Drei Wünsche (gelöscht)

Vera-Lena

Mitglied
Liebe Julia,

in den Wiedergeburtslehren von Antroposophen tauchen solche Szenerien auf. Der Mensch bekommt sein zukünftiges Erdenleben gezeigt, alles was er erreichen kann, seine Tugenden zu entwickeln, Liebe, Güte, Weisheit, Wahrheit usw. Ihm wird gezeigt, welche Prüfungen er zu bestehen hat, damit er vorankommt.
Diese Bilder werden aber wieder gelöscht, so dass er, wenn es so weit ist, sich nur noch dunkel erinnert, dass das hier sein Schicksal ist und willig diesen schweren Weg einschlägt.

Schlägt er diesen Weg aus und hört auf die Einflüsterungen, die ihn sowieso immer umgeben, nämlich das Angenehme vorzuziehen, dann bekommt er im nächsten Leben dieselbe Prüfung wieder aufgeladen unter verschärften Bedingungen.

Das ist zB ein Grund, warum ein einzig aus edlen Motiven (wenn man weiß, dass man gefoltert werden wird und unter der Folter alles ausplaudern wird, was um vieler Menschen willen geheimbleiben sollte, jetzt nur mal als ein Beispiel) begangener Selbstmord für den Selbstmörder keine schlimmen Folgen hat, im Gegenteil.

Ist ein Mensch schon sehr weit entwickelt und hat auf der Erde nichts mehr gut zu machen, was er einmal verschuldet hatte, dann ist er gänzlich frei. Er kann im Jenseits verbleiben, kann aber auch sein Schicksal auf der Erde sich aus einer "Angebotspalette" auswählen. So weit die Antroposophen.

In Deinem Gedicht erfahren wir nur etwas über den Ausganganspunkt einer solchen Angelegenheit. Das Individuum darf sich drei Wünsche für sein Erdenleben auswählen. Diese werden es unbewusst leiten. Auch sie bedeuten den schwierigen Weg im Kontrast zu den Einflüsterungen, dass alles auch ganz einfach zu bekommen sei. Klar, wenn ich in ein Kaufhaus gehe und klaue mir das schönste aller Kleider und werde niemals erwischt, dann war das ganz einfach und ich werde es immer wieder ausprobieren. Aber da ist ja auch noch die mahnende Stimme in meinem Innern, die mir sagt, dass ich das besser nicht tun sollte.

Darauf wird das Individuum in Deinem Text angesprochen, bevor es in sein Erdenleben hinabgleitet.

Eigentlich sind wir ja wieder beim "Faust". Ich finde es aber interessant, dass es solche Themen per Comic zu kaufen gibt.

Das Thema hast Du in Deinem gereimten Werk glorios bewältigt.

Liebe Grüße
Vera-Lena
 

Leise Wege

Mitglied
Hi Julia,

das ist eins, das könnte man flott lesen, aber bei soviel Tiefsinn in der Thematik bevorzuge ich langsam und genüsslich. Einige Male war ich schon hier und nicht zum letzten Mal. Interessant, anschaulich, und doch viel Platz.
Gelungen!

Lieben Gruß
Moni
 

MarenS

Mitglied
Diese Gedanken passen. In schöne Worte gefasst, in gute Reime gesetzt. Tiefsinn gepaart mit Klang. Wunderschön!

Grüße von Maren
 
H

Heidrun D.

Gast
Liebe Julia,

die Analyse eines Gedichts nach formalen Kriterien interessiert mich persönlich nicht immer, weil mir das oft zu offensichtlich erscheint.

Hier möchte ich es aber gern (auszugsweise) einmal machen, weil sich anhand der Nomina der ganze Text gut erschließen lässt.

Zunächst: [red]Herr (mal) dem Menschenleben Sinn, Verstand, (drei Wünsche)[/red]

1. dummer Wunsch = [blue]Schnelles Wollen
Folgen: Erstarrung, niemals Befriedigung [/blue]

2. Wunsch = [blue]Überfluss
Folgen: unstillbarer Hunger, dunklen Mächten anheimfallen[/blue]

3. Wunsch = [blue]Geduld
Folgen: Traumerleben, Erdenglück, Erfüllung, Himmelreich[/blue]

Natürlich liegt noch vieles dazwischen (die Reimart ist ohnehin klar), aber das weißt du ja selbst am besten ;).

Zwischen den Zeilen sehe ich ein LyrI, dem sein Weg mühsam erscheint, geradezu grässlich, aber das dennoch sein Ziel nicht aus dem Auge verloren hat - das eben nur mit Geduld zu erreichen ist.

Insofern steht dieser Text für mich im direkten Anschluss an deinen letzten, klingt aber weitaus hoffnungsfroher. :)

Kritische Anmerkung: Ich hätte der Wunscherfüllung in der letzten Stophe durch eine [blue] größere [/blue]Häufung der Substantive (vielleicht wie von mir vorgeschlagen) zusätzliches Gewicht verliehen.

Liebe Grüße
Heidrun
 
H

Heidrun D.

Gast
In diesem Sinne finde ich noch etwas zu bemäkeln: Der Paukenschlag dominiert das Gedicht stark, sollte doch aber eigentlich von der finalen Glückseligkeit übertroffen werden oder? Irgendwie fehlt mir eine Steigerung ...

Mmmh.
 

presque_rien

Mitglied
Liebe Vera-Lena,

vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar! Was du schreibst ist echt superinteressant! Ich wusste doch, du würdest mich nicht im Stich lassen :). Ungebildet wie ich bin hatte ich tatsächlich noch nie von der Anthroposophie gehört - gefällt mir aber ganz gut, das Konzept... Das ist ein kleines Bisschen wie "Existentialismus light" - man hat die ganze Selbstbestimmung und -verwirklichung, muss aber dennoch nicht auf den Glauben an das Mythische verzichten ;). Sehr schön finde ich auch:
Ist ein Mensch schon sehr weit entwickelt und hat auf der Erde nichts mehr gut zu machen, was er einmal verschuldet hatte, dann ist er gänzlich frei. Er kann im Jenseits verbleiben, kann aber auch sein Schicksal auf der Erde sich aus einer "Angebotspalette" auswählen.
In diesem Manga "07-Ghost" wird ein Hauptcharakter, der sein menschendasein mit Bravour gemeistert hat, als schnuckeliger kleiner "Haus"-Drache wiedergeboren - obwohl er sich auch ein Menschenleben hätte aussuchen können. Aber er hat weise gewählt! :) Ich glaube, ich würde eine Katze wählen, wenn das im Angebot wäre...
Ich finde es aber interessant, dass es solche Themen per Comic zu kaufen gibt.
Genau deshalb liebe ich ja meine Mangas! Sie erschaffen ihre eigenen magischen Welten, beschäftigen sich darin aber mit den Grundfragen und -problemen des Lebens und der Philosophie. *wiedermalFanFahneschwenk* So sieht die Ganze Geschichte übrigens im Manga aus: http://www.mangafox.com/manga/07_ghost/c004/25.html Es fängt unten auf der Seite an und geht auf den nächsten drei Seiten weiter (einfach auf die Seite klicken um umzublättern). Im Manga wird die Geschichte einem Jungen - dem Protagonisten - von einem Priester erzählt, und die Bilder zeigen teilweise die Geschichte und teilweise die Umgebung, in der erzählt wird, nämlich den Innenhof eines Klosters samt Brunnen. Ist aber auf Englisch...

Ich habe mich sehr über dein Lob und die interessante Information gefreut! :)

Lg Julia
 

presque_rien

Mitglied
Liebe Moni, liebe Maren,

schön, dass euch diese Idee auch so gut gefallen hat wie mir! :) Und es tat echt gut, einfach mal eine Geschichte zu verreimen, ohne viel Schnickschnack. Ganz großen Dank für euer Lob!

Lg presque
 

presque_rien

Mitglied
Liebe Heidrun,

danke für diese ungewöhnliche Analyse! Sie erzählt eine ganz neue, auch sehr interessante Geschichte: Wenn man aufgefordert wird, sich etwas zu wünschen, wünscht man wahrscheinlich erstmal etwas, was man gerade im Moment begehrt. Verspürt man danach keine Befriedigung, wünscht man naheliegenderweise einen Überfluss in allen möglichen Dingen, und hofft, dadurch Befriedigung zu erreichen. Aber wenn selbst dies fehlschlägt, kann man nur noch loslassen und hoffen, dass mit der Zeit auch automatisch die Zufriedenheit kommt. Schön, dass meine Geschichte dich zu dieser Perspektive inspirierte, die mir auch sehr gefällt.
die Reimart ist ohnehin klar
Hää? :D (Bin ich zu doof?)
Insofern steht dieser Text für mich im direkten Anschluss an deinen letzten
Ich habe bei diesem Gedicht überhaupt nicht an meine anderen Texte gedacht und eigentlich nichts persönliches hineingelegt - aber andererseits hat mir die Geschichte wahrscheinlich nicht umsonst so gefallen...
Ich hätte der Wunscherfüllung in der letzten Stophe durch eine größere Häufung der Substantive (vielleicht wie von mir vorgeschlagen) zusätzliches Gewicht verliehen.
Hmm, hier muss ich dir leider widersprechen! Der Sinn der Geschichte ist ja gerade, dass das Glück nur dadurch erreicht werden kann, dass man einfach lebt und wach ist für seine inneren Stimmen - insofern passen Verben hier viel besser als Nomen: leben, wiederfinden, erfüllt, strahlen, schweben, erkannt! - Ein Resümee eines erfüllten Leben!
Der Paukenschlag dominiert das Gedicht stark, sollte doch aber eigentlich von der finalen Glückseligkeit übertroffen werden oder? Irgendwie fehlt mir eine Steigerung ...
Hmm... ich bin mir nicht sicher. Also zumindest mit den beiden Spiegelstrichen setzt die letzte Strophe ja Zeichen (im wahrsten Sinne des Wortes ;)). Ich weiß nicht, aber es geht ja auch gerade darum, dass das Geheimnis des Lebens, der "Immerschlüssel" (s. Mara), eben nicht etwas total ausgeflipptes und glorioses ist, kein Paukenschlag, sondern etwas Stilles, Leises ist. Aber ich muss noch drüber nachdenken..

Danke für deinen Kommentar!

Lg presque
 
H

Heidrun D.

Gast
Zu einem ordentlichen Kommentar gehört nun einmal die Würdigung / Berücksichtigung des formalen Aspektes. - Einer ausgebildeten Linguistin gegenüber ist mir dies aber eher peinlich ... :D , deswegen habe ich darauf verzichtet.

Wenigstens habe ich den Text nun noch einmal gelesen und dabei festgestellt, dass sich auch sehr schön der Gegensatz zwischen zwei Welten herauslesen lässt, einmal die äußere /reale und zum anderen die innere, vielleicht auch religiöse Welt. Die reale Welt erscheint wie ein Traum, das Jenseits hingegen als die eigentliche "Küste" (Novalis).

Nun will ich aber Ruhe geben :).

Liebe Grüße
Heidrun
 



 
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