Evening falls

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Zadera

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EVENING FALLS



Macht.
Die Kraft und Schönheit der Götter, ihr Geheimnis.
Unsterblichkeit.
Es gibt Menschen, die nicht danach suchen.
Und es gibt jene, die durch ihr Streben zu einem Teil des Bösen werden.

Einst wurde ein Junge geboren, und als er heranwuchs, wurde es offenbar, dass er eine sehr seltene und starke Gabe der Magie besaß. Sie war rein und unverdorben. Jedoch lernte der Junge früh die Grausamkeit des Krieges kennen, die ihn zwang, seine Gabe zur Rettung seiner Familie einzusetzen. Er tötete die Feinde. Aber es kamen immer mehr, und schließlich wurde er überwältigt. Das Leben in der Gefangenschaft ließ seinen Hass wachsen. Er lernte ihn zu verbergen und aus ehemaligen Feinden wurden Freunde. Sie schickten den Jungen auf die beste Schule der Magie und geheimen Wissenschaften. Er wuchs heran und eine Zeitlang war er glücklich. Bald aber wandten sich seine Studien verbotenen Büchern zu, der Durst nach Macht fraß an seinem Herzen und seine Magie wurde schwarz.

Der Zorn der Götter über seine Taten wuchs.
Und eine Göttin spürte die Schmerzen der Erde und gab ihm eine gerechte Warnung.
Als er nicht davon abließ Menschen und Tiere zu quälen, und die Natur nach seinem Willen zu formen, handelte sie.

Die Göttin sprach den Fluch.

Aber seine Macht war inzwischen der ihren ebenbürtig.
Der Fluch traf beide.

Dunkelheit.

Sie verschwand aus den himmlischen Sphären.
Alles Suchen war vergeblich.
Sie ward nicht mehr gesehen.

Aber der Magier fand einen Weg um zu überleben.
Er baute einen Turm.
In diesen Turm lockte er die Seelen der Menschen.
Er sammelte ihre Kraft und verschlang sie.

Die Götter warteten.
Das Böse würde sich letztendlich selber zerstören.
Ihre Geduld ist unendlich.

Als die Seelen aller Menschen im Turm gefangen waren, kämpfte der Magier ein letztes Mal gegen den Tod.
Und verlor.

Doch die Erde war tot.
Die Götter waren geschwächt.
Ihnen fehlte der Glaube der Menschen, die Opfergaben.
Aber die Menschen waren seelenlose Hüllen.

Ein Gott erwachte.
Er hörte das Schreien der gefangenen Seelen.
Und er machte einen Versuch in den Turm einzudringen.
Er scheiterte.

Aber er fand das Buch.
Die Buchstaben waren verschwommen.
Nur eins erfuhr er:
Es gab einen Sohn.


„Wer bist du?“
„Ich war ein Gott.“
Der blonde Mann lächelte. Es war ein offenes, freundliches Lächeln, seine grünen Augen aber sprachen von einer tiefen Traurigkeit.
„Es ist viel Zeit vergangen.“, sagte die Wächterin, „Manchmal erinnere ich mich nicht mehr daran, was vorher war. Aber in meinen Träumen fliege ich hoch oben und spiele mit dem Wind.“
Für einen Moment sah der Gott, der keiner mehr war, einen stolzen Falken an ihrer Stelle und hörte das Brausen des Sturmes. Dann war es vorbei und er blickte wieder auf die hochgewachsene Frau mit den stechendem Blick und der spitzen Nase.
„Was hast du gesehen?“, fragte sie.
„Dich“, sagte er.
Sie nahm ihre schmale Hand von dem Griff des Schwertes.
„Was willst du?“
„Den Sohn.“
„Cyrill.“
„Wenn das sein Name ist.“
„Warum? Wozu brauchst du ihn? Er kann nichts für die Taten seinen Vaters. Er ist unschuldig.“
An dem Ton ihrer Stimme erkannte er, dass das nicht der wahre Grund war. Sie wollte nicht, dass er den Sohn mitnahm.
„Das Blut des Vaters fließt durch seine Adern. Er ist der Schlüssel zum Turm. Du musst mir die Erlaubnis geben, die Seelen zu befreien. Mir ist es nicht möglich.“
„Nein.“
„Warum nicht?“
Sie erwiderte nichts.
„Gib den Weg frei“, bat er.
„Es ist meine Aufgabe. Deswegen wurde mir diese Gestalt gegeben. Ich kann dich nicht einlassen.“
„Ich habe gewußt, dass du so antwortest.“, sagte er und schenkte ihr ein weiteres Lächeln, „Es tut mir Leid.“
Er breitete die Arme aus und blaues Feuer schoß aus seinen Handflächen. Er drehte sich um und schloß die Augen. Sie zog rasch ihr Schwert und schaffte, es einige der Flammenzungen abzuwehren. Aber der Kampf dauerte nicht lange. Bald hatten sich die Flammen um ihren Körper gewunden und schmetterten sie zu Boden.
Das Tor öffnete sich lautlos von selbst, als er an ihrem regungslosen Körper vorbei darauf zu schritt, nicht ohne die geschlossenen Augen und das Blut zu bemerken.
„Es tut mir Leid“, wiederholte er und das blaue Leuchten verschwand.
Seine Schritte verhallten leise, während er die weitläufige Vorhalle durchquerte.
„Vergessener Gott des Friedens und der Freude,“ Die Wächterin hustete und schmeckte Blut. „Singe das alte Lied des Windes für mich.“, murmelte sie.
Das Atmen fiel ihr immer schwerer und das Letzte, was sie glaubte zu hören, war ein gehauchtes Ja.

Spiegel. Ein Raum mit tausend glänzenden Spiegeln.
Der Gott wanderte nun schon eine ganze Weile zwischen ihnen umher, seine zahlreichen Abbilder als stumme Begleiter. Schließlich kam er zu dem Mittelpunkt des Raumes. Hier waren die Spiegel kreisförmig angeordnet.
„Cyrill.“
Der schlanke Mann stand dicht vor einem der Spiegel, die Hände hatte er auf die glatte Fläche gelegt, sein Gesicht berührte sie fast. Als er die Stimme hörte, wandte er sich um. Er war dunkel gekleidet und jung, schwarze Locken umrahmten sein blasses, hübsches Gesicht mit einer geraden Nase und erstaunlich roten Lippen. Seine Augen waren von einem tiefen gold- gesprenkelten Blau.
Es waren Augen, in die der Gott schon oft geblickt hatte. Als er das erkannte, fing er an zu verstehen und lächelte.
„Komm mit, Cyrill.“, sagte er.
Cyrill drehte sich zurück zum Spiegel.
„Es ist weg“, sagte er.
„Was ist weg?“, fragte der Gott.
Er konnte die Gedanken nicht lesen.
„Mein Gesicht. Warum?“
Es war eine raue Stimme, die das Sprechen nicht gewohnt war und noch keine Fragen gestellt hatte.
Mit ein paar schnellen Schritten war er neben Cyrill und blickte in den Spiegel. Und wirklich, der Junge hatte kein Gesicht.
„Ich weiß es nicht.“, antwortete er ehrlich.
„Irgend etwas ist anders. Ich...“, Cyrill brach ab.
„Komm mit.“
Er ließ sich widerstandslos aus dem Spiegelsaal leiten.
„Komm mit.“
Mit diesen Worten führte ihn ein Gott aus der Festung.
„Hier war ich noch nie.“, sagte Cyrill, „Was ist es?“
„Das ist die Welt.“, antwortete der Gott und wusste, dass er log.
Das war nicht die Welt. Die Welt war Leben, und nicht schwarze, mit Rissen durchzogene Erde. Keine Vögel sangen, keine Blätter raschelten im Wind, und nirgendwo hörte er Menschen reden.
„Ich habe Bücher gelesen,“, sagte Cyrill, beendete den Satz jedoch nicht.
„Höre gut zu, wir werden zu einem Turm gehen. Du musst mir die Tür aufsperren.“
Er wartete auf Fragen, aber Cyrill verlangte keine Erklärung. Sein Gesicht war ausdruckslos, die Augen blank. Er warf keinen Blick auf die Festung, die das einzige war, was er kannte.
Aber er setzte sich von selbst in Bewegung und folgte dem Gott.

Cyrill wußte nicht, wie lange er schon so lief. Es konnte sein, dass es immer so gewesen war. Er hielt an, wenn sein Führer anhielt, er schlief, wenn ihm gesagt wurde, er solle schlafen und er aß, was die Hände ihm gaben. Die Landschaft veränderte sich fast unmerklich. Die rote Sonne stand ewig im Westen. Es war ein Puzzle mit zu vielen Teilen. Er verstand es nicht. Warum war er hier? Wo war dieses hier? Wem folgte er überhaupt? Und warum? Was war nur los? Cyrill hatte noch nie Fragen gehabt. Alles war klar gewesen. Keine Fragen, keine Gefühle und kein Schmerz, wie der in seinen Beinen. Der Himmel war so weit, so groß.
Cyrill blieb stehen. Seine Augen irrten über den Horizont und suchten etwas Festes. Er fand nichts. Der Himmel stürzte auf ihn.
Der Gott beobachtete, wie Cyrill zu Boden ging. Blendendes, blaues Licht hüllte die gestürzte Gestalt ein. Als er wieder sehen konnte, war Cyrill verschwunden.
„Macht der Götter, Zweifel der Menschen. Du bist das, was dein Vater nie war.“, flüsterte er leise und lächelte.
Ohne Eile setzte der Gott seinen Weg zum Turm fort.

Der Boden war rau und hart. Es war dunkel, aber als er an Licht dachte, erwachten plötzlich zischend einige Fackeln zum Leben und erhellten den runden, hohen Raum. Die Wände waren bis zur Decke mit Regalen bedeckt. Auf den Brettern lagerten unzählige Kugeln. Cyrill stand auf und wischte seine staubigen Hände am Stoff der Hose ab. Was war passiert? Wo war er?
Er hörte Stimmen. Sie sagten Dinge, die er nicht verstehen konnte, da sie alle durcheinander redeten und schrien. Er wollte, dass sie aufhörten, aber die Stimmen wurden immer zahlreicher und lauter. Es nützte nichts, sich die Ohren zuzuhalten. Sie waren im Kopf.
Dann waren sie nicht mehr da.
Cyrill hatte sich zusammengekauert, die Arme um den Kopf geschlungen. Die Stimmen hatten ihn angegriffen. Mit der Zunge leckte er sich über die trockenen Lippen. Sein Blick fiel auf die Kugeln, die im Schein der Fackeln matt glänzten. Sie sahen sehr zerbrechlich aus. Vorsichtig nahm er eine in die Hand. Eine Weile hielt er sie. Die Kugel war schön. Es war fast so, als wäre in ihrem Innerem bunter Nebel gefangen.
Mit aller Kraft warf Cyrill die Kugel auf den Boden.
Dunst stieg auf und schwebte formlos im Raum, bevor er sich verdichtete und die durchscheinende Gestalt eines kleinen Jungen bildete. Verwirrt blickte er sich um. Als er Cyrill sah, fing er an zu schreien: „Nein! Ich will nicht. Wo sind meine Mutter und meine Schwester?“
Cyrill antwortete nicht. Eine der Kugeln leuchtete. Er ergriff sie und ließ sie dicht neben dem Jungen zerschellen. Ein Mädchen trat aus dem Dunst hervor. Sie nahm den Jungen an der Hand, der augenblicklich sein Geschrei beendete. Erst dann wandte sie ihr Gesicht Cyrill zu.
„Du bist nicht der böse Magier.“, sagte das Mädchen, „Nein, du bist viel zu jung. Außerdem ist er tot. Wir haben es genau gespürt. Wirst du uns befreien?“
Sie deutete auf eine weiße Tür.
„Machst du auf?“, fragte sie.
Hoffnung sprach aus ihr, etwas, das sie fast vergessen hatte.
Wie von selbst schritt Cyrill zu der Tür und drückte die Klinke nieder. Als er sich umdrehte, lagen überall glitzernde Scherben.
Die befreiten Seelen hielten sich nicht lange in ihrem bisherigen Gefängnis auf. Lautlos lösten sie sich auf.
„Wir müssen nun zurück.“, sagte das Mädchen.
Der Junge zog ungeduldig an ihrem Arm. Hinter ihnen war die verblassende Erscheinung einer älteren Frau zu sehen.
„Mutter!“, rief der Junge.
„Du hast viel getan. Aber etwas bleibt noch. Oben ist die Göttin. Befreie sie und die Erde wird sich wieder drehen. Die Sonne wird untergehen. Ein neuer Tag.“
Nachdem das Mädchen dies gesagt hatte, gab sie dem Drängen ihres Bruders nach.
Kristallsplitter knirschten unter seinen Füßen. Der Raum war nun leer und wirkte größer. Cyrill betrat die erste Treppenstufe.

Grünes Gras. Es war nur eine kleine Fläche, aber das Gras war frisch und grün.
Der Gott setzte sich hin und strich sanft über die kleine Fläche frischen, weichen Grases. Es war ein Wunder. Cyrill war es gelungen, in den Turm einzudringen.
„Befreie die Menschen!“, sprach er laut.
„Ich bin schon frei!“, antwortete ihm jemand und als er aufblickte, bemerkte er einen alten, einfach gekleideten Mann.
„Hast du ihn geschickt, Ever, Gott des Friedens? Ich danke dir in Namen aller.“, sagte der alte Mann.
Er berührte mit der linken Hand sein Herz und seine Stirn, neigte den Kopf und streckte ihm die geöffnete Handfläche entgegen.
Der Gott mit dem Namen Ever, erhob sich und erwiderte lächelnd den Gruß.
„Es war fast zu spät. Auch Götter haben Angst.“, meinte er, „Leider kann ich nicht hier verweilen, sondern habe noch eine letzte Aufgabe zu erfüllen.“
Der alte Mann kniete sich hin. Staunend schaute er zu, während das seidene Hemd des Gottes zerriß und strahlend weiße Flügel aus seinem Rücken wuchsen. Staub wirbelte auf, als der Gott die Flügel ausbreitete und sich in die Luft schwang.
Der alte Mann sprang auf.
„Ever, Gott des Friedens, singe ein Lied für mich!“, rief er hinter ihm her.

Die Treppe schien kein Ende zu haben. Immer im Kreis.
Cyrill lehnte sich keuchend gegen die kühle Wand. Ihm war schwindlig.
„Hab doch endlich ein Ende!“, flüsterte er.
Kaum hatte er diese Worte gesprochen, da tauchte wie aus dem Nichts eine Tür vor ihm auf. Sie war aus Eisen und er bemerkte weder Klinke noch Griff.
„Mach auf!“, befahl Cyrill und die Tür gehorchte.
Das Zimmer war erstaunlich groß und rot. Die Wände waren rot, die Bezüge des Bettes, die Vorhänge, und die Sonne tauchte alles in einen rötlichen Schein.
Cyrill suchte die Göttin in jedem Winkel des Zimmers. Aber es war vergeblich, er fand sie nicht. Er war müde, und gerade wollte er sich auf das Bett legen, als es dunkel wurde. Schwärze. Etwas brach mit großer Wucht zum Fenster herein.
Es dauerte eine Weile, bis Cyrill wieder etwas sehen konnte. Federn wirbelten durch das Zimmer. Dann erkannte er den Gott, seinen Wegweiser. Neben ihm stand eine Frau mit rotem Haar.
Sie ging auf Cyrill zu und umarmte ihn.
„Mein Sohn“, sprach sie.
Die Göttin stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf die Lippen.
„Sei ein Mensch. Über alles andere können wir später reden, nicht?“, sagte sie mit einem leisem Lachen.
Sie ließ ihn los und streckte dem Gott ihre Hand hin, der sie ergriff. Ihr Kleid riß, als ihre Flügel wuchsen. Zusammen traten sie ans Fenster. Der Gott wandte sich um.
„Ich werde ein Lied für dich singen, du, der weder Mensch noch Gott ist, sondern soviel mehr.“, meinte er lächelnd und ehe Cyrill etwas erwidern konnte, waren sie in einem rauschendem Federsturm verschwunden.
Er ging zum Fenster. Die Scherben spiegelten die nunmehr freie, untergehende Sonne.
So viele Fragen waren nicht gestellt worden. Nur eine Antwort wußte Cyrill.
„Ich bin kein Mensch.“, sagte er.
Und ohne zu zögern, stürzte er sich in die Tiefe.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
also,

der erste teil kommt mir zu sehr im telegrammstil daher. das ist schade.#
interessante geschichte.
lg
 



 
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