Rems Florian
Mitglied
Die andere Gerechtigkeit
von Florian Rems
Er war Anwalt. Ein ziemlich Erfolgreicher. Einer, den man als Staranwalt bezeichnen könnte. Und gerade hatte er seinen 42. Fall gewonnen – hintereinander. Jedesmal hatte er die Spitze des Staats vertreten. Nicht etwa die Politiker, sondern die Firmen. Große Konzerne, denen es nicht Schaden würde, für ihre rücksichtslose Geldmacherei, bei den Opfern ein wenig Schadenersatz zu leisten.
Doch das hatte Rick jedesmal zu verhindern gewusst. Ohne moralische Bedenken. „Man muss die Objektivität bewahren!“, pflegte er zu sagen. Bei jedem Fall war er mit eiskalter Professionalität vorgegangen, hatte, wie ein Präzisionswerzeug dem Ankläger die Glaubwürdigkeit weggeschnitten. Das war seine Methode. Und er hatte sie nicht erst erlernt. Sie lag Rick im Blut.
Nun fuhr er also mit seinem Porsche von der Pary des 42. Klienten nach Hause. Von seinem Penthouse, in einem höheren Stockwerk gelegen, konnte er durch die ganzwändige Glasfront die nächtliche Atmosphäre in sich aufnehmen. Mit einem Glas Martini in der Hand, ließ er sich in den weißen Ledersessel sinken und entspannte sich.
Nach einer Weile schaltete Rick den Großbildfernseher ein und ließ die Abendnachrichten über sich ergehen. Dort ein Attentat, hier ein paar Tote. Nichts Neues, dachte Rick und stierte wieder müde auf die Stadt hinab. „...Zugunglück sind 42 Menschen ums Leben gekommen. Obwohl die Rettungskräfte schnell vor Ort waren, konnte für die Opfer nichts mehr getan werden. Pass auf, dass dir sowas nicht passiert...“
Dem Sprecher hatte er gar nicht zugehört. Meist ließ Rick den Fernseher so spät Abends sowieso nur aus Gewohnheit laufen. Das Fernsehprogramm, bis auf einige Wirtschaftssendungen, interessierte ihn überhaupt nicht. Nachdem er sein Glas gelehrt hatte, begab er sich in das luxoriöse Bad.
Plötzlich fuhr eine seltsame Kälte über ihn hinweg. Im ganzen Haus war kein einziges Fenster geöffnet. Rick begann sich unwohl zu fühlen. Er spähte durch die Badtür ins Wohnzimmer. Niemand da. Und doch glaubte Rick eine andere Person befinde sich in der Nähe. Ziemlich nah.
„42 warn’s, und die 42 wird’s sein.“ Die fremde, flüsternde Stimme hallte ätzend durch das Bad. Rick wirbelte erschrocken herum. Sein Puls schoss in die Höhe. Er meinte, einen Atem an seinem Ohr gespürt zu haben. Doch es war Niemand da. Der Anwalt versuchte logisch vorzugehen. Wahrscheinlich war die Stimme durch die Rohre gekommen. Irgendjemand erlaubte sich eben einen Scherz. Wäre nicht das erste Mal.
Gerade begann er sich zu beruhigen, als er mit einem schrillen Kreischen Glas zerbersten hörte. In Panik rannte er ins Wohnzimmer und wurde sofort von einem peitschenden Wind empfangen. Ein Teil der Glasfront fehlte. Da versuchte ihn Jemand zu terrorisieren. Davon war er nun überzeugt. Und bei dem Gedanken, wie weit dieser Jemand es treiben würde, jagte eine Welle der Angst durch seinen Körper. Durch den Wind spürte er die Schweißperlen kalt auf seiner Stirn.
Er musste das Penthouse verlassen, vielleicht in ein Hotel gehen und die Sache von der Polizei untersuchen lassen. Rick drehte sich um und wollte seinen Mantel holen, als er erstarrte. An der Wand hing ein Bild, ein Gemälde, auf dem er zu sehen war, in einem Gerichtssaal. Ein ehemaliger Klient hatte dies aus Dankbarkeit arrangiert. Doch nun erblickte Rick etwas geradezu ungeheuerliches. Sein Gehirn traf bei dem Versuch, es zu erfassen, unweigerlich auf das Irrationale. Die Glassplitter der Scheibe waren offenbar durch das gesamte Zimmer geschossen. Sie steckten im Bild, in Rick. Und formten eine Zahl. 42.
Nun rannte er. Ohne nachzudenken. Raus. Raus. Raus. Nur weg von hier. Er donnerte durch den Flur, auf den Fahrstuhl zu.
Eine Minute später war er auf dem Weg nach unten. Als würde der Lift jeden Augenblick abstürzen, klammerte sich Rick mit ausgestreckten Armen zwischen die Wände. Seine Brust hob und senkte sich schnell und unregelmäßig. Kurzzeitig verschwamm die Welt vor seinen Augen und ihm wurde schwindlig. Dann glitten die Türen auseinander und er stürzte hinaus.
Hastig stolperte er vorwärts. Instinktiv lief er Richtung Ausgang. Und fand ihn nicht. Das war nicht das Erdgeschoss! Irritiert blickte er um sich, bis sich seine Augen auf die nun wieder geschlossenen Fahrstuhltüren hefteten. Die Ziffern waren eindeutig. Stockwerk 42.
Die Todesangst umklammerte seinen Brustkorb. In Ricks Gesicht spiegelte sich blankes Entsetzen. Jeder seiner Muskeln war angespannt. Voller Grauen stellte er fest, dass er sich in einer Situation befand, die er weder geistig noch körperlich meistern konnte. Es war kein Gerichtssaal.
Rick nahm die Treppe. Halb sprang er, halb fiel er die restlichen Stockwerke nach unten. Immer wieder drehte er sich um. Er fühlte nun klar, dass er verfolgt wurde. Was es war, wusste er nicht. Der Gedanke daran, ließ ihn nur noch schneller laufen.
Und dann stürzte er aus dem Gebäude, in die kühle, ruhige Nacht hinaus. Immer noch blieb er nicht stehen. Obgleich er nicht mehr rannte, trieb ihn die Angst weiter und weiter.
Hinter ihm befand sich keine Menschenseele. Und doch war Rick sicher, dass ihn etwas todbrinendes verfolgte. Er fühlte es so deutlich, dass er darüber alles Andere vergaß. Seine Beine bewegten sich automatisch, ohne das er sie kontrollieren musste.
Wieder verschwamm die Welt vor seinen Augen. Die grauenerregende Todesangst schnitt tief in seine Seele, zerhackte sein Bewusstsein. Mit eiskalter Professionalität. Wie ein Präzisionswerkzeug.
Das einzige was er noch wahrnahm, waren zwei Lichtflecke, die auf ihn zukamen. Dann wurde es schwarz um ihn. Und in der kalten Unendlichkeit des Todes, jagte ihn eine flüsternde, ätzende Stimme, bis in die absolute Leere. Erbarmungslos. Ohne Gnade.
„...ist tot. Heute nacht fiel der bekannte Staranwalt einem Unfall zum Opfer. Aus noch ungeklärten Gründen lief er überraschend auf die Fahrbahn und wurde von einem Bus überrollt. Er war sofort tot. Der Fahrer, sowie einige Fahrgäste stehen unter Schock und werden in einem nahegelegenen Krankenhaus versorgt. Es war die Buslinie 42...“
von Florian Rems
Er war Anwalt. Ein ziemlich Erfolgreicher. Einer, den man als Staranwalt bezeichnen könnte. Und gerade hatte er seinen 42. Fall gewonnen – hintereinander. Jedesmal hatte er die Spitze des Staats vertreten. Nicht etwa die Politiker, sondern die Firmen. Große Konzerne, denen es nicht Schaden würde, für ihre rücksichtslose Geldmacherei, bei den Opfern ein wenig Schadenersatz zu leisten.
Doch das hatte Rick jedesmal zu verhindern gewusst. Ohne moralische Bedenken. „Man muss die Objektivität bewahren!“, pflegte er zu sagen. Bei jedem Fall war er mit eiskalter Professionalität vorgegangen, hatte, wie ein Präzisionswerzeug dem Ankläger die Glaubwürdigkeit weggeschnitten. Das war seine Methode. Und er hatte sie nicht erst erlernt. Sie lag Rick im Blut.
Nun fuhr er also mit seinem Porsche von der Pary des 42. Klienten nach Hause. Von seinem Penthouse, in einem höheren Stockwerk gelegen, konnte er durch die ganzwändige Glasfront die nächtliche Atmosphäre in sich aufnehmen. Mit einem Glas Martini in der Hand, ließ er sich in den weißen Ledersessel sinken und entspannte sich.
Nach einer Weile schaltete Rick den Großbildfernseher ein und ließ die Abendnachrichten über sich ergehen. Dort ein Attentat, hier ein paar Tote. Nichts Neues, dachte Rick und stierte wieder müde auf die Stadt hinab. „...Zugunglück sind 42 Menschen ums Leben gekommen. Obwohl die Rettungskräfte schnell vor Ort waren, konnte für die Opfer nichts mehr getan werden. Pass auf, dass dir sowas nicht passiert...“
Dem Sprecher hatte er gar nicht zugehört. Meist ließ Rick den Fernseher so spät Abends sowieso nur aus Gewohnheit laufen. Das Fernsehprogramm, bis auf einige Wirtschaftssendungen, interessierte ihn überhaupt nicht. Nachdem er sein Glas gelehrt hatte, begab er sich in das luxoriöse Bad.
Plötzlich fuhr eine seltsame Kälte über ihn hinweg. Im ganzen Haus war kein einziges Fenster geöffnet. Rick begann sich unwohl zu fühlen. Er spähte durch die Badtür ins Wohnzimmer. Niemand da. Und doch glaubte Rick eine andere Person befinde sich in der Nähe. Ziemlich nah.
„42 warn’s, und die 42 wird’s sein.“ Die fremde, flüsternde Stimme hallte ätzend durch das Bad. Rick wirbelte erschrocken herum. Sein Puls schoss in die Höhe. Er meinte, einen Atem an seinem Ohr gespürt zu haben. Doch es war Niemand da. Der Anwalt versuchte logisch vorzugehen. Wahrscheinlich war die Stimme durch die Rohre gekommen. Irgendjemand erlaubte sich eben einen Scherz. Wäre nicht das erste Mal.
Gerade begann er sich zu beruhigen, als er mit einem schrillen Kreischen Glas zerbersten hörte. In Panik rannte er ins Wohnzimmer und wurde sofort von einem peitschenden Wind empfangen. Ein Teil der Glasfront fehlte. Da versuchte ihn Jemand zu terrorisieren. Davon war er nun überzeugt. Und bei dem Gedanken, wie weit dieser Jemand es treiben würde, jagte eine Welle der Angst durch seinen Körper. Durch den Wind spürte er die Schweißperlen kalt auf seiner Stirn.
Er musste das Penthouse verlassen, vielleicht in ein Hotel gehen und die Sache von der Polizei untersuchen lassen. Rick drehte sich um und wollte seinen Mantel holen, als er erstarrte. An der Wand hing ein Bild, ein Gemälde, auf dem er zu sehen war, in einem Gerichtssaal. Ein ehemaliger Klient hatte dies aus Dankbarkeit arrangiert. Doch nun erblickte Rick etwas geradezu ungeheuerliches. Sein Gehirn traf bei dem Versuch, es zu erfassen, unweigerlich auf das Irrationale. Die Glassplitter der Scheibe waren offenbar durch das gesamte Zimmer geschossen. Sie steckten im Bild, in Rick. Und formten eine Zahl. 42.
Nun rannte er. Ohne nachzudenken. Raus. Raus. Raus. Nur weg von hier. Er donnerte durch den Flur, auf den Fahrstuhl zu.
Eine Minute später war er auf dem Weg nach unten. Als würde der Lift jeden Augenblick abstürzen, klammerte sich Rick mit ausgestreckten Armen zwischen die Wände. Seine Brust hob und senkte sich schnell und unregelmäßig. Kurzzeitig verschwamm die Welt vor seinen Augen und ihm wurde schwindlig. Dann glitten die Türen auseinander und er stürzte hinaus.
Hastig stolperte er vorwärts. Instinktiv lief er Richtung Ausgang. Und fand ihn nicht. Das war nicht das Erdgeschoss! Irritiert blickte er um sich, bis sich seine Augen auf die nun wieder geschlossenen Fahrstuhltüren hefteten. Die Ziffern waren eindeutig. Stockwerk 42.
Die Todesangst umklammerte seinen Brustkorb. In Ricks Gesicht spiegelte sich blankes Entsetzen. Jeder seiner Muskeln war angespannt. Voller Grauen stellte er fest, dass er sich in einer Situation befand, die er weder geistig noch körperlich meistern konnte. Es war kein Gerichtssaal.
Rick nahm die Treppe. Halb sprang er, halb fiel er die restlichen Stockwerke nach unten. Immer wieder drehte er sich um. Er fühlte nun klar, dass er verfolgt wurde. Was es war, wusste er nicht. Der Gedanke daran, ließ ihn nur noch schneller laufen.
Und dann stürzte er aus dem Gebäude, in die kühle, ruhige Nacht hinaus. Immer noch blieb er nicht stehen. Obgleich er nicht mehr rannte, trieb ihn die Angst weiter und weiter.
Hinter ihm befand sich keine Menschenseele. Und doch war Rick sicher, dass ihn etwas todbrinendes verfolgte. Er fühlte es so deutlich, dass er darüber alles Andere vergaß. Seine Beine bewegten sich automatisch, ohne das er sie kontrollieren musste.
Wieder verschwamm die Welt vor seinen Augen. Die grauenerregende Todesangst schnitt tief in seine Seele, zerhackte sein Bewusstsein. Mit eiskalter Professionalität. Wie ein Präzisionswerkzeug.
Das einzige was er noch wahrnahm, waren zwei Lichtflecke, die auf ihn zukamen. Dann wurde es schwarz um ihn. Und in der kalten Unendlichkeit des Todes, jagte ihn eine flüsternde, ätzende Stimme, bis in die absolute Leere. Erbarmungslos. Ohne Gnade.
„...ist tot. Heute nacht fiel der bekannte Staranwalt einem Unfall zum Opfer. Aus noch ungeklärten Gründen lief er überraschend auf die Fahrbahn und wurde von einem Bus überrollt. Er war sofort tot. Der Fahrer, sowie einige Fahrgäste stehen unter Schock und werden in einem nahegelegenen Krankenhaus versorgt. Es war die Buslinie 42...“