.
Der Handlung des sachlich perfekten Tötens.
Früher hatte man Linkshändern die Hand auf den Rücken gebunden.
Grausame Methode.
Nicht mit mir – Oma hat das nicht zugelassen.
Meine Omi.
Ich nehme die Mappe mit dem Geld an mich und bugsiere den Buchhalter behutsam auf den Nebensitz.
Er ist ruhig, gelassen und lächelt mir sogar zu…bilde ich mir ein.
Wir verlassen den Ort Langenlois und ich kutschiere gemächlich die paar Minuten zum Parkplatz des Spar-Großmarktes.
Dort steht mein Mietwagen.
Ich steige ein, drücke auf den Zündungsknopf.
Ich fühle ich mich jetzt besser - besser als in der verbleichenden Gegenwart des Buchhalters.
Ich bin eben ungern in der Nähe von Sterbenden.
Seit der Sache mit Omi.
Übrigens: Latexhandschuhe und Diabetikerspritzen sind gute Erfindungen.
Manche Menschen haben sogar schwer Allergien dagegen.
Gegen Beides.