Die Herausforderung

4,00 Stern(e) 1 Stimme

Shari

Mitglied
Die Herausforderung

Auf Brach´ials Heimatplaneten, irgendwo in den unendlichen Weiten bewohnter und unbewohnter Galaxien, war jede Schlacht geschlagen, es gab keine Feinde mehr, keine Aufgaben und das Leben war gut zu einem Jeden. Während das Leben nach vorne blickte, spürte er einen Drang in sich, den er auf Dauer nicht verleugnen konnte, begleitet von einer schal schmeckenden Leere. Schwermütig wurde sein Geist, und schwermütig wurden seine Freunde, wenn er die alten Geschichten wieder und wieder zum Besten gab. Also dachte er sich eines Tages, dass die Zeit reif wäre für neue Abenteuer, und dass er sich in die Fremde aufmachen sollte, denn in seiner Heimat würde er nicht fündig werden.
So packte er seine Siebensachen, um ihnen entgegenzuziehen. Seine Freunde beobachteten ihn mit Sorge, mit Unverständnis gar, doch ließen sie ihn gehen, denn sie spürten seinen Kummer. So konnte es beim besten Willen nicht mehr weiter gehen.
An einem stillen Tag bestieg er daher einen Monogleiter und begann seine Sternenfahrt.

Zuerst nahm er Kurs auf Ok´er, einer windumtosten Wüstenwelt, die allein durch die Stürme in Rotation gehalten wurde. Dort angekommen, brachte er den Gleiter in eine sichere Umlaufbahn, nahm das Shuttle und flog zur Planetenoberfläche, fern ab der wenigen Siedlungen intelligenten Lebens.
Er stellte sich an den Rand des als Mare Nebulum bekannten Kraters und wartete auf eine Herausforderung.
Nach drei Tagen der absoluten Ereignislosigkeit, hielt Brach´ial es nicht mehr aus und brüllte dem Meer aus Sand und Wind entgegen:
„Zeige mir etwas, das mir eine Herausforderung sei!“
Es dauerte nicht lange, und eine Stimmer erhob sich in der Luft.
„Bist du dir nicht selbst Herausforderung genug?“
„Nein“, behauptete Brach´ial. „Ich kenne mich in– und auswendig. Wo bleibt da die Herausforderung?“
Der Wind kam brausend und tosend zu ihm. Mitten in dem Heulen stand Brach´ial, stur und standhaft wie ein Felsen. Und wieder rief er.
„Zeige mir etwas, wogegen ich kämpfen kann!“
„Wenn du dir nicht selbst Kampf genug bist, so versuche, mich zu bezwingen“, brauste es um ihn herum. Schon packte der Wind ihn mit festem Griff um ihn fortzutragen, als sich Brach´ial an den Vakumisateur erinnerte, der sich im Gürtel bei der Standardausrüstung befand. Während er also mit dem Wind kämpfte, gelang es ihm, das Gerät, welches nicht größer war als seine Hand, hervorzuziehen und zu betätigen. Binnen eines Wimpernschlages wurde der Wind eingesogen und fiel in Form kleiner Würfel aus dem Vakumisateur, Brach´ial direkt vor die Füße. Er hob sie auf, verstaute sie sorgfältig und verließ Ok´er, denn wenn sich der Wind schon derart bändigen ließ, konnte man hier sicher keine wirkliche Herausforderung antreffen.

Als nächstes steuerte er Zinn´ober an. Es war eine Welt aus Feuer, so hatte man ihm es erzählt, mit seltsamen, gefährlichen Wesen, von denen niemand genaueres berichten konnte, da ihnen noch kein einziger entkommen war, der sich aufgemacht hatte sie zu bezähmen.
Er hatte die Daten sorgfältig studiert und schon bald einen Platz ausgemacht, an dem er sicher würde landen können. Und wirklich, die Landung war glücklich. Voller Vorfreude zog er also den Hitzeschildanzug an und entstieg dem Shuttle, um den Planeten zu erkunden.
Er erklomm sogleich den Krater, neben dem er gelandet war. Die Hitze war gewaltig, doch er sah in die Tiefen des Lavasees und rief entschlossen:
„Zeige mir etwas, dass mir eine Herausforderung sei!“
Zunächst tat sich nichts. Die Lava köchelte vor sich hin, die Hitze versengte seine Lungen.
Gerade als er seine Worte, feurig wie die Luft um ihn herum, wiederholen wollte, stieg das Kochende und Lodernde im Krater höher. Es formte sich zu einer Säule, die sich ihm zuneigte. Und das Haupt – denn inzwischen war das Wesen klar erkennbar – sprach mit Feueratem zu ihm.
„Bist du dir selbst nicht Herausforderung genug?“
„Nein“, entgegnete Brach´ial. „Deine Hitze ist stark, aber ich kann ihr trotzen.“
„Du scheinst nicht zu verstehen...“
Das Haupt über ihm schwang von einer Seite zur anderen, Lava ergoss sich in hitzigem Regen um ihn herum.
„Ich verstehe, dass du lieber redest, statt zu handeln“, rief er flammend. „Aber ich will nicht weiter zuhören!“
Da fauchte das Wesen zu ihm.
„Dann überwinde mich oder verglühe!“
Und während das Feuer sein Maul aufsperrte, um ihn zu verschlingen, griff Brach´ial in die Tasche, zog die Würfel mit dem komprimierten Wind von Ok´er heraus und warf sie ihm in den Rachen.
Die Würfel zersprangen in der Hitze. Der Wind breitete sich einer Explosion gleich aus, zerriss das Feuer in tausend Flämmchen und trug diese in die Atmosphäre hinauf, wo sie in hübschen Farben verglühten.
„So etwas Großmäuliges“, dachte Brach´ial bei sich, „Es verspricht mehr als es hält, und eine Herausforderung war es auch nicht wirklich.“
Mit diesen Gedanken im Sinn schöpfte er mit dem Probensammler etwas Lava, die nun, unbelebt, kurz vor dem Erkalten war, denn er wollte zu mindestens etwas von diesem Planeten mitnehmen. Wenn auch nicht das, was er gesucht hatte.

Für eine Weile flog er ziellos durch das All, hielt mal hier, mal dort, um Energie aufzutanken und um herauszufinden, wo die Herausforderung sei, die ihn wirklich erfüllen würde. Man erzählte ihm viel, doch nichts wollte ihn recht reizen, bis ihm jemand die Kunde von Wat´er zutrug. Dies sollte ein Planet sein, auf dem sich das Wasser einem Wesen gleich unaufhaltsam vermehrte und alles verschlang, was sich ihm in den Weg stellte.
Brach´ial flog geschwind dorthin, begierig, sich dieses Wunders anzunehmen.
Er musste lange nach einem Landeplatz für sein Shuttle suchen, aber schließlich fand er ein Inselchen und steuerte es tatendurstig an.
Als er an den Strand trat, spielten Wellen um seine Füße, doch weiter war nichts zu sehen. Er sah betrübt über die Wasseroberfläche die sich bis zum Horizont erstreckte, denn was sollte ihn hier anderes erwarten denn ein Sonnenuntergang? Vielleicht ein Sonnenaufgang, aber das war es dann auch schon.
Trotzdem rief er seinen Spruch zu den Wellen hinaus.
„Zeige mir etwas, das mir eine Herausforderung sei!“
Es kam keine Antwort. Fünf Tage lang herrschte Stille, nur das Plätschern des Wassers war stetig zu hören. Als Brach´ial gerade die Geduld verlieren wollte und wieder zum Shuttle ging, erhob sich jedoch eine Woge, die genau auf ihn zuhielt. In dem Donnern, welches die Luft erfüllte, als sie sich zu seinen Füßen am Strand brach, erklang eine Stimme.
„Bist du dir selbst nicht Herausforderung genug?“
„Nein“, Brach´ial schnappte nach Luft, als die Flut derart über ihm zusammenbrach. „Und da du dich endlich zeigst, weiß ich warum ich hier bin. Stelle dich meinem Willen!“
Das Wasser stob um ihn herum auf, die Tropfen funkelten im Licht der roten Sonne, und silberhelles Lachen klang an sein Ohr.
„Dein Wille? Es gibt nichts, was vor mir bestehen kann, und dein Wille wird mich nicht brechen!“
„Hochmut wird dir keinen Schutz bieten“, sprach Brach´ial mit donnernder Stimme, doch gingen die Worte im Tosen der Wellen verloren. Und das Wasser stieg immer höher, die Wellen sprangen in seine Stiefel, so dass ihm nichts weiter blieb, als ins Shuttle zu flüchten und abzuheben, bevor er und sein Gefährt gänzlich verschlungen wurden.
Er flog über das Wasser hinweg und ärgerte sich maßlos. Was tun? Da kam ihm eine Idee. Er suchte in seiner Tasche und fand einen vergessenen Würfel von Ok´er. Damit und zusammen mit der Lava von Zinn´ober konstruierte er im Labor eine Brennkapsel besonderer Art , welche er flugs aus dem Shuttle warf, direkt in das dunkle, dunkle Wasser.
Die verbliebenen Funken schierer Wesenheit von Wind und Lava vereinten und belebten sich gegenseitig. Die Lava, vom Wind entfesselt, loderte auf, wurde zu einem Feuersturm und schon bald verdampfte das Wasser, welches ihn so vorgeführt hatte, zu feinen Nebelschleiern.
Zufrieden machte er sich auf den Rückweg. Er hatte auf Wat´er wieder einmal gezeigt, dass man ihn nicht unterschätzen durfte. Doch bald verflog die Freude, und die schal anmutende Leere nahm wieder Besitz von ihm.

Kurz vor seinem Heimatplaneten fiel aber die Energieversorgung aus, und er konnte sich nur mit Müh und Not auf dessen unscheinbaren Trabanten retten. Lustlos reparierte er den Gleiter. Und da ihn nichts erwarten würde, denn die übliche Schwermut und die hoffnungslose Sehnsucht nach Erfüllung, beschloss er, noch etwas auf dem Trabanten zu verweilen, bevor er nach Hause flog.
So begab er sich also auf einen Abendspaziergang, der ihn schon recht bald zu einem Felsmassiv führte. Ein Gang verlief geradlinig bis ins Innere, welches mit tausenderlei Spiegelflächen ausgekleidet schien. Durch ein Loch in der Felsenwand strömte Licht hinein und spiegelte sich an den Wänden.
Brach´ial blieb stehen und sah sich staunend um. Seine unzähligen Konterfeis staunten zurück.
„Was ist das hier?“
Er hob fragend die Schultern, doch als Antwort erhielt er nur die mannigfaltige Reflexion seiner eigenen Ratlosigkeit.
Er machte sich auf, das Phänomen näher zu betrachten. Als er direkt vor eine Spiegelwand trat, bemerkte er jedoch erstaunt, dass der Brach´ial, der ihm entgegensah, sich von dem unterschied, der er war und auch von dem , den die Spiegelfläche daneben reflektierte.
„Wer bist du ?“
„Ich bin du und du bist ich“, ertönte Brach´ials Stimme in seinem eigenen Kopf. Er wich in die Mitte des Raumes zurück. Dann hallten die Worte, die Brach´ial nur zu gut kannte, im Inneren des Felsen wieder, sprangen von einer Wand zur anderen um sich danach auf ihn, der im Zentrum stand, zu stürzen.
„Zeige mir etwas, dass mir eine Herausforderung sei!“
Brach´ial überlegte. Er zermarterte sich den Kopf und sagte schließlich mit brüchiger Stimme
„Ich bin nur ich. Was kann ich dir anderes zeigen?“
„Nur?“ Sein Alter Ego lachte spöttisch. „Ok´er wird aufhören sich zu drehen, weil du den Wind geraubt hast, Zinnóber wird erkalten weil du die Flammen gelöscht hast, und Wat´er wird verdorren, weil du das Wasser vernichtet hast. Und du sagst du seiest ‚nur’ du?“
Brach´ial erstarrte. All dieses hatte er nicht bedacht. Furcht kam in ihm hoch, Furcht und Bedauern.
„Es wird sich alles regeln,“ fuhr sein Alter ego fort. „Die Intelligenz auf Ok´er wird einen Weg finden, das Leben auf Zinn´ober wird sich anpassen und Wat´er? Auch hier wird das Leben weitergehen, egal in welcher Form. Aber überlege, warum all dies geschehen musste.
Sieh hin!“
Und mit diesen Worten verschwanden die Spiegelbilder.
„Vergiss nie dass ich deine größte Herausforderung bin.“ Die Stimme des Alter Egos, seine Stimme verklang in seinem Kopf.
Und Brach´ial verstand.

Als seine Freunde ihn am nächsten Tag in Empfang nahmen, wunderten sie sich, denn so glücklich hatte er lange nicht mehr ausgesehen. Sie fragten ihn nach seinen Erlebnissen, doch er schwieg beharrlich. Das Leben nahm seinen gewohnten Gang, und nur ganz selten sah man Brach´ial, wie er seinen Monogleiter bestieg und im Dunkel des Universums verschwand.
Dabei blieb er seiner Heimat stets näher als alle glauben mochten.
 



 
Oben Unten