Fehlschuss eines Goblins (Teil 2)

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Empi

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Als es an der Zeit war, stahl sich Limf in den Keller, legte die Rüstung an, nahm Marlons Schleuder, einen Lederbeutel mit Steingeschossen und warf sich überdies den modrigen Umhang um. Der eingebeulte Helm war streng genommen etwas groß, so dass er Limf immer wieder ins Gesicht rutschte, aber das machte ihm (noch) nichts aus. Zu guter Letzt ging Limf in seine Kammer und nahm die an der Wand befestigte Stange mit dem Wimpel seines Urgroßvaters ab, den einzigen Gegenstand seines Urahns, den ihm seine Mutter ohne moralische Bedenken anvertraut hatte.
Wie durch ein Wunder lief ihm seine Mutter nicht über den Weg, und so machte Limf sich eilends auf in Richtung Burg. Seine Aufmachung sorgte an allen Ecken für Heiterkeit, doch an Limf prallten die vielen spöttischen Bemerkungen vorerst ab wie Kieselsteine an einer Mauer.
Beim Sammelpunkt wurde es auch nicht besser - im Gegenteil: als die Männer Limfs Aufmachung sahen, erschallte ihr bellendes Gelächter über den ganzen Platz; obendrein wälzte sich einer von ihnen sogar am Boden und japste vor lauter Lachen nach Luft. Limf hätte den Kerl am liebsten angesprungen, wäre ihm sein Helm nicht ständig ins Gesicht gerutscht. Auch die ständigen Bemerkungen des Schreibers („Seid ihr sicher, junger Herr? Wo sind denn eure Waffen? Wollt ihr nicht doch...“) brachten Limf dann doch an die Grenzen seiner psychischen Belastbarkeit. Es waren wohl die knirschenden Geräusche Limfs mahlender Kiefer, welche die Zweifel des Schreibers unvermittelt zum Erliegen brachten.
Gottlob erschöpften sich mit der Zeit die vielen Witzeleien um seine Person, und als die Truppe aufbrach, war Limfs Erbostheit weitestgehend verflogen. Es mochten wohl um die zwanzig Kämpen sein, die dem Aufruf des Herzogs gefolgt waren. Die meisten waren grobschlächtige Kerle mit finsterer Miene. Lediglich zwei Menschen hoben sich vom Rest ab; der eine war komplett in eine schimmernde Rüstung gehüllt und auf seinem Rücken ruhte eine große Streitaxt, auf deren scharfer Klinge das Sonnenlicht tanzte. Der andere war jünger und wirkte nicht ganz so kräftig wie der Ritter, doch trotzdem umgab in die Ausstrahlung eines Kriegers. Als der blonde Streiter Limfs Blick bemerkte, wandte er sich um und kam näher.
„Einen schönen Tag wünsche ich. Mein Name ist Edwin von Sturmfels.“ Ein freundliches Lächeln begleitete seine Worte. Dann streckte er seine Hand aus.
Limf war eingangs misstrauisch, aber er merkte schnell, das dieser junge Krieger mehr im Kopf hatte als die anderen versammelten Raufbolde.
„Limf“, sagte Limf und ergriff die Hand des Mannes.
„Es ist mutig von uuch, mit auf die Drachenjagd zu gehen,“ bemerkte Edwin. Die Aussage war ohne Spott gesprochen, und für Limf war dies nach all dem Verhöhnung sehr wohltuend. Er mochte Edwin auf Anhieb.
Während des Marsches zu dem verwüsteten Dorf erfuhr Limf von Edwin, dass der in Rüstung gepackte Mann Kaltz von Hynten war, ein bekannter Haudegen und vom Herzog deshalb zum Anführer ernannt. Sie hatten keine Pferde mitgenommen, weil die ängstlichen Tiere beim Anblick eines Drachen sofort durchgehen würden. Als Lasttiere stampften zwei große Ochsen hintan. Auf ihnen waren lange, zusammensetzbare Lanzen verschnürt, die dem Drachen den Garaus machen sollten.
Limf unterhielt sich lange Zeit angeregt mit Edwin, aber irgendwann fehlte ihm dazu die Kraft, und er musste allen Willen aufbringen, um nicht hinter die Ochsen zurück zu fallen. Doch Limf biss auf die Zähne - er wollte sich vor den anderen keine Blöße geben, und zudem glotzten ihn die beiden tumben Viecher ständig blöde an (ob wohl auch Ochsen feindselige Absichten gegenüber Goblins hegten?). Limf kroch schon fast auf allen Vieren, da kam endlich der Befehl, das Nachtlager aufzuschlagen. Er kippte erschöpft nach vorne und schlief noch im Fallen ein.
Kurz nach Morgengrauen brach der Trupp wieder auf und binnen kurzem kam das zerstörte Dorf Grobingen in Sicht; überall lagen verkohlte Holzbalken und ein feiner Rauchschleier hing wie Nebel in der Luft. Auch die umliegenden Bäume waren verbrannt. Tote fanden sie nicht - wie es schien hatte sich die Dorfbevölkerung in den umliegenden Wald retten können.
Während die Lanzen zusammengesetzt wurden, ging Limf ins Unterholz um sich zu erleichtern; das Ausmaß der Zerstörung war ihm doch ein wenig auf die Blase geschlagen. Plötzlich hörte er ein Rascheln in den Büschen. Limf erschrak - war der Drache hier irgendwo? Bevor er Zeit hatte, seine Schleuder kampfbereit zu machen, ertönte ein lautes Grunzen und ein schwarzer Schatten schoss direkt auf ihn zu. Ein Wildschwein! Limf fiel vor Schreck auf den Hosenboden. Der Keiler war schon ganz nah - Limf wusste, das er keine Chance mehr hatte, seinem sicheren Tod zu entgehen und schloss die Augen. Welch ein unrühmlicher Abgang für einen Nachfahren Marlon Keilerschrecks: beim Pinkeln von einer Wildsau zertrampelt!
Anstelle des tödlichen Aufpralls hörte Limf aber plötzlich ein lautes BONG. Er öffnete überrascht die Augen und blickte auf den Rücken Edwins, der sich schützend vor ihn gekniet und sein Eisenschild in den Boden gerammt hatte. Als nächstes bemerkte Limf die Wildsau, welche empört grunzend und auf wackeligen Beinen von dannen zog.
Edwin packte Limf am Schlafittchen und zog ihn hoch. „Das war knapp!“ meinte er und zwinkerte. Limf konnte nur nicken und ein „Danke“ hauchen.
Der kleine Goblin kehrte nach seiner Begegnung mit der Wildsau zwar nicht grunzend, aber auf mindestens genauso wackeligen Beinen wie das Borstenvieh zur Gruppe zurück.
Gerade als Limf Urgroßvaters Stange mit Wimpel aufhob und sich die Männer um Ritter Kaltz von Hynten versammelt hatten, rollte - einer mächtigen Druckwelle gleich - ein markerschütterndes Brüllen über sie hinweg. Auf einer kleinen Kuppe nahe des Dorfes war ein riesiger Drache erschienen. Dicke, schwarze Panzerschuppen bedeckten den ganzen Körper und seine bösen Augen waren zu schmalen Schlitzen verengt. Mit einem Satz schnellte das Ungetüm nach vorne, begrub einen angesengten Holzverschlag unter seinem schweren Leib und öffnete sein zahnbewehrtes, riesiges Maul; eine Flammenlanze brach hungrig hervor und raste ihnen entgegen. Geistesgegenwärtig warf sich Limf zu Boden. Er hatte Glück, denn das todbringende Feuer fauchte knapp über ihn hinweg.
Einzelne Schreie übertönten das Rauschen des Feuers. Als Limf aufsah, gewahrte er ein paar reglos am Boden liegende Gestalten; als nächstes schweifte sein Blick über seinen einst stolzen Wimpel, der soeben zu einem verkokelten Holzscheit reduziert worden war. Limfs ohnehin begrenzter Mut verließ ihn ob dieses Anblicks völlig - mit einem Satz sprang er auf und flüchtete so schnell ihn seine Beine trugen. Einige andere Männer taten es Limf gleich, und so hatte sich die Zahl der Drachenjäger binnen kurzem bereits um die Hälfte verringert. Einzig Edwin und Kaltz von Hynten gelang es, eine Hand voll unerschrockener Männer um sich zu scharen. Sie hielten die langen Lanzen fest umschlossen und versuchten, diese in den Leib des Drachen zu treiben. Dieser allerdings tobte und brüllte, sein Schwanz schlug einer Peitsche gleich hin und her, seine mächtigen Kiefer schnappten gierig zu - ein Sieg gegen diese Bestie schien schlichtweg unmöglich. Nichtsdestotrotz fochten die Männer verbissen weiter.
Limf blickte oft über seine Schulter zu Edwin, jedoch regierte ihn die Angst; er entfernte sich immer weiter, und selbst als er meinte, den enttäuschten Blick seines Urgroßvaters im Nacken zu spüren, konnte er nicht anhalten. Allein Schock und Erschöpfung ließen ihn letztendlich erlahmen. Mittlerweile versperrten Limf zu viele Bäume und abgebrannte Ruinen die Sicht, als dass er irgendwas Genaues hätte erkennen können. Nur das Fauchen des Drachen, die Kampfrufe der Männer und ein plötzlich helles Auflodern, welches selbst durch die vielen Hindernisse hindurch auszumachen war, zeigten, dass der Kampf noch immer in vollem Gange war.
Limf war den Tränen nahe - niemals wäre Edwin geflohen, hätte der kleine Goblin um sein Leben gekämpft, dessen war sich Limf gewiss, und außerdem stand er nach der unfreiwilligen Begegnung mit dem Keiler ohnedies tief in des tapferen Recken Schuld. Aber was sollte ein winziger Goblin wie er schon gegen einen grauenerregenden, unermesslich gefährlichen schwarzen Drachen ausrichten?
Doch entgegen seiner aussichtslosen Lage führte Limf seine Flucht nicht fort, sondern verharrte. Der Grund hierfür war nicht die allmählich abklingende Furcht, sondern ein einzelner Gedanke, der sich einer Eingebung gleich in seine Denken gestohlen hatte: wie verzweifelt mochte Urgroßvater oft gewesen sein, aber noch nie hatte Limf gehört, dass ein Marlon Keilerschreck aufgegeben oder gar einen Freund im Stich gelassen hatte!
Limf rannte zurück.
Inzwischen hatte der Drache einige sowieso schon verkohlte Gebäude in Brand gesetzt, und die Zahl der kampffähigen Männer auf vier reduziert. Zwar hatte hier und dort eine Lanze ihr Ziel gefunden, doch anstatt den Drachen zu beeinträchtigen, hatte ihn dies offenbar nur noch wütender gemacht; er hatte die verbliebenen Kämpfer an einer Hauswand gestellt und schien sich gerade auf die finale, alles auslöschende Feuersbrunst vorzubereiten.
Limf ergriff Marlons Schleuder, lud diese mit einem Stein aus dem Beutel und begann sie zu schwingen. Ein leichtes Summen ertönte, und Limf spürte wie sich die Schleuder, durchwirkt von ihrer Magie, regelrecht auflud! Und wirklich! - mit ungeheurer Energie zischte der Stein los, direkt auf den Kopf des Drachen zu. Vor seinem geistigen Auge sah Limf den übermächtigen Gegner ob des schweren Treffers schon zu Boden gehen - die Realität sah allerdings etwas anders aus: Der Drache wurde zwar getroffen, und jedes schwächere Geschöpf wäre dem Treffer zweifellos erlegen, aber der Stein zersplitterte lediglich eine Panzerschuppe. Limf erntete vom Drachen nur einen Dich-freß-ich-später-Blick, dann wandte sich das Ungetüm wieder seinen unmittelbaren Opfern zu. Ritter Kaltz von Hynten wollte die kurzzeitige Ablenkung nutzen und mit seiner Axt zuschlagen, aber die wachsamen Augen des Drachen hatte ihn bemerkt. Sein Schwanz traf den Streiter mit einem Scheppern und Ritter Kaltz von Hynten machte nach einer ausgedehnten Flugphase Bekanntschaft mit dem angrenzenden Wald.
Auch Edwin hatte angreifen wollen; er war zwar dem Schwanzhieb entgangen, doch er strauchelte plötzlich und fiel hin. Der Drache riss seinen Schlund erneut weit auf.
In Ermangelung einer anderen Möglichkeit, seinem Freund zu helfen, lud Limf die Schleuder abermals - wenn er noch einmal die gleiche Stelle träfe...?
Just in dem Moment aber, als Limf losließ, rutschte ihm der vermaledeite Helm ins Gesicht, so dass er den Schuss verriss. Selbst die Zeit schien vor Schreck den Atem anzuhalten. Limf sah mit quälender Langsamkeit, wie sein Stein ungewollter Weise auf den gepanzerten Schwanz des Drachen zuhielt, der ihm mittlerweile wieder den Rücken zugewandt hatte. Gleichzeitig bäumte sich der Drache auf und sog so viel Luft wie möglich auf, um seine Gegner ein für alle mal einzuäschern. Dabei hob er allerdings auch seinen Schwanz in die Höhe, und plötzlich steuerte Limfs Geschoss eine ganz andere anatomische Begebenheit des Drachen an als noch einen Augenblick zuvor. Limf traute seinen Augen kaum, als sein Stein klatschend auf den rechten Hoden des Drachen schlug. Aus dem angestrebten Feuerball wurde mit einem Mal ein unter Hustenkrämpfen hervorkommender Rauchschwall, begleitet von kleinen Flammen, die aus der Nase des Drachen züngelten. Die vorher bösartigen Augen waren jetzt nur noch mit Unglaube und Pein erfüllt, als er Limf voll Verwunderung maß. Limf lud indes schon wieder seine Schleuder, aber das war nicht mehr nötig; mit seinen mächtigen Schwingen erhob sich der Drache - ein wenig mühsam, wie Limf schien - in die Lüfte und floh in Richtung Berge, die sich fern am Horizont abzeichneten. Alle Augen - auch die des fluchend aus dem Wald stapfenden Kaltz von Hyntens - richteten sich nun auf Limf. Der nicht minder fassungslose kleine Retter konnte nur mit den Schultern zucken.
Obwohl Limfs Mutter ihm bei seiner Rückkehr in die Stadt gehörig eins mit der Bratpfanne über den Kopf zog (und dem Helm damit eine weitere Delle beibrachte), verbreitete sich die Kunde vom tapferen Goblin in alle Himmelsrichtungen, und bald war der Name Limf Drachenschreck in aller Munde (manch einer nannte ihn aber auch scherzhaft Limf Eierknacker).
 

Monolith

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Also ich habe mir jetzt beide Teile durchgelesen und hey, mir gefällts! Beide Teile lassen sich beinahe fließend lesen (beinahe, da der Fluss gelegentlich durch kleine grammatikalische Fehler unterbrochen wird) und es führt immer ein Teil zum anderen (bis auf eine Ausnahme, die mir aufgefallen ist. Und zwar im ersten Teil, als Limf vor der Truhe hockt und träumt).

Gelegentlich sind deine Beschreibgunen aber etwas ungenau. Zum Beispiel als der Drache auftaucht. Seinen Flügelschlag müsste man schon von Weitem hören...auch den Angriff und die Reaktionen der Drachenjäger könnte man etwas genauer darstellen.

Lediglich zwei Menschen hoben sich vom Rest ab; der eine war komplett in eine schimmernde Rüstung gehüllt und auf seinem Rücken ruhte eine große Streitaxt, auf deren scharfer Klinge das Sonnenlicht tanzte. Der andere war jünger und wirkte nicht ganz so kräftig wie der Ritter, doch trotzdem umgab in die Ausstrahlung eines Kriegers.
Dieser Teil ist mir auch etwas negativ aufgefallen. Du beschreibst zwar die Habe des Ersten, doch erwähnst du in keinster Weise seine körperlichen Eigenschaften, beziehst dich aber in der Beschreibung des Zweiten auf diese, nämlich indem du sagst, dass er "nicht ganz so kräftig" sei.
Auch kann ich mir nichts unter einer "Ausstrahlung eines Kriegers" vorstellen.

So...mehr fällt mir jetzt nicht ein. Hat auf jeden Fall Spaß gemacht, die Geschichte zu lesen und besonders das Ende gefiel mir, konnte mir ein Lachen nicht verkneifen ;)
Insgesamt originell und witzig...nur überprüf doch mal die Texte auf Rechtschreibung und Grammatik, denn oft sind es kleine (Tipp-)Fehler die sich in die Texte schleichen und den Lesefluss unterbrechen können.

Gruß,
Monolith
 

Empi

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Hi Monolith,

vielen Dank für die Mühe, die Du Dir beim Durchlesen und den Verbesserungsvorschlägen gemacht hast.

Dass mit der Stelle, an der ich mich auf den kräftigen Körperbau beziehe, ohne ihn vorweg erwähnt zu haben, ist mir nie aufgefallen. Sehr scharfsinnig.

Um die angesprochenen Kritikpunkte werde ich mich in Kürze kümmern, da sie allesamt zutreffen.

Freut mich auf jeden Fall, dass es Dir ansonsten Spaß gemacht hat, meine Geschichte zu lesen, denn meistens sind die Leute von so langen Erzählungen abgeschreckt (ich oft auch)
 



 
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