Ein unidentifiziertes Flugobjekt über dem Dschungel - Teil 1

Haselblatt

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Hinweis: diese Erzählung erscheint in zwei Teilen; Fortsetzung folgt. Diese Zweiteilung ist bewusst so gewählt, weil man den zweiten Teil mit (zumindest geringem) zeitlichen Abstand zum ersten Teil lesen sollte!

»Juliet Tango – Iquitos Control. Melden Sie Ihre Position.«
Die Stimme des Sprechers der Bodenkontrolle ertönte blechern durch die Kopfhöhrer. Der Pilot im Kampfjet F-16 fixierte das Instrumentenpanel und las die Werte von Kompass und Höhenmesser ab.
»Iquitos Control. Position Echo, outbound neun-null Meilen Piura Airbase, fünftausendachthundert Fuß, Heading null-acht-fünf. Juliet Tango.«
»Drehen Sie rechts, Heading eins-zwo-acht, inbound Sierra Golf Oscar Vi-Ou-Ar, Freigabe siebentausend Fuß, rufen Sie Ihre Leitstelle Sartego Base, Radar Romeo Delta auf eins-eins-neun komma zwo.«
»Sierra Golf Oscar Vi-Ou-Ar, eins-zwo-acht inbound, siebentausend Fuß, rufe Romeo Delta, 119.2 – Juliet Tango«
Capitán Amilcar Gonzalves legte die F-16 in eine sanfte Rechtskurve und zog die Nase der Maschine danach steil nach oben. Seit knapp vier Minuten war er in der Luft. Ein Aufklärer der peruanischen Luftwaffe hatte kurz davor das Auftauchen eines verdächtigen Hubschraubers in der Nähe eines Landeplatzes in jenem Planquadrat des peruanischen Dschungels gemeldet, in dem die Kommandobasis von Julio Serrano vermutet wurde. Und dieser Julio Serrano war für die Militärs in Lima mehr als nur ein rotes Tuch. Er dirigierte seit Jahren eine der gefährlichsten und todesmutigsten Terrorzellen des ’Sendero Luminoso’ und hatte sich durch eine Reihe von Bombenanschlägen, bei denen Duzende Soldaten und auch einige Zivilisten ums Leben gekommen waren, einen schmutzigen Namen gemacht. Aus der Sicht der Junta war er ein Schwerverbrecher und auf Hinweise zu seiner Ergreifung war eine hohe Belohnung ausgesetzt.
Mag sein, dass Julio Serrano in der Tat nicht das Ebenbild eines ehrenwerten Bürgers war. Ein Menschenleben galt für ihn nicht viel. Er hasste aus tiefstem Herzen jeden Abkömmling der regierenden Militärjunta in Lima und hatte allen Yankees und ihren Kollaborateuren Tod und blutige Rache geschworen, nachdem ein Kommando der peruanischen Armee in seinem Dorf ein gigantisches Massaker angerichtet hatte, von dem auch seine Familie schwerstens betroffen worden war. Gemeinsam mit sechzig Bewohnern des Dorfes wurden der Vater, zwei von drei Brüdern und eine Schwester aus ihren Häusern getrieben und starben auf dem nahe gelegenen Ufer des Flusses Rio Maranón unter einer todbringenden Maschinengewehrsalve. Ihre Leichen trieben kilometerweit den Fluss hinab, die meisten wurden nie mehr gefunden. Julio selbst war zum Zeitpunkt des Überfalls in einem der Guerrillaverstecke im nahe gelegenen Bergland mit der Ausbildung von Nachwuchskämpfern beschäftigt und auf diese Weise, eigentlich durch Zufall, seiner Ermordung entgangen. Außer ihm hatten von seiner Familie nur die Mutter und die zweite Schwester überlebt, die es beide glücklicherweise geschafft hatten, sich beim Überfall der Soldaten in einem verborgenen Brunnengewölbe zu verstecken.

Im Peru der mittleren und späten achtziger Jahre war es fast unmöglich, kein Verbrecher zu sein, zumindest nicht aus der Sicht der Obrigkeit. Ausbeutung und Unterdrückung der unterprivilegierten Schichten waren von den jeweiligen Machthabern mit konsequenter Zielstrebigkeit bis zur Neige des Erträglichen betrieben worden. Eine Opposition im eigentlichen Sinn des Wortes gab es schon lang nicht mehr, denn jeder, der es wagte, gegen das gerade an der Macht befindliche Regime Worte oder Gedanken zu erheben, wurde umgehend als Terrorist verhaftet. Und da die Machthaber in dieser Zeit häufig wechselten, war es selbst für gut getarnte Wendehälse und Duckmäuser äußerst schwer, immer auf der richtigen Seite zu stehen. Ein einziges falsches Wort konnte aus einem Ehrenmann einen gesuchten Verbrecher machen. Und Verbrechern dieses speziellen Typs wurde nicht einmal ein kurzer, sondern überhaupt kein Prozess gemacht. Unter den Häftlingen beiderlei Geschlechts befanden sich Zeitungsherausgeber und Journalisten, Intellektuelle, Hochschulprofessoren, Lehrer und Priester, aber auch jede Menge ganz gewöhnlicher Leute – Arbeiter, Bauern, Studenten, selbst Jugendliche und Kinder. Die beim Verhör eines Verdächtigen angewandten Methoden ließen an Perversion und Grausigkeit keine Wünsche offen und wer die brutale Folter überlebt hatte, starb meist innerhalb kurzer Zeit an den Auswirkungen der unvorstellbaren Haftbedingungen.
Ein ähnliches Schicksal ereilte Gaetano ’Zorro’ Contraves, Betreiber eines illegalen Rundfunksenders und Cousin von Julio Serrano. Zorro heißt so viel wie Fuchs, und Contraves war in der Tat ein sehr schlauer Fuchs. Monatelang hatte er die Obrigkeit genarrt und war mit seinen Sendeanlagen immer um eine Nasenlänge schneller als die Milizsoldaten und der Nachrichtendienst der Militärs. Kaum hatten sie seine Fährte aufnehmen können, war der clevere Bursche mit seiner ’Stimme der Revolution’ schon wieder verschwunden und sendete sein kritisches und aufrührerisches Programm aus einem anderen Winkel der Großstadt Lima. Zu seiner Zeit war Gaetano Contraves so beliebt und populär, dass allein schon die Nennung seines Namens unter Strafe gestellt wurde. Aus diesem Grund hieß er im Volksmund einfach Zorro.
Seine Festnahme verdankte das Regime einem banalen Zufall. Contraves hatte seine Sendeanlage auf einem Lieferwagen mit perfekter Tarnung installiert und sendete auf einer Frequenz, bei der er Gartenzäune, Gittertore und freiliegende Telefonleitungen als Antenne verwenden konnte. Es war das einer der Gründe, weshalb die Peilung seines Senders auch für den technisch gut ausgerüsteten Geheimdienst äußerst schwierig und sehr ungenau war. Bei einem der zahllosen Standortwechsel reversierte er sein Vehikel unbedacht aus einer Garagenausfahrt auf eine dicht befahrene Hauptstraße und wurde von einem langsam vorbeifahrenden Lastwagen gerammt. Der Fahrer des Lastwagens hielt sofort an und versperrte damit Zorro die Ausfahrt. Die beiden Männer begannen zu streiten. Der eine, weil er für den erlittenen Schaden eine Entschädigung einstreifen wollte, der andere, weil er wusste, dass es an der Zeit war zu verschwinden und deshalb die an sich harmlose Angelegenheit nicht in angemessener Ruhe abhandeln konnte. Der Lastwagenfahrer brüllte wie ein Stier und wurde zuletzt auch noch handgreiflich. Zorro hatte angesichts der drohenden Gefahr keine Wahl, ergriff den unter seinem Sitz liegenden Wagenheber und schlug zwei-, dreimal heftig auf den Widersacher ein, der daraufhin blutüberströmt zu Boden ging. Zorro stürzte zum Führerhaus des Lastwagens und versuchte hastig, den Fluchtweg für sein Fahrzeug freizumachen, was ihm auch gelang.
Inzwischen aber hatten sich schon mehrere Passanten um die Szene geschart in der Meinung, der Lastwagenfahrer sei Opfer eines brutalen Raubüberfalls geworden. Als Zorro vom Lastwagen sprang und versuchte, mit seinem Fahrzeug das Weite zu suchen, wurde er von der wütenden Menge am Besteigen seines Wagens gehindert. Die Leute wussten natürlich nicht, wen sie vor sich hatten und was sie mit ihrem heldenhaften Einsatz - so bezeichneten es später die offiziellen Nachrichten - anzurichten im Begriff waren. Zorro erkannte, dass es um seine Haut ging und versuchte zu Fuß zu fliehen, kam aber nicht weit. Die schwer bewaffnete Miliz war Minuten später mit einem Hundetrupp zur Stelle und ergriff ihn nur wenige hundert Meter vom Ort des Geschehens.
Mehrere Tage und Nächte lang gellten die Schreie des Fuchses durch das Militärgefängnis von Lima. Nachdem aus ihm nichts Verwertbares mehr herauszupressen war, wurde seine geschundene Leiche fortgeschafft und über eine Klippe ins Meer gekippt.

Julio Serrano konnte den Verlust seines Cousins und Mitstreiters lange Zeit nicht verwinden und war von jetzt an auf fremde Hilfe von außen angewiesen. Er fand diese schließlich in der zwielichtigen Gestalt eines gewissen Carlito, dessen wirklichen Namen keiner kannte und von dem man nur wusste, dass er ganz fett im Drogengeschäft mitmischte. Carlito hatte weder mit Politik, noch mit den sonstigen terroristischen Machenschaften des ’Sendero Luminoso’ zu tun, konnte sich aber gut vorstellen, die zum Teil schwer bewaffneten und hoch motivierten Kämpfer der Guerilla für seine eigenen Zwecke bedarfsweise einzusetzen. Aus diesem Kalkül entwickelte sich zwischen beiden eine Interessensgemeinschaft mit gewaltiger krimineller Energie. Außerdem verfügte Carlito über ein Instrument, das dem Sendero ganz neue taktische Pforten öffnete: Er besaß mehrere hochseetaugliche Fischerboote und drei Hubschrauber, einer davon in einer Größe, mit dem man acht bis zehn Mann einschließlich leichter Bewaffnung transportieren konnte.
Julio Serrano hatte, nachdem er sich Carlitos Unterstützung sicher war, seine taktische Basis weit in den peruanischen Dschungel nahe der brasilianischen Grenze am Oberlauf des Amazonas verlegt. Dort waren er und seine Leute vor der Verfolgung durch die Armee so gut wie sicher und konnten in aller Ruhe ihre Aktionen planen und vorbereiten. Allerdings konnte Serrano nicht verhindern, dass der peruanische Geheimdienst über seine neuen Kumpane, ebenso wie über den Standort seiner Operationsbasis Kenntnis erhielt. Zumindest technisch waren die Militärs ihm bei weitem überlegen.
Anders gesagt: Serranos Feinde wussten sehr genau über seine Möglichkeiten Bescheid und warteten ungeduldig auf den Zeitpunkt, da ihm ein Fehler unterlaufen würde, um daraus jenen taktischen Vorteil zu erzielen, der ihnen die Möglichkeit gab, seine Kräfte zu zerschlagen und deren Aktivitäten endgültig zu unterbinden. Jedenfalls kannten die Commandantores in Lima die Lage seiner Basis mit einer Genauigkeit von etwa zweihundert Kilometern im Quadrat. Da das Gebiet in einem von außen völlig unzugänglichen Gelände lag, waren die dort versammelten Kräfte mit einer herkömmlichen Militäraktion nur mit einem unkalkulierbaren Risiko zu bekämpfen. Aus diesem Grund beschränkte man sich darauf, die Aktivitäten der Guerrilleros aus der Luft genau zu verfolgen und daraus die entsprechenden Schlüsse zu ziehen. Außerdem kannte man – und darüber war sich Serrano nicht im Klaren – die Type der von Carlito und ihm benützten Helikopter, insbesondere jenes einen, der zum Waffen- und Guerrillero-Transport geeignet war.

»Sartego Radar Base Romeo Delta. Squadron Alfa seven, Fighter one-six, Juliet Tango.«
»Juliet Tango, Romeo Delta. Kommen.«
»Position über Sartego Vi-Ou-Ar, siebentausend Fuß, Heading eins-zwo-acht. Erwarte Befehle. Juliet Tango.«
»Unidentifiziertes Flugobjekt, von Ihnen zwei Uhr, fünfundzwanzig Meilen, viertausend Fuß, Groundspeed eins sechs null Knoten, Heading null zwo fünf. Vermutlich Helikopter, Aufruf und Squak negativ. Versuchen Sie, Typ und Callsign zu eruieren. Nehmen Sie Heading null vier acht, Ihr Squak vier vier fünf acht. Romeo Delta.«
»Roger. Squak vier-vier-fünf-acht positiv. Nehme Kurs auf unbekanntes Ziel, Heading null-vier-acht, erbitte Radarführung. Juliet Tango.«
Gonzalves war einer der erfahrensten Piloten seiner Staffel und flog seit acht Jahren. Er hatte seine Ausbildung auf dem Abfangjäger in den USA in speziellen Trainingscamps in Pasadena und Tucson absolviert und beherrschte seine Maschine perfekt. Er wusste über die Bedeutung des Einsatzes genau Bescheid und fühlte sich als Jäger, der einer höchst prestigeträchtigen Beute auf der Fährte war. Er beschleunigte die F-16 auf siebenhundert Knoten, so dass er sein Ziel in knapp zweieinhalb Minuten erreicht haben musste. Kurz davor ließ er die Maschine auf viereinhalbtausend Fuß fallen und wartete auf die Meldung der Radarführung.
»Juliet Tango, Sie sollten Sichtkontakt zum Ziel haben. Zehn Uhr, drei Meilen. Können Sie das Objekt erkennen? Romeo Delta.«
»Ziel positiv. Helikopter, kann aber Typ nicht einwandfrei identifizieren. Werde näher anfliegen. Juliet Tango.«
Gonzalves drehte einen Looping, um die Maschine abzubremsen und drückte sie anschließend auf knapp über viertausend Fuß. An dieser Stelle des Landes entsprach dies einer Höhe von fünfhundert Metern über Grund. Der unbekannte Hubschrauber war etwa hundert Fuß unter und eine halbe Meile vor ihm. Die Sicht war nicht besonders gut, aber ausreichend.
»Romeo Delta. Unbekanntes Objekt ist eine Cherokee Charly eins-zwanzig, Callsign nicht lesbar, Farbe grau oder dunkelgrün. Juliet Tango.«
Auf dem Radarleitstand saß Teniente Pablo Batista, ein junger Offizier der peruanischen Luftwaffe. Hinter ihm Coronel Antonio Vargas, Kommandant des Aufklärungsgeschwaders, das über den betreffenden Sektor des Luftraums wachte. Vargas war ein glühender Feind des Sendero und aller linksradikalen Aktivisten des Landes.
»Das ist er!«, schrie Vargas. »Das ist er, endlich haben wir die Drecksau!«
Bisher haben wir nur die Information, dass da ein älterer Hubschrauber in der Luft ist, dachte Batista.
»Helikopter Cherokee C-120, unidentifiziert. Wie lauten Ihre Befehle, Coronel?«
Vargas blickte gespannt auf den Monitor des Radars.
»Der Jet soll noch näher ’ranfliegen. Wir wissen von Serrano und seinen Gangstern, dass ihr Helikopter gar kein und wenn, dann ein gefälschtes Kennzeichen hat. Außerdem ist auf der linken Seite vom Cockpit eines der Seitenfenster eingeschlagen. Geben Sie das dem Piloten der F-16 durch.«
»Juliet Tango. Versuchen Sie, das Callsign des Helikopters zu lesen. Falls negativ, können Sie vielleicht auffällige Besonderheiten oder Beschädigungen an der Maschine erkennen?«
Batista fasste sich bewusst vorsichtig, um dem Piloten nicht beeinflussende Worte in den Mund zu legen. Er wusste, dass Vargas ein hemmungsloser Hitzkopf war, der nur auf eine Gelegenheit wartete, um endlich am Himmel ein Feuerwerk zu inszenieren. Immerhin waren in diesem Helikopter Menschen, die möglicherweise zu Serrano und den Banditen des ’Sendero Luminoso’ in keiner Beziehung standen. Denn der Hubschrauber flog in einer Höhe, in der er von jeder der im Umkreis von vierhundert Meilen befindlichen Radarstationen mit Sicherheit verfolgt werden konnte. Ein Umstand, der eher nicht für kriminelle oder terroristische Absichten der Besatzung sprach.
»Romeo Delta. Nähere mich auf eine viertel Meile. Ziel ein Uhr, hundert Fuß unter mir. Callsign negativ. Keine besonderen Merkmale erkennbar. Juliet Tango.«
»Verdammt!« brüllte Vargas. »Sehen Sie genau hin, ist eines der linken Seitenfenster beschädigt?«
»Juliet Tango. Fällt Ihnen an der linken Seite des Cockpits etwas Besonderes auf?« Batista war leicht nervös.
Gonzalves zog die Maschine wieder zum Looping hoch und drehte, als er die Schleife durchgezogen hatte, in eine flache Linkskurve.
»Romeo Delta. Ich kann jetzt ein Callsign erkennen. November fünf-sieben-acht-acht Mike. Es ist nur auf der linken Seite lesbar. Könnte auch November fünf-eins-doppelacht oder fünf-eins-doppelnull lauten. Die Zeichen sind undeutlich und in dunkler Schrift. Juliet Tango.«
Luftfahrzeuge, deren Rufzeichen mit N beginnen, sind üblicherweise in den USA angemeldet und zugelassen. Teniente Batista war erleichtert.
»Coronel, wir haben es offensichtlich mit einer US-amerikanischen Maschine zu tun. Wie lauten Ihre Befehle, sollen wir die Aktion abbrechen?«
»Kommt gar nicht in Frage!«, donnerte Vargas. »Diese Dreckskerle haben sicher das Kennzeichen gefälscht. Ich will endlich wissen, ob das linke Seitenfenster beschädigt ist. Machen Sie schon, das wäre ein eindeutiger Hinweis.«
»Juliet Tango. Gibt es erkennbare Anzeichen einer Beschädigung auf der linken Seite des Cockpits?«
Gonzalves befand sich auf gleicher Länge mit dem Helikopter, knapp achtzig Fuß höher. Er beobachtete genau die linke Seite und entdeckte, dass eine der seitlich vom Cockpit befindlichen Scheiben geöffnet war.
»Romeo Delta. Beschädigung negativ, aber das Seitenfenster links hinter dem Piloten ist geöffnet, sonst keine Besonderheit. Juliet Tango.«
Vargas triumphierte: »Na also, wir haben den Richtigen.«
In diesem Moment kippte der Hubschrauber leicht nach rechts und ging in einen für Gonzalves deutlich erkennbaren Sinkflug über.
»Romeo Delta. Objekt dreht nach rechts ab und sinkt. Juliet Tango.«
»Er will abhauen!«, grölte Vargas. »Wahrscheinlich haben sie die F-16 entdeckt.« Und zu Batista:
»Wenn er unter dreitausendsiebenhundert Fuß geht, holt ihn runter.«
Batista schauderte, aber er gehorchte.
»Juliet Tango, Lenkwaffe vorbereiten zum Abschuss. Melden Sie, wenn Objekt unter dreitausendsiebenhundert Fuß sinkt. Romeo Delta«
Gonzalves löste die in der Mittelkonsole befindliche Lenkwaffenverriegelung, wählte auf dem Monitor die erste Rakete des unter der linken Tragfläche befindlichen äußeren Tripels und beobachtete das Display unterhalb des Computers der elektronischen Zieleinrichtung. Nach zwei Sekunden erschien die Meldung »Missile 4.1 unlocked«.
»Lenkwaffe klar zum Abschuss. Ziel auf drei-acht-null-null Fuß. Juliet Tango.«
Gonzalves drehte eine flache Spirale nach links und war wenige Sekunden später wieder einen knappen Kilometer hinter dem Helikopter, nahezu auf gleicher Höhe. Der Hubschrauber sank weiter.
»Ziel auf drei-sieben-fünf-null Fuß. Juliet Tango.«
Batista merkte, wie seine Hände zu schwitzen begannen. Er hatte noch nie in seinem Leben einen Abschuss befohlen und spürte instinktiv, dass die Entscheidung zu diesem Befehl, auch wenn er sie nicht zu verantworten hatte, falsch war. Immerhin wäre Vargas den Vorschriften nach verpflichtet gewesen, vor einem allfälligen Abschuss das vom Piloten des Abfangjägers durchgegebene Kennzeichen des Helikopters zumindest formal zu prüfen. Aber dieser Vorgang hätte längere Zeit in Anspruch genommen, währenddessen hätte der Helikopter, falls er wirklich mit den gesuchten Terroristen besetzt war, entkommen können. Eine F-16 ist unterhalb einer gewissen Höhe und Geschwindigkeit, zumal in dem hügeligen Gelände, nicht ohne Gefahr für Piloten und Gerät manövrierbar, der Hubschrauber hingegen schon.
In der Zwischenzeit hatten sich die Vorgänge um den Radarleitstand bei einem Großteil der Besatzung der Basis herumgesprochen und die Anzahl der Neugierigen hatte mittlerweile fast zwanzig Personen erreicht. Kein Einziger hätte es gewagt, das Geschehen mit eigenen Worten zu kommentieren oder gar Fragen an den Kommandanten zu stellen, aber am Gesichtsausdruck der Männer war sehr deutlich abzulesen, welcher Seite die Sympathie des einen und des anderen galt. Bei den Offizieren – meist Abkömmlinge privilegierter Familien – war deutlich zu spüren, dass sie den Standpunkt Vargas’ teilten, wonach der Abschuss der den Terroristen zugerechneten Maschine die einzig richtige Maßnahme wäre.
In den Gesichtern der niedrigeren Chargen spiegelte sich eher ein Ausdruck von Besorgnis. Sie wussten, dass Vargas seit langem auf eine Gelegenheit wartete, um im Kampf mit den Guerrilleros ein Exempel zu statuieren. Selbst wenn seine Entscheidung falsch und der Helikopter mit ganz harmlosen Zivilisten besetzt gewesen wäre, hätte er sich der Deckung durch seine Vorgesetzten absolut sicher sein können, weil der Kampf gegen mutmaßliche Marxisten und Drogendealer absolute Priorität vor geordneten rechtsstaatlichen Prinzipien hatte.
»Ziel auf drei-sieben-zwei-null Fuß. Juliet Tango.«
Vargas blickte höhnisch auf den Radarschirm. »Wartet nur, Ihr Hundesöhne, gleich fahrt Ihr zur Hölle. Höchste Zeit, dass dieses Ungeziefer endlich ausradiert wird.«
Batista versuchte Zeit zu schinden. »Coronel, er hat den Sinkflug verlangsamt. Sollten wir nicht doch noch das Kennzeichen mit den angemeldeten Flugplänen vergleichen lassen? Das dauert höchstens zehn Minuten.«
»Wozu denn?« Vargas stand mit gespreizten Beinen hinter Batista, die Hände in den Hosentaschen und grinste hämisch. »Damit die Saukerle abtauchen können? Nein – wenn er unter drei-sieben ist, geben Sie Feuer frei.« Und mit militärischem Nachdruck: »Das ist ein Befehl!«
Batista schwieg, auch die übrigen Anwesenden verhielten sich lautlos. Es vergingen knapp zwanzig Sekunden.
»Ziel auf drei-sechs-neun-null Fuß. Juliet Tango.«
Vargas, unbewegt und trocken: »Los, zeigen wir es ihnen. Feuer frei!«
Batista fügte sich in das Unvermeidliche. »Juliet Tango, Ziel zur Vernichtung freigegeben. Viel Glück.«
Capitán Gonzalves schluckte. Glück – wozu oder wobei? Brauchte man wirklich Glück, um mit einer infrarot-gesteuerten Rakete ein unbewaffnetes Flugzeug abzuschießen?
»Romeo Delta. Bitte um Wiederholung. Ziel zur Vernichtung freigegeben? Juliet Tango.«
»Positiv, Ziel zur Vernichtung freigegeben. Romeo Delta.«
Batista spürte, wie in ihm ein Gefühl von Angst aufstieg, obwohl er an einem sicherem Platz im Radarbunker saß. Er gehörte zu jenen, die an Gott glaubten. Er hatte Angst, Unrechtes zu tun und bat Gott, dass dieser ihm verzeihen möge. Er befand sich aber nicht in der Position, der Stimme seines Gewissens zu gehorchen, sondern der seines Vorgesetzten. »Vaya con dios«, flüsterte er und bewegte dabei kaum seine Lippen.
Gonzalves hob seinen Jet in eine Höhe von knapp fünfzig Fuß über jener des Ziels und wartete, bis sich der Punkt auf dem Monitor der Zieleinrichtung innerhalb eines quadratischen Rahmens erkennen ließ. Dann betätigte er auf dem Bordcomputer eine Taste mit der Aufschrift SEL. »Target selected«, meldete die Anzeige lapidar. Jetzt legte er die linke Hand an die beiden Gashebel und betätigte mit dem rechten Zeigefinger die Entriegelung und mit dem Daumen die Feuertaste auf dem Steuerknüppel.
Das Menschliche an Computern ist ihre Gewissenlosigkeit. »Missile 4.1 launched«, sagte das Display. Sofort gab er Vollgas, und während die Rakete, von einem hellgelben Feuerschweif getrieben, sich ihren todbringenden Weg ins Ziel bahnte, zog er den Jet in steilem Winkel empor, direkt dem Himmel entgegen.
 
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Haselblatt

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Herzlichen Dank, Et contra nubes, für die wohlwollende Beurteilung. Ich bin schon neugierig, wie der zweite Teil bei dir ankommt.
 



 
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