Habidére!
Es handelt sich beim folgenden Text um das erste Kapitel eines Fantasyromans, den ich schreiben bzw. vorwiegend dazu nutzen will, mich diesbezüglich zu verbessern. Sozusagen ein Experimentierroman.
Um allerdings etwas verbessern zu können, brauche ich Kritik, um die ich hier herzlich bitte!
Ist der Text zu langatmig für einen Romananfang?
Hat er genug "Dilemma" (fürs erste)?
Habe ich die Umgebung und den Protagonisten zu genau/ungenau beschrieben?
Was fehlt?
Was ist zuviel?
...
Oder allgemein: Was ist gut, was ist schlecht?
Vielen Dank im Voraus.
Kapitel 1: Der Alori-Sumpf
»War es richtig? Sollte ich meine Flucht wirklich hierher lenken? Hatte ich denn eine andere Wahl? Nein! Keine mit Aussicht auf Erfolg. Die Situation gebot es, ich mußte den Weg in den Alori-Sumpf einschlagen. Hier herrschen für jedermann die gleichen Gesetze, drohen jedem dieselben Gefahren. Das ist mein Vorteil. Du hast dich richtig entschieden, Nardok. Richtig!« versuchte er sich einzureden, zeitweise sogar mit Erfolg. Unterbrochen wurde sein Gedankenspiel bisweilen nur von der bitteren Erkenntnis, dass die Hoffnung auf Überleben -alles, worauf er sich im Augenblick stützte- groteskerweise einzig auf dem Vorhandensein zahlloser Gefahren basierte. Nardok mußte kurz über die Absurdität seiner Situation lachen.
Insgeheim hoffte er, seine Verfolger würden vor dem Sumpf zurückschrecken und unverrichteter Dinge abziehen, doch konnte er nicht so recht daran glauben, geschweige denn, ernsthaft damit rechnen (und selbst dann hätte er noch nicht gewonnen). Er fühlte sich wie ein Verurteilter, der zwischen Tod durch Enthauptung und Folter entscheiden konnte und letzteres in der Hoffnung gewählt hatte, die Folter irgendwie zu überleben.
»Den König...ich... ich habe den König bestohlen! Das Vertrauen so vieler Jahre bedingungsloser Loyalität ist dahin. Unwiederbringlich! Eines der wenigen Dinge, die man nicht mit Geld oder Macht kaufen, sondern nur mit Zeit gewinnen kann, habe ich leichtsinnig zerstört. Nein, falsch: nicht leichtsinnig, wohlüberlegt! Er versteht es nicht, niemand tut das! Meine Familie ist gebrandmarkt. Für immer! Sie wird mich verstoßen. Für immer! Ich werde vom König gehaßt, von seinen Soldaten gejagt. Bis zu meinem Tod! Und doch war dies mein größter Dienst am Königshaus, den ich je geleistet habe. Emparrél Harkona-Lor, mein König, hättet Ihr doch Eure Truppen nie nach Ostfilde geschickt und es wäre nie so weit gekommen! Ich hatte keine andere Wahl, es tut mir Leid, so Leid.« wiederholte er in Gedanken, zunehmend unsicher, was ihn mehr betrübte: Das, was ihn erwartete oder das, was bereits geschehen war. »Entweder der Sumpf bringt mich um oder die Anderen, der Sumpf oder die Anderen! Beeil‘ dich Nardók, du Narr!«.
Seit Stunden war er nun schon im Alori-Sumpf unterwegs gewesen, die Sinne stets auf verräterische Zeichen seiner Verfolger gerichtet. Bald von lähmender Erschöpfung, bald von hetzender Angst befallen, gelang es Nardok nur unter größter Anstrengung, seine kräftigen Beine Schritt für Schritt durch den schweren, zähen Schlamm zu bewegen. An ein rasches Vorwärtskommen war nicht zu denken, zu tief versank er im Boden, der im Angesicht der Nacht wie eine pechschwarzes Gefängnis erschien. Ein Gefängnis ohne Fluchtweg.
Niemals zuvor hatte Nardok einen solch leblosen Ort gesehen oder betreten, einzig eine Handvoll abstoßend anmutender Nachtgewächse und verkümmerter Bäume zeugte von der bemerkenswerten Fähigkeit der Natur, selbst die unwirtlichsten Gebiete zu besiedeln.
Dichte Nebelschwaden zogen in unregelmäßigen Abständen an Nardók vorbei, hätte er sich nicht in einer solch aussichtslosen und bedrängenden Situation befunden, wäre er fasziniert stehengeblieben, wie es schon immer seine Art war, und hätte jene Symbiose aus lähmender Stille, bedrohlicher Landschaft und zufälliger Spielerei der Nebelschwaden im Wind gespannt beobachtet.
Ab und an erspähte er aus den vereinzelten Tümpeln ragende Augen, die keck das helle Mondlicht reflektierten und meist im Augenblick der Entdeckung wieder verschwanden. »Ganz ohne Leben ist also auch dieser Sumpf nicht. Wovon mögen die Tiere sich wohl ernähren, bietet diese Todesstätte doch so wenig Nahrung? Es muß hier äußerst angepasste Arten geben, Meister der Tarnung und Jagd. Wahrscheinlich sind sie gezwungen, lange Zeit ohne Beute auszukommen. Mit mir hätten sie bestimmt ihre Freude. Ich muß vorsichtig sein!«, dachte er angespannt. Es schauderte ihn beim Gedanken, diesen ekelhaften Geschöpfen als Nahrung zu dienen.
Nardok wurde sich in Anbetracht seiner Umgebung allmählich der Tatsache bewusst, dass es noch niemals jemandem gelungen war, den Alori-Sumpf zu erkunden. Das jedenfalls behauptete der Volksmund! So wurde das Moor im Laufe der Zeit gleichermaßen zum Grab für Draufgänger, Gelehrte sowie geschäftige Kaufleute. Die genaue Ursache ihres Todes, oder besser Verschwindens, blieb weitgehend unbekannt. Fest stand nur, dass diese armen Kreaturen nicht mehr lebend gesehen wurden, sobald sie einmal in den modrigen Dunst eintauchten. Der Natur solch ungeklärter Schicksale entsprechend, bot dieser Umstand der Bevölkerung natürlich Anstoß zu den atemberaubendsten Spekulationen, fand sich in vielen Geschichten und Liedern wieder und bereitete so manchem Kind einen unruhigen Schlaf. Abgesehen von der weithin akzeptierten Annahme, die Vermißten hätten sich schlichtweg verlaufen, wären verhungert, verdurstet oder bei lebendigem Leibe im Schlamm versunken, sprach man mancherorts davon, sie seien von unbekannten Bewohnern des Sumpfes gefangengenommen und versklavt oder getötet worden. Andere wiederum vermuteten, sie wären durch die Einsamkeit verrückt geworden, würden immer noch durch die Sümpfe ziehen, am Leben gehalten von Ratten und anderem abstoßenden Nachtgetier. Keiner wußte es genau!
Seit Nardok als kleines Kind –er hatte ein Gespräch zwischen zwei Bediensteten seines Elternhauses belauscht- zum ersten Mal von dem Gerücht über das angebliche Sumpfvolk gehört hatte, war er fasziniert von dieser Idee. Er dachte oft darüber nach, welche Gestalt die Bewohner eines so düsteren Ortes wohl hätten, wie sie reden, sich fortbewegen, hausen oder sich ernähren mögen, woher sie kämen, welche Ziele sie verfolgen würden? Diese Fragen beschäftigten ihn bis heute, vermutlich beeinflußten sie auch –unbewußt- seinen Entschluß, sich letztlich hierher zu begeben.
»Ich bin kraftlos. Wenn ich nicht bald festen Boden erreiche, ist mein Ende nah. Ich werde mich in die Reihe derjenigen eingliedern, die vom Sumpf bezwungen wurden! Ich...Nein, ich darf nicht sterben, noch ist meine Mission nicht erfüllt. Wo ist Salkai? Salkai, mein treuer Diener! Jetzt, wo ich ihn zurückgelassen habe, merke ich erst, wie sehr ich ihn brauche. Hoffentlich befolgt er meine letzten Anweisungen, hoffentlich. Er hat mich noch nie im Stich gelassen, aber diesmal...? Ich hätte ihm alles erklären sollen, es wäre besser gewesen. Aber die Zeit!« Selbstzweifel kamen erneut in ihm hoch, längst war Nardok unfähig, sie zu unterdrücken. Er keuchte, rang um Luft, jeder Atemzug wurde nunmehr zu einer Herausforderung, zuviel Kraft kostete ihn sein Weg ins unbestimmte Schicksal. In manchen Momenten war er sich nicht mehr darüber im Klaren, ob er träumte oder sich in der Wirklichkeit befand, bis ein schmerzender Knochen ihm die Entscheidung abnahm.
Die Erschöpfung, unweigerliches Resultat des bereits tagelang andauernden Versteckspiels, zeichnete sich in den markanten, von unzähligen Schlachten geprägten und gepeinigten Gesichtszügen deutlich ab. Trotz alledem verlor sein Gesicht nicht an Würde und Stolz: Obwohl verdreckt, konnte man jede Linie genau erkennen, obwohl ausgezehrt, strahlte es Harmonie aus, obwohl müde, gehorchte es dem geringstem Befehl. Eine jener seltenen Eigenschaften, über die nur Könige und Angehörige der höchsten und edelsten Geschlechter Herr waren! Zweifelsohne stammte Nardók aus einer solchen Familie, die Insignien unter dem Wappen seines Schildes, welches er notdürftig über den Rucksack geschnallt hatte, waren ein stiller und zuverlässiger Zeuge davon:
Doch je mehr die Züge seines muskulösen Körpers und die Art, wie er sich bewegte, seine Herkunft verrieten, desto weniger waren die Kleidung oder die Umstände seines Fortbewegens –hatte er doch weder Pferd noch Dienerschaft– eines Mannes seines Standes angemessen, gar lächerlich erschien ihm in diesem Moment der Gedanke an solchen Luxus.
In der rechten Hand hielt Nardok ein mächtiges Schwert, sein Körper wurde geschützt durch dickes, mit unzähligen Nieten versehenes Ledergewand, umhüllt von einem metallenen Kettenhemd, nicht mehr ohne Makel, blutverschmiert. Seine langen blonden Haare gingen nahtlos in einen dichten Vollbart über, welcher -ebenso wie sein Haar- gelegentlich eingeflochtene Zöpfe aufwies, wie es in Talanien seit jeher Brauch war. Die Anordung der Zöpfe mochte nach Zufall aussehen, doch ging ihre Komposition nach einem komplizierten Schema vonstatten, welches als Ausdruck der gesellschaftlichen Rangordnung innerhalb Talaniens von großer Bedeutung war (auch andere Völker erkannten diese Rangordnung an). So trug Nardók als Herr über Land und Volk und direkter Untergebener des Königs stets drei Zöpfe im Haupthaar, ebenso im Bart.
Nardók versuchte sich zu besinnen. Er mußte einen Weg finden, schneller und vor allem kraftschonender voranzukommen. »Schwert, Schild und Kettenhemd...allesamt zu schwer! Ihr Gewicht treibt mich immer tiefer in den nassen Boden. Ich muß einen Teil zurücklassen. Allerdings würde ich dadurch meine Verteidigung aufgeben! Wäre es die erkaufte Zeit wert? Ruhe, ich brauche ein wenig Ruhe!«
Kaum blieb Nardók stehen, um zu Atem zu kommen und in jener schicksalsschweren Stunde einen klaren Gedanken zu fassen, bemerkte er hinter sich ein Geräusch. Offensichtlich hatte irgendein zwielichtes Geschöpf nicht mit seinem abrupten Halt gerechnet und machte versehentlich einen Schritt zuviel. Eine ganze Weile schon hatte Nardók verdächtige –aber nicht eindeutig identifizierbare- Geräusche vernommen, wollte sie jedoch nicht wahrhaben. Noch nicht! Denn jetzt überkam es ihn, die Einsicht in sein Leugnen ließ seinen Körper aufschrecken wie das Schwert eines unbekannten Kriegers, welches sich einst durch sein Bein gequält hatte.
Panikartig ließ Nardók seinen Blick umherschweifen, konnte jedoch durch den vorbeiziehenden Nebel nichts erkennen, außer die verkrüppelten Auswüchse vermeintlicher Pflanzen, die ihm nun wie geisterhafte Gestalten erschienen, bedrohlich und unheilbringend.
»Wer ist hier? Kommt heraus und zeigt Euch, feiges Pack!« rief Nardok in die Leere des Sumpfes. Keine Antwort. Keine Geräusche mehr.
Plötzlich bemerkte er mit überwältigender Intensität einen ihn umringenden Gestank, er schien ihn von allen Seiten zu bedrängen, ihn einkreisen und auffressen zu wollen.
»Was passiert hier? Dass Gerüche schmerzen können, ist mir wahrlich eine neue Erkenntnis!« dachte Nardok, während er von dieser Erfahrung für einen kurzen Augenblick seltsam erstaunt war, fast wie ein Kind, das zum ersten Mal ins Feuer greift und trotz des Schmerzes von der Erfahrung insgeheim fasziniert ist.
»Der Geruch ist mir bekannt! Woher nur?« grübelte er, seiner klaren Gedanken allmählich entschwindend. »Weg! Ich muß weg von hier, bevor ich nicht mehr Herr über mich selbst bin!«
Nardok wollte laufen, aber er konnte nicht. Seine Beine blieben wieder und wieder im Schlamm stecken. Es schien ihm, als versänken sie nun tiefer als je zuvor, hätten sich mit dem Sumpf verbündet, um sodann ihrer Arbeit entsagen zu dürfen. Verzweiflung machte sich in ihm breit, Angst gewann zunehmend Oberhand über seine Sinne.
Nardok blieb stehen. Wieder ein Geräusch! Er verharrte eine Weile. Stille!
»Die Zeit ist gekommen, eine Entscheidung zu suchen.« dachte er. »Hätte ich keinen Auftrag zu erfüllen, wäre mir mein Schicksal einerlei. Zuviel von dem, was mir am Herzen lag, habe ich bereits verloren. Doch ich werde überleben, ich muß überleben. Oh mein Vater, es tut mir so Leid, welch Schmach habe ich über dich gebracht. Ich will es wieder gutmachen. Kann ich es? Mein Auftrag. Ich muß ihn erfüllen. Kämpfe jetzt, Nardok!«
In diesem Augenblick fühlte er sich auf seltsame Art befreit, neue Motivation machte sich in ihm breit, durchfloß seine Adern und nährte seinen Körper mit Leben. Es schien, als hätte sein Innerstes schon lange auf jenen Moment gewartet, die letzten Kräfte dafür aufbewahrt.
Nardoks Augen verbargen nun jegliche Emotion, waren Schwarz wie der Sumpf, der sie umgab. Sie erinnerten an die Augen eines Raubtieres kurz vor dem entscheidenden Angriff.
Während er -in-sich-vertieft und doch aufmerksam wie nie zuvor- sein Haupt zum Himmel neigte und demselben das Schwert kraftvoll und äußerst entschlossen entgegenstreckte, durchdrang Nardoks Kampfschrei die halbtote Leere des Alori-Sumpfes mit kriegerischer Atmosphäre. Seine naßfeuchten Haare bedeckten halb das Gesicht, der beißende Geruch berührte ihn kaum noch. Er ließ es nicht zu!
Die Welt Nardoks hatte sich verändert, sie bedrohte ihn nicht mehr, vielmehr wurde sie nun zur Beute. Aus den Augenwinkeln beobachtete er gekonnt die Umgebung. Von Nebel umschlossen, im hellen Mondlicht, stand Nardok da, wartend, lauernd. Stille! Immer noch. Eine unsägliche Spannung erfüllte den Alori-Sumpf, nichts bewegte sich mehr. Selbst der Wind hielt inne und schien auf die kommenden Augenblicke zu warten.
Mehr als je zuvor erkannte man in diesem Moment die Herkunft von Nardók, Sohn des Tenréch, Herr über Nord-Talanien und die ewigen Wälder des Zorns, loyal dem Königsgeschlecht der Harkona-Lor.
»Kommt heraus und zeigt euch, elendes Gesindel!«
Es handelt sich beim folgenden Text um das erste Kapitel eines Fantasyromans, den ich schreiben bzw. vorwiegend dazu nutzen will, mich diesbezüglich zu verbessern. Sozusagen ein Experimentierroman.
Um allerdings etwas verbessern zu können, brauche ich Kritik, um die ich hier herzlich bitte!
Ist der Text zu langatmig für einen Romananfang?
Hat er genug "Dilemma" (fürs erste)?
Habe ich die Umgebung und den Protagonisten zu genau/ungenau beschrieben?
Was fehlt?
Was ist zuviel?
...
Oder allgemein: Was ist gut, was ist schlecht?
Vielen Dank im Voraus.
Kapitel 1: Der Alori-Sumpf
»War es richtig? Sollte ich meine Flucht wirklich hierher lenken? Hatte ich denn eine andere Wahl? Nein! Keine mit Aussicht auf Erfolg. Die Situation gebot es, ich mußte den Weg in den Alori-Sumpf einschlagen. Hier herrschen für jedermann die gleichen Gesetze, drohen jedem dieselben Gefahren. Das ist mein Vorteil. Du hast dich richtig entschieden, Nardok. Richtig!« versuchte er sich einzureden, zeitweise sogar mit Erfolg. Unterbrochen wurde sein Gedankenspiel bisweilen nur von der bitteren Erkenntnis, dass die Hoffnung auf Überleben -alles, worauf er sich im Augenblick stützte- groteskerweise einzig auf dem Vorhandensein zahlloser Gefahren basierte. Nardok mußte kurz über die Absurdität seiner Situation lachen.
Insgeheim hoffte er, seine Verfolger würden vor dem Sumpf zurückschrecken und unverrichteter Dinge abziehen, doch konnte er nicht so recht daran glauben, geschweige denn, ernsthaft damit rechnen (und selbst dann hätte er noch nicht gewonnen). Er fühlte sich wie ein Verurteilter, der zwischen Tod durch Enthauptung und Folter entscheiden konnte und letzteres in der Hoffnung gewählt hatte, die Folter irgendwie zu überleben.
»Den König...ich... ich habe den König bestohlen! Das Vertrauen so vieler Jahre bedingungsloser Loyalität ist dahin. Unwiederbringlich! Eines der wenigen Dinge, die man nicht mit Geld oder Macht kaufen, sondern nur mit Zeit gewinnen kann, habe ich leichtsinnig zerstört. Nein, falsch: nicht leichtsinnig, wohlüberlegt! Er versteht es nicht, niemand tut das! Meine Familie ist gebrandmarkt. Für immer! Sie wird mich verstoßen. Für immer! Ich werde vom König gehaßt, von seinen Soldaten gejagt. Bis zu meinem Tod! Und doch war dies mein größter Dienst am Königshaus, den ich je geleistet habe. Emparrél Harkona-Lor, mein König, hättet Ihr doch Eure Truppen nie nach Ostfilde geschickt und es wäre nie so weit gekommen! Ich hatte keine andere Wahl, es tut mir Leid, so Leid.« wiederholte er in Gedanken, zunehmend unsicher, was ihn mehr betrübte: Das, was ihn erwartete oder das, was bereits geschehen war. »Entweder der Sumpf bringt mich um oder die Anderen, der Sumpf oder die Anderen! Beeil‘ dich Nardók, du Narr!«.
Seit Stunden war er nun schon im Alori-Sumpf unterwegs gewesen, die Sinne stets auf verräterische Zeichen seiner Verfolger gerichtet. Bald von lähmender Erschöpfung, bald von hetzender Angst befallen, gelang es Nardok nur unter größter Anstrengung, seine kräftigen Beine Schritt für Schritt durch den schweren, zähen Schlamm zu bewegen. An ein rasches Vorwärtskommen war nicht zu denken, zu tief versank er im Boden, der im Angesicht der Nacht wie eine pechschwarzes Gefängnis erschien. Ein Gefängnis ohne Fluchtweg.
Niemals zuvor hatte Nardok einen solch leblosen Ort gesehen oder betreten, einzig eine Handvoll abstoßend anmutender Nachtgewächse und verkümmerter Bäume zeugte von der bemerkenswerten Fähigkeit der Natur, selbst die unwirtlichsten Gebiete zu besiedeln.
Dichte Nebelschwaden zogen in unregelmäßigen Abständen an Nardók vorbei, hätte er sich nicht in einer solch aussichtslosen und bedrängenden Situation befunden, wäre er fasziniert stehengeblieben, wie es schon immer seine Art war, und hätte jene Symbiose aus lähmender Stille, bedrohlicher Landschaft und zufälliger Spielerei der Nebelschwaden im Wind gespannt beobachtet.
Ab und an erspähte er aus den vereinzelten Tümpeln ragende Augen, die keck das helle Mondlicht reflektierten und meist im Augenblick der Entdeckung wieder verschwanden. »Ganz ohne Leben ist also auch dieser Sumpf nicht. Wovon mögen die Tiere sich wohl ernähren, bietet diese Todesstätte doch so wenig Nahrung? Es muß hier äußerst angepasste Arten geben, Meister der Tarnung und Jagd. Wahrscheinlich sind sie gezwungen, lange Zeit ohne Beute auszukommen. Mit mir hätten sie bestimmt ihre Freude. Ich muß vorsichtig sein!«, dachte er angespannt. Es schauderte ihn beim Gedanken, diesen ekelhaften Geschöpfen als Nahrung zu dienen.
Nardok wurde sich in Anbetracht seiner Umgebung allmählich der Tatsache bewusst, dass es noch niemals jemandem gelungen war, den Alori-Sumpf zu erkunden. Das jedenfalls behauptete der Volksmund! So wurde das Moor im Laufe der Zeit gleichermaßen zum Grab für Draufgänger, Gelehrte sowie geschäftige Kaufleute. Die genaue Ursache ihres Todes, oder besser Verschwindens, blieb weitgehend unbekannt. Fest stand nur, dass diese armen Kreaturen nicht mehr lebend gesehen wurden, sobald sie einmal in den modrigen Dunst eintauchten. Der Natur solch ungeklärter Schicksale entsprechend, bot dieser Umstand der Bevölkerung natürlich Anstoß zu den atemberaubendsten Spekulationen, fand sich in vielen Geschichten und Liedern wieder und bereitete so manchem Kind einen unruhigen Schlaf. Abgesehen von der weithin akzeptierten Annahme, die Vermißten hätten sich schlichtweg verlaufen, wären verhungert, verdurstet oder bei lebendigem Leibe im Schlamm versunken, sprach man mancherorts davon, sie seien von unbekannten Bewohnern des Sumpfes gefangengenommen und versklavt oder getötet worden. Andere wiederum vermuteten, sie wären durch die Einsamkeit verrückt geworden, würden immer noch durch die Sümpfe ziehen, am Leben gehalten von Ratten und anderem abstoßenden Nachtgetier. Keiner wußte es genau!
Seit Nardok als kleines Kind –er hatte ein Gespräch zwischen zwei Bediensteten seines Elternhauses belauscht- zum ersten Mal von dem Gerücht über das angebliche Sumpfvolk gehört hatte, war er fasziniert von dieser Idee. Er dachte oft darüber nach, welche Gestalt die Bewohner eines so düsteren Ortes wohl hätten, wie sie reden, sich fortbewegen, hausen oder sich ernähren mögen, woher sie kämen, welche Ziele sie verfolgen würden? Diese Fragen beschäftigten ihn bis heute, vermutlich beeinflußten sie auch –unbewußt- seinen Entschluß, sich letztlich hierher zu begeben.
»Ich bin kraftlos. Wenn ich nicht bald festen Boden erreiche, ist mein Ende nah. Ich werde mich in die Reihe derjenigen eingliedern, die vom Sumpf bezwungen wurden! Ich...Nein, ich darf nicht sterben, noch ist meine Mission nicht erfüllt. Wo ist Salkai? Salkai, mein treuer Diener! Jetzt, wo ich ihn zurückgelassen habe, merke ich erst, wie sehr ich ihn brauche. Hoffentlich befolgt er meine letzten Anweisungen, hoffentlich. Er hat mich noch nie im Stich gelassen, aber diesmal...? Ich hätte ihm alles erklären sollen, es wäre besser gewesen. Aber die Zeit!« Selbstzweifel kamen erneut in ihm hoch, längst war Nardok unfähig, sie zu unterdrücken. Er keuchte, rang um Luft, jeder Atemzug wurde nunmehr zu einer Herausforderung, zuviel Kraft kostete ihn sein Weg ins unbestimmte Schicksal. In manchen Momenten war er sich nicht mehr darüber im Klaren, ob er träumte oder sich in der Wirklichkeit befand, bis ein schmerzender Knochen ihm die Entscheidung abnahm.
Die Erschöpfung, unweigerliches Resultat des bereits tagelang andauernden Versteckspiels, zeichnete sich in den markanten, von unzähligen Schlachten geprägten und gepeinigten Gesichtszügen deutlich ab. Trotz alledem verlor sein Gesicht nicht an Würde und Stolz: Obwohl verdreckt, konnte man jede Linie genau erkennen, obwohl ausgezehrt, strahlte es Harmonie aus, obwohl müde, gehorchte es dem geringstem Befehl. Eine jener seltenen Eigenschaften, über die nur Könige und Angehörige der höchsten und edelsten Geschlechter Herr waren! Zweifelsohne stammte Nardók aus einer solchen Familie, die Insignien unter dem Wappen seines Schildes, welches er notdürftig über den Rucksack geschnallt hatte, waren ein stiller und zuverlässiger Zeuge davon:
»Nardók, Sohn des Tenréch aus dem Geschlecht der Talor, Herr über
Nord-Talanien und die ewigen Wälder des Zorns.
In immerwährender Loyalität zum Königsgeschlecht der Harkona-Lor«
Nord-Talanien und die ewigen Wälder des Zorns.
In immerwährender Loyalität zum Königsgeschlecht der Harkona-Lor«
Doch je mehr die Züge seines muskulösen Körpers und die Art, wie er sich bewegte, seine Herkunft verrieten, desto weniger waren die Kleidung oder die Umstände seines Fortbewegens –hatte er doch weder Pferd noch Dienerschaft– eines Mannes seines Standes angemessen, gar lächerlich erschien ihm in diesem Moment der Gedanke an solchen Luxus.
In der rechten Hand hielt Nardok ein mächtiges Schwert, sein Körper wurde geschützt durch dickes, mit unzähligen Nieten versehenes Ledergewand, umhüllt von einem metallenen Kettenhemd, nicht mehr ohne Makel, blutverschmiert. Seine langen blonden Haare gingen nahtlos in einen dichten Vollbart über, welcher -ebenso wie sein Haar- gelegentlich eingeflochtene Zöpfe aufwies, wie es in Talanien seit jeher Brauch war. Die Anordung der Zöpfe mochte nach Zufall aussehen, doch ging ihre Komposition nach einem komplizierten Schema vonstatten, welches als Ausdruck der gesellschaftlichen Rangordnung innerhalb Talaniens von großer Bedeutung war (auch andere Völker erkannten diese Rangordnung an). So trug Nardók als Herr über Land und Volk und direkter Untergebener des Königs stets drei Zöpfe im Haupthaar, ebenso im Bart.
Nardók versuchte sich zu besinnen. Er mußte einen Weg finden, schneller und vor allem kraftschonender voranzukommen. »Schwert, Schild und Kettenhemd...allesamt zu schwer! Ihr Gewicht treibt mich immer tiefer in den nassen Boden. Ich muß einen Teil zurücklassen. Allerdings würde ich dadurch meine Verteidigung aufgeben! Wäre es die erkaufte Zeit wert? Ruhe, ich brauche ein wenig Ruhe!«
Kaum blieb Nardók stehen, um zu Atem zu kommen und in jener schicksalsschweren Stunde einen klaren Gedanken zu fassen, bemerkte er hinter sich ein Geräusch. Offensichtlich hatte irgendein zwielichtes Geschöpf nicht mit seinem abrupten Halt gerechnet und machte versehentlich einen Schritt zuviel. Eine ganze Weile schon hatte Nardók verdächtige –aber nicht eindeutig identifizierbare- Geräusche vernommen, wollte sie jedoch nicht wahrhaben. Noch nicht! Denn jetzt überkam es ihn, die Einsicht in sein Leugnen ließ seinen Körper aufschrecken wie das Schwert eines unbekannten Kriegers, welches sich einst durch sein Bein gequält hatte.
Panikartig ließ Nardók seinen Blick umherschweifen, konnte jedoch durch den vorbeiziehenden Nebel nichts erkennen, außer die verkrüppelten Auswüchse vermeintlicher Pflanzen, die ihm nun wie geisterhafte Gestalten erschienen, bedrohlich und unheilbringend.
»Wer ist hier? Kommt heraus und zeigt Euch, feiges Pack!« rief Nardok in die Leere des Sumpfes. Keine Antwort. Keine Geräusche mehr.
Plötzlich bemerkte er mit überwältigender Intensität einen ihn umringenden Gestank, er schien ihn von allen Seiten zu bedrängen, ihn einkreisen und auffressen zu wollen.
»Was passiert hier? Dass Gerüche schmerzen können, ist mir wahrlich eine neue Erkenntnis!« dachte Nardok, während er von dieser Erfahrung für einen kurzen Augenblick seltsam erstaunt war, fast wie ein Kind, das zum ersten Mal ins Feuer greift und trotz des Schmerzes von der Erfahrung insgeheim fasziniert ist.
»Der Geruch ist mir bekannt! Woher nur?« grübelte er, seiner klaren Gedanken allmählich entschwindend. »Weg! Ich muß weg von hier, bevor ich nicht mehr Herr über mich selbst bin!«
Nardok wollte laufen, aber er konnte nicht. Seine Beine blieben wieder und wieder im Schlamm stecken. Es schien ihm, als versänken sie nun tiefer als je zuvor, hätten sich mit dem Sumpf verbündet, um sodann ihrer Arbeit entsagen zu dürfen. Verzweiflung machte sich in ihm breit, Angst gewann zunehmend Oberhand über seine Sinne.
Nardok blieb stehen. Wieder ein Geräusch! Er verharrte eine Weile. Stille!
»Die Zeit ist gekommen, eine Entscheidung zu suchen.« dachte er. »Hätte ich keinen Auftrag zu erfüllen, wäre mir mein Schicksal einerlei. Zuviel von dem, was mir am Herzen lag, habe ich bereits verloren. Doch ich werde überleben, ich muß überleben. Oh mein Vater, es tut mir so Leid, welch Schmach habe ich über dich gebracht. Ich will es wieder gutmachen. Kann ich es? Mein Auftrag. Ich muß ihn erfüllen. Kämpfe jetzt, Nardok!«
In diesem Augenblick fühlte er sich auf seltsame Art befreit, neue Motivation machte sich in ihm breit, durchfloß seine Adern und nährte seinen Körper mit Leben. Es schien, als hätte sein Innerstes schon lange auf jenen Moment gewartet, die letzten Kräfte dafür aufbewahrt.
Nardoks Augen verbargen nun jegliche Emotion, waren Schwarz wie der Sumpf, der sie umgab. Sie erinnerten an die Augen eines Raubtieres kurz vor dem entscheidenden Angriff.
Während er -in-sich-vertieft und doch aufmerksam wie nie zuvor- sein Haupt zum Himmel neigte und demselben das Schwert kraftvoll und äußerst entschlossen entgegenstreckte, durchdrang Nardoks Kampfschrei die halbtote Leere des Alori-Sumpfes mit kriegerischer Atmosphäre. Seine naßfeuchten Haare bedeckten halb das Gesicht, der beißende Geruch berührte ihn kaum noch. Er ließ es nicht zu!
Die Welt Nardoks hatte sich verändert, sie bedrohte ihn nicht mehr, vielmehr wurde sie nun zur Beute. Aus den Augenwinkeln beobachtete er gekonnt die Umgebung. Von Nebel umschlossen, im hellen Mondlicht, stand Nardok da, wartend, lauernd. Stille! Immer noch. Eine unsägliche Spannung erfüllte den Alori-Sumpf, nichts bewegte sich mehr. Selbst der Wind hielt inne und schien auf die kommenden Augenblicke zu warten.
Mehr als je zuvor erkannte man in diesem Moment die Herkunft von Nardók, Sohn des Tenréch, Herr über Nord-Talanien und die ewigen Wälder des Zorns, loyal dem Königsgeschlecht der Harkona-Lor.
»Kommt heraus und zeigt euch, elendes Gesindel!«