Dreizehn und Siebzehn

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Dreizehn und Siebzehn

Der Junge lag im eiskalten Schnee. Er hatte nicht mehr die Kraft, sich noch weiter vorwärts zu ziehen. Der Wind heulte von den Bergen und warf dem Jungen schneidende Kälte ins Gesicht. Er wandte mühselig den Kopf und blickte den andern Jungen an, der neben ihm lag. Der hatte eine frische Narbe am Hals, wo ihn die Peitsche getroffen hatte. Die Peitsche rief unangenehme Erinnerungen in ihm wach. Es kam ihm vor, als wäre all das, was mit der Peitsche zusammenhing, schon seit einer Ewigkeit Vergangenheit. In Wirklichkeit waren es nicht mehr als ein paar Tage.
Ein paar Tage, die sie beide in der weißen Hölle der Berge verbracht hatten. Der Schnee nahm kein Ende und die Berge boten immer das gleiche schroffe, abweisende Bild. Jetzt würden sie also hier sterben. Sie hatten keinerlei Proviant. Wenn sie Durst hatten, aßen sie Schnee. Beide waren sie nicht unverletzt, einerseits waren da die Peitschenhieb auf ihren Rücken, zum anderen waren es all die kleinen Kratzer und Abschürfungen, die von zahlreichen Stürzen und Einbrüchen stammten. Irgendwie war es ein Wunder, dass ihre Zehen noch nicht erfroren waren.
Das war das einzige, was sie gehabt hatten. Warme Kleidung, vor allem feste Stiefel mit dickem Fell, die jetzt fest mit Schnee zugefroren waren. Die Sonne glitt zwischen den Wolken hervor und blendete den Jungen. Er hob eine Hand, mehr ein Reflex als eine bewußte Handlung. In den letzten Tagen war die Sonne ihr schlimmster Feind gewesen. Sie spiegelte sich im weißen Schnee und blendete so stark, dass sie beinahe schneeblind wurden.
Wage erinnerte sich der Junge noch an seinen Namen. Dreizehn hatten sie ihn gerufen. Der andere neben ihm hieß siebzehn. Woran er sich sonst noch erinnerte war Schmerz, Schmerz und Arbeit in einem engen, eiskalten Stollen der zu einer Mine gehörte, die man Sklaventod nannte. Nie war ein Sklave von dort lebend entkommen. Siebzehn und er waren die ersten. Sie hatten einen Wächter getötet. Sie hatten ihn mit einer Kette erwürgt, bevor er wieder zuschlagen konnte. Das würde ihnen wahrscheinlich niemand glauben. Sie glaubten es selbst kaum. Aber die Jahre in den Minen verliehen ihren Muskeln Kraft, selbst bei mangelnder Ernährung.
Dreizehn wollte nicht weiter. Er wollte einfach hier liegenbleiben, bis er sich ausgeruht hatte. Aber der Wolf hinderte ihn daran. Dreizehn erblickte den Wolf, als er den Kopf von Siebzehn weg wandte. Es war derselbe der sie schon lange verfolgte. Es war ein großes, grau- braunes Tier. Es lahmte auf dem linken Vorderbein. Deshalb konnte es nicht mit seinem Rudel auf Jagd gehen. Mit den beiden Jungen hatte es leichte Beute gewittert. Der Wolf verfolgte sie seit Tagen, in der Hoffnung auf eine schnelle Mahlzeit, sobald sie vor Erschöpfung zusammenbrachen.
Heute kam er näher als sonst. Bis auf fünf Schritte näherte er sich und beäugte die Jungen lange Zeit. Der Anblick setzte irgendwelche Kräfte frei, die Dreizehn eigentlich nicht mehr haben sollte. Er raffte sich auf und stieß siebzehn an. „Steh auf!“ Seine Stimme klang rauh und gar nicht mehr wie die Stimme eines Jungen in seinem Alter. Siebzehn ließ ein Murren hören, aber er erhob sich schwankend. Dreizehn reichte ihm den schweren Stock, den sie abwechselnd als Gehhilfe benutzten. Der Wolf zog sich wieder etwas zurück. Er würde in der Nähe bleiben und auf die nächste Chance warten.
Sie schleppten sich weiter, zwei Jungen inmitten der grausamen Berge. Am Anfang hatten sie sich noch Mut gemacht. Sie hatten sich gegenseitig davon überzeugt, dass sie Djiron erreichen würden, Djiron, die Stadt ihrer Träume. Jeder der unzähligen Sklaven Bellwars sehnte sich nach der Stadt jenseits der Zyrden, des Gebirgszuges, in dem sie jetzt gefangen waren. Der Stadtrat in Djiron hatte ein Gesetz erlassen, das Sklaverei verbot. Erreichten sie Djiron, waren sie endlich frei. Inzwischen wünschten sie sich fast wieder unter die Peitschen der brutalen Wächter.
An einem Abhang rutschten sie aus und landeten irgendwo weiter unten. Das Aufstehen fiel ihnen schwerer als je zuvor. Dreizehn hatte sich den Knöchel verstaucht. Zum Fluchen war er zu müde. Er schleppte sich weiter, benutzte den Stock als Hilfe, den er von Siebzehn zurückgefordert hatte. Jeder Schritt war eine Qual. Jeder Knochen tat ihnen im Leib weh und als sich die Wolken verdichteten und die Sonne sich dem Untergang zuneigte, lagen sie wieder im Schnee. Hoffnung war ihnen fremd geworden. In dieser Nacht würde der Wolf kommen. Sie wussten es beide.
Wieder waren es Dreizehns Sinne, die schärfer waren als die seines Kumpanen. Er roch Feuer. Wenn man in den Minen gearbeitet hatte, dann wusste man genau, wie Feuer riecht, Feuer aus weiter Ferne oder Feuer aus der Nähe. Dieses Feuer war nicht weit entfernt. Vielleicht eine Meile, schätzte Dreizehn. Das war eindeutig eine Meile zuviel. Noch einmal raffte er sich auf, schlug Siebzehn mehrfach in die Seite, bis der sich ebenfalls wieder erhob. „Feuer!“ sagte Dreizehn. Siebzehn nickte nur.
„Siehst du den Rauch?“ fragte er dann. Diesmal nickte Dreizehn. Der Hunger übermannte sie. Sie liefen weiter, in einem Tempo, das ihre Kräfte in Sekundenschnelle aufbrauchte. Das spielte jetzt keine Rolle mehr.
Dreizehn hatte sich verschätzt. Das Feuer war nicht einmal fünfhundert Schritte von ihnen entfernt. Es war in einer Felsmulde untergebracht. Es roch nach frischem Fleisch, das gebraten wurde. Die Jungen schlichen sich an. Am Feuer saßen mehrere rauhe Gestalten, dem Aussehen nach Kämpfer. Es waren nicht die Sklavenjäger, die zuerst hinter ihnen hergewesen waren. Die Krieger trugen Rüstungen unter den dicken, wärmenden Mänteln und Schwerter an ihren Gürteln. Ihre Pferde hatten sie etwas abseits angebunden. Soweit Dreizehn sehen konnte, befanden sich keine Wächter bei den Tieren.
Siebzehn und er waren sich einig, dass sie dort zuerst suchen sollten. Sie schlichen sich an die Pferde heran, die sie nicht durch Schnauben verrieten. Vorsichtig begann Dreizehn die Packtaschen nach etwas Essbarem zu durchsuchen.
Die beiden Jungen übersahen den Hund. Plötzlich stürzte sich etwas bellendes mit scharfen, spitzen Zähnen auf sie und binnen Sekunden waren auch die Krieger zur Stelle. Sie hielten die blanken Schwerter in den Händen. Rauhe Hände packten Siebzehn und Dreizehn und schleiften sie ans Feuer zu dem einen Kämpfer, der sitzen geblieben war. Allem Anschein nach führte er diese Gruppe an.
Das Feuer tat unglaublich weh, denn jeder Muskel im Körper der Jungen begann zu kribbeln, als sie die Wärme spürten. „Ihr seid schon eine Weile in der Nähe, richtig?“ fragte der Krieger am Feuer. Er trug ein Stirnband, auf das ein silberner Löwenkopf gestickt war. Zudem war sein Mantel schwarz und ebenfalls mit dem Emblem des Löwen verziert. Dreizehn nickte nur auf die Frage.
„Das sind Diebe!“ Die Stimme drang aus dem Rücken der Jungen. „Wir sollten sie im nächsten Ort der Garde ausliefern.“ Der Anführer winkte ab. „Wie alt seid ihr beiden?“ Die Jungen antworteten mit einem Achselzucken. „Wisst ihr wenigstens noch eure Namen?“ Dreizehn übernahm es, sie vorzustellen. „Ich heiße Dreizehn, Herr“, sagte er, „das ist Siebzehn.“ Die Krieger lachten rauh. Ihr Anführer nicht. „Das sind keine Namen, sondern Zahlen. Wie heißt ihr?“ „Wir wurden nie anders genannt, Herr“, flüsterte Siebzehn. Der Krieger zog eine Braue hoch. „Mein Name ist Darar‘Kart. Wohin wollt ihr beiden?“ Diesmal antwortete wieder Dreizehn. „Nach Djiron, Herr.“ „Soso. Nach Djiron.“
Darar’Kart erhob sich und kam auf die Jungen zu. Er betrachtete die Wunde an Siebzehns Hals und entdeckte dann an Dreizehns Arm den Ring, den die Sklaven trugen. „Ihr seid Sklaven?“ fragte er zögernd. Dreizehn wagte es nicht, zu lügen. „Ja, Herr“, gestand er betreten. Eisiges Schweigen umhüllte sie.
Darar’Kart traf schließlich eine Entscheidung. „Bringt ihnen Fleisch und Brot“, wies er seine Männer an. Während Dreizehn und Siebzehn gierig alles hinunterschlangen, was man ihnen reichte, dachte der Krieger nach. „Ich werde euch mitnehmen“, wandte er sich dann an die Jungen. „Aber nicht nach Djiron. Wir reisen nach Shirkah. Dort wird der Hohe Rat über euch entscheiden.“ Die Worte machten den Jungen gleichzeitig Angst und Hoffnung. Einerseits hatte nicht jeder Mensch auf Bellwar die Gelegenheit, in seinem Leben einmal die glanzvolle Wüstenstadt zu sehen, die Sitz des Hohen Rates war. Aber gerade diesen mussten die beiden Jungen fürchten, galt er doch als das höchste Gericht Bellwars. Die Krieger jedoch ließen ihnen keine Wahl.
Am nächsten Morgen brachen sie zeitig auf. Für Dreizehn und Siebzehn war es ein Aufbruch in ein neues Leben.
 
Ja, schon

Ja, das gehört zu einer längeren Erzählung, ich hab aber noch nicht weiter geschrieben. Es ist die Vorgeschichte zu meinem Roman "Dämonen des Steines", Dreizehn wird später Talon der Wolf, einer der Helden des Romans.
 
Also, bis ich die Geschichte weiterschreibe, kann es noch was dauern, im Moment arbeite ich an einem anderen Projekt. Aber vielleicht kann ich dich mit meinem Roman vertrösten, ein paar Kapitel davon standen schon mal in der Leselupe, er findet sich aber auch auf meiner HP http://www.anka-dei.de.vu
 
Siehst du! Ich bin nicht die einzige, die hier gerne 'ne Fortsätzung haben würde. Aber da ich mehr über dein "Projekt" weiß, bin ich vollkommen damit einverstanden, wenn du dich diesem zuerst widmest!! Gibt es auch einen Pfeil der Zeit, der einem unendlich viel davon verschafft?? So einen bräuchte ich nämlich mal!!
Bis dann,
Melani Raasch
 
Pfeil der Zeit?

Ne, ich glaub den gibts nicht. Obwohl bei den Pfeilen natürlich alles möglich und zugleich unmöglich ist. Aber das Projekt wird noch etwas dauern, was ich jetzt schon sagen kann: Es wird ein Mehrteiler. Rihkars Vermächtnis ist hier aber auch schon irgendwo zu finden!
 



 
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