Die wahre Geschichte von Hänsel und Gretel

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Mystyxblue

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Es liegt schon einige Zeit zurück, dass diese traurige Geschichte sich in Nimmersdorf im Forst des Pächters, Jakobi mit Namen, zutrug, doch noch heute sprechen die Leute über die Plage, diese Landplage, die damals das ganze Land überkam wie einen bösen Fluch. Der Pächter nämlich hatte zwei Kinder, Hänsel und Gretel. Diese beiden waren böse Gestalten, belogen Eltern und Lehrer, stellten sich krank, schwänzten ihre Schule und lungerten stattdessen im Wald herum. Oft nahm auch der Vater die Kinder mit in den tiefen Wald, um sie ein wenig an Arbeit zu gewöhnen. Er achtete auch darauf, in Gegenden zu gehen, die den Kindern unbekannt waren, so dass sie nicht vor ihren Aufgaben fliehen konnten. Doch schon bevor der von Gicht geplagte alte Mann Beil und Axt kreisen ließ, waren die beiden schon auf Bäumen, in Höhlen oder robbend im hohen Gras verschwunden. Des Abends, wenn es schon lange dunkel war und die Eltern, müde von des Tages Werk aber auch voll Sorge um ihre Kinder in den Betten lagen, kamen sie heim. Sie folgten den Kieseln, die Hänsel auf dem Weg in den Wald am Morgen streute und deren Spur die Kinder im Mondlicht bequem folgen konnten. Die Eltern wussten nichts von dieser List, und so stimmten denn auch die Kinder regelmäßig ein furchtbares Lamento an, ihr Vater habe sie vernichten wollen usw. Der liebe Mann glaubte zu lange an das Gute in seinen Kindern und ahnte nicht einmal das wirkliche Ausmaß an Schlechtigkeit, die von seiner Brut Besitz genommen hatte. Ein Wunder, dass sie sich nicht irgendwann gegenseitig etwas angetan haben. Doch während sie sich untereinander recht wohl gesonnen waren, kamen sie mit allem was sonst noch lebte einfach nicht so besonders gut klar.
Hänsel hatte es sich zur Gewohnheit werden lassen die Kiesel zu scharfkantigen Steinen zu feilen, mit denen er im Wald um die Wette mit seiner etwas älteren Schwester Tauben bewarf. Die Katze des Nachbarn baumelte eines Morgens an einem Strick am Dachfirst, wobei es den Kindern gelang den Verdacht heimtückisch auf des Nachbars Sohn zu lenken.
Das Schicksal hat es so gewollt, dass auch eine arme alte Frau, die seit dem Tod ihrer Kinder, die allesamt beim Holz fällen erschlagen worden waren, zurückgezogen in einem abgelegenen Teil des Waldes lebte, vor einem Besuch von Hänsel und Gretel nicht verschont bleiben sollte...

Der Vater nahm die beiden wieder mit in den Wald. Hänsel und Gretel streuten dieses Mal aber statt Kieseln Brotkrumen auf den Weg. Und als es Abend wurde rief der Vater nach seinen Kindern, die wieder einmal im Wald untergetaucht waren. Da keine Antwort kam machte er sich auf den Weg nach Hause. Er wusste ja, dass sie irgendwie wieder nach hause kommen würden, so wie schon so viele Mal zuvor.
Hänsel und Gretel hörten die Rufe ihres Vaters, ignorierten sie aber wie immer. Als die Nacht hereinbrach und der Mond zwischen Wolken auftauchte, wollten sie sich auf den Weg nach Hause machen, doch sie konnten die Brotkrumen nicht mehr finden. Was sie nicht wissen konnten was, dass die Tauben, die sie immer wieder mit den scharfen Kieselsteinen traktiert hatten, die Brotkrumen aufgefressen hatten.
Hänsel und Gretel irrten nun schon stundenlang hilflos durch den Wald, die Kälte kroch an ihnen hoch und sie wurden langsam müde. Nur wenige Stunden und die Sonne würde schon wieder aufgehen. Schließlich aber entdeckten sie ein kleines Häuschen im Wald und sahen aus dessen Fenster ein schwaches Licht scheinen. Darauf gingen sie zu.
Das Haus war leicht verfallen, aber man konnte immer noch bunte Verzierungen an den Wänden ausmachen. Hänsel und Gretel lugten durch das Fenster und sahen eine alte Frau mit schneeweißen Haaren in einem Schaukelstuhl in der Ecke sitzen und stricken. Sie wussten, dass diese Eugenia Waldmann war. man redete im Dorf über sie und es hieß, dass sie nicht mehr ganz klar bei Verstand war, seit sie all ihre Söhne verloren hatte.
Hänsel und Gretel dachten bei sich, dass sie hier den tag ab-warten konnten und nebenbei noch einiges mitgehen lassen konnten. Sie klopften an die Tür und warteten einen Moment bis die Alte ihnen öffnete. Die beiden Kinder setzten eine Un-schuldsmiene auf und Gretel schluchzte: „Wir haben uns im Wald verirrt, bitte, helfen Sie uns!“
Eugenia machte ein mitleidsvolles Gesicht und sagte: „Ihr ar-men Kinder, wie konnte das nur passieren, kommt, setzt euch an mein Feuer und wärmt euch auf. Ich mache euch eine warme Hühnerbrühe. Kommt nur herein.“
Doch als die beiden ihre Türschwelle überschritten, lief Eugenia eine Gänsehaut über den Rücken. Sie spürte eine geheimnisvolle Macht in diesen beiden Kindern. Und es war keine gute Macht.
Eugenia bekam es mit der Angst zu tun. Eine böse Aura umgab diese beiden Kinder. Seit ihre Söhne gestorben waren, hatte sie immer wieder versucht Kontakt zu ihnen im Jenseits herzustellen, ohne Erfolg. Sie hatte sich seitdem intensiv mit der weißen Magie beschäftigt. Durch die Rituale, die sie durchführte, hatte sie ein Gespür für Gut und Böse entwickelt. Sie war sich sicher, dass die beiden von bösen Geistern besessen waren.
Sie musste die Kinder beschäftigen, bevor sie auf dumme Gedanken kommen würden. „Seht euch doch ein wenig um, Kinder. Ich mache euch nur schnell etwas zu essen.“
Hänsel und Gretel durchstreifen die Räumlichkeiten der Hütte und steckten ein, was ihnen wertvoll vorkam, während Eugenia rasch in einem buch, das sie vor Jahren in einem kleinen laden erstanden hatte, nach einem Ritual suchte um das Böse in den Kindern zu bannen. Schließlich fand sie einen, der die passende Wirkung haben könnte. Zusätzlich zu dem Spruch musste sie aber noch eine Tinktur herstellen. Ihr fiel aber sofort auf, dass sie nicht alle Zutaten im Haus hatte.
Sie durfte die beiden nicht wissen lassen, dass sie etwas ahnte, sonst würden sie ihr sicher etwas antun. Schließlich fand sie in einem anderen Buch einen Bannspruch, mit dem sie die Kinder solange festhalten konnte bis sie alle nötigen Zutaten zu-sammengesucht hatte. Sie wollte sie im hintersten Kämmerlein einsperren um sie davon abzuhalten noch mehr Böses zu tun.
Alles was sie für den Bannspruch brauchte war ein Pulver, ein Gemisch aus verschiedenen Kräutern, das sie glücklicherweise im Haus hatte. Sie beeilte sich es zu holen und präparierte den Raum entsprechend der Anweisungen in ihrem Buch. Sie streute das Pulver an den Wänden entlang, nur die Türschwelle sparte sie aus. Sobald die beiden erst einmal hier drin wären, würden sie die Barriere, die das Pulver bildete, nicht überschreiten können.
Eugenia lockte die beiden Kinder, nachdem sie sie gefunden hatte, in die Kammer unter dem Vorwand, das sie etwas zu Essen für sie vorbereitet hätte.
Sie ließ die beiden vor sich hineintreten, dann streute sie das restliche Pulver auf die Türschwelle um die Barriere zu schließen. Die Kinder spürten die Veränderung und versuchten aus dem Raum zu entkommen, doch es gelang ihnen nicht.
„Verflucht seiest du Alte. Du hast ja kein Vorstellung mit was für Mächten du dich anlegst. Eines schrecklichen Todes wirst du sterben, wenn du uns nicht gehen lässt. Aber vielleicht lassen wir uns besänftigen und verschonen dich, vorausgesetzt du machst den Zauber sofort rückgängig“, rief Hänsel und seine Augen begannen gelb zu leuchten.
Eugenia wich zurück. „Ich werde euch helfen, ich werde das Böse in euch auslöschen.“ Mit ängstlichem Gesicht schloss sie die Tür und eilte in den Wald um sich die Zutaten für die Tinktur zu besorgen, die sie nicht im Haus hatte, um den Kinder das Böse ein für allemal auszutreiben.

Hänsel und Gretel kochten vor Wut. Sie hatten schon vermutet, dass die Alte nicht ganz koscher war. Auf ihrem Streifzug durch das haus hatten sie viele Utensilien entdeckt, die in einem normalen Haushalt eigentlich nichts zu suchen hatten. Aber dass sie Ahnung von Magie hatte, damit hatten sie nicht gerechnet. Sie hätten auch nie gedacht, dass die Alte ihr wahres Gesicht erkennen würde. Sie mussten sich schnell etwas einfallen lassen um die Barriere zu durchbrechen. Sie erinnerten sich an eine Beschwörung mit der es ihnen vielleicht gelingen würde hier herauszukommen.
Sie setzten sich gegenüber auf den Boden, fassten sich bei den Händen und stimmen die Beschwörungsformel an, die in fremdartigen Worten über ihre Lippen kam. Die Luft um sie begann zu knistern und zu flimmern. Der Boden vibrierte und die Regale an den Wänden fingen bedrohlich an zu schwanken.
Das magische Pulver auf dem Boden begann zu glühen, dann fing es Feuer und verglühte in der Luft. Hänsel und Gretel hörten mit ihrer Beschwörung auf und ein bösartiges Grinsen erschien auf ihren Gesichtern. Beide wussten, was nun zu tun war. Die Alte wusste Bescheid, laufen lassen konnten sie sie nicht. Sie stellte eine Bedrohung für sie dar, zwar keine besonders bedeutungsvolle, aber dennoch eine Bedrohung.

Der Morgen graute schon langsam, und Eugenia hatte noch immer nicht alle Zutaten im Wald gefunden, der über eine reichhaltige Ansammlung von Kräutern verfügte. Sie musste sich beeilen. Eugenia wusste nicht wie mächtig das Böse in den Kindern war. Sie hatte große Angst, aber sie musste ihnen helfen.
Die Kinder hatten noch ihr ganzes Leben vor sich.
Und sie musste das Übel in ihnen ausmerzen.

Hänsel und Gretel liefen in der frühen Morgendämmerung los, sie hatten nun keine Probleme mehr sich zu orientieren. Sie hatten schon vor einigen Jahren von ihrem Vater erfahren, wo das Haus von Eugenia Waldmann stand. Nun war es kein Problem mehr, den Weg Heim zu finden.
Die beiden hatten einen furchtbaren Plan gefasst um der Alten ihre Unverschämtheit heimzuzahlen. Sie einfach zu beiseitigen hätte nicht genügend Stil. Sie hatten etwas viel Besseres mit ihr vor. Sie mussten ein Denkmal setzen. Eine Warnung für alle, die sie dem Bösen in den Weg stellen wollten.
Die beiden mussten ordentlich auf die Tränendrüse drücken, damit ihr Plan funktionieren sollte. Wer konnte schon weinenden Kindern etwas abschlagen. Aber zu Sicherheit wollten sie noch eine Verletzung simulieren, die Eugenia ihnen zugefügt haben sollte. Hänsel zückte sein Taschenmesser und schnitt Gretel in den Rücken. Nicht tief genug um sie ernsthaft zu verletzen, aber doch genug damit es richtig übel aussah.
Hänsel und Gretel liefen also weinend nach Hause und warfen sich ihrem Vater in die Arme, der voller Sorge schon früh aufgestanden war. Er drückte sie an sich, überglücklich sie wiederzusehen.
Gretel heulte furchtbar, so dass es ihrem Vater wohl das Herz zerreißen musste. Hänsel versuchte auch eine möglichst realistische Vorstellung abzuliefern. Geschüttelt von Wein-krämpfen erzählte er seinem Vater was passiert war.
„Es tut uns so leid, dass wir nicht auf dich gehört haben als du uns gerufen hast. Ich schöre dir so etwas wird nie wieder vorkommen. Wir sind die ganze Nacht durch den Wald geirrt. Dann kamen wir zu Hütte der alten Eugenia Waldmann. Sie ließ uns herein. Aber sie ist vollkommen wahnsinnig. Sie wollte uns umbringen. Sie wollte uns einem Dämon opfern, den sie anbetet. Sie ist vom Bösen besessen und praktiziert schwarze Magie. Wir konnten ihr mit knapper Not entkommen. Sie hat Gretel furchtbar verletzt. Sie wird uns alle auslöschen, sobald sie mächtig genug ist. Bitte, du musst sie aufhalten bevor sie uns alle umbringt. Sie weiß, dass wir allen davon erzählen würden und wird bestimmt herkommen, um ihr teuflisches Werk zu Ende zu bringen.“
Ihr Vater lauschte mit entsetztem Gesicht den Worten seines Sohnes. Er hatte Recht, es musste etwas unternommen werden, der Hexe musste Einhalt geboten werden. Er musste unbedingt die Dorfbewohner mobilisieren. Sie konnten das Böse in ihrer Mitte nicht dulden. „Mach dir keine Sorgen, mein Kind. Geh mit deiner Schwester zu eurer Mutter, sie soll Gretel versorgen, ich verspreche euch, Eugenia Waldmann wird niemandem mehr ein Leid zufügen!“
Er ging hinaus um allen von den Geschehnissen zu berichten.
Hänsel und Gretel sahen sich an und in ihren Augen war ein entsetzenderregender Ausdruck von Bösartigkeit und Mordlust zu sehen. Eugenia würde bezahlen. Niemand legte sich ungestraft mit ihnen an.
Die Hexe musste brennen.
Während Hänsel und Gretel ihrem Vater nachsahen, schloss sich Gretels Wunde auf wundersame Weise wieder.

Eugenia hatte inzwischen alle Zutaten zusammengesucht und machte sich auf den Weg zurück zu ihrer Hütte. Sie hatte Angst, sie war sich nicht sicher ob sie fähig war einen so komplizierten Zauber auszuführen. Wenn sie es schon nicht schaffte, ihre Söhne im Jenseits zu erreichen, wie sollte sie einen bösen Geist aus diesen Kindern vertreiben. Aber sie durfte nicht zweifeln, sie musste auf ihre Kräfte und die Vorsehung vertrauen. Gewannen die Guten nicht immer?
Kurz darauf gelangte sie zu ihrer Hütte und machte sich sofort daran einen Kessel mit Wasser aufzusetzen um die Tinktur herzustellen. Sie musste das Feuer im Ofen neu schüren, da es fast schon ausgegangen war.
Sie war zu lange fort gewesen.

Hänsel und Gretel aber gingen in ihr Zimmer und machten sich daran einen Bannspruch über das Dorf und seine Bewohner zu verhängen. Sie würden alles tun, was sie von ihnen verlangten. Und die Menschen waren so leicht zu kontrollieren.

Da es noch eine Weile dauern würde bis das Wasser kochte, würde sie noch einmal die Anleitung in ihrem Buch überprüfen. Sie würde nur eine Chance bekommen, wenn es soweit war. Sie glaubte keine Sekunde, dass die Kinder Gnade walten lassen würden, wenn sie versagte.
Sie ging die Zutatenliste und die Beschwörungsformel noch einmal durch, aber nein, sie hatte nichts vergessen.
Eugenia machte sich daran, die Kräuter und restlichen Zutaten in den Topf zu geben, als sie ein unangenehmes Gefühl beschlich. Sie wollte nachsehen ob der Zauber, der die Kinder in Schach hielt, immer noch seine volle Wirkung hatte. Eine Fehlfunktion der Barriere würde für sie wahrscheinlich furchtbare Folgen haben.
Sie eilte zu der Kammer und öffnete vorsichtig und ängstlich die Tür. Eugenia lugte durch den Spalt in den Raum. Ihr Gesicht wurde aschfahl und ihre Augen weiteten sich. Das Zimmer war leer. Der Bannspruch war mit dem Pulver verflogen und von den Kindern fehlte jede Spur. In Panik drehte sie sich um und erwartete fast die beiden vor sich stehen zu sehen. Aber der kleine Flur war leer.
Dann hörte sie sie. Zuerst leise und noch weit entfernt. Aber dann schon sehr viel lauter. Wütende Rufe und Schreie, die immer deutlicher wurden je näher sie kamen.
Eugenia rannte so schnell sie auf ihre alten Tage noch konnte zurück in die Küche und spähte aus dem Fenster. Vor ihrem haus erblickte sie dann die tobende Meute. Dutzende von Dorfbewohnern hatten sich dort versammelt und es wurden immer mehr. Sie waren mit Fackeln und Mistgabeln bewaffnet. Einige hatten Keulen dabei, die mit spitzen Nägeln bespickt waren. In den Augen der Menschen spiegelte sich pure Mordlust wieder.
Sie hatte nicht mehr viel Kontakt zu den Bewohnen von Nimmersdorf seit ihre Söhne gestorben waren, doch sie identi-fizierte den Anführer der Meute als den Pächter Jakobi, den Vater von Hänsel und Gretel. Sie hatten sich früher einmal nahe gestanden. Doch jetzt war ein fanatischer Blick in seinen Augen, der nicht mehr mit dem liebevollen und treusorgenden Menschen zu tun hatte als den sie ihn kannte.
Sie hörte die Rufe: „Verbrennt die Hexe!“ „In der Hölle soll sie schmoren!“ „Auf den Scheiterhaufen mit ihr!“
Ihr wurde fast schlagartig klar was sich abspielte. Die Kinder hatten das Dorf aufgewiegelt. Sie hatten sich irgendeine furcht-bare Geschichte ausgedacht. Und jetzt würde die Meute sie lynchen.
Sie würde niemandem mehr von ihren Erkenntnissen berichten können. Selbst wenn der wütende Mob ihr zuhören würde, sie würden ihren Beteuerungen nicht glauben, dass die Kinder vom Bösen besessen seien.
Dann schleuderte einer der Männer seine Fackel auf das Strohdach der Hütte, das sofort Feuer fing. Der Brand breitete sich in Windeseile aus und schon krochen die ersten Rauch-schwaden an der Decke entlang.
Eugenias Hütte hatte noch eine Hintertür. Sie schüttete in Windeseile die Tinktur, die inzwischen fertig war, um in eine kleine Ampulle und verließ ihr haus auf diesem Weg. Doch sie kam keine zehn Meter weit, da hatten sie sie schon entdeckt. Zwei der Dorfbewohner rannten auf sie zu und stießen Eugenia zu Boden.
Jakobi schrie: „Schaffen wir sie ins Dorf, wo sie auf dem Scheiterhaufen brennen soll!“
Eugenia war inzwischen zu schwach um sich zu wehren. Die Männer, die sie zu Boden gestoßen hatten, zerrten sie hinter sich her. Ein anderer verpasste ihr einen Schlag auf den Kopf, der ihr die Sinne raubte.

Als Eugenia langsam wieder erwachte, spürte sie Fesseln, die in ihr Fleisch schnitten. Sie stand aufrecht auf dem Dorfplatz, angebunden an einen Holzpfahl, der in die Erde getrieben worden war. Um sie herum waren Reisigbündel und Holzscheite, vermischt mit Stroh, aufgeschichtet worden.
Die Dorfbewohner hatten sich vor dem Scheiterhaufen ver-sammelt, Jakobi mit seiner Frau und seinen beiden Kindern, denen er die Hände auf die Schultern gelegt hatte, stand an erster Stelle.
Eugenia richtete sich mit flehenden Worten an die Men-schenmenge: „Seht ihr denn nicht das Böse? Ich wollte euch doch nur helfen. Diese Kinder tragen das Schlechte in die Welt. Spürt ihr es denn nicht?“
„Das einzig Böse hier bist du. Nie wieder wirst du unsere Kinder verletzen“, ertönte Jakobis Stimme.
Eugenia wurde klar, dass sie hier mit Vernunft nichts mehr erreichen konnte. „Ich werden euch alle in Frösche verwandeln, wenn ihr mich nicht gehen lasst. Hört ihr mich? Ich bin eine sehr mächtige Hexe.“ Sie glaubte, dass jeder die Angst in ihrer Stimme hören musste. Doch zu ihrer Überraschung ging ein furchtsames Raunen durch die Menge. Vereinzelt schien sie Stimmen zu hören, die sagten, dass das was sie taten falsch wäre.
Doch als Gretels weinerliches Stimmchen ertönte, wurde es schlagartig still. „Aber ihr habt es versprochen. Die böse Frau hat mir weh getan Vater. Du musst sie bestrafen!“
Tödliche Entschlossenheit machte sich auf Jakobis Gesicht breit. Er nahm die Fackel und warf sie auf eines der Strohbündel, das augenblicklich Feuer fing und alles um sich herum in Brand steckte.
Die Menschen sahen fasziniert zu, wie das Feuer flackerte und sich durch das Holz fraß. Und die Flammen spiegelten sich in ihren dogmatischen Augen wieder.
Eugenia versuchte verzweifelt die Fesseln zu lösen, doch sie schnitten nur noch tiefer in ihr runzliges Fleisch. Sie spürte die näher kommende Hitze und fühlte ihr Ende kommen. Sie wusste, dass sie nun nichts mehr tun konnte. Sie drang nicht zu den Menschen durch. Eugenia betete nur noch, dass ihr Tod schnell kommen möge.
Gnädigerweise verlor sie das Bewusstsein, bevor die Flammen sie erreichten und ihrem Leben auf entsetzliche Weise ein Ende bereiteten.
Viele der Dorfbewohner gingen fort, weil sie den Gestank des brennenden Fleisches nicht ertragen konnten. Und andere folgten ihnen. Bis nur noch Jakobi mit seiner Familie dastand und schließlich auch er sich zum gehen wandte. „Kommt Kinder, gehen wir Heim.“
Hänsel aber erwiderte: „Geh nur schon mit Mutter vor, wir kommen gleich nach.“ Jakobi zögerte kurz, ging dann aber doch.
Hänsel und Gretel nahmen sich bei den Händen und gingen näher an das Feuer heran. Sie sahen den verschmorten Leichnam der alten hexe. Ihre Schürze kohlte langsam vor sich hin. Und mit einem breiten Grinsen auf den Lippen genossen sie ihren Sieg.
Die kleine Ampulle mit der Tinktur aber, die Eugenia in ihre Schürze verborgen gehalten hatte, wurde durch das Feuer so weit erhitzt, dass sie schließlich förmlich explodierte. Die Tropfen, die nicht gleich durch die Hitze verdunsteten, trafen die beiden Kinder. Sie schrieen vor Schmerzen auf. Und wo die Tropfen ihre Haut berührten, bildeten sich schauderliche Blasen und für einen kurzen Augenblick konnte man ihr wahres Antlitz erkennen.
Durch den Schmerz verloren sie die Kontrolle über ihre äußere Erscheinung. Ihre blau-grün geschuppte Haut glitzerte im Schein des Feuers. Und ihre Augen hatten dieselbe Farbe wie die Flammen, die Eugenias Körper verzehrten. Doch schon Sekunden später waren die Kinder wieder Kinder. Und hätte ihr Vater sie so gesehen, wäre ihm vielleicht bewusst geworden, was für ein Brut er in seinem haus beherbergte. Doch das Schicksal wollte es anders.
Hänsel und Gretel hielten sich noch immer bei den Händen. Die Blasen bildeten sich in sekundenschnelle von selbst zurück. Ihre Haut war wieder so unversehrt wie vorher und die beiden sprangen fröhlich kichernd davon und säten weiter Übel und Verderben unter den Menschen.
Die Kunde vom Tod der „bösen Hexe“ aber breitete sich im ganzen Land aus. Und die aufgehetzten Menschen machten Jagd auf die vermeintlichen Geschöpfe der Dunkelheit und ließen sie einen qualvollen Tod auf dem Scheiterhaufen sterben.
 

MelP

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Hallo, Deine Geschichte hat mit sehr gut gefallen! Mal was ganz anderes! Leider nimmst Du manchmal Teile der Geschichte vorweg, das nimmt manchmal zu früh die Spannung raus. Aber sonst supi zu lesen.
Gruß
Mel
 



 
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