ThomasQu
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Der Oberpfälzer und seine Welt
Einleitung:
Der Oberpfälzer ist ein außerordentlich naturnaher Menschenschlag. Seine Verbreitung findet er im östlichen Teil Bayerns, von Waldsassen im Norden bis Schierling im Süden. Während die westliche Oberpfalz schon relativ modern entwickelt ist, gewinnen die östlichen Landstriche vor allem durch die Ursprünglichkeit ihrer Bewohner an Charakter und Charme. Diese Gegend, Oberpfälzer Wald genannt, ist sehr dünn besiedelt, fast vergessen von der Zivilisation. Sie beherbergt den sogenannten “Waldler“, die typische Form des Oberpfälzers. Er lebt dort in Weilern oder kleinen bis mittleren Dorfgemeinschaften und ernährt sich vor allem durch einfache Landwirtschaft, Tauschhandel, Holzwirtschaft, Braukunst, Schnapsbrennerei und einfache Metallverarbeitung.
Da ein Ausflug oder eine Reise in diese Gegend beschwerlich und nicht ohne Gefahren ist, möchte ich auf diesem Wege dem interessierten Leser die einzigartige Kultur und Lebensweise des Waldlers etwas näher bringen.
Beschreibung:
Der Waldler ist stämmig und klein, er hat relativ kurze Beine, lange muskulöse Arme. Sein Gesicht ist geprägt von kräftigen Brauen, die durch eine fliehende Stirn mit tiefem Haaransatz und durch ein fliehendes Kinn noch herausgehoben werden. Die Nase ist wenig ausgeprägt und breitflüglig. Die Augen liegen tief, das Gebiss ist imposant. Er hat eine Ganzkörperbehaarung. Sogar weibliche Exemplare entwickeln ab der Pubertät einen leichten Bartwuchs. Sein Intellekt besticht in erster Linie durch eine ausgeprägte Bauernschläue. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei ca. 55 Jahren, Frauen
werden älter.
Gesundheit:
Die kalten böhmischen Winde und das raue Klima seiner Heimat haben den Waldler widerstandsfähig werden lassen. Er ist optimal an seine Umgebung angepasst. So trägt er noch bis - 10 Grad C kurze Hosen. Selbst Minustemperaturen von 30 Grad und kälter, wie sie im Winter auf dem Zwercheck (dem höchsten Berg im Oberpfälzer Wald) vorkommen, meistert er spielend. Von Feldforschern, die sich in diese abgelegenen Gegenden wagen, sind selbst hier barfuß laufende Exemplare beschrieben worden.
Der Waldler ist sehr krankheitsresistent. Erkrankungen wie Alkoholvergiftungen, Virusinfektionen, grippale Infekte, Pilzvergiftungen, Allergien, Depressionen etc. sind ihm gänzlich fremd. Auch schlimmere Verletzungen, z.B. das versehentliche Abhacken von Gliedmaßen mittels Beil oder Axt verheilen schnell.
Verhaltensweisen:
Gerne streift der Waldler durch die Fauna und Flora seiner Heimat, sammelt Pilze, Beeren, Früchte, wobei er bei der Auswahl derselben nicht sehr zimperlich ist. Auch die Jagd ist ihm nicht fremd. Fasan, Rebhuhn, Wildschwein und Feldhase sind besonders begehrt. Er jagt vornehmlich mit selbst in handwerklicher Arbeit hergestellten Speeren bzw. Pfeil und Bogen und verfolgt seine Beute zu Fuß durchs Gehölz, oft über fünf bis zehn Kilometer. War der Jäger erfolgreich, wird das Beutestück entweder an Ort und Stelle zubereitet und verzehrt, oder im Boden vergraben, um es zu gegebener Zeit wieder auszubuddeln und nach Hause zu schleppen. Diese Jagdausflüge können bis zu einer Woche dauern.
Mit Vorliebe sammelt der Waldler Trophäen. Er legt die Fußböden seiner Behausung mit Tierfellen aus und behängt die Wände mit Hirschgeweihen, Keilerköpfen, usw. Geweihstangen, die nicht so dekorativ sind, sägt er in kleine Scheiben und verwendet diese als Knöpfe für die Kleidung. Oftmals schnitzt er sich kleine Pfeifen aus Horn oder Holz.
Da dem Waldler der Tabak unbekannt ist, raucht er eine Mischung aus verschiedenen getrockneten Kräutern. Diese verglimmen derart beißend, dass die Hälfte der Fliegen, von denen er sonst in Massen umschwärmt wird, tot zu Boden fällt. Auf diese Art vertilgt der er auch einen Großteil des Ungeziefers, das ansonsten auch seine Wohnbereiche bevölkert.
Gerät er bei seinen Streifzügen mal an die Grenzen seiner Welt und erblickt einen fremden Bauern auf einem Traktor oder gar ein Auto, so zieht er sich sogleich zurück, hält das Gesehene für Teufelswerk, spricht drei Vaterunser und trollt sich von dannen.
Geschichte und Kultur:
Fast immer trifft man den Waldler in größeren Familienverbänden an und vorwiegend wird sein Leben durch uralte Riten und Gebräuche bestimmt. Der Volksglaube ist sehr tief verwurzelt und mit christlichen Elementen, Aberglauben und mystischen Riten durchmischt. In den besonders abgelegenen Bereichen des Oberpfälzer Waldes finden noch regelmäßig Tieropfer statt.
Die hartnäckigen Gerüchte über Menschenopfer (die selbstverständlich jeglicher Grundlage entbehren) sind nach dem Verschwinden einer Gruppe von Managern in den früheren 1990er Jahren, die zu einem Motivations-Survival-Wochenende in den Oberpfälzer Wald aufgebrochen waren, immer wieder aufgeflammt. Groß angelegte Suchaktionen blieben aufgrund der undurchdringlichen Tiefen und unerforschten Bereiche des Oberpfälzer Waldes und Kommunikationsproblemen mit der einheimischen Bevölkerung ohne Erfolg. Das Auftauchen eines Überlebenden dieser Gruppe acht Monate später, der völlig abgerissen, bis aufs Skelett abgemagert und verwirrt vor sich hinstammelnd, am Rande von Waldsassen von Touristen aufgegriffen wurde, hat den böswilligen Nachreden wieder neuen Aufschwung gegeben. Dieser bedauernswerte Mensch befindet sich nach wie vor in der geschlossenen psychiatrischen Abteilung der Uniklinik in Regensburg und kann bis heute keine zusammenhängenden Angaben über die zurückliegenden Ereignisse und das mysteriöse spurlose Verschwinden seiner Kollegen machen.
(Auszug aus dem Neumarkter Tagesboten vom Februar 2003)
Seine archaische Sprache hat sich der Waldler bis in die Gegenwart hinüber gerettet, sie hat aber stellenweise auch Ähnlichkeit mit der Schriftsprache aus der heutigen Zeit. Als Beispiel dienen hier die Wochentage.
Montag - Manda
Dienstag - Irda
Mittwoch - Migga
Donnerstag - Finsta
Freitag - Freida
Samstag - Samsda
Sonntag - Sunnda
Paarungsverhalten und Aufzucht:
Der oberpfälzische Menschenschlag ist sehr fruchtbar, allerdings schützt die hohe Kindersterblichkeit vor allem in den Wintermonaten den Oberpfälzer Wald und seine Bewohner vor Überbevölkerung. So ist es z.B. Sitte, dass die Mütter ihre Neugeborenen und Kleinkinder in einem klaren (und kalten) Gebirgsbach baden, notfalls wird ein Loch ins Eis gehackt. Anschließend werden die Kinder mit einer Bürste ausgiebig gereinigt, das stärkt die Lungen. So werden die sie fürs raue Leben gut vorbereitet und erlangen ihre legendäre Konstitution.
Oberpfälzer sind sehr potent, fast schon triebhaft. Es gibt halbwüchsige Jungmänner, die man nachts in den Dörfern permanent mit einer Leiter unter dem Arm herumlaufen sieht, damit ihnen keine Chance entgeht, eine Liebesbeziehung aufzunehmen. Nach der Hochzeit jedoch leben sie monogam, es sei denn, der Nachbar ist mal nicht zu Hause. Kommt dieser überraschend früher zurück, wird die Rangfolge der beiden Kontrahenten zuerst mittels Ringkämpfen, anschließend in der nächsten Dorfwirtschaft ausgetragen. Wer zuerst vom Stuhl fällt, hat verloren und verliert an Ansehen.
Waldler-Hochzeit:
Hat der Waldler die Dame seines Herzens erobert (und geschwängert) werden innerhalb kürzester Zeit die Hochzeitsvorbereitungen organisiert. Das ist jedes Mal der Höhepunkt des Jahres für eine Waldlerfamilie. Die Festivitäten erstrecken sich über mehrere Tage, es werden kurzweilige Gesellschaftsspiele veranstaltet, z.B. das Misthaufenspringen oder das Wetten, welche Kuh zuerst einen Fladen produziert. Es gibt eine Brautentführung und und und… Bei den Männern beliebt nach heftigem Biergenuss: “Wer schafft den größten Bogen?“, was dem Sieger mächtig Ansehen und Ruhm einbringt.
Abschluss und Höhepunkt einer oberpfälzischen Hochzeitsfeier ist das sog. Ochsenrennen. Hierbei werden mehrere Ochsen angeschirrt und von den weiblichen Festteilnehmern mit Gejohle und allen möglichen anderen Hilfsmitteln angetrieben. Am Geschirr ist eine Kette befestigt, an der die männlichen Festteilnehmer in die andere Richtung ziehen. Dieses Spektakel geht oft über Stunden und findet nicht selten ein jähes Ende, indem die Kette reißt. Sind am nächsten Morgen die Ochsen zu ermattet für den Pflug, zieht ihn der Oberpfälzer notfalls auch mal selbst.
Medizin:
Das raue Leben im Oberpfälzer Wald birgt auch viele Gefahren, kleine Verletzungen verarztet der Waldler natürlich selbst. Im Laufe vieler Jahrhunderte hat sich die Kultur des Amputierens herausgebildet, bei kleineren Gliedmaßen die einfachste und schnellste Art der Wundbehandlung. Mittelschwere bis schwere Verletzungen oder Wunden werden mit Ausbrennen kuriert, ansonsten – etwa bei Knochenbrüchen – wartet man auf den reisenden Bader. Er ist der Fachmann fürs Knocheneinrenken, die Zahnbehandlung, den Aderlass, kleinere Augenoperationen sowie einfachere chirurgische Eingriffe.
Versierte Vertreter dieser Berufsgruppe verstehen sich sogar aufs Narkotisieren. So wird für Zahnbehandlungen tatsächlich die sprichwörtliche Holzhammermethode angewendet. Der Bader misst dabei den Kopfumfang des Patienten und errechnet daraus die Schädeldicke. Anhand dieses Ergebnisses wählt er den 4-, den 5- oder den 6-Kilo Hammer, mit dem er dem Delinquenten mit Schwung von vorne gegen die Stirn schlägt.
Ansonsten besitzt er für die filigraneren Arbeiten (z.B. Mundhygiene) noch das 100-Gramm-Hämmerchen, einen kleinen Metallmeißel, eine solide Eisenfeile und eine Schmiedezange. Beim Einrenken von Knochenbrüchen und Augenoperationen ist die Vollnarkose jedoch nicht als optimal anzusehen, da der Patient während der Behandlung für evtl. Rückfragen ansprechbar bleiben sollte. Daher bekommt der Oberpfälzer hier einen halben Liter klaren Schnaps, gepaart mit einem Beißholz.
Viele Waldler verzichten aus Stolz auf eine Narkotisierung, es soll aber auch schon Fälle gegeben haben, dass sich jemand nur wegen der zu erwartenden Schnapsration die Augen hat operieren lassen. (Ja, ja es sind halt auch nur Menschen, diese Bewohner des Oberpfälzer Waldes…)
Ernährung:
Die Ernährung des Waldlers ist sehr ausgewogen. Die Bauern sind ausnahmslos Selbstversorger und genießen das, was die Jahreszeit gerade hergibt. Ab und an wird ein Schwein geschlachtet, dann wird gewurstet und geräuchert, es wird Brot gebacken…Der Oberpfälzer kann pro Mahlzeit bis zu 15 % seines Eigengewichtes verspeisen, kann aber problemlos auch einmal eine Woche hungern. Jedoch – die Regel lautet: Sieben fette Jahre, sieben magere Jahre…
In den mageren Jahren kommt es schon mal vor, vor allem im ausgehenden Winter nach einer schlechten Ernte, dass die Katzen- und Hundepopulation, die sich ansonsten recht ungestüm vermehrt, plötzlich auffallend schnell abnimmt und auf fast Null zurückgeht – schließlich muss ja irgendetwas in den Kochtopf, noch dazu wenn sich das Jagdglück nicht einstellt. Das Bier allein macht auf Dauer auch nicht satt.
Wenn gar nichts mehr da ist, werden Singvögel gefangen, die Mäuse, die früher die Katze fraß, frisst jetzt der Waldler selbst. Fälle von Kannibalismus wurden allerdings noch nicht bekannt. Aufgrund seiner Konstitution übersteht er auch solche Zeiten mehr oder minder schadlos.
Gerichtsbarkeit:
Wie in jeder anderen Gesellschaft, gibt es auch unter den Waldlern Meinungsverschiedenheiten und Verstimmungen, die nicht mehr mit einer einfachen Rauferei oder mit einem Saufgelage zu lösen sind. Für solche Situationen gibt es den Dorf- oder Sippenältesten. Er ist Polizist und Richter in Personalunion. Er spricht Recht und bestimmt das Strafmaß für die unterlegene Partei. Nicht bestraft wird z.B.:
Beleidigung -> Körperverletzung -> Körperverletzung mit Todesfolge,
denn:
Das Opfer hätte sich anständig zur Wehr setzen können!
Wenn einer zu Tode kommt, dann ist es immer ein Unfall. Ein richtiger Mord passiert im Oberpfälzer Wald eigentlich nicht.
Bei Diebstahl, Betrug oder anderen Delikten hingegen ist die Bestrafung kurz und wirkungsvoll, da es keine Gefängnisse gibt. Für die leichteren Fälle werden den Damen und Herren öffentlich bis zu 50 Stockhiebe verabreicht. Bei Bestrafungen von schwereren Vergehen ist der Oberpfälzer erfinderisch. Diese werden dann nicht mehr an Schwangeren, Kranken und älteren Personen ausgeübt.
So wird z.B. im Sommer der zu bestrafende Missetäter ganz in der Nähe eines Wespennestes an einen Baum angebunden. Ein bis zwei Verwegene stochern dann mit langen dünnen Stangen in dem Nest herum und nehmen sogleich Reißaus, sobald die grimmige Wespenschar ausschwärmt. Die lässt natürlich ihre ganze Wut an dem Sträfling aus. Das wird so oft wiederholt, bis auch wirklich die letzte Wespe ihr Pulver verschossen hat. Von seinen Fesseln befreit, verbringt der nun Geläuterte die nächsten acht Tage im kalten Bach.
Im Winter z.B. muss sich der Unhold im Freien in ein leeres, großes Fass stellen. Dieses wird mit Wasser gefüllt, bis der Wasserstand dem Verurteilten bis unters Kinn reicht. Nun gefriert das Wasser von oben und der Bösewicht ist eingeschlossen für die nächsten drei Tage ohne Nahrung und “schmort“. Ertrinken kann er nicht, da der Kopf zu dick ist – nur
jämmerlich frieren. Wieder befreit verbringt er sicherlich die nächste Zeit ganz dicht am Ofen.
Sollten diese Torturen nicht schrecken, droht die Strafentmannung, (die der Bader ohne Narkose vornimmt; wird nicht bei Straftäterinnen angewendet), oder als grausamste und härteste Strafe, die Verbannung. Einem solchen Unglücksraben bleiben dann nur noch zwei Möglichkeiten. Entweder lebt er als Einsiedler in irgendeiner Höhle, oder, weil er ja sehr gesellig ist, flüchtet er sich in die Zivilisation, z.B. ins fränkische Nachbarland. Für solch einen ist natürlich aller Anfang schwer, denn den Waldler erkennt man dort schon von weitem am Geruch. Daher auch die weitverbreitete Titulierung “Moosbüffel“.
Mit der Zeit lernt er mühsam, sich verständlich zu machen, sich in die Gemeinschaft einzufügen. Große Probleme hat er im Umgang mit Geld, zwar ist den Waldlern die Existenz des Geldes bekannt, sie lehnen es aber ab und Vertrauen ganz auf den Tauschhandel. Schwierig auch der passende Umgang mit Frauen oder die korrekte Benutzung einer Toilette. Zunehmend fordert der ungewohnte Straßenverkehr seine Opfer. Die ersten beruflichen Stationen sind zumeist Schlachthöfe, Gerbereien, Müllbeseitigungsunternehmen, etc.
So wächst er nach und nach in die Gesellschaft hinein, und ab und an gelingt es ihm, einen Partner oder eine Partnerin zu finden und eine Familie zu gründen. Das sind dann vorwiegend Frauen oder Männer, die das animalische im Anderen suchen. Domestizierte Waldler finden sich so gut wie nie mehr in ihre alte und frühere Umgebung ein, auch steigert sich deutlich deren Lebenserwartung.
Familienverhältnisse:
Die Familienverbände der Waldler bestehen zumeist aus vier Generationen. Der Familien- oder Dorfälteste ist immer der Patriarch bzw. Clan-Chef und hat in allen Belangen zu bestimmen. Er ist ca. 50 Jahre alt. Die Chefrolle wird stets an den nächst Älteren weitervererbt. Die folgende Generation, dessen Söhne mit Schwiegertöchtern, ist ca. 35 Jahre alt, die Enkel sind um die 20, die Urenkel durchschnittlich 5 Jahre alt.
Alle leben miteinander zusammen. Das sind aber gar nicht so viele Individuen, wie man glaubt. Ein Oberpfälzer Ehepaar setzt im Schnitt 8 bis 10 Kinder in die Welt, von denen gut die Hälfte das Kleinkindalter überlebt. Weitere Verluste sind durch Unfälle in den Wäldern oder durch gegenseitiges Schädeleinschlagen vorprogrammiert. Bei Hochzeiten gibt man die Töchter ab, handelt sich aber dafür Schwiegertöchter ein. Somit gehören 20 bis 25 Personen zu einer Sippe. Die Kinder lernen durch Abschauen von den Älteren, Schulen im landläufigen Sinne existieren nicht.
Ein Dreizehnjähriger hat gelernt:
zählen bis 1000
Grundkenntnisse in den einfachsten Rechenarten,
eine einfache Schrift (mittels Stock in den Sand geschrieben oder mit Kreide auf eine Tafel).
Das genügt völlig den Anforderungen, die das Leben an diese Menschen stellt.
Früh müssen die Kinder auf dem Hof oder in der Werkstatt mitarbeiten. Dort lernt man die wichtigen Sachen fürs Leben:
Melken (Mädchen)
Werkzeug reparieren (Buben)
Einem Huhn den Kopf abhacken (Mädchen)
Den Nachbarsmädchen nachstellen u. ä. (Buben)
Hat letzteres Erfolg, gibt es die sog. “Waldler-Hochzeit“ (siehe dort) und die Familie vergrößert bzw. verkleinert sich wieder. Bei geschätzten 80 – 100 Familien bietet der Oberpfälzer Wald mit seinen Feldern, Äckern und Wiesen all seinen Bewohnern ein adäquates Auskommen.
In der Walder Familie gibt es die klassische Rollenverteilung;
Er: Werkstatt, Acker, Wald, Wirtshaus…
Sie: Stube, Küche, Gemüse- und Kräutergarten, Acker, Stall…
Am Samstagabend ist Kirchgang, der ist gesellschaftliche Pflicht. Daraufhin folgt der Gang ins Wirtshaus, welches sich aufgrund praktischer Erwägungen immer gleich direkt neben der Kirche befindet, auch die Frauen gehen mit. Oftmals gibt es schon nach kurzer Zeit und nach einigem Alkoholfluss Streit zwischen den verschiedenen Sippen. Die Frauen zerren sich an den Haaren, die Männer schlagen aufeinander ein. Pfarrer und Wirt mischen mit. Ist die Lokalität einigermaßen demoliert, gehen alle zufrieden nach Hause und schlafen ihren Rausch aus. Selten gibt es Zuspitzungen dieses Brauches, die dann allerdings in Blutrache ausarten können.
Negative Erlebnisse:
Im Sommer 1922 traf eine ausgelassene Schar von Jungmännern, alles rechte Rabauken, die unternehmungslustig durch den Wald streiften, auf zwei unerschrockene Goldwäscher, die am Oberlauf der Luhe ihr Glück versuchten.
Da man als Waldler selten Fremde sieht, war die Neugierde verständlicherweise groß. Das Resultat dieses Zusammentreffens war, dass die beiden Goldwäscher, nur in Unterhosen bekleidet, das Weite suchten und ihre komplette Ausrüstung und all ihre Habseligkeiten die Besitzer wechselten, samt Packesel. In dessen Packtaschen befand sich unter anderem auch eine Pistole. So ein Ding hatten sie noch nie gesehen, wozu ist das gut?
Der Vorlauteste unter den Waldlern begann, das unbekannte Objekt eingehend zu untersuchen. Das kostete ihm das rechte Auge und zwei Tage später als Folge der Verletzung sogar das Leben, ein prägendes Ereignis für alle Anwesenden und jene, die davon erfuhren (also ziemlich jeder). Daher macht der Waldler bis heute einen großen Bogen um Schusswaffen aller Art – Teufelszeug!!!
Man schaufelte ein drei Meter tiefes Loch für die Pistole und meidet bis heute die Stelle, wo sie immer noch vergraben liegt.
Musik:
Die musische Begabung der Waldbewohner ist weniger harmonisch, viel eher rhythmisch ausgeprägt. Das Lieblings Musikinstrument der Waldler ist deshalb die Trommel, die in Handarbeit selbst hergestellt wird. Ausgehöhlte Baumstämme und Tierfelle sind beliebte Werkstoffe dafür. Trommeln gibt es in allen Variationen, von ganz kleinen Instrumenten, die sich der Künstler umhängen kann, bis zu den sehr großen, die nur stationär zu verwenden sind. Das sind dann schon mal 10 Meter lange ausgehöhlte Baumstämme, an denen sich mehrere Virtuosen gleichzeitig betätigen können. Die Trommeln finden selten zur Nachrichtenübermittlung, viel eher bei Festlichkeiten Verwendung.
Beispielsweise findet zweimal im Jahr eine Sonnwendfeier statt. Am frühen Nachmittag geht es schon los. Es gibt reichlich flüssige Nahrung und einen Ochsen am Spieß. Abends wird ein großer Scheiterhaufen errichtet. Die Festteilnehmer, berauscht und gestärkt von der üppigen Verpflegung, springen und tanzen rund um das Feuer herum. Tänzer und Trommler gleichermaßen geraten immer stärker in Ekstase.
Das Spektakel währt die ganze Nacht und ist neben den Hochzeitsfeiern Höhepunkt eines Jahres. Nach und nach ermüden die Akteure so sehr, dass sie oft schon an Ort und Stelle vom Schlaf übermannt werden. Sonnwendfeiern sind zwar kürzer, aber wesentlich intensiver als z.B. Hochzeitsfeiern. Im Morgengrauen gleicht die Szenerie einem Schlachtfeld. Rauchgeschwängerte Luft und Schnapsleichen jeglichen Alters und Geschlechts liegen herum. Erfahrungsgemäß stellt der Waldler nach einem solchen Gelage für die nächsten drei Wochen das Jagen ein, bis sich die Wilddichte wieder etwas normalisiert hat.
Körperpflege:
Die Körperpflege spielt im Leben des Oberpfälzers eine eher untergeordnete Rolle. Zwar werden Neugeborene und Säuglinge wie bereits beschrieben recht reinlich gehalten, (wahrscheinlich ist das ein instinktives Verhalten), sind sie allerdings dem Windelalter entwachsen, starren die Kinder vor Dreck. Darin geraten sie den Erwachsenen nach. Der Waldler badet nur dann, wenn es sich gleich mit etwas anderem Nützlichem verbinden lässt, z.B. dem Fischfang.
Sobald die Flüsse eisfrei sind, watet er in kleinen Gruppen mit dem Speer in der Hand durch die seichten Kiesbette, hoffend, mit einem kraftvollen Stoß von oben eine saftige Forelle zu durchbohren, von denen es in den Flüssen im Oberpfälzer Wald nur so wimmelt. Dabei muss er aufpassen, denn es kommt schon mal vor, dass er den Speer im Eifer des Gefechtes durch die Forelle und zusätzlich durch seinen eigenen Fuß, oder den des Kollegen rammt. Hat er das Tier verfehlt oder nur verletzt erfolgt als zweiter Versuch der Hechtsprung ins kalte Nass, um den Braten doch noch evtl. mit den Händen zu erhaschen.
Das ist dann ein Vollbad. Als Toilette dient dem Waldler eine offene Latrine, etwas abseits der Behausung. Noch bis ins späte 19. Jahrhundert empfahl es sich, dorthin im Winter einen soliden Knüppel mit sich zu führen, um ggf. hungrige Wölfe auf Distanz zu halten. Die hat der Waldler aber zwischenzeitlich ausgerottet. Der Gebrauch von Toilettenpapier ist ihm unbekannt. Als fließendes Wasser dient ihm der kleine Bach, der hinter dem Hof vorbeiführt oder das Flüsschen, welches durch das Dorf fließt. In den wasserärmeren Landesteilen behilft man sich mit einem Brunnen, um die Wasserversorgung der Familien zu abzusichern.
Religion:
Die Waldler sind zu hundert Prozent römisch-katholisch und in jedem Dörfchen, sei es noch so klein, gibt es eine Kirche. Der Pfarrer wird von den Bauern bzw. Dorfbewohnern mit Spirituosen und Lebensmitteln versorgt – und das nicht schlecht. Er hat ähnlich viel Einfluss auf die Bewohner wie der Dorfälteste. Der Pfarrer ist sehr oft der Dickste im Dorf, denn ihm fehlt ihm die körperliche Arbeit. Er lebt sozusagen wie die Made im Speck, allerdings besonders hart für einen Waldler: Das Zölibat!
Für besonders gequälte Geschöpfe weiß der Bader Rat. (Schnipp!!)
Auch Pfarrer brauchen irgendwann mal Nachwuchs. Daher bringen sie gelegentlich einen relativ gescheiten Knaben aus einer Waldler Familie nach Auerbach ins Kloster. Dort lernt der etwas Latein, die Bibel zu interpretieren und das ganze religiöse Handwerk. Da die Pfarrerslehrzeit im Kloster nicht gerade luxuriös gestaltet wird, findet sich der Waldler Bub anschließend problemlos in seinem alten Umfeld zurecht, um irgendwo eine freigewordene Pfarrersstelle zu übernehmen. Er erklärt der Gemeinde glaubhaft, dass ein Ochse am Spieß deutlich schmackhafter und bekömmlicher ist als ein Traktor und bestärkt ihre Angst vor Fegefeuer und Höllenglut. An einer Entwicklung des Oberpfälzer Waldes und deren Bevölkerung ist der katholischen Kirche nicht gelegen.
Wohnverhältnisse:
Das typische Oberpfälzer Bauernhaus ist fast immer zweigeschossig aus Natursteinen und Holz erbaut. Das Erdgeschoss besteht aus einem großen Raum. Dessen Mittelpunkt ist ein stattlicher Ofen, der auch als Kochstelle dient. Diese Wohn-Ess-Küche ist mit soliden Holztischen und Sitzbänken eingerichtet. Hier nimmt die Großfamilie ihre Mahlzeiten ein. Angeschlossen sind eine Speisekammer und ein kalter Vorratskeller.
Im ersten Stock befinden sich mehrere Schlafräume. Die Waldler schlafen in stabilen, aus unbearbeiteten Latten gefertigten Holzbetten auf Strohmatratzen. Unter jedem Bett steht ein großer Nachttopf. Sie haben selbst gefertigte Wolldecken, dünn für den Sommer, dick für den Winter. Auf die Idee, sich Zudecken und Kopfkissen aus Daunen herzustellen, ist tatsächlich noch niemand gekommen.
Die Waldler sind nach Alter, Geschlecht und Familienstand auf die verschiedenen Schlafkammern verteilt. Die Frauen stehen morgens als erstes auf und schüren den Ofen, räumen das Chaos vom Vorabend weg, richten das Frühstück (z.B. trockenes Brot mit heißer Milch) und gehen in den Stall zum Melken. Der Stall grenzt in der Regel an das Wohnhaus an.
Eine Waldler - Sippe besitzt 1 bis 2 Kaltblutpferde für die Waldarbeit, mehrere Schafe, Ziegen, Schweine und Kühe, 2 bis 3 Ochsen und 1 Stier. Zusätzlich wird Federvieh jeglicher Art und Weise gehalten. Arbeiten die Männer tagsüber im Wald oder auf dem Feld, bringen ihnen ein paar Mädchen mittags ein deftiges Lunchpaket hinaus.
Das Abendessen findet wieder für alle gemeinsam in der Stube statt. Es gibt z.B. herzhafte Gemüse- oder Kartoffeleintöpfe. Messer und Gabel als Essbesteck kennt der Waldler nicht. Man benützt entweder einen Löffel oder isst mit den Fingern – überhaupt sind die Tischmanieren leger. Es wird gerülpst und gefurzt und wenn dann die Stimmung zunehmend beschwingter wird (auch die Kinder trinken Bier), bewirft man sich schon mal gegenseitig mit Hühnerknochen oder anderen Essensresten, besonders dann, wenn wieder mal ein Fliegenpilz im Eintopf war. Nach und nach wankt einer nach dem anderen nach oben, die letzten drei Trunkenbolde schlafen am Tisch ein.
Freizeitverhalten:
Im Winter hat der Oberpfälzer viel im Wald zu tun, im Frühling und im Sommer auf dem Feld. Im Herbst jedoch, wenn die Ernte eingefahren ist, hat er Zeit. Dann widmet er sich dem Sport. Am beliebtesten ist das Schädelknacken.
Das funktioniert wie folgt: Zwei Waldler stehen sich gegenüber, Gesicht auf gleicher Höhe und stoßen permanent die Stirn im Zweisekundenrhythmus gegeneinander. Ein Trommelspieler koordiniert bzw. unterstützt das ganze Gebaren. So ein Duell dauert 10 bis 15 Minuten und endet, indem einer von beiden aufgibt oder wegen technischem KO disqualifiziert wird. Schiedsrichter ist das Publikum. Der Sieger kühlt sich den Kopf in einem Zuber mit kaltem Wasser, evtl. Wunden werden mit einem scharfen Schnaps ausgewaschen und auf geht’s in die nächste Runde. Derjenige, der am Schluss übrig bleibt und alle Kontrahenten geschlagen hat, ist dann der Schädelknackerkönig. Er ist meist blutüberströmt und hat noch dazu einen Nasenbeinbruch, genießt aber höchstes Ansehen und wird vor allem von den Frauen umschwärmt (das ist dann der, für den der Bader im Falle eines Falles den 7-Kilo-Hammer benötigt).
Solche Veranstaltungen finden reges Zuschauerinteresse – es wird gejohlt, geklatscht, gepfiffen, man ist parteiisch… Dem Sieger fliegen die Herzen zu, der Verlierer wird mit Spott und Häme überschüttet. Nicht immer ist sich das Publikum in seiner Schiedsrichterrolle einig. Dann ist es durchaus möglich, dass sich die Rollen vertauschen und die Zuschauer ihrerseits in einem wilden Knäuel aufeinander einprügeln. Jetzt müssen Schädelknacker und Trommler mangels Aufmerksamkeit vorübergehend pausieren und sich aufs Zugucken verlegen.
Weiterhin beliebt ist das Ausstemmen. Über einen nicht zu breiten Fluss oder Wasserlauf wird ein stabiles Holzbrett gelegt. Den beiden Rivalen werden die Hände auf dem Rücken festgebunden. Wer auf diesem Brett dem Gegenüber durch geschicktes Ausweichen oder Taktieren ins Wasser bugsiert, hat gewonnen und stellt sich dem nächsten Herausforderer. Hier gewinnt nicht der größte Dickschädel, sondern der geschickteste Leichtfuß. Da man mit zusammengebundenen Händen schlecht schwimmt, stehen immer ein paar „Sanitäter“ parat, um dem Begossenen beizustehen und aus dem Wasser zu zerren. Noch nie hat ein Sportler beide Wettkämpfe gleichzeitig gewonnen.
Außerdem gibt es verschiedene Kraftsportarten, z.B. wer das dickste Bäumchen ausreißt, Laufsportarten, Bogenschießen, Ringkämpfe oder einfach nur, wer den lautesten Schrei ausstößt; hier sind eindeutig die Frauen im Vorteil. Derartige Wettkämpfe tragen auch mit dazu bei, dass der Oberpfälzer Wald vom Rest der Weltbevölkerung gemieden wird, da solche Schreie im Wald aus einiger Entfernung doch sehr unheimlich anmuten.
Denksportarten konnten sich bis jetzt noch nicht durchsetzen.
Kreszenz:
Der Oberpfälzer ist zwar tiefreligiös, aber auch, wie schon angedeutet, alten vorchristlichen, heidnischen Vorstellungen unterworfen. Er fürchtet sich vor Flüchen, (obwohl er selbst den ganzen Tag herzerfrischend flucht), deutet verschiedene Vorkommnisse in der Natur als gutes oder schlechtes Omen, fürchtet sich vor Zauberern und Hexen, dem bösen Blick, usw…
Der Waldler geht in der Walpurgisnacht nur mit sehr unguten Gefühlen vor die Tür.
Ganz unbegründet ist diese Angst allerdings nicht, denn eine Hexe gibt es wirklich im Oberpfälzer Wald, die alte Kreszenz.
Als junges, unverheiratetes Ding hat sie dem Herrn Pfarrer, der etwas zudringlich werden wollte, eine Ohrfeige verpasst. Aus Rache bezichtigte der sie der Hexerei. Daraufhin wurde sie verbannt. Seither lebt sie alleine mitten im Wald in einer kleinen Holzhütte. Inzwischen ist sie über 60 Jahre alt, ganz weißhaarig und zahnlos. Sie trägt einen schwarzen Kapuzenumhang und ist allerorts gefürchtet.
Sobald ein Wanderer in der Dämmerung oder im Nebel durch die Gegend irrt, taucht sie plötzlich auf, wie aus dem Nichts und rennt schrill kreischend, mit gespreizten Fingern, langen Fingernägeln, wirren Haaren und verdrehten Augen auf den armen Tropf zu. Der bekommt den Schreck seines Lebens, wirft alle Habseligkeiten von sich, nimmt die Beine in die Hand, flüchtet Hals über Kopf, rennt und ruht nicht eher, bevor er die nächste menschliche Behausung erreicht hat. Das ist dann Kreszenz’ Rache an der Welt– vor ihr haben alle Panik.
Ein paar wenige alte Frauen allerdings suchen sie heimlich auf, um sich von ihr gute Ratschläge zu holen, denn Kreszenz hat im Gegensatz zum Bader umfassende Kenntnisse über Heilkräuter und Naturheilmittel.
Spezialisten:
Fast alle Bauern im Oberpfälzer Wald sind Allroundkönner. Egal, ob es sich um Viehzucht, Schmiedehandwerk, Schreinerarbeiten oder Getreideanbau handelt, in allen Bereichen sind sie firm. Es gibt auch ein paar Wenige, die sich spezialisiert haben, z.B. der Wirt oder der Bader.
Zwar hat auch der Wirt einen Gemüsegarten und hält sich das eine oder andere Schwein, er ist aber vornehmlich mit Schnaps brennen oder Bier brauen beschäftigt. Er bietet Bier in 20, 50 oder 100 Liter Fässern an. Die Bauern liefern ihm Kartoffeln, Getreide, Hopfen und alles was der Hof sonst hergibt oder was gebraucht wird. Dafür nehmen sie im Gegenzug einen Schwung voller Bierfässer für den Hausgebrauch mit. Das Bier, das der Wirt bei sich in der Stube ausschenkt, wird ähnlich vergolten. Ein großes Stück Wurst oder ein lebendiges Huhn löschen erst einmal den größten Durst. Erstaunlicherweise gibt es wenig Streit, denn man ist aufeinander angewiesen. Der Wirt ist in der Oberpfälzer Gesellschaft sehr angesehen, auch weil sich kaum einer in Sachen Trinkfestigkeit mit ihm messen kann.
So alle vier bis sechs Wochen kommt ein Bader ins Dorf, von denen es im ganzen Oberpfälzer Wald nur vier bis acht Stück gibt. Er ist eine der schillerndsten und exzentrischsten Figuren. Der Bader schmückt sich mit Vogelfedern und Amuletten, ist meist bemalt und besitzt eine schamanenhafte Ausstrahlung – häufig hat er noch einen Helfer dabei, den er anlernt.
Selbst wenn er keine Arbeit hat und sich keiner seinen Künsten unterziehen will, so ist er doch stets willkommen, nicht zuletzt, weil er Klatsch und Neuigkeiten ins Dorf bringt. Er bleibt ca. drei Tage, verteilt sein selbst komponiertes Gesundheitswasser, (indem allerlei Geheimnisse enthalten sind) und dessen Wirkung auf dem Placebo Effekt beruht, frisst sich durch und zieht von dannen.
Gibt es etwas für ihn zu tun, bleibt er ein bis zwei Tage länger, um die Genesung der oder des Delinquenten zu überwachen (dabei murmelt er ständig – zum Missfallen des Pfarrers – irgendwelche Laute in einer Sprache, die nur er selbst versteht). Hat er Erfolg geben ihm die Bauern noch eine beachtliche Wegzehrung und die eine oder andere nützliche Gerätschaft mit. Hat er aber gepfuscht, wird er mit Schimpf, Schande und Steinwürfen aus dem Dorf gejagt. Hier kann er sich dann so schnell nicht mehr blicken lassen. Ist ein Bader chronisch erfolglos, kommt dies einer Verbannung gleich.
Wenn der Winter ins Land zieht und die Wege für seinen Ochsenkarren wegen der Schneemassen unbefahrbar werden, quartiert sich der Bader mit seinem Helferlein in irgendeinem Dorf oder Weiler ein, für die nächsten Monate, bis ein Fortkommen durch die Wälder wieder möglich ist. Kein Problem, wenn es eine gute Ernte gab. War die Ernte schlecht, ist der Bader nicht mehr beliebt. Niemand ist froh über zwei zusätzliche Esser, die ansonsten zu keiner Arbeit nützlich sind.
(an dieser Stelle schöne Grüße an Georg Ringsgwandl, der, wenn er im Oberpfälzer Wald das Licht der Welt erblickt hätte, sicherlich ein Bader geworden wäre.)
Geburt und Sterben:
Die oberpfälzische Frau entbindet dort, wo sie sich gerade aufhält. Zwei bis drei Ruhestunden nach der Niederkunft, und sie geht wieder ihren normalen Tagesgeschäften nach. Den Säugling hat sie sich mit einem Tuch um den Leib gebunden. Kinder kommen normalerweise völlig behaart und mit vollständig ausgebildetem Gebiss zur Welt, daher ist die Stillzeit kurz. So „immergleich“ der Eintritt ins Leben ist, so vielfältig ist der Austritt.
Die verschiedenen Arten des Sterbens sind hier und da schon angeklungen; z.B. Unfälle bei der Jagd oder Waldarbeit, Unfälle die aus Meinungsverschiedenheiten resultieren, Kunstfehler des Baders… Ableben durch Krankheiten oder Altersschwäche sind bei Männern seltener. Früher wurde noch jeder hundertste Oberpfälzer von einem Wolfsrudel oder Bären erlegt. Es gibt Unfälle beim Fallenstellen (nach dem Motto: „Wer anderen eine Grube gräbt…“). Der Waldler baut z.B. geschickte Selbstschussanlagen mittels Pfeil und Bogen. Oftmals ist der Fallensteller bei der Überprüfung derselben sturzbetrunken und zupft versehentlich selbst an der auslösenden Stolperschnur. Das Fallenstellen wird gerne von älteren Personen betrieben, denen die Jagd zu anstrengend geworden ist.
Bei der Frau ist das frühe Ableben seltener. Wenn sie nicht im Stall von einer wilden Kuh auf die Hörner genommen wird, auf dem Acker versehentlich unter den Pflug gerät oder beim Wäsche waschen im Fluss ertrinkt, hat sie gute Chancen, ein respektables Alter zu erreichen. Wäsche waschen fällt sowieso selten an, denn der Waldler kleidet sich vornehmlich mit Loden bzw. dem Leder und den Fellen seiner Haus- und Beutetiere. Nur die Unterwäsche wird aus groben, selbstgewebten Stoffen genäht und diese wird nicht täglich gewechselt.
Wenn doch mal der Trauerfall eintritt, findet die Bestattung im Kirchgarten statt. Der Pfarrer spricht salbungsvolle Worte, danach gibt’s Besäufnis im Wirtshaus und am nächsten Tag geht das Leben wieder seinen Gang. Es wird nicht lange getrauert, die Sippe kümmert sich bei jüngeren Verstorbenen um den Nachwuchs und die Witwe bzw. der Witwer tröstet sich schnell. So gehen die Jahrhunderte ins Land, die Welt verändert sich immer rasanter, nur im Oberpfälzer Wald bleibt alles, wie es ist und immer war.
Schlusswort:
Jüngsten wissenschaftlich-archäologischen Angaben zufolge sollen sich im Oberpfälzer Wald bis ins späte Mittelalter hinein eine kleine Population von Neandertalern erhalten haben. Genforscher haben den “Waldler-Gencode“ aber noch nicht hundertprozentig entschlüsselt.
“Gott erhalt’s, die Oberpfalz!“ (Willy Michl)
Einleitung:
Der Oberpfälzer ist ein außerordentlich naturnaher Menschenschlag. Seine Verbreitung findet er im östlichen Teil Bayerns, von Waldsassen im Norden bis Schierling im Süden. Während die westliche Oberpfalz schon relativ modern entwickelt ist, gewinnen die östlichen Landstriche vor allem durch die Ursprünglichkeit ihrer Bewohner an Charakter und Charme. Diese Gegend, Oberpfälzer Wald genannt, ist sehr dünn besiedelt, fast vergessen von der Zivilisation. Sie beherbergt den sogenannten “Waldler“, die typische Form des Oberpfälzers. Er lebt dort in Weilern oder kleinen bis mittleren Dorfgemeinschaften und ernährt sich vor allem durch einfache Landwirtschaft, Tauschhandel, Holzwirtschaft, Braukunst, Schnapsbrennerei und einfache Metallverarbeitung.
Da ein Ausflug oder eine Reise in diese Gegend beschwerlich und nicht ohne Gefahren ist, möchte ich auf diesem Wege dem interessierten Leser die einzigartige Kultur und Lebensweise des Waldlers etwas näher bringen.
Beschreibung:
Der Waldler ist stämmig und klein, er hat relativ kurze Beine, lange muskulöse Arme. Sein Gesicht ist geprägt von kräftigen Brauen, die durch eine fliehende Stirn mit tiefem Haaransatz und durch ein fliehendes Kinn noch herausgehoben werden. Die Nase ist wenig ausgeprägt und breitflüglig. Die Augen liegen tief, das Gebiss ist imposant. Er hat eine Ganzkörperbehaarung. Sogar weibliche Exemplare entwickeln ab der Pubertät einen leichten Bartwuchs. Sein Intellekt besticht in erster Linie durch eine ausgeprägte Bauernschläue. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei ca. 55 Jahren, Frauen
werden älter.
Gesundheit:
Die kalten böhmischen Winde und das raue Klima seiner Heimat haben den Waldler widerstandsfähig werden lassen. Er ist optimal an seine Umgebung angepasst. So trägt er noch bis - 10 Grad C kurze Hosen. Selbst Minustemperaturen von 30 Grad und kälter, wie sie im Winter auf dem Zwercheck (dem höchsten Berg im Oberpfälzer Wald) vorkommen, meistert er spielend. Von Feldforschern, die sich in diese abgelegenen Gegenden wagen, sind selbst hier barfuß laufende Exemplare beschrieben worden.
Der Waldler ist sehr krankheitsresistent. Erkrankungen wie Alkoholvergiftungen, Virusinfektionen, grippale Infekte, Pilzvergiftungen, Allergien, Depressionen etc. sind ihm gänzlich fremd. Auch schlimmere Verletzungen, z.B. das versehentliche Abhacken von Gliedmaßen mittels Beil oder Axt verheilen schnell.
Verhaltensweisen:
Gerne streift der Waldler durch die Fauna und Flora seiner Heimat, sammelt Pilze, Beeren, Früchte, wobei er bei der Auswahl derselben nicht sehr zimperlich ist. Auch die Jagd ist ihm nicht fremd. Fasan, Rebhuhn, Wildschwein und Feldhase sind besonders begehrt. Er jagt vornehmlich mit selbst in handwerklicher Arbeit hergestellten Speeren bzw. Pfeil und Bogen und verfolgt seine Beute zu Fuß durchs Gehölz, oft über fünf bis zehn Kilometer. War der Jäger erfolgreich, wird das Beutestück entweder an Ort und Stelle zubereitet und verzehrt, oder im Boden vergraben, um es zu gegebener Zeit wieder auszubuddeln und nach Hause zu schleppen. Diese Jagdausflüge können bis zu einer Woche dauern.
Mit Vorliebe sammelt der Waldler Trophäen. Er legt die Fußböden seiner Behausung mit Tierfellen aus und behängt die Wände mit Hirschgeweihen, Keilerköpfen, usw. Geweihstangen, die nicht so dekorativ sind, sägt er in kleine Scheiben und verwendet diese als Knöpfe für die Kleidung. Oftmals schnitzt er sich kleine Pfeifen aus Horn oder Holz.
Da dem Waldler der Tabak unbekannt ist, raucht er eine Mischung aus verschiedenen getrockneten Kräutern. Diese verglimmen derart beißend, dass die Hälfte der Fliegen, von denen er sonst in Massen umschwärmt wird, tot zu Boden fällt. Auf diese Art vertilgt der er auch einen Großteil des Ungeziefers, das ansonsten auch seine Wohnbereiche bevölkert.
Gerät er bei seinen Streifzügen mal an die Grenzen seiner Welt und erblickt einen fremden Bauern auf einem Traktor oder gar ein Auto, so zieht er sich sogleich zurück, hält das Gesehene für Teufelswerk, spricht drei Vaterunser und trollt sich von dannen.
Geschichte und Kultur:
Fast immer trifft man den Waldler in größeren Familienverbänden an und vorwiegend wird sein Leben durch uralte Riten und Gebräuche bestimmt. Der Volksglaube ist sehr tief verwurzelt und mit christlichen Elementen, Aberglauben und mystischen Riten durchmischt. In den besonders abgelegenen Bereichen des Oberpfälzer Waldes finden noch regelmäßig Tieropfer statt.
Die hartnäckigen Gerüchte über Menschenopfer (die selbstverständlich jeglicher Grundlage entbehren) sind nach dem Verschwinden einer Gruppe von Managern in den früheren 1990er Jahren, die zu einem Motivations-Survival-Wochenende in den Oberpfälzer Wald aufgebrochen waren, immer wieder aufgeflammt. Groß angelegte Suchaktionen blieben aufgrund der undurchdringlichen Tiefen und unerforschten Bereiche des Oberpfälzer Waldes und Kommunikationsproblemen mit der einheimischen Bevölkerung ohne Erfolg. Das Auftauchen eines Überlebenden dieser Gruppe acht Monate später, der völlig abgerissen, bis aufs Skelett abgemagert und verwirrt vor sich hinstammelnd, am Rande von Waldsassen von Touristen aufgegriffen wurde, hat den böswilligen Nachreden wieder neuen Aufschwung gegeben. Dieser bedauernswerte Mensch befindet sich nach wie vor in der geschlossenen psychiatrischen Abteilung der Uniklinik in Regensburg und kann bis heute keine zusammenhängenden Angaben über die zurückliegenden Ereignisse und das mysteriöse spurlose Verschwinden seiner Kollegen machen.
(Auszug aus dem Neumarkter Tagesboten vom Februar 2003)
Seine archaische Sprache hat sich der Waldler bis in die Gegenwart hinüber gerettet, sie hat aber stellenweise auch Ähnlichkeit mit der Schriftsprache aus der heutigen Zeit. Als Beispiel dienen hier die Wochentage.
Montag - Manda
Dienstag - Irda
Mittwoch - Migga
Donnerstag - Finsta
Freitag - Freida
Samstag - Samsda
Sonntag - Sunnda
Paarungsverhalten und Aufzucht:
Der oberpfälzische Menschenschlag ist sehr fruchtbar, allerdings schützt die hohe Kindersterblichkeit vor allem in den Wintermonaten den Oberpfälzer Wald und seine Bewohner vor Überbevölkerung. So ist es z.B. Sitte, dass die Mütter ihre Neugeborenen und Kleinkinder in einem klaren (und kalten) Gebirgsbach baden, notfalls wird ein Loch ins Eis gehackt. Anschließend werden die Kinder mit einer Bürste ausgiebig gereinigt, das stärkt die Lungen. So werden die sie fürs raue Leben gut vorbereitet und erlangen ihre legendäre Konstitution.
Oberpfälzer sind sehr potent, fast schon triebhaft. Es gibt halbwüchsige Jungmänner, die man nachts in den Dörfern permanent mit einer Leiter unter dem Arm herumlaufen sieht, damit ihnen keine Chance entgeht, eine Liebesbeziehung aufzunehmen. Nach der Hochzeit jedoch leben sie monogam, es sei denn, der Nachbar ist mal nicht zu Hause. Kommt dieser überraschend früher zurück, wird die Rangfolge der beiden Kontrahenten zuerst mittels Ringkämpfen, anschließend in der nächsten Dorfwirtschaft ausgetragen. Wer zuerst vom Stuhl fällt, hat verloren und verliert an Ansehen.
Waldler-Hochzeit:
Hat der Waldler die Dame seines Herzens erobert (und geschwängert) werden innerhalb kürzester Zeit die Hochzeitsvorbereitungen organisiert. Das ist jedes Mal der Höhepunkt des Jahres für eine Waldlerfamilie. Die Festivitäten erstrecken sich über mehrere Tage, es werden kurzweilige Gesellschaftsspiele veranstaltet, z.B. das Misthaufenspringen oder das Wetten, welche Kuh zuerst einen Fladen produziert. Es gibt eine Brautentführung und und und… Bei den Männern beliebt nach heftigem Biergenuss: “Wer schafft den größten Bogen?“, was dem Sieger mächtig Ansehen und Ruhm einbringt.
Abschluss und Höhepunkt einer oberpfälzischen Hochzeitsfeier ist das sog. Ochsenrennen. Hierbei werden mehrere Ochsen angeschirrt und von den weiblichen Festteilnehmern mit Gejohle und allen möglichen anderen Hilfsmitteln angetrieben. Am Geschirr ist eine Kette befestigt, an der die männlichen Festteilnehmer in die andere Richtung ziehen. Dieses Spektakel geht oft über Stunden und findet nicht selten ein jähes Ende, indem die Kette reißt. Sind am nächsten Morgen die Ochsen zu ermattet für den Pflug, zieht ihn der Oberpfälzer notfalls auch mal selbst.
Medizin:
Das raue Leben im Oberpfälzer Wald birgt auch viele Gefahren, kleine Verletzungen verarztet der Waldler natürlich selbst. Im Laufe vieler Jahrhunderte hat sich die Kultur des Amputierens herausgebildet, bei kleineren Gliedmaßen die einfachste und schnellste Art der Wundbehandlung. Mittelschwere bis schwere Verletzungen oder Wunden werden mit Ausbrennen kuriert, ansonsten – etwa bei Knochenbrüchen – wartet man auf den reisenden Bader. Er ist der Fachmann fürs Knocheneinrenken, die Zahnbehandlung, den Aderlass, kleinere Augenoperationen sowie einfachere chirurgische Eingriffe.
Versierte Vertreter dieser Berufsgruppe verstehen sich sogar aufs Narkotisieren. So wird für Zahnbehandlungen tatsächlich die sprichwörtliche Holzhammermethode angewendet. Der Bader misst dabei den Kopfumfang des Patienten und errechnet daraus die Schädeldicke. Anhand dieses Ergebnisses wählt er den 4-, den 5- oder den 6-Kilo Hammer, mit dem er dem Delinquenten mit Schwung von vorne gegen die Stirn schlägt.
Ansonsten besitzt er für die filigraneren Arbeiten (z.B. Mundhygiene) noch das 100-Gramm-Hämmerchen, einen kleinen Metallmeißel, eine solide Eisenfeile und eine Schmiedezange. Beim Einrenken von Knochenbrüchen und Augenoperationen ist die Vollnarkose jedoch nicht als optimal anzusehen, da der Patient während der Behandlung für evtl. Rückfragen ansprechbar bleiben sollte. Daher bekommt der Oberpfälzer hier einen halben Liter klaren Schnaps, gepaart mit einem Beißholz.
Viele Waldler verzichten aus Stolz auf eine Narkotisierung, es soll aber auch schon Fälle gegeben haben, dass sich jemand nur wegen der zu erwartenden Schnapsration die Augen hat operieren lassen. (Ja, ja es sind halt auch nur Menschen, diese Bewohner des Oberpfälzer Waldes…)
Ernährung:
Die Ernährung des Waldlers ist sehr ausgewogen. Die Bauern sind ausnahmslos Selbstversorger und genießen das, was die Jahreszeit gerade hergibt. Ab und an wird ein Schwein geschlachtet, dann wird gewurstet und geräuchert, es wird Brot gebacken…Der Oberpfälzer kann pro Mahlzeit bis zu 15 % seines Eigengewichtes verspeisen, kann aber problemlos auch einmal eine Woche hungern. Jedoch – die Regel lautet: Sieben fette Jahre, sieben magere Jahre…
In den mageren Jahren kommt es schon mal vor, vor allem im ausgehenden Winter nach einer schlechten Ernte, dass die Katzen- und Hundepopulation, die sich ansonsten recht ungestüm vermehrt, plötzlich auffallend schnell abnimmt und auf fast Null zurückgeht – schließlich muss ja irgendetwas in den Kochtopf, noch dazu wenn sich das Jagdglück nicht einstellt. Das Bier allein macht auf Dauer auch nicht satt.
Wenn gar nichts mehr da ist, werden Singvögel gefangen, die Mäuse, die früher die Katze fraß, frisst jetzt der Waldler selbst. Fälle von Kannibalismus wurden allerdings noch nicht bekannt. Aufgrund seiner Konstitution übersteht er auch solche Zeiten mehr oder minder schadlos.
Gerichtsbarkeit:
Wie in jeder anderen Gesellschaft, gibt es auch unter den Waldlern Meinungsverschiedenheiten und Verstimmungen, die nicht mehr mit einer einfachen Rauferei oder mit einem Saufgelage zu lösen sind. Für solche Situationen gibt es den Dorf- oder Sippenältesten. Er ist Polizist und Richter in Personalunion. Er spricht Recht und bestimmt das Strafmaß für die unterlegene Partei. Nicht bestraft wird z.B.:
Beleidigung -> Körperverletzung -> Körperverletzung mit Todesfolge,
denn:
Das Opfer hätte sich anständig zur Wehr setzen können!
Wenn einer zu Tode kommt, dann ist es immer ein Unfall. Ein richtiger Mord passiert im Oberpfälzer Wald eigentlich nicht.
Bei Diebstahl, Betrug oder anderen Delikten hingegen ist die Bestrafung kurz und wirkungsvoll, da es keine Gefängnisse gibt. Für die leichteren Fälle werden den Damen und Herren öffentlich bis zu 50 Stockhiebe verabreicht. Bei Bestrafungen von schwereren Vergehen ist der Oberpfälzer erfinderisch. Diese werden dann nicht mehr an Schwangeren, Kranken und älteren Personen ausgeübt.
So wird z.B. im Sommer der zu bestrafende Missetäter ganz in der Nähe eines Wespennestes an einen Baum angebunden. Ein bis zwei Verwegene stochern dann mit langen dünnen Stangen in dem Nest herum und nehmen sogleich Reißaus, sobald die grimmige Wespenschar ausschwärmt. Die lässt natürlich ihre ganze Wut an dem Sträfling aus. Das wird so oft wiederholt, bis auch wirklich die letzte Wespe ihr Pulver verschossen hat. Von seinen Fesseln befreit, verbringt der nun Geläuterte die nächsten acht Tage im kalten Bach.
Im Winter z.B. muss sich der Unhold im Freien in ein leeres, großes Fass stellen. Dieses wird mit Wasser gefüllt, bis der Wasserstand dem Verurteilten bis unters Kinn reicht. Nun gefriert das Wasser von oben und der Bösewicht ist eingeschlossen für die nächsten drei Tage ohne Nahrung und “schmort“. Ertrinken kann er nicht, da der Kopf zu dick ist – nur
jämmerlich frieren. Wieder befreit verbringt er sicherlich die nächste Zeit ganz dicht am Ofen.
Sollten diese Torturen nicht schrecken, droht die Strafentmannung, (die der Bader ohne Narkose vornimmt; wird nicht bei Straftäterinnen angewendet), oder als grausamste und härteste Strafe, die Verbannung. Einem solchen Unglücksraben bleiben dann nur noch zwei Möglichkeiten. Entweder lebt er als Einsiedler in irgendeiner Höhle, oder, weil er ja sehr gesellig ist, flüchtet er sich in die Zivilisation, z.B. ins fränkische Nachbarland. Für solch einen ist natürlich aller Anfang schwer, denn den Waldler erkennt man dort schon von weitem am Geruch. Daher auch die weitverbreitete Titulierung “Moosbüffel“.
Mit der Zeit lernt er mühsam, sich verständlich zu machen, sich in die Gemeinschaft einzufügen. Große Probleme hat er im Umgang mit Geld, zwar ist den Waldlern die Existenz des Geldes bekannt, sie lehnen es aber ab und Vertrauen ganz auf den Tauschhandel. Schwierig auch der passende Umgang mit Frauen oder die korrekte Benutzung einer Toilette. Zunehmend fordert der ungewohnte Straßenverkehr seine Opfer. Die ersten beruflichen Stationen sind zumeist Schlachthöfe, Gerbereien, Müllbeseitigungsunternehmen, etc.
So wächst er nach und nach in die Gesellschaft hinein, und ab und an gelingt es ihm, einen Partner oder eine Partnerin zu finden und eine Familie zu gründen. Das sind dann vorwiegend Frauen oder Männer, die das animalische im Anderen suchen. Domestizierte Waldler finden sich so gut wie nie mehr in ihre alte und frühere Umgebung ein, auch steigert sich deutlich deren Lebenserwartung.
Familienverhältnisse:
Die Familienverbände der Waldler bestehen zumeist aus vier Generationen. Der Familien- oder Dorfälteste ist immer der Patriarch bzw. Clan-Chef und hat in allen Belangen zu bestimmen. Er ist ca. 50 Jahre alt. Die Chefrolle wird stets an den nächst Älteren weitervererbt. Die folgende Generation, dessen Söhne mit Schwiegertöchtern, ist ca. 35 Jahre alt, die Enkel sind um die 20, die Urenkel durchschnittlich 5 Jahre alt.
Alle leben miteinander zusammen. Das sind aber gar nicht so viele Individuen, wie man glaubt. Ein Oberpfälzer Ehepaar setzt im Schnitt 8 bis 10 Kinder in die Welt, von denen gut die Hälfte das Kleinkindalter überlebt. Weitere Verluste sind durch Unfälle in den Wäldern oder durch gegenseitiges Schädeleinschlagen vorprogrammiert. Bei Hochzeiten gibt man die Töchter ab, handelt sich aber dafür Schwiegertöchter ein. Somit gehören 20 bis 25 Personen zu einer Sippe. Die Kinder lernen durch Abschauen von den Älteren, Schulen im landläufigen Sinne existieren nicht.
Ein Dreizehnjähriger hat gelernt:
zählen bis 1000
Grundkenntnisse in den einfachsten Rechenarten,
eine einfache Schrift (mittels Stock in den Sand geschrieben oder mit Kreide auf eine Tafel).
Das genügt völlig den Anforderungen, die das Leben an diese Menschen stellt.
Früh müssen die Kinder auf dem Hof oder in der Werkstatt mitarbeiten. Dort lernt man die wichtigen Sachen fürs Leben:
Melken (Mädchen)
Werkzeug reparieren (Buben)
Einem Huhn den Kopf abhacken (Mädchen)
Den Nachbarsmädchen nachstellen u. ä. (Buben)
Hat letzteres Erfolg, gibt es die sog. “Waldler-Hochzeit“ (siehe dort) und die Familie vergrößert bzw. verkleinert sich wieder. Bei geschätzten 80 – 100 Familien bietet der Oberpfälzer Wald mit seinen Feldern, Äckern und Wiesen all seinen Bewohnern ein adäquates Auskommen.
In der Walder Familie gibt es die klassische Rollenverteilung;
Er: Werkstatt, Acker, Wald, Wirtshaus…
Sie: Stube, Küche, Gemüse- und Kräutergarten, Acker, Stall…
Am Samstagabend ist Kirchgang, der ist gesellschaftliche Pflicht. Daraufhin folgt der Gang ins Wirtshaus, welches sich aufgrund praktischer Erwägungen immer gleich direkt neben der Kirche befindet, auch die Frauen gehen mit. Oftmals gibt es schon nach kurzer Zeit und nach einigem Alkoholfluss Streit zwischen den verschiedenen Sippen. Die Frauen zerren sich an den Haaren, die Männer schlagen aufeinander ein. Pfarrer und Wirt mischen mit. Ist die Lokalität einigermaßen demoliert, gehen alle zufrieden nach Hause und schlafen ihren Rausch aus. Selten gibt es Zuspitzungen dieses Brauches, die dann allerdings in Blutrache ausarten können.
Negative Erlebnisse:
Im Sommer 1922 traf eine ausgelassene Schar von Jungmännern, alles rechte Rabauken, die unternehmungslustig durch den Wald streiften, auf zwei unerschrockene Goldwäscher, die am Oberlauf der Luhe ihr Glück versuchten.
Da man als Waldler selten Fremde sieht, war die Neugierde verständlicherweise groß. Das Resultat dieses Zusammentreffens war, dass die beiden Goldwäscher, nur in Unterhosen bekleidet, das Weite suchten und ihre komplette Ausrüstung und all ihre Habseligkeiten die Besitzer wechselten, samt Packesel. In dessen Packtaschen befand sich unter anderem auch eine Pistole. So ein Ding hatten sie noch nie gesehen, wozu ist das gut?
Der Vorlauteste unter den Waldlern begann, das unbekannte Objekt eingehend zu untersuchen. Das kostete ihm das rechte Auge und zwei Tage später als Folge der Verletzung sogar das Leben, ein prägendes Ereignis für alle Anwesenden und jene, die davon erfuhren (also ziemlich jeder). Daher macht der Waldler bis heute einen großen Bogen um Schusswaffen aller Art – Teufelszeug!!!
Man schaufelte ein drei Meter tiefes Loch für die Pistole und meidet bis heute die Stelle, wo sie immer noch vergraben liegt.
Musik:
Die musische Begabung der Waldbewohner ist weniger harmonisch, viel eher rhythmisch ausgeprägt. Das Lieblings Musikinstrument der Waldler ist deshalb die Trommel, die in Handarbeit selbst hergestellt wird. Ausgehöhlte Baumstämme und Tierfelle sind beliebte Werkstoffe dafür. Trommeln gibt es in allen Variationen, von ganz kleinen Instrumenten, die sich der Künstler umhängen kann, bis zu den sehr großen, die nur stationär zu verwenden sind. Das sind dann schon mal 10 Meter lange ausgehöhlte Baumstämme, an denen sich mehrere Virtuosen gleichzeitig betätigen können. Die Trommeln finden selten zur Nachrichtenübermittlung, viel eher bei Festlichkeiten Verwendung.
Beispielsweise findet zweimal im Jahr eine Sonnwendfeier statt. Am frühen Nachmittag geht es schon los. Es gibt reichlich flüssige Nahrung und einen Ochsen am Spieß. Abends wird ein großer Scheiterhaufen errichtet. Die Festteilnehmer, berauscht und gestärkt von der üppigen Verpflegung, springen und tanzen rund um das Feuer herum. Tänzer und Trommler gleichermaßen geraten immer stärker in Ekstase.
Das Spektakel währt die ganze Nacht und ist neben den Hochzeitsfeiern Höhepunkt eines Jahres. Nach und nach ermüden die Akteure so sehr, dass sie oft schon an Ort und Stelle vom Schlaf übermannt werden. Sonnwendfeiern sind zwar kürzer, aber wesentlich intensiver als z.B. Hochzeitsfeiern. Im Morgengrauen gleicht die Szenerie einem Schlachtfeld. Rauchgeschwängerte Luft und Schnapsleichen jeglichen Alters und Geschlechts liegen herum. Erfahrungsgemäß stellt der Waldler nach einem solchen Gelage für die nächsten drei Wochen das Jagen ein, bis sich die Wilddichte wieder etwas normalisiert hat.
Körperpflege:
Die Körperpflege spielt im Leben des Oberpfälzers eine eher untergeordnete Rolle. Zwar werden Neugeborene und Säuglinge wie bereits beschrieben recht reinlich gehalten, (wahrscheinlich ist das ein instinktives Verhalten), sind sie allerdings dem Windelalter entwachsen, starren die Kinder vor Dreck. Darin geraten sie den Erwachsenen nach. Der Waldler badet nur dann, wenn es sich gleich mit etwas anderem Nützlichem verbinden lässt, z.B. dem Fischfang.
Sobald die Flüsse eisfrei sind, watet er in kleinen Gruppen mit dem Speer in der Hand durch die seichten Kiesbette, hoffend, mit einem kraftvollen Stoß von oben eine saftige Forelle zu durchbohren, von denen es in den Flüssen im Oberpfälzer Wald nur so wimmelt. Dabei muss er aufpassen, denn es kommt schon mal vor, dass er den Speer im Eifer des Gefechtes durch die Forelle und zusätzlich durch seinen eigenen Fuß, oder den des Kollegen rammt. Hat er das Tier verfehlt oder nur verletzt erfolgt als zweiter Versuch der Hechtsprung ins kalte Nass, um den Braten doch noch evtl. mit den Händen zu erhaschen.
Das ist dann ein Vollbad. Als Toilette dient dem Waldler eine offene Latrine, etwas abseits der Behausung. Noch bis ins späte 19. Jahrhundert empfahl es sich, dorthin im Winter einen soliden Knüppel mit sich zu führen, um ggf. hungrige Wölfe auf Distanz zu halten. Die hat der Waldler aber zwischenzeitlich ausgerottet. Der Gebrauch von Toilettenpapier ist ihm unbekannt. Als fließendes Wasser dient ihm der kleine Bach, der hinter dem Hof vorbeiführt oder das Flüsschen, welches durch das Dorf fließt. In den wasserärmeren Landesteilen behilft man sich mit einem Brunnen, um die Wasserversorgung der Familien zu abzusichern.
Religion:
Die Waldler sind zu hundert Prozent römisch-katholisch und in jedem Dörfchen, sei es noch so klein, gibt es eine Kirche. Der Pfarrer wird von den Bauern bzw. Dorfbewohnern mit Spirituosen und Lebensmitteln versorgt – und das nicht schlecht. Er hat ähnlich viel Einfluss auf die Bewohner wie der Dorfälteste. Der Pfarrer ist sehr oft der Dickste im Dorf, denn ihm fehlt ihm die körperliche Arbeit. Er lebt sozusagen wie die Made im Speck, allerdings besonders hart für einen Waldler: Das Zölibat!
Für besonders gequälte Geschöpfe weiß der Bader Rat. (Schnipp!!)
Auch Pfarrer brauchen irgendwann mal Nachwuchs. Daher bringen sie gelegentlich einen relativ gescheiten Knaben aus einer Waldler Familie nach Auerbach ins Kloster. Dort lernt der etwas Latein, die Bibel zu interpretieren und das ganze religiöse Handwerk. Da die Pfarrerslehrzeit im Kloster nicht gerade luxuriös gestaltet wird, findet sich der Waldler Bub anschließend problemlos in seinem alten Umfeld zurecht, um irgendwo eine freigewordene Pfarrersstelle zu übernehmen. Er erklärt der Gemeinde glaubhaft, dass ein Ochse am Spieß deutlich schmackhafter und bekömmlicher ist als ein Traktor und bestärkt ihre Angst vor Fegefeuer und Höllenglut. An einer Entwicklung des Oberpfälzer Waldes und deren Bevölkerung ist der katholischen Kirche nicht gelegen.
Wohnverhältnisse:
Das typische Oberpfälzer Bauernhaus ist fast immer zweigeschossig aus Natursteinen und Holz erbaut. Das Erdgeschoss besteht aus einem großen Raum. Dessen Mittelpunkt ist ein stattlicher Ofen, der auch als Kochstelle dient. Diese Wohn-Ess-Küche ist mit soliden Holztischen und Sitzbänken eingerichtet. Hier nimmt die Großfamilie ihre Mahlzeiten ein. Angeschlossen sind eine Speisekammer und ein kalter Vorratskeller.
Im ersten Stock befinden sich mehrere Schlafräume. Die Waldler schlafen in stabilen, aus unbearbeiteten Latten gefertigten Holzbetten auf Strohmatratzen. Unter jedem Bett steht ein großer Nachttopf. Sie haben selbst gefertigte Wolldecken, dünn für den Sommer, dick für den Winter. Auf die Idee, sich Zudecken und Kopfkissen aus Daunen herzustellen, ist tatsächlich noch niemand gekommen.
Die Waldler sind nach Alter, Geschlecht und Familienstand auf die verschiedenen Schlafkammern verteilt. Die Frauen stehen morgens als erstes auf und schüren den Ofen, räumen das Chaos vom Vorabend weg, richten das Frühstück (z.B. trockenes Brot mit heißer Milch) und gehen in den Stall zum Melken. Der Stall grenzt in der Regel an das Wohnhaus an.
Eine Waldler - Sippe besitzt 1 bis 2 Kaltblutpferde für die Waldarbeit, mehrere Schafe, Ziegen, Schweine und Kühe, 2 bis 3 Ochsen und 1 Stier. Zusätzlich wird Federvieh jeglicher Art und Weise gehalten. Arbeiten die Männer tagsüber im Wald oder auf dem Feld, bringen ihnen ein paar Mädchen mittags ein deftiges Lunchpaket hinaus.
Das Abendessen findet wieder für alle gemeinsam in der Stube statt. Es gibt z.B. herzhafte Gemüse- oder Kartoffeleintöpfe. Messer und Gabel als Essbesteck kennt der Waldler nicht. Man benützt entweder einen Löffel oder isst mit den Fingern – überhaupt sind die Tischmanieren leger. Es wird gerülpst und gefurzt und wenn dann die Stimmung zunehmend beschwingter wird (auch die Kinder trinken Bier), bewirft man sich schon mal gegenseitig mit Hühnerknochen oder anderen Essensresten, besonders dann, wenn wieder mal ein Fliegenpilz im Eintopf war. Nach und nach wankt einer nach dem anderen nach oben, die letzten drei Trunkenbolde schlafen am Tisch ein.
Freizeitverhalten:
Im Winter hat der Oberpfälzer viel im Wald zu tun, im Frühling und im Sommer auf dem Feld. Im Herbst jedoch, wenn die Ernte eingefahren ist, hat er Zeit. Dann widmet er sich dem Sport. Am beliebtesten ist das Schädelknacken.
Das funktioniert wie folgt: Zwei Waldler stehen sich gegenüber, Gesicht auf gleicher Höhe und stoßen permanent die Stirn im Zweisekundenrhythmus gegeneinander. Ein Trommelspieler koordiniert bzw. unterstützt das ganze Gebaren. So ein Duell dauert 10 bis 15 Minuten und endet, indem einer von beiden aufgibt oder wegen technischem KO disqualifiziert wird. Schiedsrichter ist das Publikum. Der Sieger kühlt sich den Kopf in einem Zuber mit kaltem Wasser, evtl. Wunden werden mit einem scharfen Schnaps ausgewaschen und auf geht’s in die nächste Runde. Derjenige, der am Schluss übrig bleibt und alle Kontrahenten geschlagen hat, ist dann der Schädelknackerkönig. Er ist meist blutüberströmt und hat noch dazu einen Nasenbeinbruch, genießt aber höchstes Ansehen und wird vor allem von den Frauen umschwärmt (das ist dann der, für den der Bader im Falle eines Falles den 7-Kilo-Hammer benötigt).
Solche Veranstaltungen finden reges Zuschauerinteresse – es wird gejohlt, geklatscht, gepfiffen, man ist parteiisch… Dem Sieger fliegen die Herzen zu, der Verlierer wird mit Spott und Häme überschüttet. Nicht immer ist sich das Publikum in seiner Schiedsrichterrolle einig. Dann ist es durchaus möglich, dass sich die Rollen vertauschen und die Zuschauer ihrerseits in einem wilden Knäuel aufeinander einprügeln. Jetzt müssen Schädelknacker und Trommler mangels Aufmerksamkeit vorübergehend pausieren und sich aufs Zugucken verlegen.
Weiterhin beliebt ist das Ausstemmen. Über einen nicht zu breiten Fluss oder Wasserlauf wird ein stabiles Holzbrett gelegt. Den beiden Rivalen werden die Hände auf dem Rücken festgebunden. Wer auf diesem Brett dem Gegenüber durch geschicktes Ausweichen oder Taktieren ins Wasser bugsiert, hat gewonnen und stellt sich dem nächsten Herausforderer. Hier gewinnt nicht der größte Dickschädel, sondern der geschickteste Leichtfuß. Da man mit zusammengebundenen Händen schlecht schwimmt, stehen immer ein paar „Sanitäter“ parat, um dem Begossenen beizustehen und aus dem Wasser zu zerren. Noch nie hat ein Sportler beide Wettkämpfe gleichzeitig gewonnen.
Außerdem gibt es verschiedene Kraftsportarten, z.B. wer das dickste Bäumchen ausreißt, Laufsportarten, Bogenschießen, Ringkämpfe oder einfach nur, wer den lautesten Schrei ausstößt; hier sind eindeutig die Frauen im Vorteil. Derartige Wettkämpfe tragen auch mit dazu bei, dass der Oberpfälzer Wald vom Rest der Weltbevölkerung gemieden wird, da solche Schreie im Wald aus einiger Entfernung doch sehr unheimlich anmuten.
Denksportarten konnten sich bis jetzt noch nicht durchsetzen.
Kreszenz:
Der Oberpfälzer ist zwar tiefreligiös, aber auch, wie schon angedeutet, alten vorchristlichen, heidnischen Vorstellungen unterworfen. Er fürchtet sich vor Flüchen, (obwohl er selbst den ganzen Tag herzerfrischend flucht), deutet verschiedene Vorkommnisse in der Natur als gutes oder schlechtes Omen, fürchtet sich vor Zauberern und Hexen, dem bösen Blick, usw…
Der Waldler geht in der Walpurgisnacht nur mit sehr unguten Gefühlen vor die Tür.
Ganz unbegründet ist diese Angst allerdings nicht, denn eine Hexe gibt es wirklich im Oberpfälzer Wald, die alte Kreszenz.
Als junges, unverheiratetes Ding hat sie dem Herrn Pfarrer, der etwas zudringlich werden wollte, eine Ohrfeige verpasst. Aus Rache bezichtigte der sie der Hexerei. Daraufhin wurde sie verbannt. Seither lebt sie alleine mitten im Wald in einer kleinen Holzhütte. Inzwischen ist sie über 60 Jahre alt, ganz weißhaarig und zahnlos. Sie trägt einen schwarzen Kapuzenumhang und ist allerorts gefürchtet.
Sobald ein Wanderer in der Dämmerung oder im Nebel durch die Gegend irrt, taucht sie plötzlich auf, wie aus dem Nichts und rennt schrill kreischend, mit gespreizten Fingern, langen Fingernägeln, wirren Haaren und verdrehten Augen auf den armen Tropf zu. Der bekommt den Schreck seines Lebens, wirft alle Habseligkeiten von sich, nimmt die Beine in die Hand, flüchtet Hals über Kopf, rennt und ruht nicht eher, bevor er die nächste menschliche Behausung erreicht hat. Das ist dann Kreszenz’ Rache an der Welt– vor ihr haben alle Panik.
Ein paar wenige alte Frauen allerdings suchen sie heimlich auf, um sich von ihr gute Ratschläge zu holen, denn Kreszenz hat im Gegensatz zum Bader umfassende Kenntnisse über Heilkräuter und Naturheilmittel.
Spezialisten:
Fast alle Bauern im Oberpfälzer Wald sind Allroundkönner. Egal, ob es sich um Viehzucht, Schmiedehandwerk, Schreinerarbeiten oder Getreideanbau handelt, in allen Bereichen sind sie firm. Es gibt auch ein paar Wenige, die sich spezialisiert haben, z.B. der Wirt oder der Bader.
Zwar hat auch der Wirt einen Gemüsegarten und hält sich das eine oder andere Schwein, er ist aber vornehmlich mit Schnaps brennen oder Bier brauen beschäftigt. Er bietet Bier in 20, 50 oder 100 Liter Fässern an. Die Bauern liefern ihm Kartoffeln, Getreide, Hopfen und alles was der Hof sonst hergibt oder was gebraucht wird. Dafür nehmen sie im Gegenzug einen Schwung voller Bierfässer für den Hausgebrauch mit. Das Bier, das der Wirt bei sich in der Stube ausschenkt, wird ähnlich vergolten. Ein großes Stück Wurst oder ein lebendiges Huhn löschen erst einmal den größten Durst. Erstaunlicherweise gibt es wenig Streit, denn man ist aufeinander angewiesen. Der Wirt ist in der Oberpfälzer Gesellschaft sehr angesehen, auch weil sich kaum einer in Sachen Trinkfestigkeit mit ihm messen kann.
So alle vier bis sechs Wochen kommt ein Bader ins Dorf, von denen es im ganzen Oberpfälzer Wald nur vier bis acht Stück gibt. Er ist eine der schillerndsten und exzentrischsten Figuren. Der Bader schmückt sich mit Vogelfedern und Amuletten, ist meist bemalt und besitzt eine schamanenhafte Ausstrahlung – häufig hat er noch einen Helfer dabei, den er anlernt.
Selbst wenn er keine Arbeit hat und sich keiner seinen Künsten unterziehen will, so ist er doch stets willkommen, nicht zuletzt, weil er Klatsch und Neuigkeiten ins Dorf bringt. Er bleibt ca. drei Tage, verteilt sein selbst komponiertes Gesundheitswasser, (indem allerlei Geheimnisse enthalten sind) und dessen Wirkung auf dem Placebo Effekt beruht, frisst sich durch und zieht von dannen.
Gibt es etwas für ihn zu tun, bleibt er ein bis zwei Tage länger, um die Genesung der oder des Delinquenten zu überwachen (dabei murmelt er ständig – zum Missfallen des Pfarrers – irgendwelche Laute in einer Sprache, die nur er selbst versteht). Hat er Erfolg geben ihm die Bauern noch eine beachtliche Wegzehrung und die eine oder andere nützliche Gerätschaft mit. Hat er aber gepfuscht, wird er mit Schimpf, Schande und Steinwürfen aus dem Dorf gejagt. Hier kann er sich dann so schnell nicht mehr blicken lassen. Ist ein Bader chronisch erfolglos, kommt dies einer Verbannung gleich.
Wenn der Winter ins Land zieht und die Wege für seinen Ochsenkarren wegen der Schneemassen unbefahrbar werden, quartiert sich der Bader mit seinem Helferlein in irgendeinem Dorf oder Weiler ein, für die nächsten Monate, bis ein Fortkommen durch die Wälder wieder möglich ist. Kein Problem, wenn es eine gute Ernte gab. War die Ernte schlecht, ist der Bader nicht mehr beliebt. Niemand ist froh über zwei zusätzliche Esser, die ansonsten zu keiner Arbeit nützlich sind.
(an dieser Stelle schöne Grüße an Georg Ringsgwandl, der, wenn er im Oberpfälzer Wald das Licht der Welt erblickt hätte, sicherlich ein Bader geworden wäre.)
Geburt und Sterben:
Die oberpfälzische Frau entbindet dort, wo sie sich gerade aufhält. Zwei bis drei Ruhestunden nach der Niederkunft, und sie geht wieder ihren normalen Tagesgeschäften nach. Den Säugling hat sie sich mit einem Tuch um den Leib gebunden. Kinder kommen normalerweise völlig behaart und mit vollständig ausgebildetem Gebiss zur Welt, daher ist die Stillzeit kurz. So „immergleich“ der Eintritt ins Leben ist, so vielfältig ist der Austritt.
Die verschiedenen Arten des Sterbens sind hier und da schon angeklungen; z.B. Unfälle bei der Jagd oder Waldarbeit, Unfälle die aus Meinungsverschiedenheiten resultieren, Kunstfehler des Baders… Ableben durch Krankheiten oder Altersschwäche sind bei Männern seltener. Früher wurde noch jeder hundertste Oberpfälzer von einem Wolfsrudel oder Bären erlegt. Es gibt Unfälle beim Fallenstellen (nach dem Motto: „Wer anderen eine Grube gräbt…“). Der Waldler baut z.B. geschickte Selbstschussanlagen mittels Pfeil und Bogen. Oftmals ist der Fallensteller bei der Überprüfung derselben sturzbetrunken und zupft versehentlich selbst an der auslösenden Stolperschnur. Das Fallenstellen wird gerne von älteren Personen betrieben, denen die Jagd zu anstrengend geworden ist.
Bei der Frau ist das frühe Ableben seltener. Wenn sie nicht im Stall von einer wilden Kuh auf die Hörner genommen wird, auf dem Acker versehentlich unter den Pflug gerät oder beim Wäsche waschen im Fluss ertrinkt, hat sie gute Chancen, ein respektables Alter zu erreichen. Wäsche waschen fällt sowieso selten an, denn der Waldler kleidet sich vornehmlich mit Loden bzw. dem Leder und den Fellen seiner Haus- und Beutetiere. Nur die Unterwäsche wird aus groben, selbstgewebten Stoffen genäht und diese wird nicht täglich gewechselt.
Wenn doch mal der Trauerfall eintritt, findet die Bestattung im Kirchgarten statt. Der Pfarrer spricht salbungsvolle Worte, danach gibt’s Besäufnis im Wirtshaus und am nächsten Tag geht das Leben wieder seinen Gang. Es wird nicht lange getrauert, die Sippe kümmert sich bei jüngeren Verstorbenen um den Nachwuchs und die Witwe bzw. der Witwer tröstet sich schnell. So gehen die Jahrhunderte ins Land, die Welt verändert sich immer rasanter, nur im Oberpfälzer Wald bleibt alles, wie es ist und immer war.
Schlusswort:
Jüngsten wissenschaftlich-archäologischen Angaben zufolge sollen sich im Oberpfälzer Wald bis ins späte Mittelalter hinein eine kleine Population von Neandertalern erhalten haben. Genforscher haben den “Waldler-Gencode“ aber noch nicht hundertprozentig entschlüsselt.
“Gott erhalt’s, die Oberpfalz!“ (Willy Michl)