Der Obdachlose

Herr H.

Mitglied
Nie hätte ich geglaubt, mal hier zu landen,
in diesem Hundeelend, diesem Dreck.
Doch erst kam mir mein guter Job abhanden.
Und dann war meine Frau auf einmal weg.

Wir hatten uns zuletzt fast nur gestritten.
Denn immer wieder fehlte es an Geld.
Am Ende war der Bruch nicht mehr zu kitten.
Und ich stand ganz alleine in der Welt.

Um zu vergessen, fing ich an zu trinken
und ließ mich einfach immer weiter gehn.
Zwar sah ich alle Ampeln warnend blinken,
doch war ich schwach und wollte sie nicht sehn.

Das Leben hatte jeden Reiz verloren.
und schleppte sich ereignislos dahin.
Ich kam mir langsam vor wie tiefgefroren,
denn nichts besaß mehr irgendeinen Sinn.

Die Wohnung konnte ich nicht mehr bezahlen.
Und der Vermieter warf mich schließlich raus.
Mir war’s schon fast egal nach all den Qualen.
Nun fehlte also auch noch ein Zuhaus.

Seit diesem Tage leb’ ich auf der Straße
und schlag’ mich durch, so gut es eben geht.
Oft spür’ ich meine Not im Übermaße.
Dann rette ich mich in ein Stoßgebet.

Mal hilft es, meistens nicht. Die Ängste wühlen
die Seele auf und geben niemals still.
Ich sitze kläglich zwischen allen Stühlen
und fühl mich aussortiert wie Menschenmüll.

Ich rieche streng, weil ich mich selten wasche.
Und schon seit langem nervt mich ein Ekzem
am Steiß. Ich hab nur einen Trost: die Flasche.
Die wärmt mich immer noch wie ehedem.

Nur selten schlaf ich in der Waagerechten.
Die Beine rächen sich und schwellen an.
Das ist ein Alptraum in den langen Nächten,
den man allein im Suff ertragen kann.

Nie hätte ich geglaubt, mal so zu stranden.
Am liebsten gäb ich mir den Gnadenschuss.
Dann wär das ganze Drama überstanden
und ich mich los. Dann wäre endlich Schluss.
 
C

cellllo

Gast
Ich verstehe nicht, warum dieses Gedicht
keinen Kommentar bekommt. Selbst als Gedicht
scheint man die Obdachlosen schon genug zu kennen,
man schaut drüber weg auf Jagd nach dem ganz Besonderen,
Bizarren, Extremen oder kryptisch Verschlüsselten....
Oder das Gedicht ist einfach zu gut, es gibt
nichts zu meckern, also wird geschwiegen :
Manchmal hat man wirklich das Gefühl als würden gute Gedichte
mit Schweigen geradezu bestreikt......
Die schlichte bewundernswerte Mühelosigkeit der Metrik,
der perfekten Reime, der belebenden enjambements,
die schlichten treffenden Formulierungen wie z.B.

"Zwar sah ich alle Ampeln warnend blinken,
doch war ich schwach und wollte sie nicht sehn."

"Ich kam mir langsam vor wie tiefgefroren,"

"und fühl mich aussortiert wie Menschenmüll."

"Dann wär das ganze Drama überstanden
und ich mich los. ......

Wissenschaftler redeten früher mühelos Lateinisch.
Ich stelle mir vor,
Herr H. redet beim Frühstück in Reimen,
einfach so...........

cellllo
 

Herr H.

Mitglied
Vielen Dank, Cellllo, für die positive Replik. Der Anblick von obdachlosen Männern und Frauen erschüttert mich immer wieder. Oft haben sie tragische Schicksale und Entwicklungen in ihre jetzigen Verhältnisse getrieben. Mit meinem Gedicht wollte ich ihnen einfach mal Respekt zollen - und zugleich zum Ausdruck bringen, wie schnell man selbst in eine Abwärts-Spirale hineingeraten kann, wenn bisherige Sicherheiten und Gewohnheiten unvermutet wegbrechen.

LG von
Herrn H.
 



 
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