steyrer
Mitglied
Am Ende der Maßnahme versammelten sich die Schüler in der dunklen, süßlich-schimmeligen Garderobe und warteten auf ihre Eltern. Das von der Decke tropfende Regenwasser sammelte sich in Kübeln und Schüsseln und klang wie das Ticken dutzender Uhren. Fabian dachte: „Verdammt, fast vorbei und ich stottere immer noch, Rechnen ist auch scheiße.“ Dabei war Mutter so begeistert, wegen „tollen Erlebnis“, „lehrreich“ und „neuer Freunde“. Nun, Mutter würde schluchzen und Vater wütend werden. „Zusammenreißen hätte ich mich sollen“. Beim Unterricht Frau Dr. Anreithers konnte er nicht einen Satz richtig vorlesen, etwa: „Saint-Exupéry aß in Bordeaux extrem viele Doughnuts“. Eine Schande. Das Wetter hier in Bernhardsöde war ebenfalls verheerend, es goss den halben Sommer und auf den Plafonds der Schlafsäle wuchsen dunkle Flecken. In Gänge und manche Zimmer tropfte Wasser, wie in der Garderobe.
Die größten Grobiane behaupteten, sie wären ihren Eltern zu 100 Prozent wurscht, etwas was Fabian nicht sagen mochte, denn einmal erhielt er ein Paket mit Schimmelkäse, Müsliriegeln und Dinkelwecken. Im Brief stand: „Lieber Fabian, hier ist ein Paket voller leckerer Fressalien, aber teile sie mit anderen, die’s nicht so gut haben.“ Er überflog die nächsten sechs Blätter und auf der Rückseite des letzten stand unten: „Aber ich weiß ja, dass du dich freust. Bussi, Mama.“ „Vielleicht ist es normal sich zu freuen?“ überlegte er und kippte einen Eimer Regenwasser in den Hof. Normal sollte er hier werden und deshalb auch einen normalen Roman lesen: „Der Schatz im Silbersee“. Nach den ersten Seiten warf er die Schwarte zwar in eine Ecke, aber überlegte: „Wirklich normale Leute lesen sogar das und werden Minister und Präsidenten, aber ich, o je.“ Vater hatte einmal einen Science-Fiction Roman bei ihm gefunden: „Der letzte Countdown“. Das gab einen Krach. Er solle dieses kranke Zeug wegschmeißen und was Richtiges lesen (siehe oben). Noch etwas steckte im Paket: Das Magazin „Wunderwelt“. „Das gesunde Zeug kann ich ja wegschmeißen, das Heft nicht, wenn das einer im Mülleimer findet, nennt er mich einen blöden Warmen und verdrischt mich.“ Zum Glück gab es in der Garderobe eine Hydrokultur, aber jetzt bekam er Albträume: Irgendjemand fingerte das Heft aus den Tonkügelchen und bald rätselten alle miteinander: „Wer in aller Welt liest so etwas? Ein Warmer?“ Ein Psychologe sprach: „Nicht ganz! Ein kleiner warmer Schwachsinniger.“ Aus solchen Träumen wachte er schweißnass auf, manchmal auch mit Regenwasser, denn die Oberlichten der Schlafsaalfenster waren geöffnet, aber sich beschweren? „Lieber nicht, sonst bin ich ein schwuler Bettnässer“. Speiben war dagegen respektierter. Von Achim, dem beliebten, netten Mathelehrer, hieß es sogar, er hätte letzten Silvester in seine Winterstiefel gekotzt und Achim war ein Supertyp. Fabian durfte in den Matheförderstunden sogar den Taschenrechner benutzen. „Ich bin sicher nur so dumm, weil ich nicht saufe, ich bin ein Schlumpf“. Neben Fabians Schlafsaal logierte eine Kindergartengruppe mit einem Riesenschlumpf an der Tür. Hin und wieder gab es Fitnessläufe: Die Schüler rannten mit einem Pädagogen durch einen Wald und regelmäßig gab es Turn- und Matheaufgaben. Meistens nieselte es und im Ziel, bei der Algebra, sah jeder aus, als käme er vom Schlammringen. Fabian nieste außerdem dauernd, das störte und bald wusste er: Eine rinnende Nase ist besser als eine blutende.
Jetzt blitzte und donnerte es gleichzeitig. Er überlegte, weshalb man ihn verschickt hatte. „Vielleicht die Sache mit dem Schaf?“ In der Pausenhalle seiner Hauptschule entdeckte er einmal eine Tür, er öffnete und muffiger Geruch schlug ihm entgegen. In dieser „Lehrmittelkammer“, wie ein Schild verkündete, gab es Ständer mit Landkarten und einen Globus, sogar ein ausgestopftes Schaf, aber alles mit einer Staubschicht überzogen. Neben dem Schaf lehnte hochkant ein gerahmtes Zitat, das Glas war zerbrochen, das Zitat zerknittert und stellenweise unlesbar. Fabian entzifferte: „Um Mitglied sein zu können, muss man ein Schaf sein. Einstein.“ Bald traute er seinem Verstand nicht mehr, denn das ausgestopfte Schaf blökte und spazierte zur Tür hinaus. Später hätte er sich ohrfeigen mögen: „Warum habe ich das erzählt?“. Denn der Klassenvorstand riet danach seiner Mutter: „Lassen Sie Ihren Sohn einmal gründlich untersuchen.“ Ergebnis: Ein Termin beim Kinderpsychiater, dann ein EEG beim Neurologen und später eine Computertomografie des Gehirns. Dazu passte ein Gespräch das er eben mit anhörte: Mathelehrer Achim und Frau Dr. Anreiter, die Sprachpädagogin, lehnten beide aus einem Fenster, sahen auf den verregneten Hof und rauchten. „Manchmal möchte ich fast verzweifeln“, begann Frau Anreither, „besonders bei diesem Fabian. Ein Schafskopf ist er, und faul dazu.“
„Aber liebe Kollegin, “ erwiderte Achim, „seien Sie nicht so streng. Bei den Burschen, die hierher kommen, ist sowieso alles verloren, aber was wir tun können, ist das Leben schöner machen und davon zehren sie und das…“, er zündete eine neue Zigarette an, „haben sie auch bald verdammt nötig“.
Fabian rätselte: „Was nun? Da hält mich jemand für ein Schaf und es ist trotzdem alles egal?“ Das Wunderwelt-Heft hatte wenigstens niemand entdeckt, das war gut, auch wenn Mutter jetzt mit einem neuen daherstolperte und es bald Ärger gäbe. „Aber ich muss ja diese ganzen brutalen Arschlöcher nie wieder sehen, diese Anreither und diesen Achim auch nicht.“ Als er über den Vorplatz zum Wagen lief, hörte es sogar zu regnen auf, an den Hecken glitzerten Regentropfen und klare Luft strömte ihm entgegen. Fabian war so vergnügt, dass er einen Hüpfer nach vorne machte: „Ist es hier nicht wunderbar – gerade jetzt?“
Die größten Grobiane behaupteten, sie wären ihren Eltern zu 100 Prozent wurscht, etwas was Fabian nicht sagen mochte, denn einmal erhielt er ein Paket mit Schimmelkäse, Müsliriegeln und Dinkelwecken. Im Brief stand: „Lieber Fabian, hier ist ein Paket voller leckerer Fressalien, aber teile sie mit anderen, die’s nicht so gut haben.“ Er überflog die nächsten sechs Blätter und auf der Rückseite des letzten stand unten: „Aber ich weiß ja, dass du dich freust. Bussi, Mama.“ „Vielleicht ist es normal sich zu freuen?“ überlegte er und kippte einen Eimer Regenwasser in den Hof. Normal sollte er hier werden und deshalb auch einen normalen Roman lesen: „Der Schatz im Silbersee“. Nach den ersten Seiten warf er die Schwarte zwar in eine Ecke, aber überlegte: „Wirklich normale Leute lesen sogar das und werden Minister und Präsidenten, aber ich, o je.“ Vater hatte einmal einen Science-Fiction Roman bei ihm gefunden: „Der letzte Countdown“. Das gab einen Krach. Er solle dieses kranke Zeug wegschmeißen und was Richtiges lesen (siehe oben). Noch etwas steckte im Paket: Das Magazin „Wunderwelt“. „Das gesunde Zeug kann ich ja wegschmeißen, das Heft nicht, wenn das einer im Mülleimer findet, nennt er mich einen blöden Warmen und verdrischt mich.“ Zum Glück gab es in der Garderobe eine Hydrokultur, aber jetzt bekam er Albträume: Irgendjemand fingerte das Heft aus den Tonkügelchen und bald rätselten alle miteinander: „Wer in aller Welt liest so etwas? Ein Warmer?“ Ein Psychologe sprach: „Nicht ganz! Ein kleiner warmer Schwachsinniger.“ Aus solchen Träumen wachte er schweißnass auf, manchmal auch mit Regenwasser, denn die Oberlichten der Schlafsaalfenster waren geöffnet, aber sich beschweren? „Lieber nicht, sonst bin ich ein schwuler Bettnässer“. Speiben war dagegen respektierter. Von Achim, dem beliebten, netten Mathelehrer, hieß es sogar, er hätte letzten Silvester in seine Winterstiefel gekotzt und Achim war ein Supertyp. Fabian durfte in den Matheförderstunden sogar den Taschenrechner benutzen. „Ich bin sicher nur so dumm, weil ich nicht saufe, ich bin ein Schlumpf“. Neben Fabians Schlafsaal logierte eine Kindergartengruppe mit einem Riesenschlumpf an der Tür. Hin und wieder gab es Fitnessläufe: Die Schüler rannten mit einem Pädagogen durch einen Wald und regelmäßig gab es Turn- und Matheaufgaben. Meistens nieselte es und im Ziel, bei der Algebra, sah jeder aus, als käme er vom Schlammringen. Fabian nieste außerdem dauernd, das störte und bald wusste er: Eine rinnende Nase ist besser als eine blutende.
Jetzt blitzte und donnerte es gleichzeitig. Er überlegte, weshalb man ihn verschickt hatte. „Vielleicht die Sache mit dem Schaf?“ In der Pausenhalle seiner Hauptschule entdeckte er einmal eine Tür, er öffnete und muffiger Geruch schlug ihm entgegen. In dieser „Lehrmittelkammer“, wie ein Schild verkündete, gab es Ständer mit Landkarten und einen Globus, sogar ein ausgestopftes Schaf, aber alles mit einer Staubschicht überzogen. Neben dem Schaf lehnte hochkant ein gerahmtes Zitat, das Glas war zerbrochen, das Zitat zerknittert und stellenweise unlesbar. Fabian entzifferte: „Um Mitglied sein zu können, muss man ein Schaf sein. Einstein.“ Bald traute er seinem Verstand nicht mehr, denn das ausgestopfte Schaf blökte und spazierte zur Tür hinaus. Später hätte er sich ohrfeigen mögen: „Warum habe ich das erzählt?“. Denn der Klassenvorstand riet danach seiner Mutter: „Lassen Sie Ihren Sohn einmal gründlich untersuchen.“ Ergebnis: Ein Termin beim Kinderpsychiater, dann ein EEG beim Neurologen und später eine Computertomografie des Gehirns. Dazu passte ein Gespräch das er eben mit anhörte: Mathelehrer Achim und Frau Dr. Anreiter, die Sprachpädagogin, lehnten beide aus einem Fenster, sahen auf den verregneten Hof und rauchten. „Manchmal möchte ich fast verzweifeln“, begann Frau Anreither, „besonders bei diesem Fabian. Ein Schafskopf ist er, und faul dazu.“
„Aber liebe Kollegin, “ erwiderte Achim, „seien Sie nicht so streng. Bei den Burschen, die hierher kommen, ist sowieso alles verloren, aber was wir tun können, ist das Leben schöner machen und davon zehren sie und das…“, er zündete eine neue Zigarette an, „haben sie auch bald verdammt nötig“.
Fabian rätselte: „Was nun? Da hält mich jemand für ein Schaf und es ist trotzdem alles egal?“ Das Wunderwelt-Heft hatte wenigstens niemand entdeckt, das war gut, auch wenn Mutter jetzt mit einem neuen daherstolperte und es bald Ärger gäbe. „Aber ich muss ja diese ganzen brutalen Arschlöcher nie wieder sehen, diese Anreither und diesen Achim auch nicht.“ Als er über den Vorplatz zum Wagen lief, hörte es sogar zu regnen auf, an den Hecken glitzerten Regentropfen und klare Luft strömte ihm entgegen. Fabian war so vergnügt, dass er einen Hüpfer nach vorne machte: „Ist es hier nicht wunderbar – gerade jetzt?“