Fest der Liebe

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Liselotte

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Wieder einmal steht Weihnachten vor der Tür, und wenn man einige Jahrzehnte auf dem Buckel hat, könnte es auch das letzte Weihnachtsfest sein, das einem vergönnt ist. So ... denkt man manchmal, und auch wieder nicht ! Doch dieses Mal trifft für mich die letzte Annahme zu, denn ich plane umzuziehen, mitten in die Stadt, ins pulsierende Leben, um mich herum Theater, Kinos, Kaffeehäuser, Parks und neue Menschen zum Kennenlernen. Aus diesem Kreis wird mich dann eines Tages ein Spaziergang nur noch ins Jenseits führen, doch zuvor will ich diese kleinen Annehmlichkeiten noch genießen, die ich fast drei Jahrzehnte auf dem Land entbehrt habe, entbehren mußte – aus vielerlei Gründen.
Und was liegt bei einem Umzug näher, als die Notwendigkeit einer gründlichen Entrümpelung. Gedacht, getan? Nein, so schnell ging es nicht, aber nun hat es über Nacht geschneit; das ist die richtige Stimmung für einen Dachbodenbesuch. Der dicke Schornstein, der direkt durch die Mitte des Speichers geht, spendet jetzt die richtige mollige Wärme. Alle Kisten, Kasten, Kartons und Taschen ziehe ich heran und entscheide mich für den alten Überseekoffer, der trotz dickem Staub noch nichts von seiner ledernen Schönheit, aber leider einen Tragegriff eingebüßt hat. Während des Krieges und noch etliche Jahre danach weilte er als „Aussiedler“ mit Muttis Aussteuerwäsche gefüllt bei Verwandten im Gebirge, dort, so konnte man erwarten, würde sich kein Feindflugzeug hinverirren. Gottlob, war dem auch so.
Behutsam öffne ich den Koffer. Mit einem Mangeltuch hat Mutti alles abgedeckt. Mein Herz klopft voller Freude, voller Wehmut, aber auch voller Dankbarkeit für ihre Sorgfalt, mit der sie alles für mich hinterlassen hat.
Zu oberst liegt das elfenbeinfarbige zierliche Handtäschchen aus meiner Tanzstundenzeit; daneben der Fächer mit den Beteuerungen, daß man jede Nacht von mir träumen möchte; die langen Spitzenhandschuhe, ein paar feinste Battist-Taschentücher, der ausgetrocknete, verblaßte Lippenstift, und zuletzt ein Foto von einem Sommerfest. Gartenparty nannte man das damals noch nicht, und gegrillt wurde auch nichts.

D a s Foto - ganz schnell lege ich es beiseite, später werde ich es mit hinunternehmen und in Ruhe einmal all derer gedenken, die damals schon nicht mehr unter uns weilten, die lieben jungen Freunde – gefallen für Volk und Vaterland.

Ich krame weiter, Stoffblümchen, Schleifchen, Bänder und Gürtel in schönsten Farben, und kann der Versuchung, einen Gürtel umzulegen, nicht widerstehen. Wo ist sie geblieben, meine Taille von damals? Kaum zu glauben, daß man sooo schlank war. Trotzdem darf ich schmunzeln, denn „zu den später aus allen Fugen geratenen“ gehöre ich nicht. Der Lack ist zwar ab, aber wir hatten ihn wenigstens einmal.
Alles bisher Gefundene habe ich fein säuberlich auf ein Tuch neben dem Koffer gelegt, denn auf einen Zettel hat Mutti mit iher kleinen Schrift niedergeschrieben, daß sie die Kleidungsstücke Christ H. geschenkt habe und annähme, daß ich sie nicht vermissen und suchen wüde. Die Stoffreste aber habe sie in einem festen Extrabeutel verwahrt, damit ich auch in Zukunft meine geliebte Püppi „Mona Lisa“ schmücken könne. Ach Gott, Mona Lisa! Dadurch, daß ich keine Kinder und somit auch keine Enkel habe, war meine Püppi ganz in Vergessenheit geraten. Ob auch mein abgeschnittener Zopf dabeiliegt? Von ihm sollte sie eine schöne Echthaar-Frisur bekommen. Etwas schneller als vorgesehen, räume ich nun den Koffer aus. Ja, zu unterst in zwei ineinander geschobenen Schuhkartons ruht meine Püppi; die ewig Kranke, die jedes Jahr von mir operierte, und doch nie schöner gewordene Mona Lisa.
Einige Tage sind vergangen. Ich habe Püppi mit zu mir ins Bett genommen, habe sie eingepackt, zärtlich gestreichelt, ihr gute Nacht gewünscht und guten Morgen gesagt und habe sie unzählige Male um Verzeihung gebeten für die mannigfaltigen Blessuren, die ich ihr in meinen Kinder- und Jugendjahren beigebracht habe. Und oft, sehr oft, habe ich das Gefühl gehabt, daß sie mich verständnisvoll und vergebend anlächelte.
Mein Gewissen aber quälte mich doch ob der langen kalten Jahre, in denen meine Püppi so liebelos im Karton zubringen mußte. Man kriegt nur verziehen, wenn man der Reue auch die gute Tat folgen läßt, so erinnerte ich mich. Aber welche gute Tat könnte ich vollbringen, welche könnte vor Püppis Augen Gnade finden? Drei Tage und Nächte wollte ich mir Zeit geben zum Überlegen – und tatsächlich – mein Blick fiel auf Phillip, wieso hatte ich ihn vergessen? Vor fast zwanzig Jahren, als Puppen wieder in Mode kamen, erstand ich Phillip; einen lustigen, verschmitzt lächelnden Burschen, mit dem ich mich öfters unterhielt, wenn ich alleine war. Sein fester Platz war auf meiner Eckbank unter dem Herrgottswinkel. Ihm würde ich Püppi zuführen, er solle um sie werben, sie zum Lachen bringen und sie glücklich machen. Phillip wird ihr Herz im Sturm erobern, dessen bin ich sicher. Er ist groß und schlank, hat blaue Augen, einen schönen Mund, feine Hände und ist ein richtiger Kavalier.
Seit dem ersten Advent sitzt nun Püppi frühmorgens auf der Eckbank, seine Hand ruht auf ihrer Schuler, sie schaut zu ihm auf, er auf sie herab, beide lächeln sich an. Ich kann nicht hören, was sie sich zuflüstern, aber ich kann mir denken, daß es nur liebe, zärtliche Worte sind, denn beider Augen strahlen. Wenn ich wegschaue, neigt er sich ihr wahrscheinlich manchmal verstohlen zu, um ihr anzudeuten, daß er sie küssen möchte; aber noch ist Püppi ganz Dame, vornehm zurückhaltend und sich ihres Wertes bewußt.
Heute in der Christnacht werden sie erstmals gemeinsam neben mir im Bett liegen. Ich werde diskret über sie wachen, und wenn sie sich in Liebe gefunden haben, werde ich eine große Hochzeit arrangieren und Euch, liebe Freunde, alle dazu einladen.
 



 
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