Die Nonnen im Castello Aragonese

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Herr H.

Mitglied
Im Kreis der toten Schwestern saßen sie
und sahen täglich bei der frommen Lesung,
bei den Gebeten und der Psalmodie
den Fortgang der Zersetzung und Verwesung.

Die Leichen waren sitzend aufgebahrt
wie stumme Boten aus dem Reich der Schatten,
damit die Nonnen ihre Gegenwart
in jedem Gottesdienst vor Augen hatten.

Und zu dem Anblick kam die Atemnot:
Die Körperflüssigkeiten und die Gase
der Toten im Gewölbe dieser Gruft

erfüllten und verpesteten die Luft
und drangen permanent in Mund und Nase. -
Kein Ort sprach jemals schauriger vom Tod.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
schauriger - ??

eine starke Geschichte, gutes Sonett, konsequent durchgeführtes Bild, realistisch, fast schon bis an die dramatische Schmerzgrenze beeindruckend.
Kein Ort sprach jemals schauriger vom Tod.
Hier hätte ich einen trockeneren Abschluß gesucht. Eine Sentenz ja, passend in den Terzettabschluß eines Sonetts, aber weniger wertend (Adjektiv im Komparativ: "[blue]schauriger[/blue]").
Andererseits nimmt die verallgemeinerte Subjektivität der sentenziellen Wertung dem Lied die Dramatik, so daß es eben noch ein Sonett bleibt und nicht zu sehr beeindruckt. (Beeindrucken ist ja eher die Sache ägyptischer Potentaten als ästhetisch-distanzierter Beschreiber, die ein Bild "sprechen" lassen, wie Du den "Ort" hier "sprechen" läßt).
 

Herr H.

Mitglied
Die Nonnen im Castello Aragonese

Im Kreis der toten Schwestern saßen sie
und sahen täglich bei der frommen Lesung,
bei den Gebeten und der Psalmodie
den Fortgang der Zersetzung und Verwesung.

Die Körper waren sitzend aufgebahrt
wie stumme Boten aus dem Reich der Schatten,
damit die Nonnen ihre Gegenwart
in jedem Gottesdienst vor Augen hatten.

Und zu dem Anblick kam die Atemnot:
Die Körperflüssigkeiten und die Gase
der Leichen im Gewölbe dieser Gruft

erfüllten und verpesteten die Luft
und drangen permanent in Mund und Nase -
ein schonungsloser Würgegruß vom Tod.
 

Herr H.

Mitglied
Hallo Mondnein,
danke für dein Echo und die hilfreiche Anregung, die letzte Zeile des Sonetts zu überdenken.
LG von
Herrn H.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
ja, es gewinnt.

Sehr gut!
Einerseits bleibt es eine dramatische katástrophe, wird nicht "trockener", andrerseits gewinnt es: Die Allgemeinbehauptung ("Kein Ort ... je") hast Du zurückgenommen, die Logik der Steigerung aber zugeschärft, die Charakteristik gestärkt. Selbst wenn es dann "weniger" Sonett wird, wird es doch schlüssiger. Zum Deibel mit der ästhetischen Distanz - es ist in sich stimmig, ja pointiert, also besser (finde ich).
 



 
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