Daniel Schenkel
danielc.schenkel@web.de
Guten Tag zusammen,
dies ist mein erster Beitrag für Leselupe, ein bisher unveröffentlichter Text. Ich hoffe, ich habe ihn im richtigen Forum gepostet. Falls nicht, einfach verschieben.
Die Grenze
Is it any wonder I can’t sleep?
Smashing Pumpkins
Wir treffen uns im Cafe. Carsten, Gon, Peter und ich.
Wir haben in diesen Tagen nur wenig zu tun und davon sind wir erschöpft; das Cafe mit seinen endlosen Nachmittagen und den immer gleichen Gesprächen ist unsere letzte Zuflucht.
Heute jedoch hat Carsten eine Idee. Er habe, behauptet er, eine Möglichkeit gefunden, dem ewigen Grau zu entfliehen.
„Einfache Sache, aber dabei könnte was rumkommen“, sagt er.
Was wir dafür tun müssen?
Wir müssen die Grenze überqueren, auf der anderen Seite etwas abholen und dieses Etwas in die Stadt bringen. Alles ganz einfach, wenn man Carsten glaubt.
„Klingt zweifelhaft“, sagt Peter.
Ich teile seine Bedenken. Es existieren Regeln, die jeder Stadtbewohner beachten muss; unausgesprochene und ungeschriebene und doch äußerst strenge Regeln.
„Ihr müsst euch keine Gedanken machen“, sagt Carsten. „Wir werden keinen Verstoß begehen, das versichere ich euch.“
Ich sehe aus dem Fenster, betrachte die Menschen auf der Straße. Sie tun Dinge, die mich nichts angehen und mich nicht interessieren, hier gibt es nichts für mich und für die anderen auch nicht. Möglicherweise ist dies unsere letzte Chance, dem Grau den Rücken zu kehren und sei es nur für kurze Zeit.
Also aus der Stadt.
Ein Auto mieten.
Über die Grenze fahren.
Bei Nacht.
Wenn das Scheinwerferlicht den Asphalt erhellt und die Büsche am Straßenrand nur Ahnungen sind. Wenn wir schweigend im Wagen sitzen, weil wir schon lange kleine Lust mehr zu reden haben und wenn die Stadt zu einer verschwommenen Erinnerung geworden ist, unwirklicher als jeder Schatten im Gehölz.
Carsten als Fahrer, Gon als Beifahrer, Peter und ich auf dem Rücksitz.
Hinter der Grenze wird der Radioempfang rasch schlechter. Bald fließt nur noch Knistern aus den Lautsprechern, Kurzwellenechos in dem Stimmen oder Musik bestenfalls zu erahnen sind.
„Versteht das jemand?“, fragt Peter. „Was soll das alles?“
Niemand antwortet ihm.
Die Abzweigung kommt so plötzlich, dass Carsten das Steuer herumreißen muss. Die ruckartige Bewegung schleudert mich zur Seite und ich ramme Peter meinen Ellenbogen in den Magen.
„Pass doch auf, verdammt noch mal.“
„Tut mir leid.“
Der Wagen hüpft über Schlaglöcher und das Scheinwerferlicht zittert. Bald erreichen wir einen quadratischen Betonbau ohne Fenster.
KALYPSO – MÄDCHEN UND MEHR
steht auf einem Neonschild über dem Eingang.
Unser Wagen ist der einzige auf dem Parkplatz.
Drinnen erwarten uns dämmrige Beleuchtung und so leise Musik, dass sich ihre Unverständlichkeit nicht vom Geflüster des Radios unterscheidet.
Stühle und schmale Tische stehen in Nischen. In der Raummitte erhebt sich eine Bühne mit einem Standmikrofon.
An der Bar lehnt ein Mann in einem dunklen Anzug; außer ihm und uns ist niemand hier.
„Warum sind keine Mädchen da?“ Gon klingt enttäuscht.
Der Anzugmann winkt uns zu sich.
„Schön Sie zu sehen. Ich hoffe, Sie hatten keine Schwierigkeiten herzukommen. Heutzutage kann man die Grenze ja nicht mehr so einfach überqueren.“
„Haben Sie heute geschlossen?“, will ich wissen.
Die Leblosigkeit des Raumes, der so offenkundig für eine große Menschenmenge ausgelegt ist, gibt mir ein ungutes Gefühl.
Der Anzugmann lächelt. „Sie missverstehen die Situation. Tatsächlich drängen sich heute Abend die Leute; sie steigen einander auf die Füße, so wenig Platz ist vorhanden. Die Sängerin auf der Bühne trägt ihr blondes Haar offen und ihr Lied, vorgetragen mit kristallklarer Stimme - ein bisschen traurig und dabei doch kraftvoll - rührt uns alle zu Tränen. Schweiß, Parfüm und Zigarettenqualm tränken die Luft. Man darf bei uns noch rauchen, müssen Sie wissen.“
Ich sehe mich um und immer noch sind wir alleine. Da ist keine Sängerin und da ist auch kein Lied.
„So ein Blödsinn.“
„Ganz wie Sie meinen.“
Der Anzugmann greift hinter die Theke und holt einen Koffer hervor.
Carsten nimmt ihn entgegen.
„Das ist alles, was Sie brauchen“, sagt der Anzugmann.
„Was ist da drin?“, fragt Peter. „Sie müssen uns wenigstens sagen, was da drin ist. Immerhin fahren wir damit in die Stadt zurück.“
Der Anzugmann lächelt wieder und schüttelt den Kopf. „Wie ich schon sagte, ist dies ein Missverständnis Ihrerseits. Aber das würde nun wirklich zu weit führen und die Nacht wird immer dunkler. Es wird besser sein, sie machen sich auf den Weg.“
Wir haben die Türschwelle gerade überschritten, als Gon stehen bleibt und die Augen aufreißt.
„Ich sehe es. Ich kann alles sehen.“ Seine Stimme klingt schrill und kippt über. Tränen laufen über seine Wangen. „Die Leute drängen sich. Sie stehen Schlange vor dem Eingang und sogar auf dem Parkplatz sind jede Menge Menschen. Ich kann auch die Sängerin auf der Bühne hören, sogar hier draußen kann ich sie hören. Sie singt wirklich wunderschön. Jetzt verstehe ich, warum die Zuhörer von so weit her kommen.
Ich will noch nicht gehen. Ich will abwarten, nur ein ganz klein wenig. Vielleicht singt sie ja noch ein weiteres Lied für uns, das wäre doch möglich.“
Wir steigen in den Wagen und Gon bleibt vor dem Eingang des Betonbaus zurück.
Ich winke ihm zum Abschied. Er erwidert meinen Gruß und scheint ganz alleine in der Nacht glücklich zu sein.
Wieder fahren wir über den Schlaglochweg. Wieder hüpft das Scheinwerferlicht über den Asphalt. Die scharfe Kurve, unsere Reifen quietschen und wir sind auf der Hauptstraße.
Carsten versucht erst gar nicht, das Radio in Gang zu bringen.
Peter rutscht vor unterdrückter Nervosität hin und her. „Ich will endlich wissen, was in dem Ding drin ist.“
Der Koffer steht zwischen Carstens Knien, gerade so balanciert, dass unserem Fahrer genug Platz bleibt, die Pedale zu bedienen.
„Wir dürfen ihn nicht öffnen“, sagt Carsten. „Das wäre ein schwerwiegender Verstoß.“
„Aber ich muss wissen, was da drin ist, verdammt noch mal.“
„Das können wir nicht machen“, sagt Carsten.
„Halt an. Halt sofort an.“ Peter spuckt vor Aufregung Speicheltröpfchen und eines trifft mich am Ohr.
„Wir halten jetzt nicht“, sagt Carsten.
„Halt an. Halt an oder ich flipp aus. Mir ist schlecht, verdammt. Halt an.“
„Also gut.“ Carsten fährt an den Straßenrand.
„Gib mir das Scheißding. Gib ´s mir.“
Peter greift zwischen Carstens Beinen hindurch und packt den Koffer. Bevor Carsten reagieren kann, reißt er die Wagentür auf. Er springt in die Nacht.
„Vollidiot. Trottel.“ Carsten hechtet ebenfalls hinaus. „Du brockst uns Riesenärger ein, du Trottel.“
Sie stürmen die Straße entlang, tolle Hunde, die einander jagen.
Ich bleibe sitzen, bis beider Silhouetten zu Schemen verschmolzen sind, dann verlasse auch ich den Wagen.
Carsten hat den Motor abgestellt. Als ich die Straße hinuntergehe, sind meine Schritte das einzige Geräusch.
Nach kurzem Weg treffe ich meine Begleiter wieder. Sie stehen sich gegenüber, wenig mehr als Scherenschnitte, statuenhaft stumm, der Koffer zwischen ihnen.
„Habt ihr genug?“, will ich wissen.
„Du missverstehst die Situation“, sagt Carsten.
„In diesem Raum drängen sich die Menschen“, sagt Peter.
„Da war überhaupt keiner.“ Ich schreie, so wütend bin ich. „In dem ganzen Laden war keiner und der Parkplatz war ebenfalls leer. Wenn jemand etwas anders behauptet, dann lügt er. Die Geschichte ist eine Lüge und zwar vom Anfang bis zum Ende.“
Peter schüttelt den Kopf. „Auch vor dem Eingang und auf dem Parkplatz sind Leute. Sie stehen Schlange, um hereinzukommen. Willst du das nicht sehen?“
„Hier darf man noch rauchen.“ Carsten zieht eine Schachtel aus seiner Jackentasche und zündet sich eine Zigarette an. „Wenigstens das musst du anerkennen.“
„Das Lied klingt wunderschön und es gibt stehenden Applaus“, sagt Peter. „Ich bin so froh, hergekommen zu sein und dieses Lied gehört zu haben.“
Ich bücke mich. Öffne den Koffer. Eine Pistole liegt darin, ihr Knauf liegt kalt in meiner Hand.
Carsten und Peter stürzen auf den Asphalt. Ihre Gesichter erstarren zu Totenmasken und um ihre Köpfe bilden sich schwarze Pfützen. Menschenpuppen, deren Fäden ich durchtrennt habe.
Das Lied ist zu Ende.
Mit Koffer und Pistole kehre ich zum Wagen zurück.
***
Im Cafe sind unsere Stammplätze leer. Ich bestelle ein Bier und warte.
Nach einiger Zeit kommt Carsten durch die Tür.
„Wie geht’s denn so?“ frage ich.
„Könnte besser sein.“ Er setzt sich mir gegenüber.
Wir bleiben zu zweit. Peter ist krank und Gon hat irgendetwas mit einem Mädchen.
„Es gibt da so eine Sache“, sagt Carsten. „So eine Sache hinter der Grenze. Eine Gelegenheit für uns, verstehst du?“
„Das wird nichts. Nicht mit mir, tut mir sehr leid.“
„Bist du sicher?“
„Ganz sicher. Es wäre gegen die Regeln.“
„Ist das alles, was du dazu sagen kannst?“
„Das ist mehr als genug.“
„Du willst mir nicht helfen?“
„Auf keinen Fall.“
Carsten verlässt das Cafe ohne ein Abschiedswort. Durch das Fenster sehe ich ihn mit hängenden Schultern den Bürgersteig entlangschlurfen. Seine Enttäuschung drückt ihn nieder.
In dieser Stadt, wo das Banale schon vor langer Zeit die Macht übernommen hat, verrinnt unsere Lebenszeit. Mit jedem Tag kommt uns ein klein wenig mehr abhanden und in einer nicht allzu fernen Zukunft werden wir lediglich Hülsen sein, bar aller Ambitionen und Leidenschaft.
Lange beobachte ich die Straße, ohne sie zu sehen. Ich denke an die Grenze und an das, was dahinter auf uns warten mag.
danielc.schenkel@web.de
Guten Tag zusammen,
dies ist mein erster Beitrag für Leselupe, ein bisher unveröffentlichter Text. Ich hoffe, ich habe ihn im richtigen Forum gepostet. Falls nicht, einfach verschieben.
Die Grenze
Is it any wonder I can’t sleep?
Smashing Pumpkins
Wir treffen uns im Cafe. Carsten, Gon, Peter und ich.
Wir haben in diesen Tagen nur wenig zu tun und davon sind wir erschöpft; das Cafe mit seinen endlosen Nachmittagen und den immer gleichen Gesprächen ist unsere letzte Zuflucht.
Heute jedoch hat Carsten eine Idee. Er habe, behauptet er, eine Möglichkeit gefunden, dem ewigen Grau zu entfliehen.
„Einfache Sache, aber dabei könnte was rumkommen“, sagt er.
Was wir dafür tun müssen?
Wir müssen die Grenze überqueren, auf der anderen Seite etwas abholen und dieses Etwas in die Stadt bringen. Alles ganz einfach, wenn man Carsten glaubt.
„Klingt zweifelhaft“, sagt Peter.
Ich teile seine Bedenken. Es existieren Regeln, die jeder Stadtbewohner beachten muss; unausgesprochene und ungeschriebene und doch äußerst strenge Regeln.
„Ihr müsst euch keine Gedanken machen“, sagt Carsten. „Wir werden keinen Verstoß begehen, das versichere ich euch.“
Ich sehe aus dem Fenster, betrachte die Menschen auf der Straße. Sie tun Dinge, die mich nichts angehen und mich nicht interessieren, hier gibt es nichts für mich und für die anderen auch nicht. Möglicherweise ist dies unsere letzte Chance, dem Grau den Rücken zu kehren und sei es nur für kurze Zeit.
Also aus der Stadt.
Ein Auto mieten.
Über die Grenze fahren.
Bei Nacht.
Wenn das Scheinwerferlicht den Asphalt erhellt und die Büsche am Straßenrand nur Ahnungen sind. Wenn wir schweigend im Wagen sitzen, weil wir schon lange kleine Lust mehr zu reden haben und wenn die Stadt zu einer verschwommenen Erinnerung geworden ist, unwirklicher als jeder Schatten im Gehölz.
Carsten als Fahrer, Gon als Beifahrer, Peter und ich auf dem Rücksitz.
Hinter der Grenze wird der Radioempfang rasch schlechter. Bald fließt nur noch Knistern aus den Lautsprechern, Kurzwellenechos in dem Stimmen oder Musik bestenfalls zu erahnen sind.
„Versteht das jemand?“, fragt Peter. „Was soll das alles?“
Niemand antwortet ihm.
Die Abzweigung kommt so plötzlich, dass Carsten das Steuer herumreißen muss. Die ruckartige Bewegung schleudert mich zur Seite und ich ramme Peter meinen Ellenbogen in den Magen.
„Pass doch auf, verdammt noch mal.“
„Tut mir leid.“
Der Wagen hüpft über Schlaglöcher und das Scheinwerferlicht zittert. Bald erreichen wir einen quadratischen Betonbau ohne Fenster.
KALYPSO – MÄDCHEN UND MEHR
steht auf einem Neonschild über dem Eingang.
Unser Wagen ist der einzige auf dem Parkplatz.
Drinnen erwarten uns dämmrige Beleuchtung und so leise Musik, dass sich ihre Unverständlichkeit nicht vom Geflüster des Radios unterscheidet.
Stühle und schmale Tische stehen in Nischen. In der Raummitte erhebt sich eine Bühne mit einem Standmikrofon.
An der Bar lehnt ein Mann in einem dunklen Anzug; außer ihm und uns ist niemand hier.
„Warum sind keine Mädchen da?“ Gon klingt enttäuscht.
Der Anzugmann winkt uns zu sich.
„Schön Sie zu sehen. Ich hoffe, Sie hatten keine Schwierigkeiten herzukommen. Heutzutage kann man die Grenze ja nicht mehr so einfach überqueren.“
„Haben Sie heute geschlossen?“, will ich wissen.
Die Leblosigkeit des Raumes, der so offenkundig für eine große Menschenmenge ausgelegt ist, gibt mir ein ungutes Gefühl.
Der Anzugmann lächelt. „Sie missverstehen die Situation. Tatsächlich drängen sich heute Abend die Leute; sie steigen einander auf die Füße, so wenig Platz ist vorhanden. Die Sängerin auf der Bühne trägt ihr blondes Haar offen und ihr Lied, vorgetragen mit kristallklarer Stimme - ein bisschen traurig und dabei doch kraftvoll - rührt uns alle zu Tränen. Schweiß, Parfüm und Zigarettenqualm tränken die Luft. Man darf bei uns noch rauchen, müssen Sie wissen.“
Ich sehe mich um und immer noch sind wir alleine. Da ist keine Sängerin und da ist auch kein Lied.
„So ein Blödsinn.“
„Ganz wie Sie meinen.“
Der Anzugmann greift hinter die Theke und holt einen Koffer hervor.
Carsten nimmt ihn entgegen.
„Das ist alles, was Sie brauchen“, sagt der Anzugmann.
„Was ist da drin?“, fragt Peter. „Sie müssen uns wenigstens sagen, was da drin ist. Immerhin fahren wir damit in die Stadt zurück.“
Der Anzugmann lächelt wieder und schüttelt den Kopf. „Wie ich schon sagte, ist dies ein Missverständnis Ihrerseits. Aber das würde nun wirklich zu weit führen und die Nacht wird immer dunkler. Es wird besser sein, sie machen sich auf den Weg.“
Wir haben die Türschwelle gerade überschritten, als Gon stehen bleibt und die Augen aufreißt.
„Ich sehe es. Ich kann alles sehen.“ Seine Stimme klingt schrill und kippt über. Tränen laufen über seine Wangen. „Die Leute drängen sich. Sie stehen Schlange vor dem Eingang und sogar auf dem Parkplatz sind jede Menge Menschen. Ich kann auch die Sängerin auf der Bühne hören, sogar hier draußen kann ich sie hören. Sie singt wirklich wunderschön. Jetzt verstehe ich, warum die Zuhörer von so weit her kommen.
Ich will noch nicht gehen. Ich will abwarten, nur ein ganz klein wenig. Vielleicht singt sie ja noch ein weiteres Lied für uns, das wäre doch möglich.“
Wir steigen in den Wagen und Gon bleibt vor dem Eingang des Betonbaus zurück.
Ich winke ihm zum Abschied. Er erwidert meinen Gruß und scheint ganz alleine in der Nacht glücklich zu sein.
Wieder fahren wir über den Schlaglochweg. Wieder hüpft das Scheinwerferlicht über den Asphalt. Die scharfe Kurve, unsere Reifen quietschen und wir sind auf der Hauptstraße.
Carsten versucht erst gar nicht, das Radio in Gang zu bringen.
Peter rutscht vor unterdrückter Nervosität hin und her. „Ich will endlich wissen, was in dem Ding drin ist.“
Der Koffer steht zwischen Carstens Knien, gerade so balanciert, dass unserem Fahrer genug Platz bleibt, die Pedale zu bedienen.
„Wir dürfen ihn nicht öffnen“, sagt Carsten. „Das wäre ein schwerwiegender Verstoß.“
„Aber ich muss wissen, was da drin ist, verdammt noch mal.“
„Das können wir nicht machen“, sagt Carsten.
„Halt an. Halt sofort an.“ Peter spuckt vor Aufregung Speicheltröpfchen und eines trifft mich am Ohr.
„Wir halten jetzt nicht“, sagt Carsten.
„Halt an. Halt an oder ich flipp aus. Mir ist schlecht, verdammt. Halt an.“
„Also gut.“ Carsten fährt an den Straßenrand.
„Gib mir das Scheißding. Gib ´s mir.“
Peter greift zwischen Carstens Beinen hindurch und packt den Koffer. Bevor Carsten reagieren kann, reißt er die Wagentür auf. Er springt in die Nacht.
„Vollidiot. Trottel.“ Carsten hechtet ebenfalls hinaus. „Du brockst uns Riesenärger ein, du Trottel.“
Sie stürmen die Straße entlang, tolle Hunde, die einander jagen.
Ich bleibe sitzen, bis beider Silhouetten zu Schemen verschmolzen sind, dann verlasse auch ich den Wagen.
Carsten hat den Motor abgestellt. Als ich die Straße hinuntergehe, sind meine Schritte das einzige Geräusch.
Nach kurzem Weg treffe ich meine Begleiter wieder. Sie stehen sich gegenüber, wenig mehr als Scherenschnitte, statuenhaft stumm, der Koffer zwischen ihnen.
„Habt ihr genug?“, will ich wissen.
„Du missverstehst die Situation“, sagt Carsten.
„In diesem Raum drängen sich die Menschen“, sagt Peter.
„Da war überhaupt keiner.“ Ich schreie, so wütend bin ich. „In dem ganzen Laden war keiner und der Parkplatz war ebenfalls leer. Wenn jemand etwas anders behauptet, dann lügt er. Die Geschichte ist eine Lüge und zwar vom Anfang bis zum Ende.“
Peter schüttelt den Kopf. „Auch vor dem Eingang und auf dem Parkplatz sind Leute. Sie stehen Schlange, um hereinzukommen. Willst du das nicht sehen?“
„Hier darf man noch rauchen.“ Carsten zieht eine Schachtel aus seiner Jackentasche und zündet sich eine Zigarette an. „Wenigstens das musst du anerkennen.“
„Das Lied klingt wunderschön und es gibt stehenden Applaus“, sagt Peter. „Ich bin so froh, hergekommen zu sein und dieses Lied gehört zu haben.“
Ich bücke mich. Öffne den Koffer. Eine Pistole liegt darin, ihr Knauf liegt kalt in meiner Hand.
Carsten und Peter stürzen auf den Asphalt. Ihre Gesichter erstarren zu Totenmasken und um ihre Köpfe bilden sich schwarze Pfützen. Menschenpuppen, deren Fäden ich durchtrennt habe.
Das Lied ist zu Ende.
Mit Koffer und Pistole kehre ich zum Wagen zurück.
***
Im Cafe sind unsere Stammplätze leer. Ich bestelle ein Bier und warte.
Nach einiger Zeit kommt Carsten durch die Tür.
„Wie geht’s denn so?“ frage ich.
„Könnte besser sein.“ Er setzt sich mir gegenüber.
Wir bleiben zu zweit. Peter ist krank und Gon hat irgendetwas mit einem Mädchen.
„Es gibt da so eine Sache“, sagt Carsten. „So eine Sache hinter der Grenze. Eine Gelegenheit für uns, verstehst du?“
„Das wird nichts. Nicht mit mir, tut mir sehr leid.“
„Bist du sicher?“
„Ganz sicher. Es wäre gegen die Regeln.“
„Ist das alles, was du dazu sagen kannst?“
„Das ist mehr als genug.“
„Du willst mir nicht helfen?“
„Auf keinen Fall.“
Carsten verlässt das Cafe ohne ein Abschiedswort. Durch das Fenster sehe ich ihn mit hängenden Schultern den Bürgersteig entlangschlurfen. Seine Enttäuschung drückt ihn nieder.
In dieser Stadt, wo das Banale schon vor langer Zeit die Macht übernommen hat, verrinnt unsere Lebenszeit. Mit jedem Tag kommt uns ein klein wenig mehr abhanden und in einer nicht allzu fernen Zukunft werden wir lediglich Hülsen sein, bar aller Ambitionen und Leidenschaft.
Lange beobachte ich die Straße, ohne sie zu sehen. Ich denke an die Grenze und an das, was dahinter auf uns warten mag.