Die Anachoreten

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Herr H.

Mitglied
Hast du gehört von den Anachoreten,
die in Ägypten einst der Welt entsagten
und sich in menschenleere Wüsten wagten,
um Gott zu suchen und zu ihm zu beten?

Dort, wo die heißen Winde sie umwehten
und Kalksteinfelsen in den Himmel ragten,
wo Sand und Sturm an ihren Höhlen nagten,
sind sie allein vor ihren Gott getreten.

Sie rangen, ständig fastend, mit Dämonen
und mit dem eigenen, verdrängten Schatten,
vom Mut beseelt, sich selber zu begegnen,

bis sie nach langen, quälenden Visionen
den Frieden in Gott selbst gefunden hatten
und fähig waren, alle Welt zu segnen.
 

petrasmiles

Mitglied
Hallo Herr H.,

das scheint eine große Stärke von Dir zu sein, diese historischen 'Bilder', wie soll ich es nennen, greifbar, erfahrbar, sichtbar zu machen.
Gefällt mir wieder sehr gut.

Liebe Grüße
Petra
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Interessant ist das Wort "den" im ersten Vers.
Es gibt hier drei Möglichkeiten:

1. Es stellt einen "Zeiger" dar, es ist betont und weist auf einen Teil der Anachoreten hin, nämlich die, die der Welt entsagten.

2. Alle Anachoreten entsagten der Welt, dann ist "den" ein einfacher Artikel und unbetont. Es widerspricht dann einer jambischen Betonung, die zunächst angenommen werden kann.

3. Das funktioniert aber sehr gut bei nicht-jambischer Betonung.
Dann klingt das Gedicht sofort flüssiger und interessanter.

Ich neige also zu 1. oder zu 3.

Wikipedia sagt: "Ein Anachoret (aus altgriechisch ἀναχωρέω, anachōreō „sich zurückziehen“) war im altgriechischen Sprachgebrauch ein Mensch, der sich aus persönlichen Gründen aus der Gemeinschaft, der Chora, zurückzog." http://de.wikipedia.org/wiki/Anachoret
- damit fällt der 1. Fall aus, weil Anachoret dadurch definiert ist, dass man sich der Welt entsagt.

Bleibt also 3. - dies insbesondere, weil Herr H. immer sehr genau arbeitet. Hier bleibt "den" auf natürliche Weise unbetont.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
PS: 1. ist aber möglich, wenn man zwischen Anachoreten verschiedener Gegenden oder Zeiten unterscheiden möcht, nähers findet man auch in der Wikipedia, ich denke trotzdem nicht, dass das so gemeint ist (den=denjenigen).
 

Label

Mitglied
lieber Bernd

deine Ausführungen haben mich erstaunt, denn ich hatte
Hast du gehört [blue]von den Anachoreten,
die in Ägypten[/blue] einst der Welt entsagten
diesen Zusammenhang angenommen, und deshalb keine Veranlassung zu hinterfragen warum "den" betont ist.
Ich sehe das als eine Teilmenge aller Anachoreten, nämlich die in Ägypten, die, wenn sie sich von der Welt zurückziehen und in der Wildnis leben, es nur in den spezifischen Umweltbedingungen Ägyptens tun können.

Zum Beispiel gehören auch die Säulenheiligen zu den Anachoreten, die diese Form der Askese zunächst wählten, weil zu diesem Zeitpunkt in Syrien (da trat das erstmals auf) offenbar keine Umgebung unwirtlich genug war, um ihren asketischen Ansprüchen zu genügen.

mit einem lieben Gruß
Label
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
In diesem Fall ist es korrekt mit Betonung nach 1. (also "den")
Die jambische Betonung weist darauf hin, dass den=denjenigen bedeutet.

Es setzt aber eigentlich voraus, dass man überhaupt schon etwas über die Anachoreten gehört hat, was jetzt bei mir der Fall ist.

Eine kleine dumme Frage: Wie wird "Anachoreten" betont? Ich betone es wahrscheinlich falsch.
 

Label

Mitglied
da es aus dem griechischen stammt: als Analogon, genau wie jenes ;) A[blue]na[/blue]cho[blue]ret[/blue] blau = betont

noch ein Analogon:
hast du schon gehört von den Muslimen
die im Iran zu Allah beten
 

Herr H.

Mitglied
Herzlichen Dank für die Kommentare. Es war mir gar nicht aufgefallen, dass "den" in Zeile 1 auf eine Teilmenge der Anachoreten schließen lassen könnte. Mir ging es darum, generell an die Gruppe der Anachoreten zu erinnern, die in Ägypten ihre historischen Wurzeln hatten.
 
B

Beba

Gast
Frage:

Mag Herr H. sich nur zu seinen eigenen Texten äußern oder auch an der LL beteiligen? Nur mal so ...


LG
Beba, der selbst Herrn H.'s Ergüsse schon kommentiert hat
 

Walther

Mitglied
Sorry,

liebe kommentatoren,

aber, was mir hier fehlt, ist die innere architektur des sonetts. die fehlt in gänze. das heißt nicht, daß der text nichts hätte.

nur ein sonett ist er allenfalls äußerlich.

womit wir bei einer generellen schwäche der h.'schen texte wären. man sollte die freude also etwas tiefer zonen.

sonette sind nicht beschreibend sondern dialogisch. hier beißt sich sozusagen die katze in den schwanz, da der gegenstand der texte nicht zur form paßt.

lg w.
 

Herr H.

Mitglied
Die recht pauschale Kritik von Walther überrascht mich. Soweit mir bekannt ist, lässt sich ein Sonett folgendermaßen definieren: Dabei handelt es sich um ein Gedicht mit strenger Form, bestehend aus zwei vierzeiligen und zwei dreizeiligen Strophen.
Im Idealfall stellt das Sonett inhaltlich ein dialogisches Geschehen dar, indem es von einer These im ersten Vierzeiler über eine Antithese im zweiten Vierzeiler hin zur Synthese in den beiden Dreizeilern schreitet. Das ist aber, wie gesagt,lediglich der genuine Idealfall. Es ist keineswegs ausgeschlossen (und in der Vergangenheit auch immer wieder geschehen), dass ein Sonett beschreibende oder belehrende, historische oder aktuelle Sachverhalte bietet, die zum Nachdenken anregen möchten.

Sollte ich mich irren, lasse ich mich gerne eines Besseren belehren.

Freundliche Grüße von

Herrn H.
 

Herr H.

Mitglied
Hast du gehört von den Anachoreten,
die in Ägypten einst der Welt entsagten
und sich in menschenleere Wüsten wagten,
um Gott zu suchen und zu ihm zu beten?

Dort, wo die heißen Winde sie umwehten
und Kalksteinfelsen in den Himmel ragten,
wo Sand und Sturm an ihren Höhlen nagten,
sind sie allein vor ihren Gott getreten.

Sie rangen, ständig fastend, mit Dämonen
und mit dem eigenen, verdrängten Schatten,
vom Mut beseelt, sich selber zu begegnen,

bis sie nach langen, quälenden Visionen
den Frieden ganz in Gott gefunden hatten
und fähig waren, alle Welt zu segnen.
 



 
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