Gandalf der Bunte
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Ein wichtiger Anruf
Ein dezentes Klingeln weht durch die, eben noch still vor sich hin-dösende, Wohnung.
Rudi schreckt zusammen. Der schmale Schmöker, der ihm als Alibi für ein Nickerchen dienen durfte, entgleitet seinen Fingern und fällt beinahe träge zu Boden. Das Lesezeichen trudelt dienstbeflissen hinterdrein.
Einen völlig anderen Eindruck vermittelt dagegen Rudi. Er federt aus dem Lese-Sessel in die Höhe und hält, kaum auf den Socken stehend, bereits Ausschau nach dem Telefon. Seinem Gesichtsausdruck nach zu schließen, scheint er allerdings noch halbwegs in einem wirren Traum gefangen zu sein - oder fehlt ihm nur die Orientierung, in dem, von seiner Frau Ella, frisch um-geräumten Wohnzimmer? Er wirkt jedenfalls leicht nervös, erwartet er doch einen sehr wichtigen Anruf.
Zum zweiten Mal erklingt die vertraute Melodie. Er ist sich ziemlich sicher, diesen Klingelton benutzt im Normalfall das Festnetztelefon, um auf sich aufmerksam zu machen.
Fatalerweise bietet Rudis Wohnung einem ganzen Rudel freilaufender Telefone eine Heimstatt. Da tummeln sich die unterschiedlichsten Modelle und sondern teils recht exotische Klingeltöne ab. Rudi schickt einen suchenden Blick auf die Reise durch das Wohnzimmer. Sofort entdeckt er das erst jüngst angeschaffte Smartphone seiner Tochter, welches sich, traut vereint mit ihrem Vorgänger-Handy, auf dem gläsernen Couch-Tisch niedergelassen hat. Letzteres war allerdings zeitweilig verschollen. Selbst eine großmaßstäblich durchgeführte, tagelange, intensive Suche konnte damals seinen Verbleib nicht aufklären. Es schien sich, über Nacht, auf dem Wohnzimmertisch rückstands-los aufgelöst zu haben.
Rudi fragt sich seither, ob neben den Mini-Black-Holes, die sich vorwiegend in Damen-Handtaschen ansiedeln, auch so etwas wie Couch-Tisch-(Bermuda-) Dreiecke existieren könnten!
Kaum war jedoch das Smartphone gekauft, beliebte das Vorläufermodell, aus dem Limbus zurückzukehren und mitten auf dem Wohnzimmertisch wieder Gestalt anzunehmen.
Seine Frau Ella bringt es gleich auf drei Mobiltelefone. Zwei davon fristen ihr Dasein aus rein kostensenkenden Vertrags-Gründen, während Ellas drittes Handy, ein Erbstück von ihrer Mutter, als besonders schützenswert gilt!
Dazu gesellen sich noch Rudis Dienst-Handy und das Festnetz-Telefon, dieses, bequemerweise, in Mobilteilausführung.
Dabei handelt es sich um ein Telefon, das nur ausgesprochen selten aufzufinden ist, weil es sich an den unerwartetsten Orten, wie beispielsweise im Kühlschrank oder im Reitstiefel seiner Tochter, zu verstecken versteht und sich grundsätzlich erst dann wieder zeigt, wenn der Anrufer bereits aufgelegt hat.
Doch Rudi hat sich eine neue, Erfolg versprechende Methode ausgedacht, die da lautet:
Am Besten schließe fest die Augen, verlasse dich voll auf dein Gehör und folge dem Klingeln einfach zu seinem Ursprung! Das klappt wirklich erstaunlich gut.
Ein paar Klingelphasen später greift die, durch die Wohnung kreiselnde Ella, dann aber doch als Erste nach dem Apparat und nimmt das Gespräch entgegen. Ein humpelnder Rudi beschäftigt sich inzwischen damit, die Scherben der Glastisch-Platte zu entsorgen. Schließlich soll sich ja nicht noch jemand verletzen.
Er begreift aber auch wirklich nicht, warum die Möbel nicht an ihren angestammten Plätzen verbleiben. Oder leitet sich Möbel, linguistisch betrachtet, etwa von \"mobil\" ab, schließlich spricht man ja auch von \"Mobil\"- iar, oder?
Da Rudi auf einen wichtigen Anruf wartet, hakt er den Gedanken an mobile Tische ab und richtet stattdessen seine Aufmerksamkeit auf Ellas Gespräch. Einen Augenblick später zuckt ihm ein heftiger Schreck durch die Glieder, denn bei der Anruferin handelt es sich um eine von Ellas Freundinnen. Aber Moment! Das ist doch genau die Freundin, die sich in einer Stunde ohnehin zum Kaffee angedroht hat.
Rudi blickt nervös auf die Uhr, denn er erwartet - ungefähr jetzt - seinen dringenden Anruf.
Aus leidvoller Erfahrung weiß er, dass diese Frauen-Gespräche etwas „Reiterliches“ an sich haben. Und, genau wie befürchtet, schon werden den Sprechorganen die Zügel freigegeben und die Unterhaltung prescht davon. Im vollen Galopp geht es querfeldein, setzt über die Gräben von Kindererziehung und Schulnoten hinweg und schnaubt und wiehert freudig über den neuesten Nachbarschafts-Tratsch. Es ist die schiere Lust, sich auch über banalste Dinge auszutauschen. Wie teuer sind die Eier bei Edeka und wer wird Deutschlands neuer Superstar? Man trabt mitten durch die Ehekrise einer gemeinsamen Freundin und kaut, im Schritt, genüsslich Kuchenrezepte durch.
„Vielleicht sollten wir einen Frühstückstermin organisieren, damit wir einmal richtig quatschen und uns wirklich aussprechen können“, hört Rudi es, noch aus fünf Metern Entfernung, aus dem Telefon schallen.
Er schreitet, in Gedanken bei seinem Anruf, ungeduldig den Flur auf und ab!
\"Oh, nein!\", stöhnt er innerlich auf, denn jetzt kommt auch noch das Thema Gesundheit zur Sprache. Detailgetreu werden Symptom-Beschreibungen ausgetauscht. Doch damit nicht genug, stößt man unvermeidlich noch auf das Thema Migräne!
Den lauschenden Rudi beschleicht, stellvertretend für alle Männer, allmählich ein schlechtes Gewissen. Wie schrecklich leiden doch die Frauen, ohne dass ihre unempfindlichen Ehe-Klötze es auch nur, im Geringsten, bemerken. Männer sind etwa so sensibel wie Panzernashörner - falls dem Dickhäuter damit nicht sogar grob Unrecht getan wird! Da darf er jetzt wirklich nicht stören! Schon gar nicht wegen so einer belanglosen Kleinigkeit, wie einem Anruf!
Nun schwenkt das Gespräch auf das Frühstücks-Thema ein und bespricht es in allen denkbaren Variationen.
Rudi wartet immer noch auf einen ungeheuer dringenden Anruf!
Ella wird allerdings auch langsam unruhig, denn sie müsste noch einiges vorbereiten. In wenigen Minuten ist der Kaffee-Termin, mit eben dieser Freundin, anberaumt.
Den Hörer am Ohr demonstriert sie, pantomimisch, plappernde Zeichen mit der Hand.
Rudi rückt der Verzweiflung immer näher. Sein wahnsinnig wichtiger Anruf!
Ella führt inzwischen einen Leierkasten-Mann vor.
Rudi wird jetzt allmählich panisch!
Inzwischen schneidet Ella die verschiedensten Grimassen und führt, mit ihrem Zeigefinger, symbolisch einen Kehlkopfschnitt vor.
Und das Wunder geschieht! Die Freundin beendet das Gespräch pünktlich um 15°°. Jetzt sollte sie eigentlich zum Kaffeeklatsch eintreffen.
Da klingelt erneut das Telefon.
Rudi reißt, mit einem erleichterten Aufschrei, das Telefon ans Ohr und meldet sich mit, vor Erleichterung, zittriger Stimme!
„Ach, hallo, grüß dich Rudi, kannst du Ella bitte ausrichten, dass ich etwas später komme. Sie weiß ja wie viel ich um die Ohren habe. Dafür habe ich dann nach hinten Luft, da können wir uns endlich mal richtig ausquatschen. Oh, da fällt mir ein…. Könntest du mir Ella noch mal kurz geben? ...Rudi? ...Hörst du mich? ...Rudi! ...Haallooo...“!
Die Haustür fällt, mit einem endgültig klingenden Klappen, ins Schloss und das Telefon quäkt ins Leere. Rudi ist unterwegs zur nächstgelegenen Telefonzelle!
Als er 20 Minuten später, über defekte Telefonzellen und abgelaufene Telefonkarten fluchend, zurückkehrt, erwartet ihn Ella mit der Nachricht:
„Wo warst du denn bloß, da hat dreimal jemand angerufen, der dich unbedingt sprechen wollte!“
© by Gandalf d.B.
Ein dezentes Klingeln weht durch die, eben noch still vor sich hin-dösende, Wohnung.
Rudi schreckt zusammen. Der schmale Schmöker, der ihm als Alibi für ein Nickerchen dienen durfte, entgleitet seinen Fingern und fällt beinahe träge zu Boden. Das Lesezeichen trudelt dienstbeflissen hinterdrein.
Einen völlig anderen Eindruck vermittelt dagegen Rudi. Er federt aus dem Lese-Sessel in die Höhe und hält, kaum auf den Socken stehend, bereits Ausschau nach dem Telefon. Seinem Gesichtsausdruck nach zu schließen, scheint er allerdings noch halbwegs in einem wirren Traum gefangen zu sein - oder fehlt ihm nur die Orientierung, in dem, von seiner Frau Ella, frisch um-geräumten Wohnzimmer? Er wirkt jedenfalls leicht nervös, erwartet er doch einen sehr wichtigen Anruf.
Zum zweiten Mal erklingt die vertraute Melodie. Er ist sich ziemlich sicher, diesen Klingelton benutzt im Normalfall das Festnetztelefon, um auf sich aufmerksam zu machen.
Fatalerweise bietet Rudis Wohnung einem ganzen Rudel freilaufender Telefone eine Heimstatt. Da tummeln sich die unterschiedlichsten Modelle und sondern teils recht exotische Klingeltöne ab. Rudi schickt einen suchenden Blick auf die Reise durch das Wohnzimmer. Sofort entdeckt er das erst jüngst angeschaffte Smartphone seiner Tochter, welches sich, traut vereint mit ihrem Vorgänger-Handy, auf dem gläsernen Couch-Tisch niedergelassen hat. Letzteres war allerdings zeitweilig verschollen. Selbst eine großmaßstäblich durchgeführte, tagelange, intensive Suche konnte damals seinen Verbleib nicht aufklären. Es schien sich, über Nacht, auf dem Wohnzimmertisch rückstands-los aufgelöst zu haben.
Rudi fragt sich seither, ob neben den Mini-Black-Holes, die sich vorwiegend in Damen-Handtaschen ansiedeln, auch so etwas wie Couch-Tisch-(Bermuda-) Dreiecke existieren könnten!
Kaum war jedoch das Smartphone gekauft, beliebte das Vorläufermodell, aus dem Limbus zurückzukehren und mitten auf dem Wohnzimmertisch wieder Gestalt anzunehmen.
Seine Frau Ella bringt es gleich auf drei Mobiltelefone. Zwei davon fristen ihr Dasein aus rein kostensenkenden Vertrags-Gründen, während Ellas drittes Handy, ein Erbstück von ihrer Mutter, als besonders schützenswert gilt!
Dazu gesellen sich noch Rudis Dienst-Handy und das Festnetz-Telefon, dieses, bequemerweise, in Mobilteilausführung.
Dabei handelt es sich um ein Telefon, das nur ausgesprochen selten aufzufinden ist, weil es sich an den unerwartetsten Orten, wie beispielsweise im Kühlschrank oder im Reitstiefel seiner Tochter, zu verstecken versteht und sich grundsätzlich erst dann wieder zeigt, wenn der Anrufer bereits aufgelegt hat.
Doch Rudi hat sich eine neue, Erfolg versprechende Methode ausgedacht, die da lautet:
Am Besten schließe fest die Augen, verlasse dich voll auf dein Gehör und folge dem Klingeln einfach zu seinem Ursprung! Das klappt wirklich erstaunlich gut.
Ein paar Klingelphasen später greift die, durch die Wohnung kreiselnde Ella, dann aber doch als Erste nach dem Apparat und nimmt das Gespräch entgegen. Ein humpelnder Rudi beschäftigt sich inzwischen damit, die Scherben der Glastisch-Platte zu entsorgen. Schließlich soll sich ja nicht noch jemand verletzen.
Er begreift aber auch wirklich nicht, warum die Möbel nicht an ihren angestammten Plätzen verbleiben. Oder leitet sich Möbel, linguistisch betrachtet, etwa von \"mobil\" ab, schließlich spricht man ja auch von \"Mobil\"- iar, oder?
Da Rudi auf einen wichtigen Anruf wartet, hakt er den Gedanken an mobile Tische ab und richtet stattdessen seine Aufmerksamkeit auf Ellas Gespräch. Einen Augenblick später zuckt ihm ein heftiger Schreck durch die Glieder, denn bei der Anruferin handelt es sich um eine von Ellas Freundinnen. Aber Moment! Das ist doch genau die Freundin, die sich in einer Stunde ohnehin zum Kaffee angedroht hat.
Rudi blickt nervös auf die Uhr, denn er erwartet - ungefähr jetzt - seinen dringenden Anruf.
Aus leidvoller Erfahrung weiß er, dass diese Frauen-Gespräche etwas „Reiterliches“ an sich haben. Und, genau wie befürchtet, schon werden den Sprechorganen die Zügel freigegeben und die Unterhaltung prescht davon. Im vollen Galopp geht es querfeldein, setzt über die Gräben von Kindererziehung und Schulnoten hinweg und schnaubt und wiehert freudig über den neuesten Nachbarschafts-Tratsch. Es ist die schiere Lust, sich auch über banalste Dinge auszutauschen. Wie teuer sind die Eier bei Edeka und wer wird Deutschlands neuer Superstar? Man trabt mitten durch die Ehekrise einer gemeinsamen Freundin und kaut, im Schritt, genüsslich Kuchenrezepte durch.
„Vielleicht sollten wir einen Frühstückstermin organisieren, damit wir einmal richtig quatschen und uns wirklich aussprechen können“, hört Rudi es, noch aus fünf Metern Entfernung, aus dem Telefon schallen.
Er schreitet, in Gedanken bei seinem Anruf, ungeduldig den Flur auf und ab!
\"Oh, nein!\", stöhnt er innerlich auf, denn jetzt kommt auch noch das Thema Gesundheit zur Sprache. Detailgetreu werden Symptom-Beschreibungen ausgetauscht. Doch damit nicht genug, stößt man unvermeidlich noch auf das Thema Migräne!
Den lauschenden Rudi beschleicht, stellvertretend für alle Männer, allmählich ein schlechtes Gewissen. Wie schrecklich leiden doch die Frauen, ohne dass ihre unempfindlichen Ehe-Klötze es auch nur, im Geringsten, bemerken. Männer sind etwa so sensibel wie Panzernashörner - falls dem Dickhäuter damit nicht sogar grob Unrecht getan wird! Da darf er jetzt wirklich nicht stören! Schon gar nicht wegen so einer belanglosen Kleinigkeit, wie einem Anruf!
Nun schwenkt das Gespräch auf das Frühstücks-Thema ein und bespricht es in allen denkbaren Variationen.
Rudi wartet immer noch auf einen ungeheuer dringenden Anruf!
Ella wird allerdings auch langsam unruhig, denn sie müsste noch einiges vorbereiten. In wenigen Minuten ist der Kaffee-Termin, mit eben dieser Freundin, anberaumt.
Den Hörer am Ohr demonstriert sie, pantomimisch, plappernde Zeichen mit der Hand.
Rudi rückt der Verzweiflung immer näher. Sein wahnsinnig wichtiger Anruf!
Ella führt inzwischen einen Leierkasten-Mann vor.
Rudi wird jetzt allmählich panisch!
Inzwischen schneidet Ella die verschiedensten Grimassen und führt, mit ihrem Zeigefinger, symbolisch einen Kehlkopfschnitt vor.
Und das Wunder geschieht! Die Freundin beendet das Gespräch pünktlich um 15°°. Jetzt sollte sie eigentlich zum Kaffeeklatsch eintreffen.
Da klingelt erneut das Telefon.
Rudi reißt, mit einem erleichterten Aufschrei, das Telefon ans Ohr und meldet sich mit, vor Erleichterung, zittriger Stimme!
„Ach, hallo, grüß dich Rudi, kannst du Ella bitte ausrichten, dass ich etwas später komme. Sie weiß ja wie viel ich um die Ohren habe. Dafür habe ich dann nach hinten Luft, da können wir uns endlich mal richtig ausquatschen. Oh, da fällt mir ein…. Könntest du mir Ella noch mal kurz geben? ...Rudi? ...Hörst du mich? ...Rudi! ...Haallooo...“!
Die Haustür fällt, mit einem endgültig klingenden Klappen, ins Schloss und das Telefon quäkt ins Leere. Rudi ist unterwegs zur nächstgelegenen Telefonzelle!
Als er 20 Minuten später, über defekte Telefonzellen und abgelaufene Telefonkarten fluchend, zurückkehrt, erwartet ihn Ella mit der Nachricht:
„Wo warst du denn bloß, da hat dreimal jemand angerufen, der dich unbedingt sprechen wollte!“
© by Gandalf d.B.