Fischregen
Die Nacht über hatte es kräftig an den Rollladen geklappert, so dass Marion nicht besonders ausgeschlafen war, als der Wecker klingelte.
Sie schlüpfte in den warmen Norweger-Pullover, den sie von ihrer Mutter zum 30. Geburtstag letzte Woche bekommen hatte und zog sich in diesem ungewöhnlich kalten Februar noch eine Wollstrumpfhose unter die Jeans. Als sie vors Haus trat, wurde sie von einer heftigen Windböe gegen den Fahrradständer geschleudert. Sie zog sich schnell wieder hoch und dachte kurz an die Wettervorhersage, die sie gestern in den Abendnachrichten gehört hatte:
Stürmische Winde – heftige Niederschläge – örtliche Gewitter möglich. Es war in der Tat sehr stürmisch.
Zur Garage waren es nur ein paar Schritte, aber sie musste sich am Gartenzaun entlang hangeln um nicht noch einmal den Halt zu verlieren. Das Garagentor aufzustoßen erforderte ihre ganze Kraft. Hinter dem Steuer ihres kleinen Fiats fühle sie sich sicher. Sie merkte gar nicht, dass außer ihr niemand unterwegs war. Eine leere Mülltonne wurde vom Wind über die Straße gefegt. Marion konnte gerade noch ausweichen. In wenigen Minuten war sie auf der B 463 Richtung Meershausen, wo sie in ziemlich genau einer halben Stunde ihren Dienst in der dortigen Kreisklinik als Hebamme antreten würde.
Es hatte zu schütten begonnen. Die Scheibenwischer pflügten die Wassermassen tapfer von einer Seite zur anderen. Zeitgleich mit dem ersten Donnerschlag knallten riesige Hagelkörner aufs Blechdach und gegen die Scheiben. Blitze erleuchteten die Szenerie. Die Bäume bogen sich wie Peitschen und ihre letzten Blätter mischten sich mit dem Hagel zu einer undurchsichtigen Wand. Marion konnte kaum noch etwas sehen. Sie starrte angestrengt durch die Windschutzscheibe. Waren es überhaupt Hagelkörner? Was da vom Himmel fiel war nicht weiß oder hellgrau, es war dunkel, blauschwarz. Und es waren auch keine Eiskörner oder Blätter: es waren Fische, Sardellen vielleicht, nein Heringe, oder eher Forellen. Immer größer wurde das Getier, das auf sie herab regnete. Sie stieg auf die Bremse und hielt da, wo sie den rechten Fahrbahnrand vermutete. Beim Anhalten rutschte ein riesiger Fisch vom Autodach über die Windschutz-scheibe und blieb seitlich liegen. Sein großes Auge schaute dumm in ihr verstörtes Gesicht. Weitere Fische rutschten lautlos die schleimige Bahn herunter und bedeckten die Kühlerhaube. Auch neben dem Auto häuften sich bereits mehrere Lagen Fische, die sich eng aneinander schmiegten, in jede Lücke schlüpften. Innerhalb weniger Sekunden wuchsen die Fischleiber auf der Straße zu solcher Höhe an, dass an ein Hindurchkommen nicht mehr zu denken war. Marion hatte nur einen Gedanken: Raus hier, fort von hier, weg, weg! Lieber Gott, lass mich bloß hier raus kommen! Die Autotür ließ sich gerade noch einen Spalt weit öffnen, so dass sie sich hinauszwängen konnte. Sofort glitt sie auf dem glitschigen Untergrund aus und landete bäuchlings auf der fischigen Masse. Sie schleuderte jeden Fisch, den sie zu packen bekam, weit von sich. Es war pure Sisyphos-Arbeit, die sie nicht einen Schritt weiter brachte. Jedes Mal, wenn sie es geschafft hatte, in die Senkrechte zu kommen, platschte sie wieder zurück auf die schlüpfrigen Leiber.
Mit der Zeit rutschte sie trotz verzweifeltem Kampf immer tiefer und war bereits bis zur Brust im fischigen Sumpf von unzähligen Glupschaugen umschlossen. Schließlich ragte nur noch ihr Kopf heraus, und sie japste mit den nach Luft schnappenden Fischmäulern und die Wette.
Mit größter Willensanstrengung gelang es ihr noch einmal einen Arm hervor zuziehen, um ihren Hals ein wenig frei zu bekommen, auf dem ein besonders großes Exemplar lag und sie zu ersticken drohte. Sie griff nach dem Fischkörper und erkannte mit Entsetzen, dass ihre Hand zur Flosse geworden war, die zwar kräftig aber erfolglos nach dem Fisch schlug. Ihre Beine ganz tief unten hatte sie schon eine ganze Weile nicht mehr gespürt. Jetzt aber fühlte sie plötzlich einen starken Impuls sich nach oben zu strampeln. Mit zwei, drei kräftigen Auf- und Abwärtsbewegungen konnte sie sich endlich an die Oberfläche stoßen.
Das Rippenmuster ihrer roten Strumpfhose war prall gedehnt. Dort wo einst die Füße waren, schillerte nun in geometrisch-vollendeter Form eine riesige Schwanzflosse, um die sich locker ihr Jeansgürtel gewickelt hatte. Marions Hals fühlte sich gleichermaßen dick und steif an. Sie war nicht in der Lage an ihrem Körper herab zu sehen, aber was sie spürte, war eindeutig genug.
Die Nacht über hatte es kräftig an den Rollladen geklappert, so dass Marion nicht besonders ausgeschlafen war, als der Wecker klingelte.
Sie schlüpfte in den warmen Norweger-Pullover, den sie von ihrer Mutter zum 30. Geburtstag letzte Woche bekommen hatte und zog sich in diesem ungewöhnlich kalten Februar noch eine Wollstrumpfhose unter die Jeans. Als sie vors Haus trat, wurde sie von einer heftigen Windböe gegen den Fahrradständer geschleudert. Sie zog sich schnell wieder hoch und dachte kurz an die Wettervorhersage, die sie gestern in den Abendnachrichten gehört hatte:
Stürmische Winde – heftige Niederschläge – örtliche Gewitter möglich. Es war in der Tat sehr stürmisch.
Zur Garage waren es nur ein paar Schritte, aber sie musste sich am Gartenzaun entlang hangeln um nicht noch einmal den Halt zu verlieren. Das Garagentor aufzustoßen erforderte ihre ganze Kraft. Hinter dem Steuer ihres kleinen Fiats fühle sie sich sicher. Sie merkte gar nicht, dass außer ihr niemand unterwegs war. Eine leere Mülltonne wurde vom Wind über die Straße gefegt. Marion konnte gerade noch ausweichen. In wenigen Minuten war sie auf der B 463 Richtung Meershausen, wo sie in ziemlich genau einer halben Stunde ihren Dienst in der dortigen Kreisklinik als Hebamme antreten würde.
Es hatte zu schütten begonnen. Die Scheibenwischer pflügten die Wassermassen tapfer von einer Seite zur anderen. Zeitgleich mit dem ersten Donnerschlag knallten riesige Hagelkörner aufs Blechdach und gegen die Scheiben. Blitze erleuchteten die Szenerie. Die Bäume bogen sich wie Peitschen und ihre letzten Blätter mischten sich mit dem Hagel zu einer undurchsichtigen Wand. Marion konnte kaum noch etwas sehen. Sie starrte angestrengt durch die Windschutzscheibe. Waren es überhaupt Hagelkörner? Was da vom Himmel fiel war nicht weiß oder hellgrau, es war dunkel, blauschwarz. Und es waren auch keine Eiskörner oder Blätter: es waren Fische, Sardellen vielleicht, nein Heringe, oder eher Forellen. Immer größer wurde das Getier, das auf sie herab regnete. Sie stieg auf die Bremse und hielt da, wo sie den rechten Fahrbahnrand vermutete. Beim Anhalten rutschte ein riesiger Fisch vom Autodach über die Windschutz-scheibe und blieb seitlich liegen. Sein großes Auge schaute dumm in ihr verstörtes Gesicht. Weitere Fische rutschten lautlos die schleimige Bahn herunter und bedeckten die Kühlerhaube. Auch neben dem Auto häuften sich bereits mehrere Lagen Fische, die sich eng aneinander schmiegten, in jede Lücke schlüpften. Innerhalb weniger Sekunden wuchsen die Fischleiber auf der Straße zu solcher Höhe an, dass an ein Hindurchkommen nicht mehr zu denken war. Marion hatte nur einen Gedanken: Raus hier, fort von hier, weg, weg! Lieber Gott, lass mich bloß hier raus kommen! Die Autotür ließ sich gerade noch einen Spalt weit öffnen, so dass sie sich hinauszwängen konnte. Sofort glitt sie auf dem glitschigen Untergrund aus und landete bäuchlings auf der fischigen Masse. Sie schleuderte jeden Fisch, den sie zu packen bekam, weit von sich. Es war pure Sisyphos-Arbeit, die sie nicht einen Schritt weiter brachte. Jedes Mal, wenn sie es geschafft hatte, in die Senkrechte zu kommen, platschte sie wieder zurück auf die schlüpfrigen Leiber.
Mit der Zeit rutschte sie trotz verzweifeltem Kampf immer tiefer und war bereits bis zur Brust im fischigen Sumpf von unzähligen Glupschaugen umschlossen. Schließlich ragte nur noch ihr Kopf heraus, und sie japste mit den nach Luft schnappenden Fischmäulern und die Wette.
Mit größter Willensanstrengung gelang es ihr noch einmal einen Arm hervor zuziehen, um ihren Hals ein wenig frei zu bekommen, auf dem ein besonders großes Exemplar lag und sie zu ersticken drohte. Sie griff nach dem Fischkörper und erkannte mit Entsetzen, dass ihre Hand zur Flosse geworden war, die zwar kräftig aber erfolglos nach dem Fisch schlug. Ihre Beine ganz tief unten hatte sie schon eine ganze Weile nicht mehr gespürt. Jetzt aber fühlte sie plötzlich einen starken Impuls sich nach oben zu strampeln. Mit zwei, drei kräftigen Auf- und Abwärtsbewegungen konnte sie sich endlich an die Oberfläche stoßen.
Das Rippenmuster ihrer roten Strumpfhose war prall gedehnt. Dort wo einst die Füße waren, schillerte nun in geometrisch-vollendeter Form eine riesige Schwanzflosse, um die sich locker ihr Jeansgürtel gewickelt hatte. Marions Hals fühlte sich gleichermaßen dick und steif an. Sie war nicht in der Lage an ihrem Körper herab zu sehen, aber was sie spürte, war eindeutig genug.