Fußpflege
„Heute ist Fußpflege, Frau Westhoff. Fußpflege!“
"Gingen sie gerne zu Frau Westhoff?"
"Ich war immer so unsicher, besonders an den Tagen, wenn sie mich direkt wieder wegschicken wollte, wenn ich vor ihrer Tür stand. Ich blieb ihr fremd und drang einfach ein in ihre Wohnung, ihre Welt.
„Wo ist mein Handtuch?“
„Ich hab‘ schon eins rausgelegt. Und den Schwamm.“
„Wo ist mein Handtuch?“
Schon wieder Fußpflege. Ihre Stimme kommt aus dem Wohnzimmer. Oder dem Schlafzimmer, der Küche, dem Bad, aus dem Flur. Immer besorgt, bewegt, ruhelos, kribbelig. Gleich wird sie mich im Ankleideraum suchen. Um zuzuschauen, wie ich die angelieferte Wäsche in den Kleiderschrank einsortiere.
„Sie hatten Angst vor ihrer Tätigkeit?“
"Angst? Manchmal erschreckte sie mich. Wegen ihrer Beine trug sie dicke Perendale-Socken und tauchte plötzlich lautlos hinter mir auf ..."
Sie ist überall. Versprengt, verstreut, in unbekannten Zimmer, beobachtend. Hilflos, lehnt alle Hilfe ab, entflieht dem Eingeständnis. Morgens geht es ihr besser, bei Licht, viel Licht, in warmer Morgensonne. Wo ist bloß der Schlüssel, wo ist
„Wo ist mein Handtuch?“
Ich kriege die Schranktür nicht auf. Alles ist sofort wieder weg. Ob sie mit meinem Gesicht etwas verbindet? Wenigstens eine Erinnerung? Was sieht sie, was verbindet uns? Etwas unterbindet, verstopfte, verklumpte Wege, dunkle, verschattete, beängstigende Räume. Kein Schlüssel. Wann ist Fußpflege. Das macht sie unruhig. Welches wann, wie ist ihr gestern, ihr heute? Wo ist der Schlüssel, wo hat sie den nur? Ach je, unter dem Wäschekorb, da kann ich lange suchen.
„Wo ist mein Handtuch?“
„Im Bad.“
„Ist denn überhaupt Geld da für Herrn Stötzner?“
„Ja, liegt in er Küche, passend.“
Wo kommen die Stützstrümpfe rein? Die Schrankfächer hat sie alle beschriftet, sonst findet sie nichts wieder. Zittrige langgezogenen Bögen und feineckige Buchstaben. Ich kann ihre Schrift nicht lesen. Alles mit Füller. Alles aufschreiben, wenn man sich erinnern will, die Erinnerung auffüllen.
„Wo ist mein Handtuch?“
„Im Bad, beim Schwamm.“
"Sie brachte mich durcheinander mit den Fragen . Immer die gleichen. Ich habe ehrlich versucht, so zu tun, als ..."
„Es klagt Sie niemand an. Bitte fahren Sie fort.“
"Ich war dreimal die Woche da. Während meines Zivildienstes. Fußpflege gehörte nicht zum Sachleistungsumfang, die musste zusätzlich bezahlt werden. Die Pfleger wie Stötzner kriegten sowieso mehr Geld."
Jetzt steht sie wieder da mit dem großen braunen Portemonnaie in der Hand.
„Ist noch Geld da?“
Sie hat eine Riesenangst, etwas nicht bezahlen zu können. Alles wird jetzt teurer. Das Konto ist fast leer. Kein Geld herumliegen lassen.
„Hab ich noch Geld auf dem Konto?“
„Ja, genug da. Und für Herrn Stötzner ist es rausgelegt.“
"Die Angehörigen verwalteten ihre Rente und legten für den Monat Haushaltsgeld bereit. Ihr Konto war schon lange aufgelöst."
Die Wollwäsche gehört in die Kirschholzkommode. Ewig klemmen die Schubladen, jetzt mit Ruck - Mist, ihre Fotos, wie standen die vorher? Ist sie die Frau mit dem streng geflochtenen, sorgfältig hochgesteckten Bauernzopf, wer sind die zwei kleinen Mädchen? Der Junge trägt einen Kommunionanzug. Auf dem anderen Bild ein älterer Mann, ihr Vater?, sie lehnt sich an ihn, eine junge Frau, schöne lange offene Haare. Was soll nur dieser Babyschuh aus Zinn?
„War es Ihr Wunsch, in die Altenpflege zu gehen?“
"Ich bin zugeteilt worden. Hatte mich vorher um nichts gekümmert. Andere waren da cleverer."
„Reicht das Geld noch für Herrn Stötzner?“
„Ja, natürlich. Es ist noch genug da.“
Einmal hat sie mich verdächtigt. Beschimpft. Eine alte Frau bestehlen. Ha, das ist einfach. Hilflosen was wegnehmen, ihr seid stark und jung und habt schnelle Beine, wer soll sich da noch wehren können, ist denn das gerecht
„Ist denn alles da für Herrn Stötzner, junger Mann?“
„Handtuch liegt da. Und ein Schwamm.“
„Und das Geld?“
„Geld liegt passend in der Küche.“
Der riesige braune Kleiderschrank drückt den Ankleideraum zusammen. Dunkle Buche, mit gedrechselten Voluten, sehen aus wie Augen, die mir immer nachschauen. Die schwere Kommode, der massive Tisch, ich habe gar keinen Platz, das wenige Licht kommt nur vom Flur. Noch drei Blusen im Wäschekorb , Zellophanhüllen abwickeln, auf den Bügel, ich hab keine Lust mehr. Wo schwirrt sie wieder umher? Wenn ich lang genug im Ankleideraum werkele, vergisst sie mich bisweilen und gibt Ruhe. Heute wohl nicht. Ich geh Schuhe putzen auf den Balkon, mein Gott, sind die ausgetragen, dabei geht sie doch kaum noch raus.
„Wo ist mein Handtuch?“
„Frau Westhoff, das haben Sie mich heute schon zehn mal gefragt.“
„Ist es üblich, einen Zivildienstleistenden ohne Begleitung zu Patienten zu schicken?“
"Nachdem ich zwei Monate da war, wurde ich alleine los geschickt, für mich werden ja nur 28 % vom Satz berechnet, ist ja auch eine Kostenfrage und ich war vertrauenswürdig."
„Wir folgen Ihnen mit Aufmerksamkeit, aber können Sie jetzt etwas näher bei den Tatsachen bleiben?“
Ich atmete auf dem Balkon tief durch. Das Schnappschloss knackte zu wie eine Absperrung zwischen mir und der irrenden, unablässigen Bewegung. Aber auf dem Balkon war keine Schuhcreme, die lag unter der Spüle in einem alten Schuhkarton. Ich schlich leise durch den Flur zurück und öffnete vorsichtig die Küchentür.
Zuerst sah ich nur die fleckige Aluminiumbeine des Küchtisches mit der schwarzweiß-gemusterten Tischplatte, aber am Ende saß Frau Westhoff weinte. Ich trat unsicher zu ihr hin, sie packte meine Hand und hielt sie fest.
"Ihr Haar trug sie jetzt kurz, eine Ponyfrisur mit Seitenscheitel, sorgfältig gekämmt, die sie mit Haarclips feststeckte. Von denen verlor sie ständig welche, und ich brachte ihr von der Drogerie neue mit. Die Friseuse kam alle vier Wochen, die Angehörigen bezahlten sie vorab."
Sie drückte fest zu, ihre Finger waren knochig, aber die Hand warm.
„So wollte ich das nie. So wollte ich nicht alt werden, junger Mann.“
Der klare Klang ihrer Stimme verunsicherte mich. Mit ihrer rechten Hand fasste sie sich an die Stirn, die von unzähligen feinen Falten übersät war:
„Ich fühle hier hin, und suche – und es ist nichts mehr da.“
Ich konnte ihr nicht in die Augen schauen und schwieg. Ihr Blick wandte sich zum Fenster und sie schien mich plötzlich vergessen zu haben, hielt aber weiter meine Hand, ihre Augen schwammen in Tränen. Was würde Stötzner gleich sagen, schoss es mir durch den Kopf. Ich faltete mit Links ein Papiertaschentuch auf und berührte damit leicht ihre Wange. Sie schreckte hoch, ließ los und schob meine Hand weg. Das Tempotuch fiel runter und blieb zwischen uns beiden auf dem Tisch liegen. Gefühle von Beschämung, Verwirrtheit. Ich schaute zur Seite und richtete mich auf.
„Soll ich uns einen Kaffee machen?“
Nescafé war immer hinten im Küchenschrank. Ich setzte einen Topf auf den Gasherd, mit einem großen Schuss Milch, fuhrwerkte mit dem Zünder – brauchte immer mehrere Versuche - bis die Flamme anging. In zwei blaugeblümte Tassen füllte ich jeweils einen Löffel Zucker und Cafépulver. Frau Westhoff schaute dabei zum Fenster hinaus und zerknüllte pausenlos das Taschentuch in ihrer Hand. Etwas Milch in die Tassen gekippt, ich drehte die Flamme auf klein und stellte den Topf mit der restlichen Milch zurück.
„Empfanden Sie vor der Kranken Ekel?“
"Nein, nein. Sie war immer so freundlich. Baden und Waschen, das machen auch die Pfleger, die kriegen höheren Satz."
Wir tranken schweigend unseren Kaffee. Ein langes aufdringliches Klingeln schreckte uns hoch, ich sprang zur Tür. Typisch, Stötzner.
„Na, wie geht’s so, Sportsfreund? Wie ist die Alte heute drauf?“
Stötzner bemühte sich, gedämpft zu sprechen, doch sein fettleibiger Körper verbreitete den Schall der Stimme in alle Räume. An meinem Achselzucken vorbei stürmte er in die Küche, beugte sich zu Frau Westhoff und legte ihr seine große Pranke auf die Schulter.
„Na, junge Frau, einmal Pediküre heute?“
Sie lächelte vertrauensvoll und erhob sich. Wo ist mein Handtuch?
„Alles im Bad. Geld liegt in der Küche, Herr Stötzner“.
„Na, dann wollen wir beide mal in’s Bad spazieren. Ihr Arm, Gnädigste?“
Ich spülte meine Tasse weg, ihre Tasse ließ ich für den Rest noch da, schlüpfte in meine Jacke und zog die Tür hinter mir zu.
„Waren Sie danach wieder bei Frau Westhoff?“
"Ja, aber einige Wochen darauf wurde mein Dienstplan geändert."
„Haben Sie gefragt, warum?“
"Das macht die Verwaltung. Ohne mich zu fragen."
„Also haben Sie sich gefragt, warum?“
"Nein, ich konnte doch nicht wissen, mir hat niemand gesagt..."
„Dann werden wir Ihnen jetzt den Bericht der Pflegedienstes zur Kenntnis bringen: ... 11:15 Fusspflege Frau Westhoff, Stötzner. Körperlicher Zustand weiterhin gut. Nachlassende Handlungskompetenz. Während der Behandlung bemerkte der Pfleger einen rotglühenden Topf auf dem Gasherd, Patientin bestritt hartnäckig, ihn angestellt zu haben. Im Krankheitsverlauf ist zu erwarten, dass Handlungsabläufe im eigenen Haushalt bald nicht mehr möglich sind. Da die Leistungsnehmerin nur Pflegestufe 1 ist, können wir keine umfassenderen Pflegeverrichtungen durchführen. Die Angehörigen sind zu unterrichten, um eine Verlegung in stationäre Einrichtungen einzuleiten.“
„Heute ist Fußpflege, Frau Westhoff. Fußpflege!“
"Gingen sie gerne zu Frau Westhoff?"
"Ich war immer so unsicher, besonders an den Tagen, wenn sie mich direkt wieder wegschicken wollte, wenn ich vor ihrer Tür stand. Ich blieb ihr fremd und drang einfach ein in ihre Wohnung, ihre Welt.
„Wo ist mein Handtuch?“
„Ich hab‘ schon eins rausgelegt. Und den Schwamm.“
„Wo ist mein Handtuch?“
Schon wieder Fußpflege. Ihre Stimme kommt aus dem Wohnzimmer. Oder dem Schlafzimmer, der Küche, dem Bad, aus dem Flur. Immer besorgt, bewegt, ruhelos, kribbelig. Gleich wird sie mich im Ankleideraum suchen. Um zuzuschauen, wie ich die angelieferte Wäsche in den Kleiderschrank einsortiere.
„Sie hatten Angst vor ihrer Tätigkeit?“
"Angst? Manchmal erschreckte sie mich. Wegen ihrer Beine trug sie dicke Perendale-Socken und tauchte plötzlich lautlos hinter mir auf ..."
Sie ist überall. Versprengt, verstreut, in unbekannten Zimmer, beobachtend. Hilflos, lehnt alle Hilfe ab, entflieht dem Eingeständnis. Morgens geht es ihr besser, bei Licht, viel Licht, in warmer Morgensonne. Wo ist bloß der Schlüssel, wo ist
„Wo ist mein Handtuch?“
Ich kriege die Schranktür nicht auf. Alles ist sofort wieder weg. Ob sie mit meinem Gesicht etwas verbindet? Wenigstens eine Erinnerung? Was sieht sie, was verbindet uns? Etwas unterbindet, verstopfte, verklumpte Wege, dunkle, verschattete, beängstigende Räume. Kein Schlüssel. Wann ist Fußpflege. Das macht sie unruhig. Welches wann, wie ist ihr gestern, ihr heute? Wo ist der Schlüssel, wo hat sie den nur? Ach je, unter dem Wäschekorb, da kann ich lange suchen.
„Wo ist mein Handtuch?“
„Im Bad.“
„Ist denn überhaupt Geld da für Herrn Stötzner?“
„Ja, liegt in er Küche, passend.“
Wo kommen die Stützstrümpfe rein? Die Schrankfächer hat sie alle beschriftet, sonst findet sie nichts wieder. Zittrige langgezogenen Bögen und feineckige Buchstaben. Ich kann ihre Schrift nicht lesen. Alles mit Füller. Alles aufschreiben, wenn man sich erinnern will, die Erinnerung auffüllen.
„Wo ist mein Handtuch?“
„Im Bad, beim Schwamm.“
"Sie brachte mich durcheinander mit den Fragen . Immer die gleichen. Ich habe ehrlich versucht, so zu tun, als ..."
„Es klagt Sie niemand an. Bitte fahren Sie fort.“
"Ich war dreimal die Woche da. Während meines Zivildienstes. Fußpflege gehörte nicht zum Sachleistungsumfang, die musste zusätzlich bezahlt werden. Die Pfleger wie Stötzner kriegten sowieso mehr Geld."
Jetzt steht sie wieder da mit dem großen braunen Portemonnaie in der Hand.
„Ist noch Geld da?“
Sie hat eine Riesenangst, etwas nicht bezahlen zu können. Alles wird jetzt teurer. Das Konto ist fast leer. Kein Geld herumliegen lassen.
„Hab ich noch Geld auf dem Konto?“
„Ja, genug da. Und für Herrn Stötzner ist es rausgelegt.“
"Die Angehörigen verwalteten ihre Rente und legten für den Monat Haushaltsgeld bereit. Ihr Konto war schon lange aufgelöst."
Die Wollwäsche gehört in die Kirschholzkommode. Ewig klemmen die Schubladen, jetzt mit Ruck - Mist, ihre Fotos, wie standen die vorher? Ist sie die Frau mit dem streng geflochtenen, sorgfältig hochgesteckten Bauernzopf, wer sind die zwei kleinen Mädchen? Der Junge trägt einen Kommunionanzug. Auf dem anderen Bild ein älterer Mann, ihr Vater?, sie lehnt sich an ihn, eine junge Frau, schöne lange offene Haare. Was soll nur dieser Babyschuh aus Zinn?
„War es Ihr Wunsch, in die Altenpflege zu gehen?“
"Ich bin zugeteilt worden. Hatte mich vorher um nichts gekümmert. Andere waren da cleverer."
„Reicht das Geld noch für Herrn Stötzner?“
„Ja, natürlich. Es ist noch genug da.“
Einmal hat sie mich verdächtigt. Beschimpft. Eine alte Frau bestehlen. Ha, das ist einfach. Hilflosen was wegnehmen, ihr seid stark und jung und habt schnelle Beine, wer soll sich da noch wehren können, ist denn das gerecht
„Ist denn alles da für Herrn Stötzner, junger Mann?“
„Handtuch liegt da. Und ein Schwamm.“
„Und das Geld?“
„Geld liegt passend in der Küche.“
Der riesige braune Kleiderschrank drückt den Ankleideraum zusammen. Dunkle Buche, mit gedrechselten Voluten, sehen aus wie Augen, die mir immer nachschauen. Die schwere Kommode, der massive Tisch, ich habe gar keinen Platz, das wenige Licht kommt nur vom Flur. Noch drei Blusen im Wäschekorb , Zellophanhüllen abwickeln, auf den Bügel, ich hab keine Lust mehr. Wo schwirrt sie wieder umher? Wenn ich lang genug im Ankleideraum werkele, vergisst sie mich bisweilen und gibt Ruhe. Heute wohl nicht. Ich geh Schuhe putzen auf den Balkon, mein Gott, sind die ausgetragen, dabei geht sie doch kaum noch raus.
„Wo ist mein Handtuch?“
„Frau Westhoff, das haben Sie mich heute schon zehn mal gefragt.“
„Ist es üblich, einen Zivildienstleistenden ohne Begleitung zu Patienten zu schicken?“
"Nachdem ich zwei Monate da war, wurde ich alleine los geschickt, für mich werden ja nur 28 % vom Satz berechnet, ist ja auch eine Kostenfrage und ich war vertrauenswürdig."
„Wir folgen Ihnen mit Aufmerksamkeit, aber können Sie jetzt etwas näher bei den Tatsachen bleiben?“
Ich atmete auf dem Balkon tief durch. Das Schnappschloss knackte zu wie eine Absperrung zwischen mir und der irrenden, unablässigen Bewegung. Aber auf dem Balkon war keine Schuhcreme, die lag unter der Spüle in einem alten Schuhkarton. Ich schlich leise durch den Flur zurück und öffnete vorsichtig die Küchentür.
Zuerst sah ich nur die fleckige Aluminiumbeine des Küchtisches mit der schwarzweiß-gemusterten Tischplatte, aber am Ende saß Frau Westhoff weinte. Ich trat unsicher zu ihr hin, sie packte meine Hand und hielt sie fest.
"Ihr Haar trug sie jetzt kurz, eine Ponyfrisur mit Seitenscheitel, sorgfältig gekämmt, die sie mit Haarclips feststeckte. Von denen verlor sie ständig welche, und ich brachte ihr von der Drogerie neue mit. Die Friseuse kam alle vier Wochen, die Angehörigen bezahlten sie vorab."
Sie drückte fest zu, ihre Finger waren knochig, aber die Hand warm.
„So wollte ich das nie. So wollte ich nicht alt werden, junger Mann.“
Der klare Klang ihrer Stimme verunsicherte mich. Mit ihrer rechten Hand fasste sie sich an die Stirn, die von unzähligen feinen Falten übersät war:
„Ich fühle hier hin, und suche – und es ist nichts mehr da.“
Ich konnte ihr nicht in die Augen schauen und schwieg. Ihr Blick wandte sich zum Fenster und sie schien mich plötzlich vergessen zu haben, hielt aber weiter meine Hand, ihre Augen schwammen in Tränen. Was würde Stötzner gleich sagen, schoss es mir durch den Kopf. Ich faltete mit Links ein Papiertaschentuch auf und berührte damit leicht ihre Wange. Sie schreckte hoch, ließ los und schob meine Hand weg. Das Tempotuch fiel runter und blieb zwischen uns beiden auf dem Tisch liegen. Gefühle von Beschämung, Verwirrtheit. Ich schaute zur Seite und richtete mich auf.
„Soll ich uns einen Kaffee machen?“
Nescafé war immer hinten im Küchenschrank. Ich setzte einen Topf auf den Gasherd, mit einem großen Schuss Milch, fuhrwerkte mit dem Zünder – brauchte immer mehrere Versuche - bis die Flamme anging. In zwei blaugeblümte Tassen füllte ich jeweils einen Löffel Zucker und Cafépulver. Frau Westhoff schaute dabei zum Fenster hinaus und zerknüllte pausenlos das Taschentuch in ihrer Hand. Etwas Milch in die Tassen gekippt, ich drehte die Flamme auf klein und stellte den Topf mit der restlichen Milch zurück.
„Empfanden Sie vor der Kranken Ekel?“
"Nein, nein. Sie war immer so freundlich. Baden und Waschen, das machen auch die Pfleger, die kriegen höheren Satz."
Wir tranken schweigend unseren Kaffee. Ein langes aufdringliches Klingeln schreckte uns hoch, ich sprang zur Tür. Typisch, Stötzner.
„Na, wie geht’s so, Sportsfreund? Wie ist die Alte heute drauf?“
Stötzner bemühte sich, gedämpft zu sprechen, doch sein fettleibiger Körper verbreitete den Schall der Stimme in alle Räume. An meinem Achselzucken vorbei stürmte er in die Küche, beugte sich zu Frau Westhoff und legte ihr seine große Pranke auf die Schulter.
„Na, junge Frau, einmal Pediküre heute?“
Sie lächelte vertrauensvoll und erhob sich. Wo ist mein Handtuch?
„Alles im Bad. Geld liegt in der Küche, Herr Stötzner“.
„Na, dann wollen wir beide mal in’s Bad spazieren. Ihr Arm, Gnädigste?“
Ich spülte meine Tasse weg, ihre Tasse ließ ich für den Rest noch da, schlüpfte in meine Jacke und zog die Tür hinter mir zu.
„Waren Sie danach wieder bei Frau Westhoff?“
"Ja, aber einige Wochen darauf wurde mein Dienstplan geändert."
„Haben Sie gefragt, warum?“
"Das macht die Verwaltung. Ohne mich zu fragen."
„Also haben Sie sich gefragt, warum?“
"Nein, ich konnte doch nicht wissen, mir hat niemand gesagt..."
„Dann werden wir Ihnen jetzt den Bericht der Pflegedienstes zur Kenntnis bringen: ... 11:15 Fusspflege Frau Westhoff, Stötzner. Körperlicher Zustand weiterhin gut. Nachlassende Handlungskompetenz. Während der Behandlung bemerkte der Pfleger einen rotglühenden Topf auf dem Gasherd, Patientin bestritt hartnäckig, ihn angestellt zu haben. Im Krankheitsverlauf ist zu erwarten, dass Handlungsabläufe im eigenen Haushalt bald nicht mehr möglich sind. Da die Leistungsnehmerin nur Pflegestufe 1 ist, können wir keine umfassenderen Pflegeverrichtungen durchführen. Die Angehörigen sind zu unterrichten, um eine Verlegung in stationäre Einrichtungen einzuleiten.“