Ich wusste nicht, was ein Pantun ist. Hugo, Baudelaire und Verlaine haben es in Europa eingebürgert, Oskar Pastior hat auch welche gemacht.
Schnell war ich drauf gekommen, dass der Text ständig Zeilen wiederholt und dass das anscheinend sein Witz sein soll. Anfänglich kam mir so vor, als gäbe es Zeilen, die nur einmal erscheinen. Ich wollte alle Zeilen, die doppelt sind, untereinander schreiben, dann sagen: „Das Doppelte können wir fürs Versuchsstadium mal weglassen, das Einfach schreiben wir unten drunter. Mal sehen, was dann noch da ist.“
Dann sah das so aus:
> „Die Liebe lässt mich nicht in Ruh.“
> „Die Liebe lässt mich nicht in Ruh.“
> „So kann das doch nicht weiter gehn!“
> „So kann das doch nicht weiter gehn!“
> „Sie quält und treibt mich immerzu.“
> „Sie quält und treibt mich immerzu.“
> „Warum ist sie so kompliziert?“
> „Warum ist sie so kompliziert?“
> „Ich bin verwirrt und deprimiert.“
> „Ich bin verwirrt und deprimiert.“
> „Kein Mann kann diese Frau verstehn.“
> „Kein Mann kann diese Frau verstehn.“
> „Und dennoch, ich begehre sie.“
> „Und dennoch, ich begehre sie.“
> „Mit ihr und mir, das klappt doch nie.“
> „Mit ihr und mir, das klappt doch nie.“
Ich wollte sagen: „Das sind alles ziemlich schlichte Aussagesätze, wenn man die immer nur einmal schreibt, bleibt nicht mehr viel übrig.“
Wikipedia belehrte mich dann über die malaiische Gedichtform Pantun:
Ein Pantun kann aus beliebig vielen Strophen bestehen. Die Strophen bestehen aus vier Zeilen mit je acht bis zwölf Silben. Gereimt werden diese Quartette im Kreuzreim, also a-b-a-b. Jeweils die zweite und vierte Zeile einer Strophe werden als erste und dritte Zeile der nächsten Strophe wiederholt. Zusätzlich wird die dritte Zeile der ersten zur zweiten Zeile der letzten Strophe und der erste Vers des Gedichtes zum letzten, teilweise bleiben aber erste und dritte Zeile der ersten Strophe auch unvertauscht.
Ein Gedicht mit vier Strophen besteht also aus nur acht verschiedenen Versen (1–8) und vier Reimpaaren (a–d).
Exakt so ist es hier. Vier Strophen mit vier Zeilen, alles im vierhebigen Jambus, eigentlich (minus Wiederholungen) sind es nur acht Zeilen, weil sich davon immer zwei reimen, bleiben am Ende vier Reime: sie/nie, gehn/verstehn, deprimiert/kompliziert, Ruh/immerzu.
Dass so etwas wirkt, merkt man beim Lesen, sieht man an der Einstimmigkeit der sehr guten Wertungen und dem Ausrufen zum „Werk des Monats“. Es gibt da etwas Magisches von Wiederholung, von Wiederkehr des Bekannten, von Gleichklang in Reimen und Versmaßtakten, was einen wohl hypnotisiert. Es klingt einfach gut. Es klingt so schön, darum gefällt es einem, darum nennt man es einen guten Text.
Ich nehme mir aber mal heraus, mich diesem Einlullenden, was lyrische Formvorgabenerfüllung eben hat, zu verweigern. Um das zu erreichen, bringe ich das Sprachmaterial in eine Form und eine Reihenfolge, als würde es sich um den Auszug aus einer Prosa handeln:
Kein Mann kann diese Frau verstehn. Ich bin verwirrt und deprimiert. Sie quält und treibt mich immerzu. So kann das doch nicht weiter gehn! Warum ist sie so kompliziert? Mit ihr und mir, das klappt doch nie. Und dennoch, ich begehre sie. Die Liebe lässt mich nicht in Ruh.
Ich habe nichts gestrichen, nur Wiederholungen, wie man es in der Prosa machen sollte. Ich habe nicht verändert. Die Reihenfolge ist anders, aber es ist keine, die Unsinn erzeugt, den Text absichtlich lächerlich macht. Die Reihenfolge habe ich umgestellt, damit die Verse und Reime möglichst wenig auffallen, weil ich den Text mal als Prosa wahrgenommen haben wollte.
Jetzt behaupte ich: Wenn diese Passage mittendrin in einem Prosatext stünde, würde mehr oder weniger kein Mensch merken, dass sie lyrisch ist. Noch weniger Leuten würde jemals auffallen, dass sie gut ist. Es steht ja mehr oder weniger gar nichts drin, was man länger im Gedächtnis behalten würde. Weder die Person des Ich, noch die Person der Sie wird greifbar, plastisch, als Individuum nachvollziehbar. Es geschieht nichts. Da räsoniert nur einer, sein Räsonnement ist aber ganz allgemein, tausendfach gehört, wenn Männer über ihre Beziehungsprobleme reden. Es sind kurze einfache Aussagesätze, fast nur Hauptsätze. Hervorstechende Wörter gibt es keine. Vergleiche, sprachliche Bilder, originelle sprachliche Umformungen erscheinen auch keine.
Wirklich niemand fände an dieser Passage irgendetwas bemerkenswert, wenn sie Prosa wäre. Dass ich sie jetzt aber bemerkenswert finden soll, wenn sie als Lyrik daherkommt und sich mir mit ihren Reimen und Wiederholungen, also mit formalen Spielereien, ins Ohr schmeichelt, das will mir nicht so ganz ein. Darum poste ich jetzt eine Wertung, die dann gestrichen wird und somit die bisher gestrichene Neun erlöst und auch noch wirken lässt im allgemeinen Jubel.