[ 4]Als ich Carlos Kommentare gelesen hab, dacht ich noch, aubacke, dass iss jetzt aber in die Hose gegangen. Als ich Cortos (wie in Südseeballade?!) Kommentar gelesen habe, war ich dann doch wieder etwas beruhigt. Was mir ein bisschen Nerven geht, ist der Umstand, dass hier oft ohne Umschweife über den Text auf den Autor geschlossen wird - und dann meistens falsch. Man muss schon mehrere Poetologien zulassen: Ich bin keiner, der sich um größtmöglich Authentizität im Schreiben bemüht. Ehrlichkeit und klare Aussagen sind was für Lebensbeichten, in der Literatur finde ich das meistens langweilig.
[ 4]Schön finde ich, wenn Texte anfangen zu schillern: Bin ich ein Panzer oder wäre ich gern ein Panzer? Zucke ich nervös zusammen, wenn in dem Mietshaus, in dem ich wohne, eine Tür geschlagen wird (eine ansonsten stille Mieterin im obersten Stockwerk hinter zumeist zugezogenen Gardinen - sie reichte mir schwach eine winzige Hand, als sie eingezogen war. Seitdem sah ich sie nur noch ihren Schatten um eine Ecke biegen, oder hörte ihre Trippelschritte im Flur...)? Ist es mir egal und ich hab sowieso immer Kopfhörer auf, wenn ich schreibe (Metallica, Kyuss, Rage Againt the Machine, Tool - ein aggressiver, wenn auch in den 90ern zurückgebliebener Musikgeschmack)?
[ 4]Der Zusammenhang zwischen dem, der schreibt, und dem, was geschrieben wird ist selten so eindeutig wie er hier gemacht wird - man kann Literatur nicht aus den Biographien der Schreibenden erklären - woher nehmt ihr bloss diese Spekulationen über einen Jungschriftsteller, der sich die Konkurrenz vom Leib halten will?! Ich bin ja nicht mal mehr jung...
[ 4]Und dann vielleicht noch ein Wort zu Thomas Mann: Ein Panzer ist eine Hülle, die ihren fragilen Einwohner vor dem Krieg schützen soll, der draußen tobt - und die selber Tod und Verderben in die Welt hineinträgt. Die Seitenlangen Elogen über seinen Toilette und die Art und Weise, wie er seine Familie für seine Kunst terrorisiert hat: Wenn Thomas Mann kein Panzer war, wer dann? Ist das erstrebenswert? Würde man wie Dr. Faustus einen Deal mit dem Teufel eingehen, um so schreiben zu können und sich dafür die Kälte eines Insektenforschers einhandeln? Ich weiß es nicht. Das winzige Panzer-Fragment weiß es auch nicht. Aber man wird ja wohl mal fragen dürfen, auch wenn man keine Antwort parat hat...
PS: Dan Brown muss ich jetzt auch mal in Schutz nehmen - natürlich bin ich neidisch auf Leute, die solche Sachen schreiben können. Hab seine Sachen verschlungen, meistens ohne Absetzen. War toll, würd ich jederzeit der Klavierspielerin vorziehen. Ich kann mir da auch tausend mal einreden, das ist nicht meine Art von Schreiben, aber letztlich bin ich manchmal natürlich einfach nur neidisch, weil er seine Bücher fertig kriegt, die Dinger mörder-spannend sind, und er damit ein Vermögen verdient. Vielleicht wird er im Pantheon nicht gerade einen Stuhl neben Shakespeare kriegen, aber jeder, der mal durch die Tagebücher von z.B. Musil geblättert hat, muss einsehen, was für eine überflüssige und traurige Angelegenheit der Nachruhm ist...
PPS: Jelinek ist kein gutes Beispiel - psychische Krankheit allein reicht noch nicht, um gute Literatur zu produzieren. Auf 100.000 Leute mit psychischen Störungen kommt vielleicht einer, der daraus einen künstlerischen Antrieb zu ziehen vermmag: Was ungefähr dieselbe Quote ist, wie bei Leuten ohne psychische Probleme. Vermag überhaupt jemand diesen Grad an Schwäche, Lähmung, Verletzlichkeit zu ermessen, den eine wirkliche psychische Störung bedeutet? Und ich meine jetzt hier nicht, dieses ab und zu mal ein bisschen traurig sein und dann die Blumen des Bösen lesen und seinen Weltekel kultivieren, nein, wirklicher, tiefer, schreiender Wahnsinn, von Gesichten verfolgt werden, in schwarzer Galle ertrinken, zu schwach sein für jede Regung: das ist kein Spaß mehr - diese Verwechslung von Genie und Wahnsinn ist eine deutsche Unart, sowas gibt es in anderen Literaturen kaum. Und das Nobelpreiskomitee bewertete schon immer vor allem politisch: Es gibt deutlich mehr gute Menschen unter den Preisträgern, als es gute Schriftsteller oder Schriftstellerinnen gibt. Und es ist klar, dass zum Beispiel Burroughs nie so einen Preis bekommen hätte, das wäre ein ganz falsches Signal an die Jugend dieser Welt... - da stehen auch in den Begründungen immer solche Sachen mit Völkerverständigung und Beförderung des Humanismus drin - gut gemeinte Literatur gibt's da viel, aber nicht unbedingt immer gut Geschriebene.