Fast Nichts (gelöscht)

S

Sandra

Gast
Du darfst sein, was immer du möchtest, presque_rien. Et c'est beaucoup!
Solange du so schreibst wie hier, bist was du bist, fühlst was du fühlst, sagst was du zu sagen hast, erreichst du die Menschen.
Zumindest von einem kannst du es behaupten. Die anderen werden folgen. ;)

Sandra
 

Montgelas

Mitglied
liebe presque_rien,

ich entwerfe mir alles,
und doch ist mir alles fremd



das ist kein klagelied einer fremden in deutschland,
sondern eher ein selbstwußter text eines lyr. ich, dass
über sprachen sich die welt erobert,
und vermutlich als kind auf dem lande lebte.
die natur, sonne , wolken, rosen kennt es. es weiß wie gesät, geerntet wird.
der bezug auf gertrud stein, war vielleicht nicht bewußt, ist aber evident. "eine rose ist eine rose ist eine rose...." und sonst nichts, sie hat keine botschaft, keine ideologie, so wie der samen keine vernunft braucht.
in der letzten zeile leuchtet in russisch das sonett
"müd des all, sehn mich nach ruh", das mit einem fragezeichen versehen auf die lebenslust abhebt, die eben auch manchmal putzmunter macht. ;-)
das trotzige es war leicht, wird mit den nächsten worten "unter stock oder stein?" zurückgenommen.
denn dieses leben in der fremde ist vermutlich schwer.
mit selbstbewußtem stolz endet der text,
in den zeilen "Beinah’ bin ich nichts! Seht! Wie licht darf ich sein!"

kritik:

liebe presque_rien -
du "la reine" der worte,

multilingual dichten, dass kenne ich bisher nur von pound.
der konnte es und ich kann ihn dir nur wärmstens ans herz
legen. dein versuch scheint mir, was die rhytmik angeht gelungen. inhaltlich ist der text eher eine skizze,
ein versuch mit sprachen zu spielen. der relativ ernste hintergrund kommt nicht richtig heraus.

und das ist schade

findet

montgelas

p.s. bei babel musste ich nur im englischen fischen gehen.
 

Montgelas

Mitglied
liebe presqe_rien,


nachtrag:

interessant sind die fremdsprachlichen reime in ihrer gegensätzlichkeit:

rien = nichts bien= gut

inoi- joy - pokoj
fremd(?) freude - ruhe

das latein finde ich unpassend


meint

montgelas
 

Montgelas

Mitglied
liebe presque_rien,

nochmal zu deinem text !
villon und marina zwetajewa im ohr, scheint mir der text zum ende in seinem bekenntnis - mir fällt kein differenzierendes wort ein - ein wenig zu infantilisieren.

dein lyr. ich baut gegensätzlichkeiten gut auf.
in den letzten zeilen - der seitenhieb gegen die leichtlebigen - ist unnötig, entwertet er doch
das eigentliche schöne bekenntnis:
Seht ! Wie licht ich sein darf .

das noch am rande...


dir einen guten tag,

und alles liebe

montgelas

da musst du noch mal ran an den text, wenn er tiefe bekommen soll.
 

presque_rien

Mitglied
Liebe Sandra, lieber MDSpinoza,

merci beaucoup pour vos commentaires!!! Ich freue mich riesig über das Lob!

Amicalement,
presque_rien
 
S

Sandra

Gast
Liebe presque_rien.

Ich würde gerne noch erläutern, warum mir dein Text so gut gefallen hat.
Vorweg, ich habe vielleicht nur dreiviertel deines Gedichtes wörtlich verstanden, aber selten hat mich dies so wenig gestört wie hier. Denn hier scheint mir das gelungen, worüber wir in deinem Sonett schon einmal diskutierten. Der Text hat mich und meine Gefühlswelt eingenommen, noch bevor ich jede Zeile genau analysieren konnte oder überhaupt wollte.
Ich glaube, es ist die Geschwindigkeit, die pure Lebensfreude, die ich darin erlese, das Selbstbewusstsein in jeder Aussage und die unglaubliche Kraft, die den Worten innewohnt. Ich kann es selbst sehr schlecht in Worte fassen und erst recht kann oder möchte ich den Text nicht mit anderen Lyrikern oder Poeten vergleichen.
Aber muss man das denn? Ist es nicht genau die Aussage deiner ersten Zeile: Tout le monde, regardez! Je suis presque rien!, die mich davon abhält dies zu tun? Was für ein starker Einstieg! Die ganze Welt soll (mich) anschauen! Ich bin es preque_rien – fast nichts (und doch so viel). Die Sprachen sind für mich Ausdruck der verschiedenen Individuen auf dieser Welt. Latein ist dabei die übergeordnete Sprache. Wir alle sind – fast nichts – und doch so viel. Wie gesagt, ich kann die einzelnen Sprachen nur zum Teil übersetzen, aber dein Text lädt ein und macht Lust dies zu tun. (Und das muss erst einmal gelingen) Und irgendwie überkommt mich beim Lesen deiner Zeilen ein Gefühl, als würde ich an zig verschiedenen Stellen auf dieser Welt meinem fremden Ich gegenüber stehen, mich mit Händen, Füßen und eine paar Bruchstücken französisch oder englisch unterhalten und man würde sich trotzdem verstehen. Dein Text gibt dies her. Auch ich verstehe ohne zu übersetzen. Vielleicht habe ich den Text nicht ganz in deinem Sinne erfasst, aber das ist, denke ich, egal, denn du baust hier nicht nur eine Brücke sondern hunderte über die man gehen kann. Für mich ist dieses Gedicht ein Plädoyer für die Leichtigkeit des Seins. Wie schön! Muss denn immer alles so schwer und tief sein. (Dies sagtest du mir auch einst in dem Sonett ;) ) Und dann die Frage zum Schluss: Wie licht darf ich sein. Man möchte sich dann dem Rythmus des Gedichtes anschließen und hinausrufen: Du darfst alles sein, was du möchtest, denn deine Zeilen lassen und (er)leben. Mehr kann m.E. ein Gedicht nicht erreichen. Montgelas Ausführungen sind wie immer sehr interessant zu lesen, aber ich vermisse dort ein wenig die Lebendigkeit und die (Förderung deiner) Individualität, die ich in deinem Gedicht gefunden habe.

Lieben Gruß
Sandra
 

presque_rien

Mitglied
Lieber Montgelas,

vielen Dank, dass du dich so oft und ausführlich mit meinem Gedicht auseinandersetztest. Puh... wo fange ich da am besten an ;-)?

das ist kein klagelied einer fremden in deutschland,
sondern eher ein selbstwußter text eines lyr. ich, dass
über sprachen sich die welt erobert
Soweit kann ich das noch unterschreiben, aber dann...

und vermutlich als kind auf dem lande lebte.
die natur, sonne , wolken, rosen kennt es. es weiß wie gesät, geerntet wird.
...Ähm??? Mal abgesehen davon, dass man nicht auf dem Land leben muss, um Sonne, Wolken und Rosen zu kennen ;-), sehe ich eigentlich nichts in dem Text, was diese Vermutung stützen würde. Ich beschreibe ja nicht, wie gesät oder geerntet wird - die Metaphern stammen deshalb aus der Natur, weil sie dem Ich gegenübergestellt wird, das als ein Fast Nichts dieser Natur nichts beibringen oder befehlen kann - und auch nicht muss!

der bezug auf gertrud stein, war vielleicht nicht bewußt
Hier gebe ich dir wieder vollkommen recht ;-)!

"eine rose ist eine rose ist eine rose...." und sonst nichts, sie hat keine botschaft, keine ideologie, so wie der samen keine vernunft braucht.
Ein "eine Rose ist eine Rose ist eine Rose"-Plakat hängt noch in meinem Zimmer im Haus meiner Eltern... Aber dennoch hatte ich es beim Schreiben nicht vor Augen. Natürlich hast du recht, wenn du sagst, dass die Natur keine Botschaft oder Ideologie hat - sie braucht auch keine! Aber es ist nicht Ziel des Ichs, die Natur zu beschreiben - dazu ist es zu selbstverliebt ;-). Es ruft "Seht her! Schaut mich an!". Es erklärt nicht die Welt - es nimmt zu ihr Bezug, um, so kontrastiert, der eigenen Verantwortungslosigkeit zu frönen.

in der letzten zeile leuchtet in russisch das sonett "müd des all, sehn mich nach ruh", das mit einem fragezeichen versehen auf die lebenslust abhebt, die eben auch manchmal putzmunter macht.
??

das trotzige es war leicht
Ich würde eher sagen: es ist nicht schlimm/ nicht schwer

wird mit den nächsten worten "unter stock oder stein?" zurückgenommen.
denn dieses leben in der fremde ist vermutlich schwer.
Warum denn zurückgenommen? "unter Stock oder Stein?" ist ja nicht umsonst mit einem Fragezeichen versehen - und die Antwort kommt gleich in der nächsten Zeile: "Wer Leben versilbert, wird luftig begraben!" (Also eben nicht unter Stock oder Stein, nicht in einem schweren Grab - worauf das "grave" auch anklingen soll.)

liebe presque_rien -
du "la reine" der worte
:)

inhaltlich ist der text eher eine skizze,
ein versuch mit sprachen zu spielen. der relativ ernste hintergrund kommt nicht richtig heraus.[...] da musst du noch mal ran an den text, wenn er tiefe bekommen soll.
Ja, das stimmt, der Inhalt ist unausgegoren ;-). Ich hoffe, es folgen weitere, durchdachtere Versionen... Aber ich habe eigentlich keinen besonders ernsten Hintergrund beabsichtigt - es geht ja um Leichtigkeit!

inoi- joy - pokoj
fremd(?) freude - ruhe
Ja, richtig *freu*

das latein finde ich unpassend
Warum? Nur vom Klang her, oder steckt da ein rationaler Grund hinter?

in den letzten zeilen - der seitenhieb gegen die leichtlebigen - ist unnötig, entwertet er doch
das eigentliche schöne bekenntnis:
Seht ! Wie licht ich sein darf
.
*staun* Wie kommst du auf den "Seitenhieb gegen die Leichtlebigen"? Ich empfinde den Text eigentlich als ein Plädoyer für die (unerträgliche?) Leichtigkeit des Seins, für die Freiheit in der Machtlosigkeit, für das Lichte des Vergänglichen... An welcher Stelle äußere ich deiner Meinung nach Kritik daran?

Ich bin auf Antworten und weitere Diskussion sehr gespannt ;-)!

Alles liebe und einen schönen Tag wünscht
presque_rien
 

presque_rien

Mitglied
*Freudentanz*

Liebe Sandra,

ich kann nur tausend Mal sagen: Danke! Danke! Danke! Das, was du beschreibst, ist ganz genau das, was ich vermitteln wollte und der Einstieg, den ich mir beim Leser gewünscht habe!

Wir alle sind – fast nichts – und doch so viel.
Ganz genau!

Für mich ist dieses Gedicht ein Plädoyer für die Leichtigkeit des Seins.
*lach* Das habe ich in sogar genau der selben Wortwahl in meiner (wahrscheinlich wieder mal übertrieben analytischen ;-)) Antwort an Montgelas geschrieben!

Ach, eigentlich könnte ich jede Passage deines so wunderbar persönlichen Kommentars zitieren, denn er spricht mir wirklich komplett aus der Seele! Schön, dass du dir diese Mühe gemacht hast!

*freu*

einen lieben Gruß von
Julia
 

Montgelas

Mitglied
liebe presque_rien,


d'accord, es will ein leichtes gedicht sein, sozusagen
triumphal.

da hat mich die vorletzte zeile,
weil mit fragezeichen versehen - ein ausrufezeichen wäre
konsequenter , in die irre geführt.

"Wie können quae volant mehr wollen, mehr haben?"

ich habe das als eine vorwurfsvolle äußerung des lyr. ich begriffen.

die verwendung von "fremd" und "ruhe" habe ich anstrengender wahrgenommen als vermutlich beabsichtigt,
lag vielleicht auch daran, dass ich der ruhe bedarf ;).

die sätze in russisch, wenn ich sie denn richtig übersetzt
habe , erschlossen sich für mich nicht heiter.
sie brachen rein von ihrer sprachmelodie, den triumphalen
song of joy. nicht ganz ohne grund viel mir das sakespeare-sonett ein, dass pasternak seinen shiwago vorangestellt hat. ich habe es jetzt nicht parat.

so das wär es einmal
für den moment

mui widjom ( bitte mal richtig transkripieren)

wir sehen uns
;)

montgelas

p.s. es geht weiter...
 

presque_rien

Mitglied
Lieber Montgelas,

schön, dass ich dich überzeugen konnte ;-)!

Mi uwidjem? (Wieso kann man bei LeLu eigentlich nicht Kyrillisch schreiben ;-)?)

Schdu ss neterpeniem...

presque_rien
 

Perry

Mitglied
Hallo presque_rien,
habe mal bei dir vorbeigeschaut und bin beeindruckt. Da zu dieser gelungenen Hymne an die Freiheit bereits mehrere Seiten mit Kommentaren gefüllt wurden, will ich nur einen kleinen Hinweis zum Bild der Rosen und des Friedens machen. Die Rose ist im Allgemeinen das Symbol der Liebe, besser wäre hier vielleicht die Taube als Friedenssymbol. Ist aber nur so ein spontaner Gedanke.
Liebe Grüße
Perry
 

presque_rien

Mitglied
Krieg und Frieden

Hallo Perry,

danke für dein Lob und deinen Vorschlag! Nun ist es so, dass ich dem Vers "I’ll never rhyme love with enough, but with joy!" tatsächlich einige Gedanken zur Liebe (in botanische Motive "getarnt") folgen lassen wollte. Es gibt ja den Begriff "Rosenkriege" - und die bekannte Tatsache, dass Rosen Dornen haben und somit indirekt Krieg gegen allzu naive Pflücker führen. Man könnte versuchen, Liebe zu perfektionieren, sie alles Schlechten zu entledigen, sie "zum Frieden bekehren" - aber da ich fast nichts bin, sehe ich mich gar nicht im Recht, über sie zu urteilen! Ich möchte sie in allen ihren unvernünftigen Leidenschaften akzeptieren und auskosten...

Ich hoffe, damit ist etwas anzufangen ;-).

LG,
presque_rien
 



 
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