Die Antihelden

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Herr H.

Mitglied
Wie fade präsentierte sich die Welt,
wenn sie nicht wär’n: die Träumer und Phantasten,
die Eigensinnigen, Unangepassten,
die man für schrullig, schräg und närrisch hält!

Wer so wie sie stets aus dem Rahmen fällt
und gleichsam wagt, die gängigen, verfassten
Prinzipien und Normen anzutasten,
wird abgelehnt, beargwöhnt und geprellt.

Doch lassen sie sich dadurch nicht beirren
und halten ungeachtet mancher Wirren
beharrlich fest an ihrem Ideal.

Sie sind durch ihre Ungebundenheit
ein steter Dorn im Auge ihrer Zeit,
ein Anstoß und ein flammendes Fanal.
 

anbas

Mitglied
Hallo Herr H.,

diese Zeilen gefallen mir sehr gut. Lediglich bei "Prinzipien" muss ich mich von meinem (laut Duden falschen) Sprachgebrauch (Prin-zip-ien) lösen, um nicht aus der Metrik zu kugeln :D.

Liebe Grüße

Andreas
 

wüstenrose

Mitglied
Hallo Herr H.,

hab versucht mich in deine Zeilen ein bissle zu versenken. Mein Eindruck: Das Sonett ist inhaltlich etwas überfrachtet, indem es "Träumer und Phantasten" als auch die "Eigensinnigen, Unangepassten" in einem Atemzug nennt.
Mir, ganz persönlich, hätte ein Hohelied auf die "Schrulligen, Schrägen, Närrischen" gereicht, die einfach schräg sind und nicht zwingend irgendwelchen Idealen huldigen. Insofern ist mir der Schluss etwas zu pathetisch mit Ideal und flammendem Fanal.
In Sachen Betonung fiel mir auf, dass die "Unangepasten" entgegen der natürlichen Betonung zu lesen sind. Diese Anpassung beim Lesen gelang mir aber einigermaßen. Deshalb die Frage eines Laien in Sachen Sonett-Dichtung: darf so was schon mal sein, gibts da Spielraum, ist es ein Kompromiss, den du bewusst gewählt hast?

Abschließend: Dein Thema hat mich aufhorchen lassen, Interesse geweckt - dies in Verbindung mit der eingangs genannten Einschränkung.

lg wüstenrose
 

Herr H.

Mitglied
Wie fade präsentierte sich die Welt,
wenn sie nicht wär’n: die Träumer und Phantasten,
die eigensinnig niemals Angepassten,
die man für schrullig, schräg und närrisch hält!

Wer so wie sie stets aus dem Rahmen fällt
und gleichsam wagt, die gängigen, verfassten
Prinzipien und Normen anzutasten,
wird abgelehnt, beargwöhnt und geprellt.

Doch lassen sie sich dadurch nicht beirren
und halten ungeachtet mancher Wirren
beharrlich fest an ihrem Ideal.

Sie sind aufgrund von Eifer und Bestrebung
ein steter Dorn im Auge der Umgebung,
ein Anstoß, ein lebendiges Fanal.
 

Herr H.

Mitglied
Hallo Andreas,
danke für deinen Kommi. Bei "Prinzipien" habe ich auch gegrübelt, ob's passt. Aber es dürfte wohl nichts dagegen sprechen.

Hallo wüstenrose,
dass du dich so intensiv mit meinem Sonett befasst hast, freut mich. Die "Unangepassten" sprengten tatsächlich den Rhythmus; ich hab's geändert. Auch den, wie du meinst, etwas pathetischen Schluss habe ich überarbeitet. Danke für dein konstruktiv-kritisches Mit-Denken!
Das ganze Gedicht ist übrigens ein Nebenprodukt meiner Beschäftigung mit Don Quichote. Und der erfüllt tatsächlich alle Kriterien, die ich nenne: Träumer, Phantast, Schwärmer, Narr. Und er hatte ein Ideal, dem er sich verpflichtet sah und dem er folgte - trotz aller Niederlagen, Spott und Häme. Ernst Moritz Arndt hat mal geäußert, dass, wenn die Welt untergehen sollte und man behielte nur die Bibel, Shakespeare und Cervantes, das Beste gerettet sei. Vielleicht hat er recht.

LG von
Herrn H.
 

wüstenrose

Mitglied
Hallo Herr H.,
danke für deine ausführliche Antwort.
Den Bezug zu deinem Don-Quijote-Gedicht hab ich auch gespürt. Die Wendung lebendiges Fanal regt zum Nachdenken an: eine menschliche Fackel, ein personifiziertes Leuchtfeuer, gibt es sowas? Wer oder was könnte gemeint sein? Bin ich zu stromlinienförmig, zu abgestumpft?
Dein Gedicht rüttelt jedenfalls in mir, fordert mich heraus - eine spannende Leseerfahrung.
 
O

orlando

Gast
Hallo Herr H.,
ein handwerklich sauber gearbeitetes Sonett. Zweifellos. :)
Als Liebhaberin des Don Quichotte und seines noch antiheldnerischen Dieners gefällt mir auch die Idee hinter dem Gedicht.
Allerdings möchte ich mich, bezogen auf das "flammende Fanal", der wüstenrosigen Kritik anschließen.
Werden Antihelden nicht eher einfach vergessen? Zertrampelt, eliminiert?
Selbst wenn sie in der Literatur Erwähnung finden, so ist es doch ein anderer, der ihnen Unsterblichkeit verschafft. Auch in diesem Falle werden sie gleichsam aufgesogen durch den Roman, die Novelle etc.
Wenn du magst, könntest du das noch einmal überdenken.

LG, orlando
 

hermannknehr

Mitglied
Hallo Herr H.,
ein schönes und griffiges Sonett (trotz des Stolpersteins Prinzipien). Inhaltlich habe ich auch nur mit dem Fanal etwas Probleme.
LG
Hermann
 

Herr H.

Mitglied
Hallo wüstenrose,
ja, ich denke schon, dass es Antihelden gibt, die wie personifizierte Leuchtfeuer wirken. Bewusst habe ich in der Schlusszeile des Sonetts vom "Anstoß" gesprochen und meinte dies im doppelten Sinne: Antihelden wirken anstößig und geben zugleich Anstöße zum Umdenken. Jesus war meines Erachtens eine solche geschichtliche Gestalt, ebenso Gandhi. Literarische Figuren sind in diesem Sinne z.B. Don Quichote oder Schwejk. Sie alle besitzen eine große innere Freiheit, die sie unabhängig macht vom Urteil anderer Menschen und sie ihren Weg in ruhiger -und für Außenstehende unbegreiflicher - Souveränität gehen lässt.

Hallo orlando,
du hast sicher recht: Antihelden werden zumeist nicht geduldet, sondern eliminiert und zertreten. Das tut ihrer Wirkung aber nicht zwangsläufig Abbruch, im Gegenteil. Gerade ihr vermeintliches Scheitern macht sie oft zum "Sieger". Und sei es nur in der Weise, dass ihnen ein literarisches Denkmal gesetzt wird und sie in dieser Weise fortwirken.

Hallo Hermann,
Antihelden können durchaus Leuchtkraft besitzen, finde ich, und insofern wie ein Fanal wirken. Sie beschreiten ungewohnte Wege, setzen ganz eigene Prioritäten. Sie wecken Widerstand, aber auch Nachdenklichkeit. Und sie zeigen neue, ungeahnte Möglichkeiten auf. Lebende Fanale eben.

Danke und liebe Grüße von
Herrn H.
 

anbas

Mitglied
Hallo Herr H.,

je länger über die "Fanalfrage" diskutiert wird, um so mehr denke auch ich, dass da etwas noch nicht ganz rund ist. Wobei ich schon denke, dass "Fanal" hier im Kontext passt. Ich tue mich mit dem Adjektiv davor schwer. "Flammendes" war mir zu mächtig, "lebendiges" zu schwach. Im Moment liebäugel ich mit "leuchtendes", bin mir aber noch nicht so sicher, ob es das wirklich ist. Genauso könnte ich mir eine Formulierung vorstellen, in der das Reibende, die Herausforderung an einen selbst, das Hinterfragende zum Ausdruck gebracht wird. Doch da fehlen mir derzeit die Worte ;).

Was ich spannend finde ist, dass an dieser Stelle das Gedicht durch das Ändern von vielleicht einem einzigen Wort oder einer Formulierung möglicherweise eine andere Perspektive bekommen kann.

Liebe Grüße

Andreas
 

Herr H.

Mitglied
Hallo Andreas,
ja genau. "Leuchtend" hatte ich auch schon erwogen, war aber dann doch nicht wirklich überzeugt. Auch "brennend" ist nicht griffig genug. Da heißt es eben weiter grübeln. Irgendwann kommt sicher die - um im Bild zu bleiben - "zündende" Idee.
Danke für deinen Kommi und liebe Grüße von
Herrn H.
 

wüstenrose

Mitglied
Hallo Herr H.,
mein letzter Kommentar war vielleicht etwas missverständlich: in erster Linie wollte ich darstellen, dass dein Gedicht bei mir ein Ringen um eine eigene Positionierung provoziert, mithin also seine Wirkung nicht verfehlt.

Angeregt durch anbas' Einwurf hats bei mir noch etwas weiter gearbeitet und ich erlaube mir folgenden Vorschlag darzureichen:

Sie sind aufgrund von Eifer und Bestrebung
ein steter Dorn im Auge der Umgebung,
ein [blue]Irrlicht und ein bleibendes[/blue] Fanal.
Auf diese Weise würde die letzte Zeile noch einmal das bipolare Moment dieser durchgeknallten (und wegweisenden) Typen herausstreichen und es würde mit einem Brückenschlag zum Titel enden.

lg wüstenrose
 

Herr H.

Mitglied
Hallo wüstenrose,
vielen Dank für deinen Alternativvorschlag. Mittlerweile geht meine Überlegung dahin, ganz auf ein Adjektiv für "Fanal" zu verzichten und die letzte Zeile des Sonetts etwa so zu fassen: "ein Anstoß, ein Affront und ein Fanal" (oder so ähnlich). Aber ich schwanke noch ...
LG von
Herrn H.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Lieber Herr H.!

Du schreibst gut, es ist eine Freude, Deine Lieder zu lesen.

Zu diesem:
Wer gilt als Held? Eigentlich nur einer, dessen Handlungen so originell sind, daß man sich an sie erinnert. Du bist doch ein Klassizist, der die Ilias kennt: Achilleus, der größte Held auf der Griechenseite, fällt völlig aus dem Rahmen, verweigert den Kampf, bricht die "Prinzipien und Normen" - und keiner wird gefeiert wie er, zumindest vom Autor (bzw. der Rhapsoden-Schule) dieses Epos. Und Odysseus, der verschlagene, hintertriebene Schicksalsmeister - für den Aeneis-Autor Vergil sowieso der "Antiheld" gegen den frommen Aeneas.
Wer so wie sie stets aus dem Rahmen fällt
und gleichsam wagt, die gängigen, verfassten
Prinzipien und Normen anzutasten,
wird abgelehnt, beargwöhnt und geprellt.
Ist das wirklich wahr? Man muß schon gehörig aus dem Rahmen fallen und wagen, die gängigen Prinzipien und Normen anzutasten, um Beachtung, Achtung, Anerkennung, Bewunderung und Verehrung zu finden. Ohne gesetzsprengende und regelbiegende Originalität eröffnet sich keine Bedeutung, sei es im Handlungsgewoge der Menschen, sei es in den Künsten, der Literatur und sonst.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Zufälligerweise haben wir gestern beim ElsterCon in Leipzig das Thema Antiheld behandelt.
Ein paar Gedanken aus der Diskussion.
Man darf Antiheld und Protagonist nicht verwechseln.
Es gibt zwei Arten Antihelden.
1. Negativer Held
2. Gescheiterter positiver Held

Eine weitere Art wäre ein Held, der Großes vollbrachte, z.B. eine Getreidesorte züchten, die einer Milliarde Menschen das Überleben sichert. Meiner Meinung nach scheint der aber eher zu 1 zu gehören, aus ökologischen Gründen.

Im vorliegenden Gedicht ist es eher die zweite Art.
 

Herr H.

Mitglied
Hallo Mondnein,
vielen Dank fürs Kompliment! Deine Anmerkungen machen mir so recht bewusst, dass die Grenzen zwischen Helden und Antihelden fließend sind, genauso fließend wie die Wahrnehmung und das Urteil ihrer Umgebung. Diejenigen, die heute noch Helden sind, mögen morgen schon Antihelden sein und umgekehrt. Aber was sie aus der Masse heraustreten lässt, ist immer ihre Originalität - da gebe ich dir recht.

Hallo Bernd,
schon ein komplexes Thema, das des Antihelden. Dein Hinweis ist ein deutlicher Beleg dafür. Was meiner Meinung nach den Antihelden besonders charakterisiert, ist dies, dass er scheinbar oder auch tatsächlich auf der Verliererseite steht. Dies zu akzeptieren und sich in seinem Anders-Sein treu zu bleiben, das macht seine stille Größe aus.
Danke für deinen Kommi!

LG von
Herrn H.
 



 
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