Hallo Lesemaus,
Mich hat diese Geschichte wirklich ergriffen. Jeder, der Solches in seiner eigenen Familie erleben muss - ganz gleich ob es sich um einen Professor handelt, oder einen, der seinen Modellbau über alles liebte - wird deine Schilderungen nachempfinden.
Auch die schwierige Rolle der Frau als Pflegerin, die zuvor so wenig Beachtung erfahren hatte, ist gut beleuchtet. Zwei kleine Sachen jedoch:
Zu steif und verschachtelt ist mir dieser Satz des Freundes:
"Glaubt sie, nun, da sich die Vorzeichen umgekehrt haben, sie kein Anhängsel mehr von ihm ist, er jedoch abhängig wie ein Kleinkind von ihr, müsse sie all das nachholen, was ihr in den vergangenen Jahrzehnten verlorengegangen ist?"
Vorschlag:
Sicher, die Vorzeichen haben sich geändert. Sie ist nicht mehr nur sein Anhängsel, sondern er abhängig, wie ein Kleinkind, von ihr. Aber glaubt sie, sie müsse deshalb all das nachholen, was ihr in den vergangenen Jahrzehnten verlorengegangen ist?
Das Zweite, was mich stört, ist der letzte Abschnitt. Ich habe einfach schon zu viele alte Menschen getroffen, die mir sagten:
"Ich habe einfach keine Lust mehr. Vielleicht sehen wir uns ja nicht mehr wieder. Ich wünschte es wäre so."
Ich möchte damit nicht sagen, dass sich ein geistig unzugänglicher Mensch nicht trotzdem des Lebens erfreuen kann. Aber wir wissen es eben nicht.
Was ich nur sagen wollte - der letzte Abschnitt, also die Sicht des Patienten, wirkt auf mich belehrend und beleuchtet nicht, dass es auch anders sein könnte. Der Gedankenkreis des Lesers soll geschlossen werden, wo sich die Kurve weigert, verbogen zu werden. Lass sie bitte offen.
Da gibt es durchaus auch Menschen, die verzweifeln und ihrer Hülle entfliehen wollen. Aber wie verhält es sich in einem konkreten Fall? Wir wissen es nicht und deshalb ist das Thema wohl so brisant. Ob sich deshalb noch keiner hier gemeldet hat?
Trotz meiner kleinen Kritik hat mich dein Beitrag sehr berührt. Danke dafür.
Stephan