Der Tyrannenmord
Als anfangs ein leichtes Stechen durch meinen Leib zog glaubte ich an eine gewöhnliche Magenverstimmung, doch dann griff der Schmerz unerbittlich nach meinen Eingeweiden und mir wurde übel. Ich hastete zum Gästeklo, doch meinen Mageninhalt wurde ich dort auch nicht wieder los. Die letzte Malzeit lag zu lange zurück. Da auch die Schmerzen nicht nachließen bemühte ich mich die Treppe hinauf zu meinem Schlafzimmer.
Das Haus war leer. Meine Frau war sonntagabends für gewöhnlich im Theater. Sie besitzt seit Jahren ein Abonement. Dummerweise hatte auch unsere Maschenka um einen freien Tag gebeten und ihn auch bekommen. Die Deutschen können ja längst nicht mehr so schaffen wie die Leute aus dem ehemaligen Ostblock, aber auch die aus dem Osten sind längst nicht mehr so bescheiden wie früher. Im allgemeinen sind wir bis jetzt aber recht zufrieden gewesen, immerhin hatten wir schon die dritte Maschenka.
Als eine neue Schmerzwelle durch meinen Körper brannte ahnte ich Schlimmes und bereute, daß ich keine Telefonanschlüsse in den Schlafzimmern zugelassen hatte. Der Akku in meinem Handy war nicht geladen, also mußte ich wohl oder übel zum Apparat neben der Garderobe. Der Weg durch den Flur zog sich beachtlich, die Schmerzen drückten mich bleischwer zu Boden. Schließlich bewegte ich mich nicht in den Dimensionen eines gewöhnlichen Einfamilienhauses.
Die Nummern meiner Freunde hatte ich glücklicherweise auch in diesen Apparat einprogrammiert. Dr. Goebel war nicht zu Hause, was mich kaum überraschte. Schließlich war Wahlkampfzeit. Ich wählte erneut und der Hörer am anderen Ende der Leitung wurde gleich abgenommen.
„Maybach.“
„Udo, bist du da?“, sprach ich hastig.
„Wo soll ich sonst sein?“, brummte die mir so bekannte Stimme.
„Wie geht es dir, mein Freund?“
„Wie soll es mir schon gehen! So wie immer. Ist was mit dir?“
Endlich fragte er nach mir! „Mir ist nicht gut und ich glaube, das liegt am Mittagessen.“
„Na sowas!“ Er lachte kurz und blechern auf. „Hattest du dein Jägerschnitzel dort nicht gelobt?“
„Verglichen mit euren leicht vergarten Kotlets und labberigen Steaks hat es einen recht passabelen Eindruck gemacht.“
„Ich wollte ja nicht ins Stadthallenrestaurant.“, näselte er überlegen. „Die Küche dort ist nun mal bestenfalls zweitklassig, das habe ich längst mitbekommen. Wir hätten uns ruhig etwas Besseres genehmigen können.“
„Ist dir dort schon mal was nicht bekommen?“
„Du übertreibst. So schlecht ist die Küche dort auch wieder nicht.“
„Mir ist speiübel und ich habe höllische Schmerzen.“
„Warum rufst du mich dann an?“, knurrte er gereizt. „Ich bin Notar und kein Arzt, außerdem habe ich zu tun. Ruf einen Doktor.“ Der Hörer am anderen Ende der Leitung fiel scheppernd auf die Gabel.
Udo Maybach prahlte gelegentlich damit, daß er seine lukrativsten Geschäfte sonntagabends tätigte, und seit unserer Internatszeit wußte ich, daß er fast immer recht kurz angebunden reagierte, wenn er arbeiten mußte. Als nächstes rief ich Dr. Rupp an und er versprach, sofort zu mir zu kommen.
Zu den Leibschmerzen kam der quälende Durst. Ich kroch in die Küche, fand zwei von Maschenkas Coladosen und eine halbe Flasche voll Multivitaminsaft, leerte sie umgehend und bemühte mich zurück in mein Schlafzimmer.
Endlich traf Dr. Rupp ein, untersuchte mich und ich fühlte mich sogar ein wenig besser. „Du hast dir aber heftig den Magen verdorben.“, meinte er schließlich.
„Das soll bloß ein verkorkster Magen sein?“, erwiederte ich. „Bist du dir sicher, daß nicht mehr dahinter ist?“
„Ich sehe keinen Grund zur Beunruhigung.“ Dr. Gerhard Rupp kniff seine Augen zusammen. „Falls du auf das Stadthallenrestaurant anspielst darf ich dich wohl daran erinnern, daß ich am Mittag schließlich neben dir gesessen habe. Du willst hoffentlich nicht andeuten, daß ich dir Gift ins Essen gestreut habe? Ich will dir etwas sagen, mein Freund. Dir ist die Lesung heute morgen nicht bekommen.“
„Lesung, pah! So ein Unsinn!“ Ich wand mich in Schmerzen. „Diesem Schreiberling traue ich alles zu. Das sind doch alles linke Säcke. Mann müßte die Erteilung der Bürgerrechte an das Vorhandensein von Privatvermögen knüpfen damit nicht jeder glaubt, er habe hier was zu sagen. Sollen diese Schwätzer doch erst mal was leisten! Wer nicht mindestens dreißigtausend auf der hohen Kante hat soll gar nicht erst wählen dürfen.“
„Mir hat die Lesung recht gut gefallen.“ Dr. Rupp zog ein Exemplar jenes Schriftwerkes mit dem Titel ‚Der Tyrannenmord‘ aus seinem Arztkoffer und begann darin zu blättern. „Gut dreihundert Seiten starker Historienschinken.“, murmelte er gedankenversunken. „Nicht schlecht für einen, der nicht einmal Abitur hat.“ Er klappte das Buch wieder zu. „Sag mal, beißt dich vielleicht dein Gewissen weil der Autor mal in deinem Betrieb ausgeholfen haben soll?“
„Daran kann ich mich nicht erinnern.“, stöhnte ich. „Es heißt aber, daß er gelegentlich auf Aushilfsbasis in der Küche des Stadthallenrestaurants beschäftigt sein soll und wer weiß woher die Pilze auf meinem Jägerschnitzel gekommen sind.“
„Aus der Dose natürlich.“, brummte er. „Du wirst doch nicht paranoid auf deine alten Tage, oder? Warum sollte dir jemand etwas tun? Wir leben schließlich in einem modernen Rechtsstaat und der Autor ist gewiß genau so rechtschaffend wie du und ich.“
Ich fand diesen Gedanken überhaupt nicht beruhigend denn ich fand daß meine gesellschaftliche Stellung und mein Vermögen mich geradezu verpflichteten, mitzubestimmen, was Recht und Unrecht zu bedeuten hatte und dies war ein Punkt, über den ich grundsätzlich mit niemandem diskutierte. „Hier hast du etwas gegen die Krämpfe.“, brummelte Dr. Rupp. Er hatte bereits eine Spritze aufgezogen. Den Einstich der Nadel spürte ich nicht. Dr. Rupp schloß seinen alten Koffer und schlüpfte in seinen Mantel. „Ich lasse dir etwas gegen Übelkeit da. Bald wird es dir besser gehen.“, sagte er ehe er ging. „Wenn nicht, ruf mich ruhig nochmal an.“
Es ging mir schlechter. Die Krämpfe kehrten zurück und verstärkten sich bis zur Unerträglichkeit. Dazu quälte mich der Durst. In der Küche fand ich etwas abgestandenen Kaffee, im Kühlschrank wartete noch etwas Malventee vom Vortag, Buttermilch mit Orangen und eine halbvolle Flasche Eierlikör. Dazu trank ich noch etwas Leitungswasser und schon bereute ich, daß Dr. Rupps Medizin auf dem Nachttisch fast außer meiner Reichweite war.
Ich hastete also zum Bad und hätte fast ins Bidet gekotzt. Maschenka würde hier wohl frühestens am nächsten Morgen putzen können. Die Zeit bis dahin würde sich unangenehm in die Länge ziehen und ich fühlte bereits jenen unheilvollen Sog, der mich aus dem Lauf der Zeit zu reißen drohte. Die perlmutfarbene Deckenlampe leuchtete noch nie finsterer als an in diesem Augenblick und erste Zweifel, die Morgensonne je wieder zu sehen regten sich in mir.
So schnell ich konnte verließ ich das Badezimmer, krabbelte zum Telefon und wählte die Notrufnummer. Normalerweise hätte mir die Stimme der jungen Dame am anderen Ende der Leitung gefallen, aber nun ärgerte ich mich über die offensichtliche Begriffsstutzigkeit als ich ihr meine Beschwerden und den Weg zu meinem Anwesen so ausführlich erklären mußte. Immerhin versprach sie, mir unverzüglich Hilfe zu schicken.
Draußen hatte die mondlose Nacht bereits den Garten und das Wohnhaus umschlossen und die uralte Vision von dem Wolf, der am Ende das Sonnenlicht fängt um es zu verschlingen durchdrang mein Bewußtsein.
Ich weiß nicht wieviel Zeit verstrich, bis der Notarzt und die Sanitäter eintrafen. Erst der Klang der Türglocke holte mich zurück in diese Welt. „Da sind wir wohl gerade noch mal rechtzeitig gekommen.“, beschwichtigte der Notarzt nachdem er mich untersucht hatte. „Keine Angst, wir kriegen Sie durch.“ Ich hatte aber Angst, alleine schon, weil der Notarzt so seltsam archaische Gesichtzüge trug. Wahrscheinlich war es Thor selbst und der Krankenwagenfahrer mußte Loki sein, der Kapitän aus der Unterwelt.
„Nein“, schrie ich und wand mich als Wotans Gehilfen mich auf der Trage festschnallten. Sie schleppten mich die Treppe hinunter zum Rettungswagen, verstauten mich und wisperten etwas von Vergiftungssymptomen. Der Rettungswagen setzte sich in Bewegung und schaukelte durch die Kurven wie ein Schiff bei schwerer See, das Martinshorn heulte oder war es Fenrir, Lokis riesiger Wolf? „Kaum Puls und Atmung.“, stellte der Sanitäter neben mir fest. „Mit der Reanimation brauchen wir hoffentlich nicht anzufangen.“, sprach Wotan, „Wir sind so gut wie am Krankenhaus.“
Loki bremste heftig, die Trage wurde gelöst und jemand riß die Hecktür auf. „Glücklicherweise ist unser Krankenhaus für solche Notfälle besonders gut ausgerüstet. Wir haben schon ganz andere Patienten in Nullkommanix wieder auf die Beine gekriegt.“ versuchte Thor mich zu beschwichtigen als sie mich vom Schiff hoben. Ich hob meinen Kopf so gut ich konnte, doch statt das Krankenhausportal zu erkennen blickte ich direkt in Fenrirs bluttriefenden Rachen. Das war dann wohl das Ende aller Zeit und ich fühlte, wie seine Fänge mich umschlossen, meine Eingeweide packten und mich zerrissen.
Als anfangs ein leichtes Stechen durch meinen Leib zog glaubte ich an eine gewöhnliche Magenverstimmung, doch dann griff der Schmerz unerbittlich nach meinen Eingeweiden und mir wurde übel. Ich hastete zum Gästeklo, doch meinen Mageninhalt wurde ich dort auch nicht wieder los. Die letzte Malzeit lag zu lange zurück. Da auch die Schmerzen nicht nachließen bemühte ich mich die Treppe hinauf zu meinem Schlafzimmer.
Das Haus war leer. Meine Frau war sonntagabends für gewöhnlich im Theater. Sie besitzt seit Jahren ein Abonement. Dummerweise hatte auch unsere Maschenka um einen freien Tag gebeten und ihn auch bekommen. Die Deutschen können ja längst nicht mehr so schaffen wie die Leute aus dem ehemaligen Ostblock, aber auch die aus dem Osten sind längst nicht mehr so bescheiden wie früher. Im allgemeinen sind wir bis jetzt aber recht zufrieden gewesen, immerhin hatten wir schon die dritte Maschenka.
Als eine neue Schmerzwelle durch meinen Körper brannte ahnte ich Schlimmes und bereute, daß ich keine Telefonanschlüsse in den Schlafzimmern zugelassen hatte. Der Akku in meinem Handy war nicht geladen, also mußte ich wohl oder übel zum Apparat neben der Garderobe. Der Weg durch den Flur zog sich beachtlich, die Schmerzen drückten mich bleischwer zu Boden. Schließlich bewegte ich mich nicht in den Dimensionen eines gewöhnlichen Einfamilienhauses.
Die Nummern meiner Freunde hatte ich glücklicherweise auch in diesen Apparat einprogrammiert. Dr. Goebel war nicht zu Hause, was mich kaum überraschte. Schließlich war Wahlkampfzeit. Ich wählte erneut und der Hörer am anderen Ende der Leitung wurde gleich abgenommen.
„Maybach.“
„Udo, bist du da?“, sprach ich hastig.
„Wo soll ich sonst sein?“, brummte die mir so bekannte Stimme.
„Wie geht es dir, mein Freund?“
„Wie soll es mir schon gehen! So wie immer. Ist was mit dir?“
Endlich fragte er nach mir! „Mir ist nicht gut und ich glaube, das liegt am Mittagessen.“
„Na sowas!“ Er lachte kurz und blechern auf. „Hattest du dein Jägerschnitzel dort nicht gelobt?“
„Verglichen mit euren leicht vergarten Kotlets und labberigen Steaks hat es einen recht passabelen Eindruck gemacht.“
„Ich wollte ja nicht ins Stadthallenrestaurant.“, näselte er überlegen. „Die Küche dort ist nun mal bestenfalls zweitklassig, das habe ich längst mitbekommen. Wir hätten uns ruhig etwas Besseres genehmigen können.“
„Ist dir dort schon mal was nicht bekommen?“
„Du übertreibst. So schlecht ist die Küche dort auch wieder nicht.“
„Mir ist speiübel und ich habe höllische Schmerzen.“
„Warum rufst du mich dann an?“, knurrte er gereizt. „Ich bin Notar und kein Arzt, außerdem habe ich zu tun. Ruf einen Doktor.“ Der Hörer am anderen Ende der Leitung fiel scheppernd auf die Gabel.
Udo Maybach prahlte gelegentlich damit, daß er seine lukrativsten Geschäfte sonntagabends tätigte, und seit unserer Internatszeit wußte ich, daß er fast immer recht kurz angebunden reagierte, wenn er arbeiten mußte. Als nächstes rief ich Dr. Rupp an und er versprach, sofort zu mir zu kommen.
Zu den Leibschmerzen kam der quälende Durst. Ich kroch in die Küche, fand zwei von Maschenkas Coladosen und eine halbe Flasche voll Multivitaminsaft, leerte sie umgehend und bemühte mich zurück in mein Schlafzimmer.
Endlich traf Dr. Rupp ein, untersuchte mich und ich fühlte mich sogar ein wenig besser. „Du hast dir aber heftig den Magen verdorben.“, meinte er schließlich.
„Das soll bloß ein verkorkster Magen sein?“, erwiederte ich. „Bist du dir sicher, daß nicht mehr dahinter ist?“
„Ich sehe keinen Grund zur Beunruhigung.“ Dr. Gerhard Rupp kniff seine Augen zusammen. „Falls du auf das Stadthallenrestaurant anspielst darf ich dich wohl daran erinnern, daß ich am Mittag schließlich neben dir gesessen habe. Du willst hoffentlich nicht andeuten, daß ich dir Gift ins Essen gestreut habe? Ich will dir etwas sagen, mein Freund. Dir ist die Lesung heute morgen nicht bekommen.“
„Lesung, pah! So ein Unsinn!“ Ich wand mich in Schmerzen. „Diesem Schreiberling traue ich alles zu. Das sind doch alles linke Säcke. Mann müßte die Erteilung der Bürgerrechte an das Vorhandensein von Privatvermögen knüpfen damit nicht jeder glaubt, er habe hier was zu sagen. Sollen diese Schwätzer doch erst mal was leisten! Wer nicht mindestens dreißigtausend auf der hohen Kante hat soll gar nicht erst wählen dürfen.“
„Mir hat die Lesung recht gut gefallen.“ Dr. Rupp zog ein Exemplar jenes Schriftwerkes mit dem Titel ‚Der Tyrannenmord‘ aus seinem Arztkoffer und begann darin zu blättern. „Gut dreihundert Seiten starker Historienschinken.“, murmelte er gedankenversunken. „Nicht schlecht für einen, der nicht einmal Abitur hat.“ Er klappte das Buch wieder zu. „Sag mal, beißt dich vielleicht dein Gewissen weil der Autor mal in deinem Betrieb ausgeholfen haben soll?“
„Daran kann ich mich nicht erinnern.“, stöhnte ich. „Es heißt aber, daß er gelegentlich auf Aushilfsbasis in der Küche des Stadthallenrestaurants beschäftigt sein soll und wer weiß woher die Pilze auf meinem Jägerschnitzel gekommen sind.“
„Aus der Dose natürlich.“, brummte er. „Du wirst doch nicht paranoid auf deine alten Tage, oder? Warum sollte dir jemand etwas tun? Wir leben schließlich in einem modernen Rechtsstaat und der Autor ist gewiß genau so rechtschaffend wie du und ich.“
Ich fand diesen Gedanken überhaupt nicht beruhigend denn ich fand daß meine gesellschaftliche Stellung und mein Vermögen mich geradezu verpflichteten, mitzubestimmen, was Recht und Unrecht zu bedeuten hatte und dies war ein Punkt, über den ich grundsätzlich mit niemandem diskutierte. „Hier hast du etwas gegen die Krämpfe.“, brummelte Dr. Rupp. Er hatte bereits eine Spritze aufgezogen. Den Einstich der Nadel spürte ich nicht. Dr. Rupp schloß seinen alten Koffer und schlüpfte in seinen Mantel. „Ich lasse dir etwas gegen Übelkeit da. Bald wird es dir besser gehen.“, sagte er ehe er ging. „Wenn nicht, ruf mich ruhig nochmal an.“
Es ging mir schlechter. Die Krämpfe kehrten zurück und verstärkten sich bis zur Unerträglichkeit. Dazu quälte mich der Durst. In der Küche fand ich etwas abgestandenen Kaffee, im Kühlschrank wartete noch etwas Malventee vom Vortag, Buttermilch mit Orangen und eine halbvolle Flasche Eierlikör. Dazu trank ich noch etwas Leitungswasser und schon bereute ich, daß Dr. Rupps Medizin auf dem Nachttisch fast außer meiner Reichweite war.
Ich hastete also zum Bad und hätte fast ins Bidet gekotzt. Maschenka würde hier wohl frühestens am nächsten Morgen putzen können. Die Zeit bis dahin würde sich unangenehm in die Länge ziehen und ich fühlte bereits jenen unheilvollen Sog, der mich aus dem Lauf der Zeit zu reißen drohte. Die perlmutfarbene Deckenlampe leuchtete noch nie finsterer als an in diesem Augenblick und erste Zweifel, die Morgensonne je wieder zu sehen regten sich in mir.
So schnell ich konnte verließ ich das Badezimmer, krabbelte zum Telefon und wählte die Notrufnummer. Normalerweise hätte mir die Stimme der jungen Dame am anderen Ende der Leitung gefallen, aber nun ärgerte ich mich über die offensichtliche Begriffsstutzigkeit als ich ihr meine Beschwerden und den Weg zu meinem Anwesen so ausführlich erklären mußte. Immerhin versprach sie, mir unverzüglich Hilfe zu schicken.
Draußen hatte die mondlose Nacht bereits den Garten und das Wohnhaus umschlossen und die uralte Vision von dem Wolf, der am Ende das Sonnenlicht fängt um es zu verschlingen durchdrang mein Bewußtsein.
Ich weiß nicht wieviel Zeit verstrich, bis der Notarzt und die Sanitäter eintrafen. Erst der Klang der Türglocke holte mich zurück in diese Welt. „Da sind wir wohl gerade noch mal rechtzeitig gekommen.“, beschwichtigte der Notarzt nachdem er mich untersucht hatte. „Keine Angst, wir kriegen Sie durch.“ Ich hatte aber Angst, alleine schon, weil der Notarzt so seltsam archaische Gesichtzüge trug. Wahrscheinlich war es Thor selbst und der Krankenwagenfahrer mußte Loki sein, der Kapitän aus der Unterwelt.
„Nein“, schrie ich und wand mich als Wotans Gehilfen mich auf der Trage festschnallten. Sie schleppten mich die Treppe hinunter zum Rettungswagen, verstauten mich und wisperten etwas von Vergiftungssymptomen. Der Rettungswagen setzte sich in Bewegung und schaukelte durch die Kurven wie ein Schiff bei schwerer See, das Martinshorn heulte oder war es Fenrir, Lokis riesiger Wolf? „Kaum Puls und Atmung.“, stellte der Sanitäter neben mir fest. „Mit der Reanimation brauchen wir hoffentlich nicht anzufangen.“, sprach Wotan, „Wir sind so gut wie am Krankenhaus.“
Loki bremste heftig, die Trage wurde gelöst und jemand riß die Hecktür auf. „Glücklicherweise ist unser Krankenhaus für solche Notfälle besonders gut ausgerüstet. Wir haben schon ganz andere Patienten in Nullkommanix wieder auf die Beine gekriegt.“ versuchte Thor mich zu beschwichtigen als sie mich vom Schiff hoben. Ich hob meinen Kopf so gut ich konnte, doch statt das Krankenhausportal zu erkennen blickte ich direkt in Fenrirs bluttriefenden Rachen. Das war dann wohl das Ende aller Zeit und ich fühlte, wie seine Fänge mich umschlossen, meine Eingeweide packten und mich zerrissen.