Mimi
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Erde und Feuer, Kopf und Herz
Als du mich fragtest, warum ich schreibe,
war ich nicht ganz aufrichtig zu dir.
Ich schreibe, um nicht zu sterben.
Aber die Wahrheit will niemand hören noch sehen;
sie ist wie ein kreischendes Spiegelbild, direkt und obszön.
~
Als du mich fragtest, warum ich schreibe,
war ich nicht ganz aufrichtig zu dir.
Ich schreibe, um nicht zu sterben.
Aber die Wahrheit will niemand hören noch sehen;
sie ist wie ein kreischendes Spiegelbild, direkt und obszön.
~
Einmal erzählte ich dir in einem langen Brief, wie
ich als Kind träumte, dass mir Flügel aus dem Rücken wuchsen und ich wie ein Vogel über den großen, blauen Ozean flog, bis ich dich fand.
Hast du im Wortschwall der Nacht, das Flattern meiner Flügel nicht gehört?
Salta, im Dezember
I
... Oma hatte Alfajores gebacken, die ganze Küche duftete nach Kokosnuss und Mandeln.
Alles, was sie backt oder kocht schmeckt einfach wunderbar. Aber am liebsten mag ich Omas Alfajores.
Papa war schon den ganzen Tag über traurig und versuchte es zu überspielen, aber ich spürte, dass etwas mit ihm nicht stimmte.
Heute Morgen nach dem Aufstehen, habe ich überall im Haus nach Mama gesucht. Dann hat Oma mir gesagt, dass gestern Abend Tante Hilda mit ihrem Auto gekommen wäre und Mama mitgenommen hätte, nach Cafayate, zu Tante Hildas Bodega. Es sei schon sehr spät gewesen, und ich hätte bereits geschlafen, deshalb konnte sich Mama nicht verabschieden.
Mama leide unter Migräne, erklärte mir Papa beim Teekochen, hier auf der Estancia sei es zu laut für Mama. In Cafayate war ich schon oft, dort gibt es riesige Weinberge und labyrinthartige Kellergewölbe, wo man Verstecken spielen kann. Es gibt dort sogar Alpakas, die man streicheln kann.
Trotzdem gefällt es mir bei Oma viel besser.
Nach dem Frühstück fuhr Onkel Hermann mit Papa, Ignacio und mir zu den Rindern. Ignacio ist sechs Jahre älter als ich und will später wie sein großer Bruder Ernesto Veterinärmedizin studieren. Er kann sogar wie ein echter Gaucho auf einem Stier reiten.
Ignacio macht ständig lustige Sachen und bringt mich zum Lachen bis ich Bauchweh bekomme.
Aber heute hätte ich ihm am liebsten eine Ohrfeige verpasst.
Am Tisch sagte ich Oma nicht, was Ignacio mir draußen bei den Rindern über Mama erzählt hat ...
II
... Ich will, dass Mama wiederkommt. Sie wollte am Telefon nicht mit mir sprechen, auch nicht mit Papa.
Oma hat lange mit ihr telefoniert und dann irgendwann den Hörer wütend aufgelegt.
Oma ist sehr selten wütend. Eigentlich habe ich sie nie richtig wütend erlebt. Aber heute war Omas Stimme nicht so wie sonst immer, hell und freundlich, warm und irgendwie kuschelig.
Papa ist vorhin mit Tante Carlas Auto weggefahren, seine Augen sahen aus wie zwei glänzende Murmeln.
Oma sagte, dass Mama stur wie ein alter Esel sei.
Drei Töchter hätte sie großgezogen, aber nur Mama würde sie noch vorzeitig ins Grab bringen.
Mama hat nur ihre Migräne, wollte ich Oma zurufen, bekam aber keine Worte aus meinem Mund. Es fühlte sich an, als wäre er zugenäht.
Stattdessen schluckte ich alle Worte, die ich sagen wollte, meinen Hals hinunter, während ich wie eine Steinfigur am Türrahmen stand.
An Tante Carlas Händen klebten noch Teigreste, als sie mich sanft am Arm fasste und aus der Küche nach draußen führte ...
III
... Die Sonne sah aus wie eine goldene Scheibe und tauchte den Himmel in warme Farben aus gelb und orange.
Papa saß in Omas Schaukelstuhl auf der Veranda.
Auf seinem Schoß lag ein aufgeklapptes Buch.
Erwachsene können manchmal wie winzige Katzenjunge wirken, schutzbedürftig und zerbrechlich ...
IV
... Ignacio wollte mir die Fohlen auf der Pferdeweide zeigen. Nach dem Mittagessen zog ich meine Reiterstiefel an und nahm meinen Zeichenblock und Bleistift mit. Onkel Hermann hatte Ignacio gebeten, seinen Reitsattel gründlich zu putzen und einzufetten.
Also musste das mit den Fohlen noch etwas warten.
Ignacio stand vor der Sattelkammer und hievte gerade den Sattel auf einen hölzernen Bock.
Ich setzte mich etwas abseits auf einen kleinen Hocker und schlug meinen Zeichenblock auf.
Papa hatte mir gestern Abend gezeigt, wie man Schraffierungen besser hinbekommt. Ich soll mehr aus dem Handgelenk heraus arbeiten und die Hand dabei viel lockerer lassen.
Meine Zeichnentechnik hat sich schon deutlich verbessert, ist aber noch nicht zufriedenstellend. Ich war gedanklich so konzentriert und vertieft in meine Arbeit, dass ich Ignacio, hinter meinem Rücken stehend, nicht bemerkte.
Erschrocken klappte ich den Zeichenblock zu und stand ruckartig auf, sodass der Hocker dabei zur Seite kippte. Ich schrie Ignacio mit vor Zorn bebender Stimme wüste Gemeinheiten ins Gesicht.
Er starrte mich völlig überrumpelt an. Aber das war nicht mal das Schlimmste. In seinem Blick konnte ich noch etwas anderes erkennen, bevor er sich umdrehte und wortlos ging ...
V
... Heute ist der letzte Abend vor unserem Rückflug.
Am Nachmittag habe ich beim Tische- und Stühleaufstellen für das Asado mitgeholfen.
Mama ist heute Morgen wieder aus Cafayate zurückgekommen. Ich war mit Papa gerade dabei Tomaten aus Omas Gemüsegarten für die Salsa Roja zu pflücken, als das schwarz-gelbe Auto auf den Hof fuhr.
Ich rannte wie der Teufel Richtung Einfahrt und hüpfte dann vor dem Auto auf und ab, bis es endlich anhielt und Mama ausstieg. Ich drückte mich ganz fest an Mama und war so froh, sie wiederzusehen, dass ich glaubte, mein Herz würde vor lauter Freude platzen.
Später am Abend saßen wir alle draußen und die Luft war angenehm warm und voll von herrlichen Gerüchen. Alle waren sie da, Oma, Papa und Mama, Tante Carla und Onkel Hermann mit Ernesto und Ignacio, Tante Hilda und Onkel Freddy mit Laura und Antonio, Raúl und Alonso, und noch ein paar Freunde und Bekannte von Oma.
Über dem offenen Holzfeuer brutzelten große Rinderfleischstücke an langen Spießen. Wie braune Tipis war das Fleisch über dem Feuer aufgespannt.
Nach dem Essen wurde Musik gespielt und gesungen.
Mama saß neben Tante Carla und Tante Hilda auf der Bank. Sie sangen gemeinsam Tú que puedes vuélvete und schienen dabei viel Spaß zu haben.
Raúl begleitete sie musikalisch auf seiner Gitarre.
Aber der Höhepunkt des Abends war Mamas Tanz.
Erst wollte sie nicht aufstehen und Tante Carla und Oma mussten sie lauthals überreden. Aber dann stand Mama von ihrem Platz auf und alle waren plötzlich ganz leise. Es ertönten die ersten Klänge auf Raúls Gitarre und Mama schwang in fließenden, anmutigen Bewegungen die Arme über ihren Kopf.
Anfangs waren ihre Schritte langsam und weich, wurden dann immer dynamischer.
Sie stemmte die Handballen an ihre Hüften, sodass sich der Saum ihrs Rocks ein wenig hob. Ihre Beine und Füße begannen sich in schnellen, stampfenden Abfolgen zu bewegen, immer schneller und schneller bis das Geräusch ihrer Absätze auf dem Steinboden wie das Klappern von Kastagnetten klang. Sie drehte sich rhythmisch vor und zurück und ihr Rock bauschte sich dabei auf. Dann blieb Mama vor Papa stehen, streckte ihm theatralisch die Hand entgegen und forderte ihn zum Tanz auf. Alle begannen zu klatschten, am lautesten Oma, als Papa und Mama zusammen zu tanzen begannen.
Ich war fasziniert von dieser leidenschaftlichen Dringlichkeit, mit der er Mama beim Tanzen in die Augen schaute und ihrem Rhythmus folgte.
Als wäre Mama seine Sonne und er ihr Mond, der sie umkreiste ...
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