Die Bahnschranke

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Die Bahnschranke


Auf die Idee gekommen war der Bahnwärter, als er einmal zufällig das Einkaufsnetz eines träumenden Jungen hochgezogen hatte, der an der geschlossenen Bahnschranke stand und wartete. Es ruckte an der Hand des Jungen, als die rotweiß gestreifte Bahnschranke sein Einkaufsnetz hochzog. Er sah, wie der Junge wütend wurde,und der sich zum spitzen Winkel abstellenden Drahtleiste nachschaute, die im Wind schaukelnd sein grünes Einkaufsnetz hochzog. Amüsiert beobachtete er den wild gestikulierenden Jungen, der zum Bahnwärterhäuschen hoch schrie. Er hatte den Jungen damit geärgert, die Schranke immer nur so weit herunterzulassen, dass dieser mit seinen Sprüngen nicht an das Netz heranreichte, bis er ihm schließlich gnädig die Schranke herunterließ.

Da kam ihm plötzlich der Einfall, eine Fangautomatik zu installieren, die auf Knopfdruck beim Einrasten der Schranke in Gang gesetzt wurde. Für die technische Umsetzuung sorgte sein Freund Herbie. Die Kleidertrophäen konnten jetzt in die Schrankenröhre gesogen, und durch eine Art Rohrpostsystem weitergeleitet werden. Eine Decodierungsautomatik sortierte die Beute nach Gebrauchs- und Modetextilien, und stieß sie in Schächte, die zu den Kleiderkammern führten, die angefüllt waren mit Schals, Jacken, Mützen, Schirmen, Krückstöcken usw.

Die Leute waren aber auch zu unvorsichtig! Standen mit über die Schultern gehängten Jacken an der Schranke und träumten vor sich hin, bis die ihnen das Teil auf immer entführte! Der Schrankenwärter hatte es im Laufe der Zeit zu hoher Geschicklichkeit gebracht, so daß er im richtigen Moment die Leute ihrer Sachen enthob. Sogar Wintermäntel hatte er so schon eingeheimst, eingeschrankt.

War ein Zug durchgefahren, und die Wartenden standen nicht nah genug an der Schranke, ließ er diese so lange geschlossen, bis die Leute sich ungeduldig darüber beugten, um nach dem vermeintlichen zweiten Zug Ausschau zu halten. Dann erst ging die Schranke hoch.

Um eine größere Ausbeute zu erzielen, brachte er kleine Plastikhaken an, die an den Metallleisten anlagen und sich erst beim Hochziehen abstellten. So kam er in Sommermonaten auf bis zu 15 Halstücher, 10 Jacken und 5 T-Shirts in der Woche. Da im Winter die Ausbeute naturgemäß geringer war, kam er auf die Idee, den Übergang zu überdachen, und an beiden Seiten Heizstrahler anzubringen. Das verleitete die Leute zu der Annahme, er sei ein besonders warmherziger Mensch, und sie begannen sich an den Haltestellen zu entblättern.

Als er dazu überging, auch zwischen den Schranken, die immerhin acht Gleise zu bewachen hatten, weitere Schranken anzubringen, kam er selbst in kalten Januartagen manchmal sogar zu einem Oberhemd. In seiner florierenden Second-Hand-Boutique konnte man die Sachen dann zum sogenannten Wiedererstehungspreis zurückerwerben.

Nach zwei Jahren konnte er sich endlich einen neuen Cassetten-Recorder kaufen und die alten Bundeswehr-Lautsprecher an den Bahnübergängen gegen Bose-Boxen eintauschen. Als die Leute begannen, ihm freiwillig etwas an die Schranke zu hängen und Touristenbusse eingesetzt wurden, um die Einschränkung zu besichtigen, brach er die Imbiß- und Souvenirstände ab, entfernte bis auf zwei alle Schranken, brachte alles wieder in den Urzustand, hinterließ seinem Nachfolger die Anlage nebst Bändern und die 16 Bose-Boxen und wechselte an der Grenze gerade soviel Geld, daß er gut durch Jugoslawien durchkommen konnte, ohne........
 

Zefira

Mitglied
*brüll*

Moin Doktor!
Das ist Spitze!
Das klingt - war mein erster spontaner Gedanke - als hättest Du es zwischen Tag und Traum beim Einschlafen ausgedacht! - wozu der Schluß auch nicht wenig beiträgt.
Einfach Spitze!

Hier hast Du noch ein paar Flüchtigkeitsfehler:

>und der sich zum spitzen Winkel abstellende[blue]n[/blue] Drahtleiste nachschaute<

>bis die ihnen das Teil auf immer entführt wurde<
... da ist ein "die" zuviel.

Ein "warmherziger Mensch", der die Bahnschranken heizt - einfach Wahnsinn *rofl*

Ach, und nach zwei Jahren kann er sich einen neuen Recorder kaufen. Da lohnt sich die Sache ja. *ich kann nicht mehr*

1000 Dank für diesen gelungenen Start in den Tag.

Liebe Grüße,
Zef
 
Zefira!
Danke für die Blumen!
Schön, daß dich die Geschichte erheitert hat.
Ich habe in meiner Datei die Flüchtigkeitsfehler korrigiert. Kannst Du das für mich in meinem Beitrag machen, oder muß ich eine neue Fassung einstellen?
Grüße
dd

Herb!
Das ist er ganz sicher, so wie sein Namensvetter wohl ein ausgetüftelter Wort-Techniker zu sein scheint.

Und skurril bin ich gern mal, wenn ich nicht gerade einen Reisebericht schreibe - oder über eine Beerdigung.
Na denn, bis bald mal gerne wieder.
dd
 

herb

Mitglied
smile, wenn du ganz nach unten gehst, findest du smilies verwenden unterstrichen, klickst du an, und es erscheint ein Fenster, meiner heißt "confused", er hat doch bei skurril ein "r" vergessen, *g, psst, nicht gewusst
 

Zefira

Mitglied
... und noch ein technischer Hinweis:
Lieber Doktor, in Deinem Text herumzupfuschen liegt mir fern, das wäre ein Eingriff ins Urheberrecht ;) , und Du kannst es sehr gut selbst machen. Einfach unter dem Text (unter dem Text, nicht unter einem Kommentar!) das Kästchen "edit delete" anklicken. Dann erscheint Deine Geschichte in einem neuen Fenster, in dem Du ändern kannst.
Frohes Schaffen,
Zefira
 

visco

Mitglied
Hallo Doc!

Eine richtig tolle Idee und eine wirklich köstliche Geschichte, kurz und knapp und mit viel Sprachwitz erzählt! Klasse! :)

Lieben Gruß,
[ 6]Viktoria
 
Hallo Zefira!
Danke für die technischen Hinweise!
Werd ihnen nachgehen!

Welch eine Erfahrung mit der Leselupe!
Zu deinem Gefühl, ob ich die Geschichte zwischen Tag und Traum geschrieben habe:
Sie ist aus dem Jahre 1982, einer Zeit, in der ich solchen einen Einfall einfach roh notiert habe. Vorwärtsgedrängt durch den Impuls der Idee, nichtachtend auf Technik und Form. Also insofern liegst du gar nicht so falsch mit dem intuitiven "Tag-Traum-Gedanken". Diese Kurzgeschichte bildet quasi die Nahtstelle zwischen instinktivem Tun (Schlaf)und späteren Reflektieren (Erwachen)
Ich danke Dir in mancherlei Hinsicht- du weisst, du hast mir sehr geholfen bei dem Anschieben von "Das Flöz"-, und wünsche
Waidmannsheil für weitere Jagd auf gute Texte. So nach und nach verstehe ich das Format der Lupe immer besser.
Du bist ja die Vorkosterin und verteilst die Noten für mittelmäßige, gute und sehr gute Texte. Das ist eine ehrenwerte Aufgabe, liebe Zefira, und ich wünsch Dir dabei weiter viel Spaß und Durchblick.

Hallo Visco, im schönen Kölle!
Ich verbeuge mich vor Dir, du hast mir ja so viel beigebracht!
Die Geschichte ist übrigens aus dem Jahre 1982. Etwas überarbeitet natürlich, mit den Sachen, die ich inzwischen aus der Kommunikation in der Lupe gelernt habe.
Es macht wirklich Sinn, nicht Freunde ständig mit eigenen Texten zu bombardieren - und zu nerven - , wie ich es eine Zeit getan habe, sondern sich einem aufnahmefähigen und kompetenten Publikum zu präsentieren. Da bekommt man von den Cracks die wichtigen Tips.
Ich lauer schon innerlich mal wieder auf solch einen Einfall wie "Die Bahnschranke". Vielleicht geht Dir das ähnlich mit "Der Umschlag"?? Waidmannsdank, auch Dir!
Schreib, Schwester, schreib weiter!
Verschreibt Dir Dein
dd
 



 
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