Ein anderes Weihnachten?

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- Ich möchte es anders machen, dieses Jahr, ich möchte es einfach anders machen.

- Wie anders hättest du es denn gerne?

- Aber müsste man denn nicht erstmal fragen, zu welchem Fall etwas anders gemacht werden soll? Das setzt doch voraus, dass es eine Art Ursprung gibt, also ein Wie-es-sonst-gemacht-wird.

Ja, ja unser kleiner Professor, ein Wie-es-sonst-gemacht-wird will er jetzt auch noch mit mir diskutieren. - Es soll eben anders sein als all die Jahre davor.

- Was soll eigentlich anders sein als all die Jahre davor?; diese verschlafene Stimme kam aus dem hintersten Winkel meines Bewußtseins, sie meldete sich immer erst zum Schluss, wenn ich schon mit den anderen beiden diskutierte.

- Weihnachten! Ich will Weihnachten dieses Jahr anders verbringen als sonst! Es muss doch anders möglich sein. Ich meine, will ich denn jedes Jahr so die angeblich schönste Zeit des Jahres verbringen?

- Ach so!; das klang sehr gelangweilt. - Wenn ich mich richtig erinnere, dann willst du das doch jedes Jahr anders machen als das davor. Und es scheitert doch jedes Jahr, ganz gleich, welche Vorschläge wir dir machen!

- Ich weiss!, zischte ich schärfer als gewollt zurück. - Vielleicht ist das Problem, dass es nie meine Ideen sind, dass ich eigentlich gar nicht weiss, was ich anders machen will. So wie du sagst, Micky, erstmal sollte ich wissen, ich selbst, wie weit ich gehen möchte. Schliesslich habt ihr zwar tolle Ideen, aber wer will schon allein zum Mond fahren an Heiligabend?

- Nun mal halb lang hier, Kleine, mal ganz vorsichtig. Du bist nicht alleine, wir kommen doch wie immer mit!; der Beschützer füllte in mir den ganzen Raum aus.

- Ach, so hab ich ´s doch gar nicht gemeint! Ihr seid immer gleich sofort persönlich betroffen. Natürlich kommt ihr mit, aber ich hab ja auch noch gar nicht gesagt, dass ich überhaupt irgendwohin möchte, bislang weiss ich doch nur, dass ich etwas anders machen will!; Ich spürte, wie sich der Beschützer langsam wieder zurückzog.

- Vielleicht; begann ich dann nachdenklich; vielleicht sollte ich tatsächlich erst das Wie-es-sonst-gemacht-wird erwägen.

Und ich tauchte durch die inzwischen vergangenen Weihnachten hindurch wie durch ein Wellenmeer; auf dem Wellenkamm immer wieder einen weiteren Heiligabend, 47 mal vom Wellental der Adventszeit über den Wellenkamm und abwärts durch die Feiertage bis zum nächsten Wellental. Ich gebe zu, das die ersten Wellen doch sehr seichte Wellen waren, an die ich mich kaum erinnern konnte, wenn auch der Professor neben mir über alles Buch führte. In der Kindheit war die Weihnachtszeit von Essen, Aufregung, Anspannung, Geschenken und langen Verwandtentagen geprägt; Jahr für Jahr der gleiche Ablauf, das gleiche Menü vor der gleich ablaufenden Bescherrung mit den gleichen Menschen - die Geschenke variierten unmerklich, die Erwartungen zu den Geschenken blieben allerdings auch gleich. Dann verändert sich das Wellenmuster; ich habe mit Freunden Weihnachten gefeiert. Das Bild war abwechslungsreich, drei mal davon sogar im Ausland, einmal davon in heisser Sonne und ganz undeutsch ohne Baum. Ja, ich war vogelfrei. Abgeschossen hat mich dann der Unfall meiner Eltern, da war Weihnachten wieder wie die vielen Male davor, ich pflegte sie bis zum Tode und spielte ihre Traditionen. Dann kam ein neues Wellenmuster, gleich einem Spiel, ich war allein mit meiner Tradition, die gleiche Musik, das gleiche Menü u der gleiche Ablauf; allerdings waren die Geschenke ohne Überraschung, denn ich hatte sie mir selbst gekauft, dafür war ich mit ihnen immer zufrieden und konnte auf die Dankbarkeitsbekundungen verzichten - das war mir ein Trost! Und nochmals ändert sich das Muster, da kamen sie, es war das 38. Wellental. Da war der Professor - er hatte sich zuerst gemeldet -, dann kam das Kind Mickey - so geschlechtlos wie ein Kind eben ist - und zuletzt folgte der Beschützer - er behauptete, er sei der erste gewesen, war aber immer schon schweigsam gewesen! Sie versprachen mir, dass ich nie wieder allein sein würde, und sie hatten Wort gehalten.
- Das war in dem Jahr als du in die Klinik gebracht wurdest. Steht im Protokoll.
- Ja, seit dem verbringe ich die Weihnachtszeit mit Euch hier in der Klinik ? immer gleich. Ich unterhalte mich mit Euch, während mir immerfort eine Injektion in den Arm geschossen wird, die meine Augen geschlossen hält. Wir singen zusammen Lieder, ihr macht mir Geschenke und ich mache Euch ebenfalls welche. Ihr versichert mir, dass ihr für mich da seit und ich versichere Euch, dass ich bei Euch bleibe. Die Wellenkämme sind flach und ruhig, ich liege im Meer und bin ganz ruhig und entspannt. Und dieses Jahr werde ich etwas ändern, aber was nur kann ich verändern.
Der Professor nahm eine ungewohnte Unruhe war, ich auch. Noch nie war ich unruhig gewesen, seid Mickey, Professor und der Beschützer bei mir waren, aber ich glaubte, dass etwas passierte. Ich war mir nicht sicher, was geschah, scheinbar geschah es mit mir und doch ausserhalb. Unsicherheit verbreitete sich. Jahrelang wollte ich etwas anders machen zu Weihnachten, ganz anders als die Jahre davor und nun, nun war ich dicht davor, etwas ganz anders als ... ja als was zu tun. Ich fühlte, ich war dicht davor.

- Jetzt weiss sie es ? endlich, sagte Mickey.
- Hat auch echt lange gedauert. Tschüss!, es klang wie aus weiter Ferne.

- Ja, das heisst dann wohl Abschied, stimmte der Beschützer zu.

- Anders als nichts!, rief ich, - Von Euch ab- und dem Leben zuwenden. Und ich fühlte wie ich langsam aus dem Nebel auftauchte, der mich umgeben hatte.

- Sie ist wach, sie ist wach! Sie ist aufgewacht!, mehrere Stimmen und viele unbekannte Gesichter überragten mein Gesicht, das Licht schmerzte in den Augen ... ich war wieder geboren!
 



 
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