alter-naiv
Da kommt eine gar schauerliche Vogelscheuche ins Land gezogen. Der Begriff Vogelscheuche beschreibt dieses Wesen, besser Unwesen, nur ungenau. Phänomenologisch scheint er halbwegs angemessen: auf dem hageren Körper baumelt ein besenstielbreiter Kopf, viel zu schmal für ein ordentliches Gesicht, daher ohne Mund, Platz nur für die Andeutung eines einzelnen Auges und einer - allerdings vollständigen – Nase, welche rhythmisch (3/4 Takt) ihre Flügel bläht. Die Ohren, besser die äußeren Gehörgänge, sind als seitliche Bohrlöcher markiert, die Haare, könnten aus dem Gerätefonds einer abgetakelten Cheerleaderin stammen. Ferner stehen zwei Stecken aus dem Leib, die vor der absonderlichen Gestalt meterhohe Kreise in der Luft zeichnen und dabei ein unheimliches Sausen generieren. Beinäquivalente sind nicht auszumachen, die Fortbewegung erfolgt durch ruckartiges Aus- und Einziehen eines Stahlstampfers, quasi Presslufthammerbasis. Dabei wird die Gestalt nach oben und vorne geworfen, um danach mit gewaltigem Getöse zu landen.
Funktionell allerdings ist der Begriff „Vogelscheuche“ eine einzige Untertreibung, es fliehen nicht nur die meisten Vögel, sondern anderes Getier, darunter Schlange, Kröte und Maus. Obwohl die Schlange normalerweise weder mit Kröten noch mit Mäusen lange Diskussionen zu führen pflegt, hält sie sich diesmal mit dem Zuschnappen, Vergiften und Verschlucken gar artig zurück und zischelt sogar etwas von, wenn sie das überlebte dann würde sie nie wieder die armen nützlichen Tiere belästigen. Sie beweist in dieser schweren Stunde somit ein schlechtes Gewissen und dieser Umstand wird später ein oft zitiertes Highlight der vergleichenden Verhaltensforschung werden.
Der Tierexodus ist fast vollständig. Nur die Fische müssen in den Weihern ausharren. Wie immer hörte niemand ihr Schreien.
Das Hühnervolk zeigt ein paradoxes Verhalten auf die heranstampfende Gefahr. Die Weibchen, mehr all neun an Zahl, erinnern sich, sei es, weil sie kurz zuvor eine große Zahl gebundener Blumen gesehen haben, sei es, weil über das Radio im Bauernhaus liebliche Walzerweisen gesendet worden sind, an ihren großen Verwandten, und fangen wie besessen an, die Köpfe in den Sand zu stecken. Wobei der Ausdruck besessen auch nicht ganz stimmig scheint, stemmen sie doch dabei die Pürzel was weiß ich wie in die Höhe. Der Hahn wird zum Opfer eines bisher noch nie beobachteten Gemischs von Vogelscheuchen-bedingten Stress- und durch Pürzel-in-die-Höh-Sehens-induzierten Sexualhormonen und packt die gesamte Vogelschar, wie die Hennen später aussagen werden, unbeschreiblich, mit Rücksicht auf die, die es wirklich wissen, erspare ich mir hier also weitere Einzelheiten.
Der schwerhörige und fast blinde Frosch schließt sein weit geöffnetes Maul ansatzlos. Trotz seiner Behinderung dürfte es ihm gedämmert sein, dass der Stahlstampferfuß, nur wenige Zentimeter entfernt von seiner großen Zehe gelandet ist. Einer Fliege, die darauf vertraut, dass die Klappe sich erst nach Abgeben eines unüberhörbaren Warn-Tons schlösse, wie immer halt, wurde diese Plötzlichkeit zum Schicksal und ihrem Leben zum Ende.
Hermann, der Bauer, kann seinen Augen nicht glauben. Solche Ungetüme, die in unerhörter und dabei doch so ohrenbetäubender Weise über seine Äcker springen, gehörten doch in ein schlechtes Kino. Seine bis dahin labile Trunksucht verfestigt sich in diesem Moment, er greift, endgültig zur Flasche und trinkt bis in die frühen Morgenstunden, wobei er mit seinem bodenständigen Akzent „Will I? Bald? Bald will I“ vor sich herlallt. Drüben, auf der Erde freut sich jetzt jemand, ganz spontan.
Ach ja, die Erscheinung stellt sich später als ein Teil einer Rakete, Apollo 25, heraus, die sie zu uns auf den Mars geschickt haben. Ich suche nach einem Schweißtuch, um mir die Stirn zu trocknen. Sollte ich einmal mit solchen Erscheinungen konfrontiert werden, höre ich mit dem - oder heißt es mit den? - Internetten auf.