Ich wurde von Außerirdischen entführt
Bim! Blirim! Birlebim! So klingelt das metallene Windspiel am Festerrahmen. Ich schlage unwillig die Augen auf. Dem Dämmerlicht zufolge ist es wohl so gegen sieben Uhr morgens. Es muß Morgen sein, denn als ich einschlief, war es draußen stockdunkel. Aber was, um Himmelswillen, habe ich für wirre Erinnerungen im Kopf? Sie sind so real, so ungeheuer real!
Eine Formation Aliens war zu mir ins Zimmer geschwebt. Sie waren zu einem ungleichschenkligen Dreieck angeordnet, zuoberst ein ganz kleiner, darunter zwei größere, dann drei noch größere und darunter vier ganz große. Sie kamen durch das offene Fenster wie ein bunter, flacher Papierdrachen, drehten sich elegant ins Zimmer hinein und nahmen nahe dem Fußboden dreidimensionale Gestalt an. Das Dreieck schrumpfte zusammen und es kristallisierten sich zwei Personen heraus. Die vorher in unregelmäßigen Flecken verteilten Farben – ockergelb, karminrot und blauschwarz – ließen sich jetzt leicht zuordnen. Blauschwarz war das langwallende Haar der Ankömmlinge, ockergelb ihre Haut und karminrot die sparsame Kleidung. Ihre langen Hälse erinnerten mich ein wenig an die Cardassianer. Sie waren dreieckig und gingen fließend in die Arme über.
Die beiden blinzelten mich belustigt an und fragten höflich, ob sie mich für eine kleine Weile mitnehmen dürften, um mir etwas zu zeigen und ob ich ihnen dann auch etwas zeigen würde. Ihre Gesichtszüge waren menschlich und schienen überaus harmlos, ja eher albern. Ich war überzeugt, daß ich sowieso nur träume – Menschen mit cardassianischen Hälsen! – so willigte ich ein. Sie nahmen mich in die Mitte und schon formierte sich oben geschildertes Dreieck und ich schwebte aus meinem Zimmer hinaus, über meine Heimatstadt hinweg und hoch in den Himmel hinauf. Eine liebliche Stimme säuselte mir zu: „Fürchte dich nicht, wenn dir jetzt gleich die Wahrnehmung schwindet, aber wenn wir den Kosmos durchqueren, sind wir nur Partikel. Das fügt sich zu Hause alles wieder zusammen, es kann dir nichts passieren.“
So war es auch. Als ich wieder etwas sehen konnte, erblickte ich einen kargen, sterilen Raum und vor mir etliche lustige Menschen unterschiedlichen Alters. Sie machten sich nicht über mich lustig, nein, sie freuten sich, daß ich bei ihnen war. Ein Lachen und Scherzen zog durch den Raum, wie ich es auf keiner Party je erlebte. Sie führten mich durch ihre Stadt und zeigten mir die Sehenswürdigkeiten. Mir wurde direkt schwindlig beim Anblick der Kunstwerke, die zu beschreiben hier zu viel Platz wegnehmen würde. Die Schar um mich her schien die Skulpturen zu verspotten, aber das beachtete ich nicht– sie waren im Schatten dieser Kulturdenkmäler aufgewachsen und bemerkten ihren Zauber nicht.
Sie führten mich immer weiter durch die endlose Stadt und labten mich mit Speisen und Getränken, von denen ich noch lange träumen werde und sie waren sehr liebenswürdig zu mir.
Aber als ich an einem Spiegel vorbeikam, erschrak ich. Jetzt hatte nämlich ich einen Cardassianer-Hals! Man erklärte mir, daß es sich um einen Apparat handelt, der die Atmung unterstützt und das Eindringen von Viren und Bakterien verhindert. Endlich erfuhr ich auch, daß ich mich noch immer auf der Erde befinde, allerdings im . . . verdammt, welches Jahrhundert war es doch gleich? Ist mir entfallen. Den Kosmos mussten wir durchqueren, weil es die Zeitmaschine nicht anders kann.
Nachdem wir viele Stunden durch die Stadt gezogen waren, lagerten wir an einem großen runden Platz, der geschmackvoll von Blumenbeeten umgeben war. In aller Pracht blühten hier Pflanzen, von denen ich kaum eine kannte. Es waren Neuzüchtungen, deren Blüten eine Farb- und Formvielfalt aufwiesen, vor denen selbst die Fantasie von Künstlern erblasst.
Mir schwirrte der Kopf von alledem, dennoch hatte ich viele Fragen. Als erstes: „Ist heute Sonntag?“ – „Warum?“ kam die gekicherte Gegenfrage. „Nun, weil ihr soviel Zeit für mich habt, ihr könnt doch nicht alle zusammen Urlaub haben.“ – „Nein, es sind Ferien!“ klang es vielstimmig wie ein Jubelton. Einer wollte wissen, was Urlaub ist. Ich erläuterte. Nun fragte er, was Arbeit ist. Das erklärte ihm rasch ein anderer: „Arbeit ist das, was die Computer tun.“
Na ja, Zukunftsmusik, dachte ich bei mir und fragte, warum sie alle rote Kleidung trugen. Die Antwort erstaunte mich: „Alle anderen Farben sind nur für die Natur und für die Künstler, Menschen tragen rot, weil sie innen auch rot sind. Außer, wenn sie ein Zeichen setzen wollen, dann kleiden sie sich entweder weiß oder schwarz. Aber das ist nur was für Pubertierende.“ Es klang abfällig, so wollte ich es genauer wissen: „Was geschieht denn, wenn so ein Jugendlicher sich weiß kleidet?“ – „Dann kommen andere Weißgekleidete und nehmen ihn mit.“ – „Und, kommt er wieder?“ – „Meistens nicht.“ – „Aber ihr erfahrt doch, wo er ist?“ – „Ja, die haben dann eine eigene Wohnung und suchen sich andere Freunde. Wir können dann nicht mehr richtig mit ihnen reden, die quatschen dann plötzlich ein Zeug zusammen, Junge, Junge.“ – „Ja, worüber reden die denn?“ bohrte ich. „Über Quanten und Pulsare, über ausgestorbene Tiere und Leute, über Chemiezeug und so n Quatsch. Ich glaube, davon hast du überhaupt noch nichts gehört, oder?“ Ich verzog das Gesicht.
Ein unangenehmes Gefühl beschlich mich. Werden in der Zukunft die Menschen etwa nach Farbe, Geruch und Geschmack sortiert? Na hoffentlich nicht!
Ich hatte gesehen, daß die Leute alles bekamen, was sie haben wollten. Jegliche Speisen und Getränke kamen auf Anfrage aus den an jeder Hausecke befindlichen Automaten. Einer hatte sich sein Gewand bekleckert, schob es unten in den Automaten und bekam sofort ein gleiches, sauberes Kleidungsstück zurück. Keiner bezahlte in irgendeiner Form.
Als zwei ältere Männer überhaupt nicht wieder aufhören wollten mit Lachen, glaubte ich, sie hätten Alkohol getrunken. Ich fragte: „Gibt es hier Alkohol?“ Alle blickten mich erstaunt an. Einer fragte zurück: „Was solln wir holen?“ Ich sagte noch einmal „Alkohol.“ Da verzog einer angewidert sein Gesicht und sagte: „Ach nein, mit Chemie befassen wir uns nicht, höchstens in der Schule. Brauchst du das Zeug jetzt wirklich?“ Ich winkte lachend ab. Dann wollte ich wissen: „Was macht ihr denn, wenn keine Ferien sind?“ – „Na, da gehen wir in die Schule, du Dummerchen!“ lachte eine hübsche junge Frau. Sie hatte zwei kleine Kinder an der Hand. „Und wo lässt du deine beiden Kleinen?“ – „Die kommen mit, die gehen in eine andere Klasse.“ Nun musste ich lachen: „Da könnte es wohl auch mal passieren, daß Mutter und Kind in derselben Klasse sitzen?“ – „Da gibt’s gar nischt zu lachen, das kommt öfter vor, als du denkst. Ist doch in Ordnung!“ fauchte ein bulliger junger Mann, offenbar der Vater und Klassenkamerad der Kinder. Ich hob die Hände: „Nunu, es war nicht so gemeint!“ Aber mein feiger Rückzug war gar nicht nötig. Der Papa schmuste mit seinen Kindern und schien sich für seinen Ausbruch zu schämen. Im Nu war alles vergessen, es wurde gelacht und gescherzt wie zuvor. Selbst die ältesten in der Runde erzählten, was für Unsinn sie kürzlich in der Schule verzapft hatten. Ich verwunderte mich laut darüber, daß sie so lange zur Schule gehen müssen. Stolz berichteten sie, daß in der Zeit, wo wir uns jetzt befinden, wirklich jeder eine reelle Chance bekommt, die Schule mit allem drum und dran zu schaffen, und wenn es noch so lange dauert. Das Abschlussdiplom bekommt man nur, wenn man alle Prüfungen bestanden hat.
Nun wollte ich wissen, was denn der Lehrer dazu sagt, wenn sie während des Unterrichts Unfug treiben? Einer staunte: „Lehrer?“ und ich erfuhr, daß per Computer unterrichtet wurde. Wer Unfug treiben möchte, wird höchstens von Mitschülern ermahnt, die sich gestört fühlten.
Endlich kamen sie zur Sache und wollten, daß ich mein Versprechen einhalte und ihnen etwas zeige. Ganz langsam tastete sich einer der beiden, die mich geholt hatten, vor: „Zu deiner Zeit wurde doch gerade darüber befunden, ob es vertretbar ist, Menschen zu manipulieren. An den Genen, meine ich. Wir sind manipuliert. Alle. Ja, alle Menschen, nicht nur die, die du hier siehst.“ Ich fuhr entsetzt zurück. Dann überlegte ich, inwiefern diese Personen wohl manipuliert sein könnten? Unkontrolliert entwich meinem Munde: „Aber ihr seid doch ganz normal, was unterscheidet euch denn von den anderen Menschen?“ Sie drucksten herum und endlich sagte einer: „Wir bekommen keinen Kontakt zu denen mit den eigenen Wohnungen. Wir wohnen einfach nur in der Stadt, wie es gerade kommt. Wir erreichen nichts, weder als Künstler, noch sonst was. Wir möchten gern auch einmal etwas für die Menschheit tun, genauso wie die Wissenschaftler. Wir sind nicht blöd. Wir haben solange alle Hebel in Bewegung gesetzt, bis man uns gestattete, dich zu holen und uns mit dir zu unterhalten.“ – „Ja, aber inwiefern seid ihr genmanipuliert?“ – „Sie haben etwas entfernt, das die Menschen befähigte, Gewalt anzuwenden. Jetzt weiß keiner mehr, was Gewalt ist. Du weißt es noch, du bist nicht manipuliert. Zeig es uns! Es gab eine Zeit, wo sich die Wissenschaftler über jeden Saurierknochen freuten, jetzt möchten wir etwas aus unserer Vergangenheit ausbuddeln.“ Ich wurde abwechselnd rot und blaß und wusste nicht, was ich sagen sollte und stotterte händeringend: „Aber eine Welt ohne Gewalt, das ist doch der Himmel auf Erden!“ Sie erkannten bald, daß ich ihnen nicht zeigen werde, was Gewalt ist und sogleich formierte sich das Flugdreieck und brachte mich in meine Zeit und in mein Zimmer zurück. Der Kleinste an der Spitze blinzelte mir zum Abschied schelmisch zu – da wusste ich, daß mir mein Versagen verziehen ward - und ich sehe noch immer all die freundlichen braunen, blauen, grauen und schwarzen Augen vor mir, höre das fröhliche Lachen und die angenehme Musik, die über der ganzen Stadt lag . . .
Bim, brlibim, bilbrilim, birbilim tönt das Windspiel. Komm, Marion, wisch den Schlafsand aus den Augen und tritt in den Tag!
Bim! Blirim! Birlebim! So klingelt das metallene Windspiel am Festerrahmen. Ich schlage unwillig die Augen auf. Dem Dämmerlicht zufolge ist es wohl so gegen sieben Uhr morgens. Es muß Morgen sein, denn als ich einschlief, war es draußen stockdunkel. Aber was, um Himmelswillen, habe ich für wirre Erinnerungen im Kopf? Sie sind so real, so ungeheuer real!
Eine Formation Aliens war zu mir ins Zimmer geschwebt. Sie waren zu einem ungleichschenkligen Dreieck angeordnet, zuoberst ein ganz kleiner, darunter zwei größere, dann drei noch größere und darunter vier ganz große. Sie kamen durch das offene Fenster wie ein bunter, flacher Papierdrachen, drehten sich elegant ins Zimmer hinein und nahmen nahe dem Fußboden dreidimensionale Gestalt an. Das Dreieck schrumpfte zusammen und es kristallisierten sich zwei Personen heraus. Die vorher in unregelmäßigen Flecken verteilten Farben – ockergelb, karminrot und blauschwarz – ließen sich jetzt leicht zuordnen. Blauschwarz war das langwallende Haar der Ankömmlinge, ockergelb ihre Haut und karminrot die sparsame Kleidung. Ihre langen Hälse erinnerten mich ein wenig an die Cardassianer. Sie waren dreieckig und gingen fließend in die Arme über.
Die beiden blinzelten mich belustigt an und fragten höflich, ob sie mich für eine kleine Weile mitnehmen dürften, um mir etwas zu zeigen und ob ich ihnen dann auch etwas zeigen würde. Ihre Gesichtszüge waren menschlich und schienen überaus harmlos, ja eher albern. Ich war überzeugt, daß ich sowieso nur träume – Menschen mit cardassianischen Hälsen! – so willigte ich ein. Sie nahmen mich in die Mitte und schon formierte sich oben geschildertes Dreieck und ich schwebte aus meinem Zimmer hinaus, über meine Heimatstadt hinweg und hoch in den Himmel hinauf. Eine liebliche Stimme säuselte mir zu: „Fürchte dich nicht, wenn dir jetzt gleich die Wahrnehmung schwindet, aber wenn wir den Kosmos durchqueren, sind wir nur Partikel. Das fügt sich zu Hause alles wieder zusammen, es kann dir nichts passieren.“
So war es auch. Als ich wieder etwas sehen konnte, erblickte ich einen kargen, sterilen Raum und vor mir etliche lustige Menschen unterschiedlichen Alters. Sie machten sich nicht über mich lustig, nein, sie freuten sich, daß ich bei ihnen war. Ein Lachen und Scherzen zog durch den Raum, wie ich es auf keiner Party je erlebte. Sie führten mich durch ihre Stadt und zeigten mir die Sehenswürdigkeiten. Mir wurde direkt schwindlig beim Anblick der Kunstwerke, die zu beschreiben hier zu viel Platz wegnehmen würde. Die Schar um mich her schien die Skulpturen zu verspotten, aber das beachtete ich nicht– sie waren im Schatten dieser Kulturdenkmäler aufgewachsen und bemerkten ihren Zauber nicht.
Sie führten mich immer weiter durch die endlose Stadt und labten mich mit Speisen und Getränken, von denen ich noch lange träumen werde und sie waren sehr liebenswürdig zu mir.
Aber als ich an einem Spiegel vorbeikam, erschrak ich. Jetzt hatte nämlich ich einen Cardassianer-Hals! Man erklärte mir, daß es sich um einen Apparat handelt, der die Atmung unterstützt und das Eindringen von Viren und Bakterien verhindert. Endlich erfuhr ich auch, daß ich mich noch immer auf der Erde befinde, allerdings im . . . verdammt, welches Jahrhundert war es doch gleich? Ist mir entfallen. Den Kosmos mussten wir durchqueren, weil es die Zeitmaschine nicht anders kann.
Nachdem wir viele Stunden durch die Stadt gezogen waren, lagerten wir an einem großen runden Platz, der geschmackvoll von Blumenbeeten umgeben war. In aller Pracht blühten hier Pflanzen, von denen ich kaum eine kannte. Es waren Neuzüchtungen, deren Blüten eine Farb- und Formvielfalt aufwiesen, vor denen selbst die Fantasie von Künstlern erblasst.
Mir schwirrte der Kopf von alledem, dennoch hatte ich viele Fragen. Als erstes: „Ist heute Sonntag?“ – „Warum?“ kam die gekicherte Gegenfrage. „Nun, weil ihr soviel Zeit für mich habt, ihr könnt doch nicht alle zusammen Urlaub haben.“ – „Nein, es sind Ferien!“ klang es vielstimmig wie ein Jubelton. Einer wollte wissen, was Urlaub ist. Ich erläuterte. Nun fragte er, was Arbeit ist. Das erklärte ihm rasch ein anderer: „Arbeit ist das, was die Computer tun.“
Na ja, Zukunftsmusik, dachte ich bei mir und fragte, warum sie alle rote Kleidung trugen. Die Antwort erstaunte mich: „Alle anderen Farben sind nur für die Natur und für die Künstler, Menschen tragen rot, weil sie innen auch rot sind. Außer, wenn sie ein Zeichen setzen wollen, dann kleiden sie sich entweder weiß oder schwarz. Aber das ist nur was für Pubertierende.“ Es klang abfällig, so wollte ich es genauer wissen: „Was geschieht denn, wenn so ein Jugendlicher sich weiß kleidet?“ – „Dann kommen andere Weißgekleidete und nehmen ihn mit.“ – „Und, kommt er wieder?“ – „Meistens nicht.“ – „Aber ihr erfahrt doch, wo er ist?“ – „Ja, die haben dann eine eigene Wohnung und suchen sich andere Freunde. Wir können dann nicht mehr richtig mit ihnen reden, die quatschen dann plötzlich ein Zeug zusammen, Junge, Junge.“ – „Ja, worüber reden die denn?“ bohrte ich. „Über Quanten und Pulsare, über ausgestorbene Tiere und Leute, über Chemiezeug und so n Quatsch. Ich glaube, davon hast du überhaupt noch nichts gehört, oder?“ Ich verzog das Gesicht.
Ein unangenehmes Gefühl beschlich mich. Werden in der Zukunft die Menschen etwa nach Farbe, Geruch und Geschmack sortiert? Na hoffentlich nicht!
Ich hatte gesehen, daß die Leute alles bekamen, was sie haben wollten. Jegliche Speisen und Getränke kamen auf Anfrage aus den an jeder Hausecke befindlichen Automaten. Einer hatte sich sein Gewand bekleckert, schob es unten in den Automaten und bekam sofort ein gleiches, sauberes Kleidungsstück zurück. Keiner bezahlte in irgendeiner Form.
Als zwei ältere Männer überhaupt nicht wieder aufhören wollten mit Lachen, glaubte ich, sie hätten Alkohol getrunken. Ich fragte: „Gibt es hier Alkohol?“ Alle blickten mich erstaunt an. Einer fragte zurück: „Was solln wir holen?“ Ich sagte noch einmal „Alkohol.“ Da verzog einer angewidert sein Gesicht und sagte: „Ach nein, mit Chemie befassen wir uns nicht, höchstens in der Schule. Brauchst du das Zeug jetzt wirklich?“ Ich winkte lachend ab. Dann wollte ich wissen: „Was macht ihr denn, wenn keine Ferien sind?“ – „Na, da gehen wir in die Schule, du Dummerchen!“ lachte eine hübsche junge Frau. Sie hatte zwei kleine Kinder an der Hand. „Und wo lässt du deine beiden Kleinen?“ – „Die kommen mit, die gehen in eine andere Klasse.“ Nun musste ich lachen: „Da könnte es wohl auch mal passieren, daß Mutter und Kind in derselben Klasse sitzen?“ – „Da gibt’s gar nischt zu lachen, das kommt öfter vor, als du denkst. Ist doch in Ordnung!“ fauchte ein bulliger junger Mann, offenbar der Vater und Klassenkamerad der Kinder. Ich hob die Hände: „Nunu, es war nicht so gemeint!“ Aber mein feiger Rückzug war gar nicht nötig. Der Papa schmuste mit seinen Kindern und schien sich für seinen Ausbruch zu schämen. Im Nu war alles vergessen, es wurde gelacht und gescherzt wie zuvor. Selbst die ältesten in der Runde erzählten, was für Unsinn sie kürzlich in der Schule verzapft hatten. Ich verwunderte mich laut darüber, daß sie so lange zur Schule gehen müssen. Stolz berichteten sie, daß in der Zeit, wo wir uns jetzt befinden, wirklich jeder eine reelle Chance bekommt, die Schule mit allem drum und dran zu schaffen, und wenn es noch so lange dauert. Das Abschlussdiplom bekommt man nur, wenn man alle Prüfungen bestanden hat.
Nun wollte ich wissen, was denn der Lehrer dazu sagt, wenn sie während des Unterrichts Unfug treiben? Einer staunte: „Lehrer?“ und ich erfuhr, daß per Computer unterrichtet wurde. Wer Unfug treiben möchte, wird höchstens von Mitschülern ermahnt, die sich gestört fühlten.
Endlich kamen sie zur Sache und wollten, daß ich mein Versprechen einhalte und ihnen etwas zeige. Ganz langsam tastete sich einer der beiden, die mich geholt hatten, vor: „Zu deiner Zeit wurde doch gerade darüber befunden, ob es vertretbar ist, Menschen zu manipulieren. An den Genen, meine ich. Wir sind manipuliert. Alle. Ja, alle Menschen, nicht nur die, die du hier siehst.“ Ich fuhr entsetzt zurück. Dann überlegte ich, inwiefern diese Personen wohl manipuliert sein könnten? Unkontrolliert entwich meinem Munde: „Aber ihr seid doch ganz normal, was unterscheidet euch denn von den anderen Menschen?“ Sie drucksten herum und endlich sagte einer: „Wir bekommen keinen Kontakt zu denen mit den eigenen Wohnungen. Wir wohnen einfach nur in der Stadt, wie es gerade kommt. Wir erreichen nichts, weder als Künstler, noch sonst was. Wir möchten gern auch einmal etwas für die Menschheit tun, genauso wie die Wissenschaftler. Wir sind nicht blöd. Wir haben solange alle Hebel in Bewegung gesetzt, bis man uns gestattete, dich zu holen und uns mit dir zu unterhalten.“ – „Ja, aber inwiefern seid ihr genmanipuliert?“ – „Sie haben etwas entfernt, das die Menschen befähigte, Gewalt anzuwenden. Jetzt weiß keiner mehr, was Gewalt ist. Du weißt es noch, du bist nicht manipuliert. Zeig es uns! Es gab eine Zeit, wo sich die Wissenschaftler über jeden Saurierknochen freuten, jetzt möchten wir etwas aus unserer Vergangenheit ausbuddeln.“ Ich wurde abwechselnd rot und blaß und wusste nicht, was ich sagen sollte und stotterte händeringend: „Aber eine Welt ohne Gewalt, das ist doch der Himmel auf Erden!“ Sie erkannten bald, daß ich ihnen nicht zeigen werde, was Gewalt ist und sogleich formierte sich das Flugdreieck und brachte mich in meine Zeit und in mein Zimmer zurück. Der Kleinste an der Spitze blinzelte mir zum Abschied schelmisch zu – da wusste ich, daß mir mein Versagen verziehen ward - und ich sehe noch immer all die freundlichen braunen, blauen, grauen und schwarzen Augen vor mir, höre das fröhliche Lachen und die angenehme Musik, die über der ganzen Stadt lag . . .
Bim, brlibim, bilbrilim, birbilim tönt das Windspiel. Komm, Marion, wisch den Schlafsand aus den Augen und tritt in den Tag!