Eduard Mörike

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Herr H.

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Er war von stiller, ja fast scheuer Art,
sensibel, schutzlos, leicht verletzbar, zart,
der Sehnsucht seiner Seele hingegeben
und wenig tauglich für das raue Leben.

Das Weltgetriebe kümmerte ihn kaum.
Viel lieber glitt er zwischen Tag und Traum,
wo sich die Sphären wundersam berühren
und das Gemüt bezaubern und verführen.

Dort webte er an einer Poesie
von stimmungsvollen Bildern, reinen Klängen,
von tiefen Mythen, seligen Gesängen,

wenn Nacht und Morgenfrühe sich verschwistern,
die Quellen rauschen und die Winde flüstern
und Orplid glänzt beim Kuss der Melodie.
 

wüstenrose

Mitglied
Hallo Herr H.,

seitdem ich dein Gedicht erstmals las, treibt es mich um, allerdings hatte ich die letzten Tage keine Gelegenheit mich näher damit zu befassen.
Bin kein Mörike-Experte, aber so manches von Mörike zieht mich in seinen Bann.
Mein ganz persönliches Mörike-Bild: In meiner Vorstellung liegt das Herausragende in einer übergroßen Sensibilität gepaart mit Pragmatismus und Bodenhaftung. Beispielhaft denke ich da an sein

"Gebet

Herr! schicke, was du willt,
Ein Liebes oder Leides;
Ich bin vergnügt, daß Beides
Aus Deinen Händen quillt.

Wollest mit Freuden
Und wollest mit Leiden
Mich nicht überschütten!
Doch in der Mitten
Liegt holdes Bescheiden."

In deinem Gedicht werden Mörike reihenweise die Attribute einer "zarten, eher weltfremden Künstlerseele" zugesprochen, war er nicht destotrotz auch ein sehr patenter, lebenspraktisch begabter Mensch?
Ich frage das mal so ein wenig provokant, es kann gut sein, dass du mehr über seine Biografie oder sein künstlerisches Wirken weißt als ich, gleichwohl habe ich bei der Mörike-Lektüre wiederholt geglaubt zu spüren: der hat Bodenhaftung, der klingt sehr irdisch, vernünftig. Als hätten lebenslange Sehnsucht und das harte Brot des Alltags sich auf einen Kompromiss geeinigt. Vielleicht war der Kompromiss fragil, allzu fragil, aber dass er nur so ein zarter Täumer war, so sehe ich ihn nicht.

"Septembermorgen

Im Nebel ruhet noch die Welt,
Noch träumen Wald und Wiesen:
Bald siehst du, wenn der Schleier fällt,
Den blauen Himmel unverstellt,
Herbstkräftig die gedämpfte Welt
In warmem Golde fließen."

Hier das unendlich Zarte, Feinsinnige, dort das Kräftige, Zupackende, Ungebremste - - - ich glaube, Mörike konnte beides, war in beidem zuhause.

Von daher würde ich es begrüßen, wenn dein Gedicht den Mörike als eine ambivalente Figur darstellen würde.

lg
wüstenrose
 

Herr H.

Mitglied
Hallo Wüstenrose,

vielen Dank für deine ausführliche Replik und den darin enthaltenten Denkanstoß. Für meine Mörike-Version habe ich mich auf Zeugnisse von Zeitgenossen und von Biographen bezogen. So schreibt sein Freund David Friedrich Strauß: "Mörike blendete deswegen nicht, weil er sich entzog. Von dem geheimnisvollen Brunnenstübchen, von dem am Tage künstlich verdunkelten und kerzenerleuchteten Gartenhause, wo er im Shakespeare lese, oder von Orplid, der Stadt der Götter ... gingen nur wunderliche Sagen im Volk." Hermann Hesse erwähnt Mörikes "manchmal bis zum Trostlosen gesteigerte Einsamkeit" und Marie Luise Kaschnitz spricht von M.s Stimme, "die bescheiden und abseits der Welt laut wurde." Die neuere Biographie von E. Kluckert stellt fest, dass M. sich nach einem reinen Poetenleben sehnte, in dem er "seine Stunden küssen" und "seine eigene Trauer umarmen" konnte. Und weiter schreibt Kluckert: "Eine Idylle hat dieser Mann selten gefunden, sein Leben war bis zum Tod ... oft genug melancholisch verdüstert und gefährdet: "Ein Irrsal kam in die Mondscheingärten."

Aus manchen Details lässt sich entnehmen, dass M. mit dem Leben kaum zurecht gekommen ist. Nicht nur, dass er am so bewegten Weltgeschehen des 19. Jahrhunderts so gut wie keinen Anteil nahm. Man denke darüber hinaus an sein Pfarramt, das ihm (und seiner Gemeinde) eine einzige Last war, bis er mit Ende 30 (!)sich auf eigenen Wunsch frühpensionieren ließ. Auch seine Ehe mit Margarethe war unglücklich, was nicht zuletzt daran lag, dass seine (von ihm weitaus mehr geliebte) Schwester Klara mit im Haus wohnte - ein von M. hergestellter, aber für alle Beteiligten kaum erträglicher Zustand, den der Dichter aus eigener Kraft nicht lösen konnte - seine Frau war es, die ihn schließlich verließ.
Solche Eindrücke waren es, die mich zu meinem M.-Sonett veranlassten. Dabei bin ich mir durchaus dessen bewusst, dass es ein subjektives Bild ist, das ich habe und vertrete; ein Bild aber auch, dass sich auf manche Quellen stützen kann.

LG von
Herrn H.
 

wüstenrose

Mitglied
Hallo Herr H.,

besten Dank für deine aufschlussreiche Antwort, die für mich spannend zu lesen war, da mich der Mörike - warum auch immer - ziemlich umtreibt. Gänzlich neu war mir z.B. der Hinweis auf die Wohn-Konstellation im Hause Mörike.
Unterm Strich hast du meine Neugierde geweckt, bei Gelegenheit intensiver auf Spurensuche zu gehen und sowohl mal wieder was von Mörike zu lesen als auch mich mit seiner Biografie zu beschäftigen. Ein Looser im Leben? Und seine Sprache? Die hat irgendwie was wunderbar schmallippiges und unpathetisches, genau das Gegenteil einer aufgeblasenen Sprache.

lg
wüstenrose
 



 
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