Zarathustra
Mitglied
fast Nacht, ein Klagelied
Fast Nacht (fast ein Psalm, ein Klagelied)
ich will euch heute ein Klagelied singen:
Ich weiß nicht, wann ich es bemerkt habe
Es muss schon dunkel gewesen sein
Fast Nacht
Mir fiel es zuerst gar nicht auf
Weil der Schnee alles verschluckt
Nicht nur Dreck, Unrat und Hundekot
nein
er verschluckt auch die Schritte
das Hupen der Autos
das Schreien der Kinder
sogar das Plärren der Musik von nebenan
das Ticken unserer Wanduhr.
Auch meinen Herzschlag verschluckt er
Verschluckt ihn gerade heute, gerade jetzt
ausgerechnet dann, wenn ich neben dir sitze
wenn es wild in meinem Hals pocht
Warum ist alles leer in mir
ausgerechnet heute Abend
ausgerechnet jetzt
wo ich mit dir sprechen wollte
endlich mit dir reden
reden über uns
reden wie es weitergeht
Warum ist es denn immer so
dass im Winter, in dieser bitteren Kälte
der Schnee alles verschluckt
Auch meine Gedanken.
Sonst schreien sie laut
schreien zum Himmel
fluchen und verdammen
wollen reden
wollen einfach herausbrechen aus mir
wollen sich befreien aus ihrem Gefängnis
Aber nicht heute
nicht wenn es schneit; dann ist es anders
Man braucht nur genug Schnee und es wird still
Der Schnee, der draußen vor dem Fenster in großen Flocken vom Himmel tanzt,
der Schnee, - er deckt alles zu
Macht alles vergessen
macht alles ungeschehen
macht alles neu
Macht alles tot
Wie ein Leichentuch
so fragst du mich
Deine Stimme war leise
Ja, wenn du so willst
sage ich; - wie ein Leichentuch
Aber sprich nicht davon
Nicht von so etwas
Hüte dich, sprich nicht vom Leichentuch
vom Tod, vom Abschied
denn alles was man ausspricht wird wahr
Meine Stimme war mechanisch
sie klang rhythmisch wie ein Metronom
klang wie das Ticken der Wanduhr
das heute der Schnee erstickt hatte
Ich wollte dich trösten
wollte nicht davon sprechen
dass alles zu ende ist
wieder einmal
Es war mir misslungen
Es klang kläglich, was ich sagte
es klang wie eine Warnung
Es klang wie Unheil, das heraufzieht
Es klang so bitter
Du sahst in meinen Augen, dass ich Angst davor hatte
Du hörtest an meiner Stimme
dass auch ich mich fürchtete
denn sie zitterte
Sie war nicht fest wie sonst
Sie war gebrochen
jedes Wort, das ich sprach, war brüchig
und quälte sich aus mir heraus
Und fiel dann klirrend in die Stille des Zimmers
Fiel in die Kälte vor deinen Füßen
Und dann hallten meine Worte, bis der Schnee
der draußen alles zudeckte
auch sie langsam verschluckte
Es war ganz kalt geworden
Das Feuer im Kamin war ausgegangen
die letzte Glut war verloschen
Kein Licht
Nur die Kerze
Nur das Schweigen
Nur das Dunkel
Nur wir zwei
Es war fast Nacht
und jetzt erinnere ich mich wieder
Es war fast Nacht
und es war nach diesem Gespräch mit dir
nach diesen paar Worten
nach diesen ängstlichen Flüstern
es war kurz danach
als ich es bemerkt hatte
Die Wanduhr hatte aufgehört zu schlagen
hatte aufgehört zu ticken
Sie war stehen geblieben; - sie war regungslos
kein Pendelschlag mehr
Ich hatte dich dann noch etwas gefragt
Kann der Schnee da draußen sogar die Zeit verschlucken
Das Leben anhalten
uns beiden die Zukunft nehmen
Noch einmal
Immer wenn eine Uhr stehen bleibt
stirbt ein Mensch, sagen die Alten
Doch was ist der Aberglaube
Du sollest mir die Antwort geben
Ich wollte es von dir hören
Du solltest es mir sagen
obwohl ich die Wahrheit längst ahnte
Du aber hast geschwiegen
Du hast dein Gesicht weg gedreht
weg von mir
von meiner Furcht, vor meinem Blick
Fort vom Kerzenlicht
hinein in die Dunkelheit
Es war schon Nacht
Sie hatte diesen Tag zuerst in Dämmerung gehüllt
und dann ins Schwarz getaucht
Schnee fällt auch in der Nacht
Er fällt leise
Er fällt unbemerkt
Und am nächsten Morgen siehst du das Leichentuch
weiß ausgespannt über alles
Die Zeiger unserer Wanduhr
Hilflos und starr
wie ausgestreckte Hände
hielten sie die Stunden an
Hielten sie fest
Lassen sie nicht mehr los
bis ich endlich begreife.
Es war Nacht
und mir wurde bang
Mein Magen krampfte sich zusammen
Mir lief kalter Schweiß den Rücken hinunter
Mir wurde kalt, sehr kalt
Ich zitterte, ich fror jämmerlich
Ich schlang die Arme fest um mich, zog die Knie an
hockte da wir ein kleines Kind
hockte da, wie unser Kind
Du brauchtest es mir nicht zu sagen
ich ahnte es auch so
dein Schweigen barg die Antwort
und stieß sie mit einem tiefen Schluchzen aus
Rotz und Wasser stieß es aus
Noch einmal; - wieder einmal
Tränen trösten nicht
Salz brennt bevor es heilt
Und Wunden bluten lange
Jedenfalls bei dir
jedenfalls bei mir
Jedenfalls bei uns beiden
Dann stand die Wahrheit wie ein Menetekel an der Wand
Geschrieben wie von Geisterhand
Du kanntest sie schon länger,
aber ich konnte erst jetzt lesen
Musste sie lesen; die bittere Wahrheit an der Wand
Die Wahrheit, die alles ändern wird
Warum verschluckte der Schnee dein
leises Schluchzen nicht
Dann wäre noch Hoffnung
Es war fast Nacht
als ich verstand
Dann stimmt es also doch
was du befürchtet hast
und was ich nicht glauben wollte
Es ist also wahr
Du hast unser Kind verloren, unser Baby, unsere kleine Tochter
Gestern schon, gestern Abend als der Schneesturm tobte
Dann sah ich ein letztes Mal an diesem Abend aus dem Fenster
Es schneite immer noch.
Schwere Flocken, die alles zudeckten
Kein Licht mehr
Draußen war es dunkel
Ganz Nacht
Und ich bekam furchtbare Angst
Anmerkung des Autors:
Meine Frau und ich haben 2 Mal ein Kind verloren. Ich sage das nur, damit niemand der auch davon betroffen ist, sich von meiner Prosa verletzt fühlt!
(c) 08.03.2005 11:21 von Zarathustra
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Fast Nacht (fast ein Psalm, ein Klagelied)
ich will euch heute ein Klagelied singen:
Ich weiß nicht, wann ich es bemerkt habe
Es muss schon dunkel gewesen sein
Fast Nacht
Mir fiel es zuerst gar nicht auf
Weil der Schnee alles verschluckt
Nicht nur Dreck, Unrat und Hundekot
nein
er verschluckt auch die Schritte
das Hupen der Autos
das Schreien der Kinder
sogar das Plärren der Musik von nebenan
das Ticken unserer Wanduhr.
Auch meinen Herzschlag verschluckt er
Verschluckt ihn gerade heute, gerade jetzt
ausgerechnet dann, wenn ich neben dir sitze
wenn es wild in meinem Hals pocht
Warum ist alles leer in mir
ausgerechnet heute Abend
ausgerechnet jetzt
wo ich mit dir sprechen wollte
endlich mit dir reden
reden über uns
reden wie es weitergeht
Warum ist es denn immer so
dass im Winter, in dieser bitteren Kälte
der Schnee alles verschluckt
Auch meine Gedanken.
Sonst schreien sie laut
schreien zum Himmel
fluchen und verdammen
wollen reden
wollen einfach herausbrechen aus mir
wollen sich befreien aus ihrem Gefängnis
Aber nicht heute
nicht wenn es schneit; dann ist es anders
Man braucht nur genug Schnee und es wird still
Der Schnee, der draußen vor dem Fenster in großen Flocken vom Himmel tanzt,
der Schnee, - er deckt alles zu
Macht alles vergessen
macht alles ungeschehen
macht alles neu
Macht alles tot
Wie ein Leichentuch
so fragst du mich
Deine Stimme war leise
Ja, wenn du so willst
sage ich; - wie ein Leichentuch
Aber sprich nicht davon
Nicht von so etwas
Hüte dich, sprich nicht vom Leichentuch
vom Tod, vom Abschied
denn alles was man ausspricht wird wahr
Meine Stimme war mechanisch
sie klang rhythmisch wie ein Metronom
klang wie das Ticken der Wanduhr
das heute der Schnee erstickt hatte
Ich wollte dich trösten
wollte nicht davon sprechen
dass alles zu ende ist
wieder einmal
Es war mir misslungen
Es klang kläglich, was ich sagte
es klang wie eine Warnung
Es klang wie Unheil, das heraufzieht
Es klang so bitter
Du sahst in meinen Augen, dass ich Angst davor hatte
Du hörtest an meiner Stimme
dass auch ich mich fürchtete
denn sie zitterte
Sie war nicht fest wie sonst
Sie war gebrochen
jedes Wort, das ich sprach, war brüchig
und quälte sich aus mir heraus
Und fiel dann klirrend in die Stille des Zimmers
Fiel in die Kälte vor deinen Füßen
Und dann hallten meine Worte, bis der Schnee
der draußen alles zudeckte
auch sie langsam verschluckte
Es war ganz kalt geworden
Das Feuer im Kamin war ausgegangen
die letzte Glut war verloschen
Kein Licht
Nur die Kerze
Nur das Schweigen
Nur das Dunkel
Nur wir zwei
Es war fast Nacht
und jetzt erinnere ich mich wieder
Es war fast Nacht
und es war nach diesem Gespräch mit dir
nach diesen paar Worten
nach diesen ängstlichen Flüstern
es war kurz danach
als ich es bemerkt hatte
Die Wanduhr hatte aufgehört zu schlagen
hatte aufgehört zu ticken
Sie war stehen geblieben; - sie war regungslos
kein Pendelschlag mehr
Ich hatte dich dann noch etwas gefragt
Kann der Schnee da draußen sogar die Zeit verschlucken
Das Leben anhalten
uns beiden die Zukunft nehmen
Noch einmal
Immer wenn eine Uhr stehen bleibt
stirbt ein Mensch, sagen die Alten
Doch was ist der Aberglaube
Du sollest mir die Antwort geben
Ich wollte es von dir hören
Du solltest es mir sagen
obwohl ich die Wahrheit längst ahnte
Du aber hast geschwiegen
Du hast dein Gesicht weg gedreht
weg von mir
von meiner Furcht, vor meinem Blick
Fort vom Kerzenlicht
hinein in die Dunkelheit
Es war schon Nacht
Sie hatte diesen Tag zuerst in Dämmerung gehüllt
und dann ins Schwarz getaucht
Schnee fällt auch in der Nacht
Er fällt leise
Er fällt unbemerkt
Und am nächsten Morgen siehst du das Leichentuch
weiß ausgespannt über alles
Die Zeiger unserer Wanduhr
Hilflos und starr
wie ausgestreckte Hände
hielten sie die Stunden an
Hielten sie fest
Lassen sie nicht mehr los
bis ich endlich begreife.
Es war Nacht
und mir wurde bang
Mein Magen krampfte sich zusammen
Mir lief kalter Schweiß den Rücken hinunter
Mir wurde kalt, sehr kalt
Ich zitterte, ich fror jämmerlich
Ich schlang die Arme fest um mich, zog die Knie an
hockte da wir ein kleines Kind
hockte da, wie unser Kind
Du brauchtest es mir nicht zu sagen
ich ahnte es auch so
dein Schweigen barg die Antwort
und stieß sie mit einem tiefen Schluchzen aus
Rotz und Wasser stieß es aus
Noch einmal; - wieder einmal
Tränen trösten nicht
Salz brennt bevor es heilt
Und Wunden bluten lange
Jedenfalls bei dir
jedenfalls bei mir
Jedenfalls bei uns beiden
Dann stand die Wahrheit wie ein Menetekel an der Wand
Geschrieben wie von Geisterhand
Du kanntest sie schon länger,
aber ich konnte erst jetzt lesen
Musste sie lesen; die bittere Wahrheit an der Wand
Die Wahrheit, die alles ändern wird
Warum verschluckte der Schnee dein
leises Schluchzen nicht
Dann wäre noch Hoffnung
Es war fast Nacht
als ich verstand
Dann stimmt es also doch
was du befürchtet hast
und was ich nicht glauben wollte
Es ist also wahr
Du hast unser Kind verloren, unser Baby, unsere kleine Tochter
Gestern schon, gestern Abend als der Schneesturm tobte
Dann sah ich ein letztes Mal an diesem Abend aus dem Fenster
Es schneite immer noch.
Schwere Flocken, die alles zudeckten
Kein Licht mehr
Draußen war es dunkel
Ganz Nacht
Und ich bekam furchtbare Angst
Anmerkung des Autors:
Meine Frau und ich haben 2 Mal ein Kind verloren. Ich sage das nur, damit niemand der auch davon betroffen ist, sich von meiner Prosa verletzt fühlt!
(c) 08.03.2005 11:21 von Zarathustra
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