Hier kommt mein Lösungsvorschlag für die aktuelle Übung...
Durch ein Loch in der Stoffwand fiel ein einzelner, gleissend heller Sonnenstrahl ins Zelt, ließ zahllose Staubkörnchen erstrahlen und kitzelte Friedrich an der Nase. Die Luft war stickig, trocken und schmeckte nach Sand.
Ächzend drehte er sich auf die Seite und spuckte aus. Sein Mund fühlte sich an, als habe man einen Tennisball hineingestopft. Als er endlich ein Augenlid öffnen konnte, blinzelte er einen Moment und erkannte dann seinen Aktenkoffer neben sich auf dem Zeltboden. Eine zeitlang starrte er das Kunstleder an, dann schweifte sein Blick umher. Das Zelt war nicht groß, er konnte sich gerade ausstrecken, ohne mit Kopf oder Füßen an die Wände zu stoßen. Außer seinem Aktenkoffer entdeckte er einen ordentlichen Stapel Kleidung, mehrere Wasserkanister und eine verschlossene Metallkiste.
Er gestattete seinem von der Helligkeit gequälten Auge, sich wieder zu schließen und dachte nach. Die letzte Nach - ja, der komplette gestrige Tag war ein schwarzes Loch, er konnte sich an nichts erinnern. Immerhin wusste er ziemlich genau, wer er war - und daß er heute, Dienstag, in seinem Büro hoch oben in jenem Gebilde aus Stahl und Glas sitzen sollte, das in den letzten zwanzig Jahren seine wirkliche Heimat geworden war.
Stattdessen lag er mit schmerzenden Gliedern in einem Zelt und hatte eine Erinnerungslücke so groß wie das Defizit auf den Konten seiner liebsten Kunden.
Als ränne der Sand, der überall um ihn herum zu schweben schien, langsam aus seinem Verstand und gäbe sein Denkvermögen wieder frei, entstand eine Lösung für die Frage nach seiner Situation.
Letztes Jahr hatten sie die Fond-Verwalterin Ursula in einem DSV (Deep-Sea-Vehicle, Tiefsee Tauchgerät) im Mariannengraben ausgesetzt. Uschis Flucht hatte knapp zwei Wochen gedauert, während der sie die Steuerung des Geräts verstehen lernte, an die Oberfläche zurückkehren musste und endlich ein zufällig vorbeikommendes Schiff auf sich aufmerksam machen konnte. Nachdem sie sich von ihren schweren Mangelerscheinungen erholt hatte, die Knochenbrüche verheilt waren und sie wieder an ihre Arbeit gehen konnte, war sie dankbar für das neugefundene Leben gewesen, das jenes unvergleichliche, einmalige Erlebnis ihr beschert hatte.
Und genau so war es den meisten aus Friedrichs Bekanntenkreis ergangen. Seit mehr als zehn Jahren überraschten sie den einen oder anderen, indem sie ihn oder sie irgendwo hin brachten - in ein unbekanntes Land, in die Tiefsee, einmal sogar in einen Atombunker, dessen Türen sich nur nach dem Lösen etlicher mathematischer Aufgaben öffnen ließen.
Die ultimative Gefahr, der letzte Kick, den die moderne Welt denen bieten konnte, die sich alles leisten konnten - das waren diese Überraschungen. Und jetzt war er an der Reihe.
Er zwang sich, die bereitgelegten Sachen anzuziehen und stellte erstaunt fest, daß man immerhin seinen Geschmack mit den vermutlich notwendigen Kompromissen für seinen Aufenthaltsort zusammengebracht hatte. Bis auf das recht weite Hemd passte alles wie maßgeschneidert - was es vermutlich auch war, sie hatten für ihre Überraschungen vollen Zugriff auf die Geldmittel ihrer "Opfer". Seine Konten waren in beinahe beliebiger Höhe gedeckt, selbst bei einem Engpass erlaubte seine Stellung ihm, bis zu zwei Jahren die dreifache Verfügungsmenge in Anspruch zu nehmen.
Der Gedanke brachte ihn darauf, daß der Ort, an dem er sich befand, durchaus kostspielig zu erreichen sein konnte. Ursula hatte lange gebraucht, um das Loch in ihren Finanzen zu stopfen, daß ihr Ausflug in den Graben gerissen hatte - aber sie schwor, daß es ihr jeden einzelnen Taler wert gewesen sei.
Er riss die Zeltplane auf und kniff die Augen zu, um zwischen den endlosen Dünen und dem nahtlos in diese übergehenden Horizont etwas zu erkennen. Ausserhalb des Zeltes war es noch heisser als innen - man hatte ihm seine Uhr gelassen und er erinnerte sich, wie man Himmelsrichtungen feststellen konnte. Er richtete den Stundenzeige und die 12 aus, starrte kurz zur Sonne hinauf und murmelte: "Südlich. Ich bin südlich des Äquators. Verdammt - Selbst wenn hier jemand vorbeikommt, ich spreche keine der Sprachen hier."
Nicht nur die Sprache konnte ein Problem werden - er traute ihnen durchaus zu, daß sie ihn in einem Krisengebiet abgesetzt hatten. Ohne Hinweis darauf, wer hier willkommen war, welches Verhalten angebracht war, wenn jemand mit einer Waffe auf ihn zielte - und ohne triftigen Grund, mitten in einer Wüste zu hocken - könnte sich seine Rettung als schwierig erweisen.
Es hatte kaum Sinn, ziellos in die Dünen zu wandern. Ausserdem wusste er nicht, wie er das Zelt abbauen und mitnehmen sollte. Also kehrte er zurück in die relative Kühle des Inneren und bemühte sich noch einmal, die metallene Kiste zu öffnen.
Erst, als er mit dem Daumen eine polierte Fläche an einer Seite des Behälters berührte klappte dieser mit einem saugenden Geräusch auf. Friedrich starrte auf den Inhalt und begann schließlich, die Gegenstände auf dem Zeltboden zu verteilen. Da war eine kleine, funkelnde Schusswaffe, mehrere durchsichtige, knapp einen halben Zentimeter dicke Folien, ein Gerät, das wie ein Rasierapparat aussah - aber sicher keiner war. Und zuletzt förderte er eine kleine Schachtel zu Tage, deren Inhalt sich als lebende, krabbelnde Würmer herausstellte.
Er hatte keine Ahnung, was er mit diesen Dingen anfangen sollte. Er konnte weder schießen noch hatte er Verwendung für die Folien. Und wessen Bedürfnisse mit den Würmern befriedigt werden sollten entzog sich völlig seinem Verstand.
Ein Jaulen und Rufen von draußen ließ ihn erneut den Eingang seiner Behausung öffnen. Über die Kuppe der nächstgelegenen Düne waren Besucher gekommen - Reiter in langen, weissen Gewändern, mit Kapuzen oder anderen Bedeckungen auf den Köpfen. Sie streckten ihm Gewehre - oder etwas ähnliches - entgegen und brüllten in einer Friedrich unbekannten Sprache. Das alles hatte er beinahe erwartet - was ihn jedoch zutiefst beunruhigte, waren die Reittiere, auf denen die Fremden kamen.
Sechsbeinige, schwarze, ölig schimmernde Käfer oder Asseln, auf deren Rücken Sitzgelegenheiten für ihre Reiter angebracht waren, bewegten sich auf geschickter Weise den rutschenden Sand hinab auf sein Zelt zu. Jedes dieser Viecher war höher als ein Mann - er konnte kaum Hoffnung haben, mit der Pistole etwas gegen diese lebenden Panzer auszurichten. Verzweifelt hob er die Arme und verließ das Zelt.
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